Die Sache mit dem Pantoffel

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By Sebastian Reinfeldt

Beides zu sehen, sollten wir im Stande sein.“ In einem Kommentar zum Artikel über das Wirken von Ute Bock als Erzieherin in Kinderheimen von von Jérôme Segal mahnt Sibylle Summer vom Republikanischen Club ein, die Sache mit Ute Bock differenziert zu sehen. Das ist auch mein Wunsch. Doch habe ich noch nicht den Eindruck gewonnen, dass die andere Seite ausreichend im Licht steht. Zumindest bekommen wir vom Semiosis-Blog nun von Heimopfern Dokumente rund um Ute Bock zugesandt. In ihnen lese ich unverstandenes Leid. Die Menschen fühlen sich allein gelassen und vergessen. Natürlich löst eine bekannte Persönlichkeit mit Vergangenheit viel aus. Hinzu kommt, dass die Geschichten rund um Frau Bock als Kinderheimerzieherin selbstverständlich auf die Zeit, in der sie spielen, zu beziehen sind. Das soll nun anhand eines der Dokumente, die wir erhalten haben, passieren. Es scheint eine Kleinigkeit zu behandeln: einen „Pantoffelwurf“ nämlich. 


Im März 1965 hatte sich eine Großmutter über die Behandlung ihres Enkelkindes im Erziehungsheim Biedermannsdorf bei der Magistratsabteilung 11 beschwert. Ihr Vorwurf: Der Bub sei von seiner Erzieherin geschlagen worden. Ihr Name: Ute Bock. Mittlerweile ist bekannt, dass eine „Detschn“ durchaus zum Heimalltag gehörte. Dass dies 1965 im Roten Wien noch üblich war, mag verwundern. Es ist jedoch eine Tatsache, wie auch Ute Bock zu Lebzeiten eingestand hat. In dem Dokument wird allerdings alles abgestritten – bis hin zur Lächerlichkeit.

Ute Bock Pantoffelwurf
Ute Bock Pantoffelwurf

„Ermahnung, keine Pantoffel mehr zuzuwerfen!“

Die Begebenheit spielte sich im Waschraum der Gruppe 7 ab. Dort lag ein Pantoffel herum. Die Erzieherin, Ute Bock, fragte, wem der Kinder dieser gehört habe. Was dann passierte, da gehen offenbar die beiden Versionen auseinander. Der Bub hatte seiner Großmutter wohl berichtet, er sei von der Erzieherin mit einem Pantoffel geschlagen worden. In der Stellungnahme des Heims liest sich der Vorfall dann so:

Frau Bock schupfte ihm den Pantoffel zu. In diesem Moment rutschte der Bub aus und der Pantoffel traf den Buben im Gesicht. Die Erzieherin war selbst sehr erschrocken und entschuldigte sich bei dem Buben. (…) Trotzdem wurde Frau Bock ermahnt, in Hinkunft den Zöglingen keine Pantoffel zuzuwerfen.

Die Sache war mit der Version, dass der Bub ausgerutscht sei und ihn der Pantoffel im Gesicht getroffen habe, wohl beendet und die Angelegenheit landete im Jugendamt-Archiv. Von dort fand der Schriftsatz dann seinen Weg ins DÖH, dem Dokumentationsarchiv österreichischer Heimkinder.

Eine Vergangenheit, die nicht vergangen ist

Die Aufarbeitung der grausigen Ereignissen in den Kinderheimen ist nicht beendet. JournalistInnen mussten ihre Recherchen anfangs gegen Widerstände durchziehen, die Grünen hatten damals Heimopfer erstmals ins Parlament geholt und damit ihr Leid offiziell sichtbar gemacht. Zwar erforschten HistorikerInnen die Tatsachen und es wurden Entschädigungen gezahlt. Doch bei den Betroffenen bleibt der Eindruck, dass sie mit ihrem Leid weiterhin alleine stehen. Im Sommer 2017, es schien so, also ob die Welle der Berichte abgeebt war, tauchte die nächste Geschichte auf: Die vergessenen Malaria-Opfer von Wien. In der Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik, geleitet von Professor Hans Hoff, wurden bis 1968 an Kindern, die von der städtischen Jugendfürsorge dorthin eingewiesen wurden, medizinische Experimente durchgeführt. Die medizinischen Dokumente sind erschütternd.

„Betroffene können nichts beitragen“

Der Leiter der Historikerkommission zu den „Malaria-Kindern„, Gernot Heiss, erläuterte dem Standard gegenüber:

Befragungen der Betroffenen hätten zu seinem Projekt nichts beitragen können, zudem seien das ja „Leute gewesen, die klagen wollten und behaupten, dass sie 42 Grad Fieber hatten. Das gibt es aber nicht“, sagt Heiss heute.

Dass das Leid der Opfer von solchen Verbrechen in der Geschichtsschreibung keine Stimme haben, ist ein seltsamer Ansatz. Seltsam, aber bezeichnend. Seit 2011 sind die Erlebnisse der früheren Heim- und Fürsorgekinder in den typischen medialen Wellen immer wieder mal zum Thema geworden. Zu Lebzeiten hätte die frühere Heimerzieherin Ute Bock dazu Stellung beziehen können (oder sollen). Zu ihrem eigenen Wirken, aber auch zu dem Heimsystem als Ganzem. Sie hat dies nicht getan, obwohl sich viele verständnisvolle Worte gerade von ihr gewünscht hätten. Stattdessen reagierte sie mit Zweifeln, Rechtfertigungen und Unverständnis. So wie in dem Dokument über den Pantoffelwurf, das wir hier publiziert haben. Es wirkt so, als ob sie sich aus der Verbundenheit mit dem grausamen Erziehungssystem nie gelöst hätte. All das drückt dieses Bedauern von Franz Josef Stangl aus, eines der Opfer-Sprecher. Er bedauert, dass von Ute Bock nie eine Reaktion kam.

Facebookpost Stangl
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Dank an das DÖH für die Dokumente, besonders an Rudolf Primesdomu und an Robert Wais. Und danke auch für das Vertrauen, das Sie uns entgegen bringen.

1 Gedanke zu „Die Sache mit dem Pantoffel“

  1. „Trotzdem wurde Frau Bock ermahnt, in Hinkunft den Zöglingen keine Pantoffel zuzuwerfen.“
    So etwas fällt nicht einmal dem begabtesten Kabarettisten ein.
    Habe ein ähnlich unfassbares Verhalten bei einem ranghogen Ministerialbeamten des Justizministeriums erlebt.
    Amtspersonen sind eben sakrosankt, besonders dann, wenn man sie zu Säulenheiligen hochstilisiert.
    Nur sie selber geben manchmal zu, dass sie nicht unfehlbar sind, wie eben Mutter Teresa oder Ute Bock.

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