Diese Einladung ins Parlament hat es in sich. Ebenso wie der Titel der Veranstaltung: Mag. Wolfgang Sobotka und die Dritte Präsidentin des Nationalrates Anneliese Kitzmüller sowie der Verband der deutschen altösterreichischen Landsmannschaften in Österreich und die Sudetendeutsche Landsmannschaft in Österreich laden gemeinsam anlässlich 100 Jahre 4. März 1919 zur Veranstaltung „Für ein Europa freier Völker und Volksgruppen.“ Festredner ist der ebenso umstrittene wie FPÖ-nahe Historiker Lothar Höbelt. Eine Recherche des Semiosisblogs zur Koalition mit ganz weit rechts.
Das Thema: Eine Demonstration für die „Eingliederung der Heimatgebiete“ im heutigen Tschechien und Polen
Im Einladungstext zur Veranstaltung am Samstag, den 2. März 2019, um 11:30 Uh wird an eine Demonstration am 4. März 1919 erinnert. An diesem Tag gingen Sudetendeutsche auf die Straße für
die Eingliederung ihrer Heimatgebiete in Böhmen, Mähren und Österreich-Schlesiens in die neu gegründete Republik Deutsch-Österreich und beriefen sich dabei auf das von Präsident Wilson proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker. Bei diesem Bekenntnis zu Österreich wurden 54 Männer und Frauen, Jugendliche und Greise durch die einschreitende tschechische Miliz getötet und über 100 weitere verwundet. Diesen Opfern für das Selbstbestimmungsrecht wird seither jährlich gedacht, um Mahnung und Wahrheit gleichermaßen in die Zukunft zu tragen.
Die Erinnerung an diese Kundgebung dient im rechten Spektrum seit längerem als Aufhänger, um mit revisionistischen Thesen zu jonglieren. Eine Eingliederung in die Republik steht ja heute nicht mehr zur Diskussion. Und der Schwerpunkt ist so gesetzt, dass man die durchaus ambivalente Rolle der Sudetendeutschen und Schlesier im Nationalsozialismus nicht mehr thematisieren muss. Daran wird schlicht nicht erinnert.
Zwei Parallelaktionen
Diese Themenführung ist eine Parallelaktion. Und das gleich in zweifacher Hinsicht. Der 4. März 1919 ist nämlich auch aus anderen Gründen ein historisch wichtigs Datum. Just an diesem 4. März 1919 zogen nämlich erstmals Frauen ins österreichische Parlament ein: Anna Boschek, Hildegard Burjan, Emmy Freundlich, Adelheid Popp, Gabriele Proft, Therese Schlesinger, Amalie Seidel und Marie Tusch. Das parallele Gedenken an die Demonstrationen zur „Eingliederung der Heimatgebiete“ setzt einen rechten Kontrapunkt zum Meilenstein für die Gleichstellung der Frau.
Und noch etwas fällt auf: Wenige Tage vorher wird am 1. März 2019 – ebenfalls in den Räumen des Parlaments – die Wanderausstellung des Russischen Bildungs- und Forschungszentrums „Holocaust“ eröffnet. Der Titel: Holocaust: Vernichtung, Befreiung, Rettung. Dort spricht dann unter anderem die Auschwitzüberlebende Helga Kinsky.
Historiker Lothar Höbelt: „Die Waffen-SS war anfangs nichts anderes als die Kinderfreunde der SPÖ“
Drei Tage später soll beim Vertriebenengedenken FPÖ-Historiker Lothar Höbelt den Festvortrag halten. Bekannt ist, dass Höbelt 1999 einen Beitrag zu einer Festschrift verfasst hat, mit der der bekannte Holocaustleugner David Irving gewürdigt wurde. Dieser Beitrag für den mittlerweile verurteilten Irving ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Höbelt liefert regelmäßig, neu- und altrechten Thesen. In verschiedenen Publikationen, und auch mündlich. Die Zeitschrift „Profil„ vom 15. 2. 2018 etwa berichtet:
In seiner Vorlesung über den 2. Weltkrieg teilte der Historiker Höbelt vorvergangene Woche seinen erstaunten Studenten mit, daß die „Waffen-SS anfangs nichts anderes war als die Kinderfreunde der SPÖ“.
Bei zahlreichen neu- und altrechten Treffen war Höbelt dabei. Die Suche im Archiv des Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands liefert ausreichend Ergebnisse.
Ein rechter historischer Kompromiss der ÖVP
Bindeglied zwischen beiden Veranstaltungen ist der ehemalige Innenminister und jetzige Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Er gedenkt der Opfern des Holocaust und gibt gleichzeitig Geleitschutz für jenes politische Lager, das die Täter entschuldigen möchte, ihre Taten leugnet oder andauernd relativiert. Bislang kommen Sobotka und der Rest derÖVP mit dieser Strategie durch.
Der Termin reiht sich jedenfalls ein in eine Reihe von Veranstaltungen, mit denen der Diskurs im Parlament in kleinen Schritten nach und nach verschoben wird. Weg vom Gedenken an die Opfer des Holocaust oder die Frauenbewegung. Hin zu großdeutschen Phantasien über die „Eingliederung der Heimatgebiete“ in Böhmen. Ist das die „Orbanisierung“ Österreichs?
Parlamentarische Anfrage an Sobotoka
Update (27.2.2019): Zu der Veranstaltung und zu der Beteiligung von Nationalratspräsident Sobotka wurde mittlerweile eine parlamentarische Anfrage von Peter Pilz (JETZT) eingebracht Darin wird unter anderem gefragt, welche Überlegungen das Nationalratspräsidium bewogen haben, eine Veranstaltung in Erinnerung an eine Demonstration „für die Eingliederung Böhmens, Mährens und ÖsterreichSchlesiens“ auszurichten.Außerdem wollen die Abgeordneten wissen, warum Lothar Höbelt als Festredner gewonnen wurde und wie viel Honorar er voraussichtlich erhalten wird. Um diese Fragen zu beantworten, hat Sobotka nun zwei Monate Zeit.