Die Recherchen von Der Standard und von profil zu den Hausdurchsuchungen beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) führen vor Augen: Da agiert ein Geheimdienst, der ein bedrohliches Eigenleben im Verborgenen entwickelt hat. Klassifizierte Dokumente wechseln die Besitzer(innen). Unklar ist, wer wann wie Zugriff auf Geheimdokumente hatte und hat. Verdeckte Ermittler(innen) werden womöglich in Gefahr gebracht. Es herrscht ein gefährliches Durcheinander. Nun verlangt die Opposition – zurecht – öffentliche Aufklärung in einer Parlamentssitzung, im Sicherheitsrat und wohl in einem Untersuchungsausschuss. Die traurige Wahrheit ist allerdings: Demokratische Kontrolle von Geheimdiensten ist nicht möglich. Es werden wieder viele geschwärzte Dokumente die Runde machen, denen nichts Nenneswertes entnommen werden kann. Es gibt hier nur eine sinnvolle Forderung: Der Verfassungsschutz als Geheimdienst gehört aufgelöst und durch einen öffentlichen Verfassungsschutz ersetzt, der der direkten parlamentarischen Kontrolle untersteht. Von Sebastian Reinfeldt. (Aktualisierte Fassung)
Der Anlass: Das mysteriöse 40-seitige Dossier
Warum wurde eigentlich eine Hausdurchsuchung durchgeführt? Und warum in diesem Stil? Genaue Antworten erhalten wir schon auf diese grundlegenden Fragen nicht. Weil es geheim ist. Seit einigen Monaten kursiert unter ausgewählten Personen (JournalistInnen, AufdeckerInnen) ein Dossier, in dem schwere Vorwürfe gegen das BVT erhoben werden. Der mutmaßliche Inhalt: Abteilungsleiter sollen Spesen falsch abgerechnet haben, Lösegeld von Geiselnahmen sei veruntreut worden. Berichtet wird ferner von sexuellen Übergriffen auf Mitarbeiterinnen, sogar von Sexparties und Geldwäsche ist die Rede. Und von politischen Fehltritten und Korruption.
Doch ist das nur der boulevardeske Inhalt des Konvoluts, von dem Vieles der Nachfrage nicht standgehalten hat. Alle Journalistinnen und Journalisten, die die weißen Kuverts mit dem brisanten Inhalt erhalten haben, entschieden sich daher dafür, den Inhalt so nicht zu veröffentlichen. Zitat der Standard-RechercheurInnen Fabian Schmid und Maria Sterkl:
Wie hier erwähnt, beziehen sich die Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft offenbar auf Informationen, die aus diesem Dossier stammen, die aber mit Vorsicht zu genießen sind. Dies auch deshalb, weil ein ähnliches Muster wie damals bei der Aufdeckung der SPÖ-Wahlkampfaffäre rund um Silberstein erkennbar ist. Einige wenige werden häppchenweise mit Infos versorgt. Dieses Vorgehen spricht für die Aktivität von Whistleblower(n), die bewusst einen politischen Skandal inszenieren wollen. Österreichische Mini-Snowdens sozusagen.
Der „Fall Nordkorea“
Der Fall Nordkorea ist wohl einer der Anlässe, warum die Hausdurchsuchungen im BVT letztlich durchgeführt worden sind. In diesem Fall ließen sich Informationen auch erhärten, berichten die Recherchierenden. Dennoch handelt sich um eine begründete Spekulation, denn ganz genau wissen wir das alles nicht. Die österreichische Staatsdruckerei hat 2015 für Nordkorea biometrische Pässe gedruckt. Ein eigentlich normaler Auftrag – mit politischem Beigeschmack, würde ich meinen. Denn Nordkorea ist ja nicht ein Land wie jedes andere. Aber gut. Das BVT hat sich also drei Pass-Muster beschafft und diese verdeckt an den südkoreanischen Geheimdienst übermittelt. Angeblich zu „Schulungszwecken“. Bis dahin ist das noch eine normale Geheimdienstoperation, wobei Infos und Dokumente wechselseitig gegeben und genommen werden. Als Dankeschön sollen die beteiligten Beamten allerdings auf Kosten des südkoreanischen Geheimdienstes in Südkorea geurlaubt haben. Das wäre dann natürlich Korruption. Mit einer Geheimdienstbrille betrachtet ist das Ganze jedenfalls äußerst blamabel. Geheime Operationen, die in den Medien besprochen werden, sind wertlos geworden. Und damit ist es der betreffende Dienst auch.
Sind die Durchsuchungen ein politisches Ränkespiel?
Rechtlich gedeckt, aber mit unangenehmen Beigeschmack, hat die Softwarefirma rubicon IT vom BVT Aufträge bekommen – ohne Ausschreibung. Auch diese Info findet sich im Dossier. Außerdem sei „Zundgeld“ – eigentlich gedacht für InformantInnen – missbräuchlich verwendet wurde. Vieles steht im Raum, etwas Genaues wissen wir nicht. Jedenfalls gibt die Textsammlung in den Augen der Staatsanwaltschaft ausreichend gute Gründe, dass sie weiter ermittelt. Beschuldigt werden, so Kurier, Direktor Gridling, der eheamlige Vizedirektor Wolfgang Zöhrer, der Abteilungsleiter Nachrichtendienste (ND) und einer seiner Mitarbeiter sowie zwei IT-Experten. Der Verdacht: Amtsmissbrauch. Da ist es nachvollziehbar, dass Dokumente und auch Computerdaten sichergestellt werden müssen. Gute Gründe für eine Hausdurchsuchung liegen also vor – wäre nicht im Hintergrund ein politisches Ränkespiel im Gange. Denn der BVT wird seit 17 Jahren durch ÖVPler geführt. Der Vertrag der derzeitigen Chefs Gridling sollte in Bälde verlängert werden, und ausgerechnet kurz zuvor kommt es zu dieser spektakulären Inszenierung durch den Einsatz der Einsatzgruppen zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) bei der Hausdurchsuchung. So etwas kann kein Zufall sein.
Verdeckt aber kalkuliert öffentlich
Aus Gründen der Geheimhaltung habe man diese Truppe hinzugezogen, heißt es aus dem Innenministerium verteidigend. Diese Beamten ermitteln übrigens oft in Zivil, zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln. Aber sie sind gut ausgebildet und bereit zum Schießen und Kämpfen. Ihr Leiter ist ein FPÖ-Lokalpolitiker (dass die Polizei generell FPÖ-nah ist, ist wiederum keine Neuigkeit). Das Innenministerium ist auch – von der Leitung her – in FPÖ-Hand. Formell hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren in der Hand. Diese jedoch kann Weisungen erhalten – vom ÖVP-Justizminister. Der klärt gerade intern die Sachlage, meinte er im ORF. Die ganze Aktion sieht jedenfalls wie ein kalkulierter Skandal aus, der wohl in eine andere Richtung gedacht war: Die Staatsanwaltschaft und eine bewaffnete Einheit müssten den BVT durchsuchen, weil dort so schlimme Zustände herrschten. An diesen sei der BVT-Chef Schuld, der deshalb ausgetauscht werden müsse. Nun steht aber der gesamte Komplex (Dossier + begründbare Evidenzen daraus + Hausdurchsuchung + Politisches Umfärben + Entwendung klassifizierter Dokumente) zur Diskussion und verlangt nach Aufklärung. Die, so nehme ich an, wird es indes nicht geben.
Die Sache mit der Zeugin
„Nein, haben wir nicht!“ – „Doch, genau das habt ihr!“ So geht es derzeit zwischen Innenministerium und JournalistInnen hin- und her. Dabei geht es um die Sache mit der Zeugin. Ihr Name steht bereits in allen Medien, obwohl ihr genau nichts vorgeworfen werden kann. Zufälligerweise (!) handelt es sich bei Sibylle Geißler um die Leiterin des Extremismusreferats. Sie soll ein Naheverhältnis zu einem Beschuldigten haben. Das reichte aus, dass sie im Zuge der Aktion ihre Passwörter und Handyzugangscodes abgeben musste. Mitgenommen wurden überdies ein Stand-PC, zwei Handys, 300 CDs, ihre E-Mails und 400 Seiten Papier. So stehe es jedenfalls im ersten Protokoll dieser Hausdurchsuchung von 9 Uhr. Das berichten es profil und Der Standard, die das Protokoll einsehen konnten. Und sie erwähnen dabei, dass auf 19 dieser CDs aktuelle Fälle dokumentiert seien. Einer davon: Isabella K., laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands „eine der wenigen Frauen unter den Kadern der Wiener Neonaziszene„. Wenigstens die weiß jetzt Bescheid.
Geheimdienste unterliegen keiner demokratischen Kontrolle
Wir aber nicht. Das politische Problem dabei ist: Wir diskutieren über Geheimdienste, die als Verfassungsschutz einer bürgerlichen Demokratie agieren, selber aber keiner wirklichen demokratischen Kontrolle unterliegen. Sicherlich gibt es parlamentarische Gremien, denen Auskunft gegeben werden muss. Doch sind deren Mitglieder zum Schweigen verpflichtet. Sie werden entweder zu MitwisserInnen oder aber sie machen sich strafbar, falls sie Geheimnisse aus den Gremien ausplaudern. Demokratie indes macht ohne den Anspruch, dass potentiell alle auch alles wissen können und den freien Zugang zu allen Informationen haben, gar keinen Sinn. Wenn es eine Clique der Wissenden gibt, die sich von einer Masse aus Unwissenden und einer Schicht von Halbwissenden unterscheidet, dann hat die Demokratie verloren. Zum Schutz des Landes lässt sich das vielleicht noch argumentieren. Doch eine Demokratie lässt sich nicht mit undemokratischen Methoden schützen. Politische Ränkespiele, Geheimdiensttricksereien und der Aufbau und die Aufrechterhaltung potemkinscher Dörfer sind dann die notwendige Konsequenz – und eben kein Schutz der Demokratie.
Verfassungsschutz in demokratischer Hand!
Hinzu kommt der eherne demokratische Grundsatz, dass die Verwendungen öffentlicher Gelder der Kontrolle durch die Öffentlichkeit unterliegen muss. Weder der BVT-Chef noch der Justizminister oder der Innenminister noch die Polizeitruppe EGS setzen privates Geld ein. Sie werden durch öffentliche Gelder bezahlt. Sie geben öffentliche Gelder aus – und sie gehören daher öffentlich kontrolliert. Ohne diese Kontrolle macht Demokratie keinen Sinn und erschöpft sich in zahnlosen parlamentarischen Ritualen. Aus diesen beiden Gründen – eine Demokratie kann nur mit demokratischen Mitteln verteidigt werden, öffentliche Gelder unterliegen öffentlicher Kontrolle – muss der bestehende Verfassungsschutz BVT aufgelöst werden und durch einen parlamentarisch kontrollierbaren, offen agierenden Verfassungsschutz ersetzt werden.