Eine Replik auf das Standard-Pamphlet „Schreien, wie die Männer wollen“ und ein paar andere Missverständnisse.
Jungs sind nun mal Jungs, und Männer haben Bedürfnisse, verdammt. Und wollen wir Frauen es nicht auch? – Wer würde das leugnen wollen? Frauen haben, so weit ich unterrichtet bin, eine Menge sexueller Bedürfnisse, und sie haben vor allem ein Bedürfnis: dass ihr Körper nicht zur öffentlichen Bedürfnisanstalt männlicher Bestätigungs- und Dominanzgelüste wird. Von Richard Schuberth
Nachdem #MeToo wie ein Tsunami über die Selbstverständlichkeit des patriarchalen Arrangements zwischen Männern, die wissen, was sie wollen, und Frauen, die wissen, was Männer wollen, hinweggeschwappt ist, formiert sich entschiedener Widerstand. Auch seitens gebildeter und selbstbewusster Frauen, die im Namen des Feminismus #MeToo in die Schranken weisen. Ein genauerer ideologiekritischer Blick auf ihre Argumente gibt ihren Feminismus aber als eine Apologie des Bestehenden zu erkennen. Es ist der Feminismus der Damen, der Trösterinnen falsch verstandener Frauenfreunde, der Feminismus der privilegierten Powerfrauen und Männerdompteusen, deren narzisstisches Self-Empowerment vor allem darin besteht, Opfer sexueller Gewalt permanent maßzuregeln, sich nicht ständig als Opfer zu gerieren.
Zugegeben: Die Kollateralschäden von #MeToo sind kolossal, und eine Kampagne, die keiner programmatischen Hypothese folgt, sondern spontan, aus Unbehagen heraus solch unerwartete Breitenwirkung entfaltet, exponiert sich erwartungsgemäß einer Menge Kritik. Zum perfiden Wesen der „Jetzt reicht es“-Front gehört es aber, mit richtiger Kritik der Auswüchse von #MeToo deren richtigen Kern zu desavouieren. Nach Catherine Deneuve und Catherine Millet hat sich nun auch der österreichische Ableger des paneuropäischen Vereins Adults for Adults im Standard zu Wort gemeldet, vielen auch bekannt als Frauen für Robert Pfaller. Ihr Verdienst ist es, die unbedarft-ehrliche Direktheit einer Nina Proll auf das Niveau des Diskursbuffets im Salon der gleichen Meinungen gehoben zu haben.
(Ich entschuldige mich natürlich nicht für meinen polemischen Ton, denn auch wenn er unter- und übergriffig wirken mag, so ist er vor allem eines, die notwendige Säure, um das klemmende Schloss zum Think-Tank aufzuätzen, damit die darin eingeschlossenen Meinungen wieder Luft bekommen. Und bei so viel Erwachsenheitspathos und Bedürfnis der Erwachsenen, unter sich zu bleiben, fühlen sich Leute wie Pipi Langstrumpf, Peter Pan und ich geradezu herausgefordert, unserer Infantilität freien Lauf zu lassen.)
Gegen Puritanismus, aber für #MeToo
Es gäbe einiges an der Kampagne #MeToo zu bemängeln, vor allem ihre Nebeneffekte und Instrumentalisierungen. Dass sie sich aus der Kultur- und Popindustrie kommend zu Beginn bloß über die Aufmerksamkeitsschienen der Kultur- und Popindustrie kommuniziert hat etwa, und profundere feministische Kritik, der es an Glitter und Eingängigkeit mangelt, abdrängte; dass sie in eben jenen gesellschaftlichen Segmenten, wo Feminismus relativ out war, das Opferbekenntnis plötzlich zu einem hippen Selbstdarstellungstool gemacht hat; auch, dass ein inquisitorisches Klima entstand, in dem die berechtigte Wut über erlittenes Unleid sich mit kollektiven Bestrafungsfantasien liierte, die mitunter aus ganz anderen Quellen gespeist waren; und schließlich: dass Puritanismus und Reglementierungswut darin wuchern wie Pilze im feuchten Milieu.
Der Vorwurf des Puritanismus und der Lustfeindlichkeit ist tatsächlich ernst zu nehmen, und trotzdem besteht kein logischer Zusammenhang mit den Intentionen der Kampagne. Ich unterstelle den Kritikern von #MeToo, dass sie Puritanismus und Reglementierungswut, durch welche #MeToo mit Sicherheit instrumentalisiert wird, für sich instrumentalisieren, um #MeToo abzuwerten. Darum bedarf die Kampagne unbedingt einer intellektuellen Flanke, die sie vor der Vereinnahmung durch Lustfeindlichkeit, irrationalen Männerhass und Ordnungsbedürfnis schützt, nicht zuletzt um den hedonistischen Kritikern und Kritikerinnen von #MeToo den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Erotischer Hedonismus contra erotische Verdinglichung
Ich bin sogar der Ansicht, dass Puritanismus und im Namen von Political Correctness auftretender Reglementierungswahn symptomatisch sind für unsere Gesellschaft und mit allen Mitteln der Subversion, des Spotts, der Kritik bekämpft gehören. Es gibt genug unsinnige Grenzen anzupinkeln und Sensibilitäten zu verletzen, allerdings niemals Grenzen der Intimität, des freien Willens und niemals die Sensibilitäten von Benachteiligten.
Ich bin auch der Ansicht, dass es nicht den geringsten ursächlichen Zusammenhang zwischen #MeToo und Lustfeindlichkeit gibt. Ganz im Gegenteil: Ist die Machtfrage einmal ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, kann dies einer autonomen Lust nur positive Impulse geben. Ich bin sogar für eine Forcierung der Kunst der Verführung, des kreativen Überrumpelns. Erotischer Hedonismus als Reconquista der Erfahrung und Individualität sowie als sinnliches Gegengift zur sterilen neoliberalen Selbstpornografisierung, kraft welcher Ohnmacht permanent in Macht umgelogen werden muss, und sei es nur per übergriffiger Objektivierung von Menschen. Die Lächerlichkeit einer moralisierenden Verhaltensordnung und einer neuen Spießigkeit ist ausreichend gut analysiert worden, dazu bedarf es keines Robert Pfaller, der diese Kritik bloß in jene Feinkostläden gezerrt hat, wo die pseudohedonistischen Gourmets einer gleichfalls lächerlichen Anti-PC einkaufen.
Als Beispiel logisch und moralisch falscher Kritik werde ich den Text des österreichischen Ablegers von Adults for Adults, den ich fortan den Klub der außergewöhnlichen Erwachsenen nennen will, hier zur Gänze zitieren und glossieren.
Pathologisierung des Unbehagens
Die sieben Autorinnen beginnen ihr Standard-Pamphlet mit folgenden Worten:
Sensibilisierte Männer haben uns dort, wo sie uns haben wollen. Wir sind reine Empfindungswesen, nur zu undifferenziertem Aufschrei und angeblich weiblicher Hysterie befähigt, nicht aber zu präzisem Urteilen, politischer Einschätzung und Strategie.
Ein klarer Fall von antifeministischer Hengsttäuscherei. Die Reduktion von Frauen auf „Empfindungswesen“ war ideologische Spielmarke des bürgerlichen Patriarchats. Nun sollen es die „sensibilisierten“ Männer sein, die schuld an dieser Verdinglichung sind. Frauen, die es erstmals wagen, ihre Missbrauchserfahrungen, sei es unmittelbare sexuelle Gewalt oder das Unbehagen mit ihrer Sexualisierung als Machtritual, auszusprechen, wird keine andere Artikulation als der „undifferenzierte Aufschrei“ zugestanden. Sie sind implizit nicht fähig zu „präzisem Urteilen, politischer Einschätzung und Strategie“. Nicht einmal patriarchale Dinosaurier würden es heute noch wagen, das kollektive Coming-out dieser Frauen „hysterisch“ zu nennen.
Da die Vereinserwachsenen die gesamte Kampagne als Hysterie zu empfinden scheinen, projizieren sie ihre Empfindung in die Frauen, die auspackten. Opfer zu sein ist wahrlich nicht so sexy wie Täter zu sein oder aber deren Komplizinnen, die den Opfern unlautere Motive dafür unterstellen, missbraucht und belästigt worden zu sein. In einer sich selbst nicht bewussten Kumpanei mit der Macht wird das Unbehagen mit dieser pathologisiert.
Euch hat mal jemand ans Ohr gegriffen?
Als erwachsene, emanzipierte Frauen beobachten wir die unter dem Hashtag #MeToo entfachte Aufregung mit Verwunderung und Besorgnis. Wir sehen uns umgeben von Leuten, die mit großer Leidenschaft von kleinen und kleinsten unerwünschten sexuellen Erlebnissen berichten, die ihnen widerfahren sind: Euch hat mal jemand ans Ohr gegriffen? – Wir können versichern: Viele von uns haben noch ganz andere Dinge erlebt.
Übersetzung: Stellt euch bloß nicht so an, ihr blöden Dinger. Das weibliche Leben ist nun mal ein Spießrutenlauf, ein Grapschparcours, ein Zungenschleckspalier. Arschbacken zusammenkneifen und durch. Eine Lady flennt nicht. Uns hat man nicht nur am Ohrläppchen gezupft, aber hallo. Und wir sind aber dann nicht zu Onkel Facebook und Tante Twitter petzen gegangen, sondern haben uns sofort an der Uni für Gender Studies inskribiert. Mit Diskurs und Augenzwinkern hält man die Typen schon in Schach, mit Jammern schafft ihr bloß, dass sie irgendwann nicht mal mehr mit uns flirten.
Jetzt stellt euch also nicht so an!
Das haben wir aber nicht benutzt, um Stimmung zu machen und via öffentliche Lynchjustiz irgendwelche Köpfe rollen zu lassen. Sondern wir haben politische Arbeit geleistet und für Gesetze gekämpft, die helfen, Frauen (und andere) vor den Dingen, gegen die sie sich nicht selbst wehren können, zu schützen.
Ach so ist das. Ich nehme alles zurück. Falsch informiert war ich. Adults for Adults hat die bislang verabschiedeten Gesetze durchgesetzt. Den Frauen für Robert Pfaller also verdanken Österreichs Frauen, nicht mehr Privatbesitz ihrer Väter und Ehemänner zu sein. Ich dachte dabei immer an Namen wie Adelheid Popp, Johanna Dohnal und die vielen feministischen Basisorganisationen, die den Stein mit stetem Tropfen höhlten.
Mit selbstgerechtem Ton entmündigt die oben zitierte Sentenz, die im bekannten Imperativ „Jammere nicht, arbeite!“ kulminiert, so ganz nebenbei alle Frauen, die erstmals ohne geschultes feministisches Bewusstsein ihr Unbehagen beredt machten, und konstruiert einen höchst unsolidarischen Gegensatz von bloß reagierenden und politisch handelnden Frauen, als wäre das eine ohne das andere möglich.
Breaking News: Frauenversteher schuld an patriarchalem Frauenbild!
Auf der anderen Seite befremdet uns das Auftauchen einer Reihe von männlichen Frauenverstehern, die Zustimmung für #MeToo äußern und allen Ernstes meinen, diese künstlich geschürte Aufregung trage irgendetwas zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern bei. Wir werden den Verdacht nicht los: mit #MeToo haben diese „sensibilisierten“ Männer uns wieder einmal dort, wo sie uns haben wollen. Wir sind wieder reine Empfindungswesen, nur zu undifferenziertem Aufschrei und angeblich weiblicher Hysterie befähigt, nicht aber zu präzisem Urteilen, politischer Einschätzung und Strategie.
Das könnte ich jetzt beinahe persönlich nehmen, würde es mir nicht ums Verstehen von Frauen, sondern ums Verstehen von Machtstrukturen gehen. Aber es gewährt verräterische Einblicke ins gendersoziologische Verständnis der Erwachsenen Frauen für Robert Pfaller. Feindbild Frauenversteher. Die Gänsefüßchen ums sensibilisiert haben keine andere analytische Funktion, als entweder die Sensibilisierung dieser Männer in Abrede zu stellen oder sie schlicht als Dumpfbacken vorzuführen.
Unter uns: Ich mag Softies, deren Feminismus oft etwas Berechnendes und Anbiederndes hat, auch nicht besonders, aber welch ein Siebenmeilenschritt in der Zivilisationsgeschichte weg vom Macho! Männer aber, die sich solidarisch mit jenen Frauen zeigen, die nicht länger dauererogene Zone für männliche Machtspielchen sein wollen, zu unterstellen, sie wollten mit ihrer Solidarität ein Wunschbild von emotionalisierten, schutzbedürftigen Opferfrauen verwirklichen, während die wirklich toughe Frau (am besten repräsentiert durch die Frauen für Robert Pfaller) mit den Typen, die noch richtig zulangen können, schon umzugehen weiß, könnte man als perfid, denunziatorisch, antiemanzipatorisch oder vieles mehr bezeichnen. Gar nicht nötig, denn es ist vor allem eins: völlig durchgeknallt.
Das wirklich Progressive an #MeToo ist im Übrigen nicht, dass es „irgendetwas zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern“ beiträgt, als konsensualen Kompromiss zwischen Ausgreifer und Ausgegriffener („Hey, gebt euch schon die Hand“), sondern der gar nicht so kleinen Schicht der Ausgreifer dort Angst macht, wo Gesetze ihnen bislang offenbar keine Angst machen konnten.
Les hommes sont des hommes, et c’est bon
Außerdem ist uns der Sex, dem Bild dieser Männer zufolge, wieder einmal grundsätzlich fremd. Catherine Deneuve und ihre Mitstreiterinnen haben das gut erkannt: Wie im 19. Jahrhundert meinen die Männer, uns Frauen vor allem, was ans Geschlechtliche rührt, bewahren zu müssen.
Was meint die US-amerikanische Feministin Laura Kipnis, welche die Erwachsenen Frauen einige Absätze später gegen deren Intentionen als ihre Gewährsfrau zitieren, zu Catherine Deneuve? Kipnis bezeichnete ihren Brief als „silly“ – und weiter:
„It’s the historical amnesia of the Deneuve document that’s so objectionable. To the extent that women’s bodies are still treated as public property by men, whether that means groping us or deciding what we can do with our uteruses, women do not have civic equality. To miss that point is to miss the political importance and the political lineage of #MeToo: the latest step in a centuries long political struggle for women to simply control our own bodies.“
Wenn Catherine Deneuve das „Recht des Mannes zu belästigen“ einfordert, bleibt sie ihrem Rollenfach treu. In Belle de Jours (1967) des genialen Machoregisseurs Luis Buñuel hat sie sich von Männern mit Dreck bewerfen lassen. Zaghaft hatte sie gegen diese Szene, in der Michel Piccoli ihr mit voller Wucht Schlamm ins Gesicht schleudert, protestiert. Ein kurzer Streit mit Buñuel folgte. Es war kein Protest gegen das gesamte frauenfeindliche Set-up, es war bloß der kreatürliche Aufschrei, dass es nun zu viel sei. Das war vermutlich das letzte Mal, dass C. Deneuve aufgeschrien hat. Seither hat sie sich in den Betrieb eingefügt. Sie ist deshalb das Lieblings-Pin-up des französischen Mannes, weil sie die patriarchale Zumutung mit Würde erträgt, mit der Würde einer richtigen Dame. Die geborene Komplizin männlicher Macht mimt sie, die lebenslange Freundin von Präsidenten, Investoren, Prälaten, ihren Kumpel, ihre Kupplerin. Das hat ihr einen Platz im Olymp der weiblichen Objekte verschafft, von wo sie die Macht über das Begehren der alten Freunde besitzt, die es ihr erlaubt, männliches Recht auf Belästigung zu ratifizieren. Sie ist das zur feingliedrigen Ikone erstarrte Zugeständnis, dass Männer nun mal Männer sind. Das kollektive Bukkake der weiblichen Erniedrigung verkauft mit ihrer edlen Unterschrift sich als französische Lebensart, als Ars armatoria, so als hätte Giacomo Casanova nicht vor 300 Jahren vorgeführt, dass Verführung nicht Zwang und Abwertung bedeuten muss, und der Verzicht auf diese alles andere als einen Schlag gegen die Lust bedeutet.
Deneuve ist nur eine der Absenderinnen des Briefes an den „Figaro“, und Laura Kipnis vermutet, dass deren schöne Hand von Catherine Millet geführt wurde, einer anderen Ikone der sexpositiven Selbstbestimmung. Die bekennende Sexsüchtige hatte manch feministisches Milieu dadurch verstört, dass sie Selbsterniedrigung als Selbstermächtigung inszenierte. Solche provokativen Ambivalenzen sind immer heilsam, weil sie auch die Reflexionsmuskulatur durchbluten. Jede ihrer gewollten Selbsterniedrigungen hat indes mehr Würde als die marktgeile Berechnung, mit der sie ihre seriellen Orgien durch Kitzeln intellektueller Geilheit in Francs und Megaverruchtheit konvertierte. Sie hätte in Fußnoten bloß erläutern sollen, dass nicht jede Frau ihr luxuriöses Hobby teilen mag, täglich von 20 Wildfremden begattet zu werden, und selbst der reizvolle Tagtraum darüber keine Rechte gewährt. Laura Kipnis fand recht präzise Worte für Millets „katholische Rebellion“:
„When not attending orgies she provided free sexual services to anonymous strangers in the street, who could do with her what they chose. None of this was especially pleasurable, at least not in the bodily sense: the gratifications were cerebral, and tied to self-abasement, as she herself acknowledges. It sounds like an especially Catholic form of sexual rebellion, involving much mortification of the flesh.“
Köln is everywhere
1. Braucht es mehr Bewusstsein? Es wird behauptet, die #MeToo-Aufregung habe ein „Bewusstsein“ für die Häufigkeit von sexueller Belästigung gegenüber Frauen geschaffen. War dieser Umstand denn nicht – spätestens zum Beispiel seit der Kölner Silvesternacht 2016 – einer breiten Öffentlichkeit bekannt? Wir halten fest: Bei all dem, was erwachsene Frauen diesbezüglich wirklich betrifft, geht es um Dinge, die völlig klar und bewusst sind – und zwar Männern ebenso wie Frauen. Was nötig ist, ist nicht „Sensibilisierung“, sondern die Durchsetzung geltenden Rechts sowie bestehender Regeln des Verhaltens im öffentlichen Raum. Auch der in der Debatte gebrauchte Begriff des Sexismus ist irreführend und entpolitisierend. Womit wir zu kämpfen haben, ist nicht Verachtung wegen des Geschlechts oder ein Vorurteil über Frauen am Arbeitsplatz. Das Problem besteht viel eher darin, dass Verlierertypen dort, wo sie die Überlegenheit von Frauen – in Fachkompetenz oder Klassenzugehörigkeit – wahrnehmen, mit sexuellen oder persönlichen Über-/Untergriffen antworten.
#MeToo hat ganz bestimmt Bewusstsein geschaffen. Viele junge Frauen haben – und sei es nur über einen Pophype, den man nicht verpassen wollte – gelernt, dass das Aussprechen ihres Unbehagens nicht uncool und dieses nicht ihr zu ertragendes Schicksal ist. Mehr noch hat es Angst in die Boxershorts der Frauenliebhaber gezaubert, und der Einfluss von Angst aufs Bewusstsein lässt sich schwer leugnen. #MeToo hat, welch beeindruckende Magie, die Selbstgewissheit vieler Männer, die das Dauersexualisieren in Arbeitsverhältnissen und anderswo als Standesehre empfanden, ins Schlittern gebracht, tolle Hechte über Nacht in Zitteraale verwandelt. Und es hat insofern Bewusstsein geschaffen, als die „Sensibilisierung“ durch die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht zu einem kulturalistischen Outsourcen sexueller Übergriffigkeit, zu einer Sensibilisierung für orientalische Belästigung geführt hatte, während #MeToo doch deutlich zeigte, dass es das Problem einer klassen- und kulturenübergreifenden Ökumene ist, und die heißt Patriarchat. Somit leistete es auch antirassistische Aufklärung.
Der klassenübergreifende Charakter des Ungewollt-gestreichelt-Werdens
Die Autorinnen spielen ohne jegliche sachliche Grundlage eine „Sensibilisierung“ gegen die „Durchsetzung geltenden Rechts sowie bestehender Regeln des Verhaltens im öffentlichen Raum“ aus. Und das hat Methode, denn es verschleiert die notwendigen Forderungen nach Durchsetzung noch nicht geltenden Rechts und noch nicht bestehender Regeln. Sie suggerieren somit, dass in feministischen Belangen die westliche Welt (im Vergleich zum archaischen Orient) an ihrem Happy End angelangt sei, und etwaige Probleme bloß in der Missachtung bestehenden Rechts und bestehender Regeln bestünden (welche – wie wir wissen – von Adults for Adults erkämpft worden waren).
Als alter Marxist habe ich auch lernen müssen, Bewusstsein und materielle Bedingungen nicht gegeneinander auszuspielen, denn die Missachtung der sexuellen und körperlichen Integrität ist nicht abzukoppeln von der materiellen Benachteiligung von Frauen in Arbeit und Ökonomie. Sexualisierte Verdinglichung von Frauen im Alltag ist eben kein Nebenwiderspruch gegenüber der Angleichung der Löhne und der Erkämpfung von Positionen im Berufsleben. Ebenso wie der liberale Kampf gegen sexuelle Verdinglichung ohne Engagement für soziale und ökonomische Rechte eine bloße Symptombekämpfung bliebe. In Anbetracht ungewollten Gestreicheltwerdens spielt es für die ungewollt Gestreichelte indes keine Rolle, ob sie eine Universitätsprofessorin oder eine prekäre Teilzeitarbeiterin ist, und nicht jede von ihnen hat das Selbstbewusstsein, solchen Grenzüberschreitungen immer und überall mit Entschiedenheit Einhalt zu gebieten, so wie nicht jede von ihnen den Mut hat, ihre gesellschaftliche Position zu gefährden. Hierin aber leistete #MeToo Erstaunliches. Und dass das Bewusstsein des Zusammenhanges von sexueller und ökonomischer Ausbeutung keine bloße diskursive Konstruktion ist, beweist die Solidaritätsbotschaft von 700.000 kalifornischen, größtenteils migrantischen Erntearbeiterinnen mit den missbrauchten Hollywood-Schauspielerinnen.
Der Hass auf die Frau der besseren Klasse
Die Autorinnen des Standard-Pamphlets behaupten, der Begriff des Sexismus sei irreführend und entpolitisierend. Das ist insofern amüsant, als sie selbst ihn in die Irre führen und entpolitisieren. Und zwar wie? Indem sie männliche Sexualisierung von Macht auf den ohnmächtigen, in Fachkompetenz und „Klasse“ unterlegenen Mann reduzieren, als wären sexuelle Übergriffe allein die Kompensation von Ohnmacht und nicht ebenso oft Missbrauch faktischer Macht. Und hier wie auch an anderen Stellen ihres Textes verraten die Autorinnen, die später antineoliberale Töne anschlagen, ihre Befangenheit in der neoliberalen Matrix. Das zeigt sich an der Wortwahl vom „Verliertypen“ ebenso (zu denen folglich positiv codierte Gewinnertypen kontrastieren müssen) wie an dem ziemlich offensichtlichen sozialen Ressentiment gegenüber dem plebejischen Rüpel, vorzüglich migrantischer Herkunft, und der mehrmaligen Affirmation bestehender Klassenordnung, deutlich durch die nahtlose Assoziation von Überlegenheit und Klassenzugehörigkeit der Frau. Dort unten im sozialen Morast wird das strukturelle Problem verortet, während in den kultivierten Milieus der Chefetagen, der Kulturindustrie und des akademischen Lebens es zu bedauerlichen Regelübertretungen komme, mit denen neoliberale Frauen per Selbstbewusstsein und Schlagfertigkeit selbst fertig werden müssten. Die Produzenten, die an Rollenbesetzungen gewisse Bedingungen knüpfen, die Uniprofs, die Studentinnen im Sprechzimmer zu erobern trachten, die Abteilungsleiter, die verunsicherten Sekretärinnen ans Ohr fassen, sie alle zumindest bloßzustellen erschiene hier wie das feige Brechen einer Omertà, welches die Gewinnertypen schädigt und von den Verliertypen auf der Kölner Platte bloß ablenkt. Und mehr als das, es zerstört unser aller Libido.
Mehr Frauen an die Macht – keine Lösung!
2. Belästigen euch wirklich nur die Vorgesetzten? Frauen werden auch nicht nur von ihren Chefs oder Vorgesetzten, sondern mindestens ebenso oft von Gleichgestellten oder sozial unter ihnen Stehenden belästigt. Die Forderung „Mehr Frauen in Machtpositionen“ ist dafür keine Lösung.
Dafür vielleicht nicht, aber für unzählige andere Probleme.
Übergriffsgymnastik
Wir halten fest: Sexuelle Übergriffe finden sozial in alle Richtungen statt: nach unten wie nach oben …
Jetzt auf einmal. Im Punkt 1 des Pamphlets waren es nur die Verlierertypen (und diese haben die Autorinnen trotz Ausschweifen in alle Richtungen nach wie vor auf dem Kieker).
Auch Frauen misshandeln. – Ja und?
(übrigens auch durch Frauen – in höherem Maß, als die meisten glauben; auch dieses Stereotyp gehört kritisiert!).
Ja, und die Dunkelziffer dürfte sehr hoch sein, ist überall zu lesen, und kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in den verfügbaren Statistiken eine verschwindende Größe bleibt gegenüber sexueller Gewalt durch Männer gegen Frauen und Mädchen. Welche Absicht verfolgt diese beiläufig eingestreute Information hier? Als wäre #MeToo ein Feldzug der Männerhasserinnen? Als ginge es nicht um sexualisierte Gewalt und Erniedrigung quer zu den Geschlechtergrenzen. Als wäre die zu großen Teilen pseudoliberale patriarchale Ausrichtung der Gesellschaft nicht ein System, an dessen Bestehen nicht Männer wie Frauen gemeinsam mitarbeiten und welches Ohnmacht am laufenden Band produziert, die sich narzisstisch in Macht transformieren muss, als wäre das Patriarchat bloß die Diktatur der Männer über arme weibliche Opfer …
Karrieregeiler-Schlampen-Feminismus
Wenn ihr dagegen kämpfen wollt und weitere Maßnahmen vorschlagen wollt, bitte sehr. Wir sind bei euch. Aber dann benennt das Problem beim Namen. Wenn es euch hingegen um bessere Jobs geht, dann habt ihr ebenfalls unsere volle Unterstützung. Aber dann verwendet nicht wieder einmal den Sex als Vorwand, um sie euch zu verschaffen.
Die Frage ist, ob irgendjemand nach der Unterstützung der Erwachsenen für Erwachsene fragt.
Im letzten Satz dieses Abschnittes fällt der intellektuelle Lack ab und das nackte Ressentiment, auf dem das gesamte Pamphlet gebaut ist, tritt in seiner ganzen irrationalen Boshaftigkeit hervor. Im Ton kompetenter Maßregelung von egoistischen Gören wird den Bekennerinnen von #MeToo pauschal vorgeworfen, sie verwendeten Sex zur Erlangung besserer Jobs und Positionen.
Dabei dachten wir sensibilisierte Frauenversteher, diese Frauen kämpften dafür, Jobs ohne Sex zu erlangen.
Eine ruchlosere Täter-Opfer-Umkehr lässt sich kaum vorstellen. Früher einmal unterstellte man Frauen, sie würden ihre Ziele mit Sex erreichen. Und viele taten dies zweifelsohne. Der sadistische Double-Bind der Erwachsenen für Erwachsene ist beispiellos: Frauen wollen im Arbeitsleben nicht benachteiligt werden, wenn sie sich nicht sexualisieren lassen. Irgendwann gehen sie damit an die Öffentlichkeit. Da sie Sex, nämlich Sex gegen ihren Willen, als Tatbestand anführen, werfen ihre maternalistischen Genossinnen ihnen vor, den Sex, den man ihnen gegen ihren Willen aufdrängt, zu gebrauchen, um bessere Positionen zu erlangen. Die durchtriebene Verführerin und die politisierte Verweigerin verschmelzen unter dem Signum eines moralisierten Signalworts – Sex – zu einer Schlampe. Der Missbrauch dieser Selbsthilfe-Kampagne wird beweislos als ihr eigentliches Wesen vorausgesetzt.
Ein Leben im Abwehr- und Verteidigungsmodus
3. Gibt es Handlungsbedarf? Österreich hat seit 2015 ein präzises und detailliertes Gesetz (einige von uns waren federführend an seiner Formulierung beteiligt). In all jenen Fällen, in denen Frauen sich nicht selbst schützen können, werden sie von den österreichischen Gesetzen gut geschützt. Es besteht darum kein Anlass, die Verfolgung von Personen, die sexueller Übergriffe beschuldigt werden, nicht auf gerichtlichem Weg zu unternehmen. Der Aufbau einer stimmungsgeladenen Paralleljustiz in sozialen Medien ist in unseren Augen ein neoliberaler Versuch, die gesetzlichen Institutionen und Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu schwächen.
Der Unterhaltungswert erreicht seine Klimax. Qua legistischem Hegelianismus. Die Facon, mit der die Autorinnen hier den Buchstaben des Gesetzes zum ehernen Höhepunkt des Erreichbaren hypostasieren, könnte sich analog gegen jeden Aktionismus, gegen jedes zivilgesellschaftliche Engagement richten, das die Frechheit besitzt, eigenmächtig an die Öffentlichkeit zu gehen und nicht seine Sträußchen als brave Untertanen hinter verschlossenen Gerichtstüren auszufechten. Es gibt eben eine riesige Grauzone der permanenten sexuellen Belästigung, der sich viele Frauen ausgesetzt fühlen, die nicht durch die Vergewaltigungs- und Belästigungsparagraphen abgedeckt sind; Zonen, in denen jene Selbstverständlichkeit schwerer und leichter wiegender Verdinglichung gedeiht, die der Humus ist, aus dem die unmittelbare sexuelle Belästigung erwächst.
Vielleicht wollen und wollten viele Frauen bloß ihre Ruhe haben und nicht ihr Leben mit permanentem Prozessieren verbringen. Und vielleicht haben sie es schlicht satt, ihr ganzes Leben im Abwehr- und Verteidigungsmodus auszuharren; auch ein automatisiertes „Nein, danke“ macht sie nicht zu Subjekten einer sie strukturell objektivierenden Ordnung. Und „das älteste Mittel, um Frauen zu kontrollieren“, sagte die Psychologin Sandra Konrad kürzlich in einem Interview, sei „das öffentliche Beschämen“.
Nichts anderes aber macht die Liga der Erwachsenen. Sie versucht Frauen zu beschämen, die als Subjekte diesem Objektivierungskorsett zu entkommen trachten.
Manche Milieus und Institutionen sind dermaßen sexistisch kontaminiert, dass rechtliche Mittel für viele Frauen einer Anzeige gegen die Mafia gleichkommt. Das Gesetz kann vieles, aber eben nicht das gesamte strukturelle Gefüge von Männerbünden, sich liberal gebendem latentem Sexismus und unmittelbarer ökonomischer Erpressung erfassen. Hierbei ist jede Eigeninitiative bedingungslos zu unterstützen, anstatt Frauen, die den Mut hatten, auszupacken, wie dumme kleine Kinder zu behandeln, die gefälligst vor dem Gesetz zu kuschen hätten.
Alles was nicht Staat ist = neoliberal
Den Vogel schießt der Klub der außergewöhnlichen Erwachsenen allerdings ab, der – wir erinnern uns – die Überlegenheit der Klassefrau gegen die Verliertypen der unteren Klassen propagiert, indem er #MeToo zu einem neoliberalen Projekt erklärt, das die Gesetze und Bürgerrechte schädigen will. Mit derselben Logik sind wilde Streiks, unangemeldete Demonstrationen, Emile Zolas „J’accuse“ (er hätte den Staat, der Dreyfus verurteilte, mit rechtlichen und nicht mit literarischen Mitteln belangen sollen) sowie das Überqueren einer Straße bei Rot neoliberale Akte, weil allesamt sie Väterchen Staat, an dessen Gesetzen so viele Erwachsene Gesetze für andere Erwachsene (aber eben nicht für alle) erarbeitet haben, wie ungehorsame Bälger zu deregulieren versuchen.
Warum geht Peter Pilz nicht vor Gericht?
4. Die Demontage von Unschuldigen. Es scheint den #MeToo-Supporters keiner Bemerkung wert, dass Personen wie Peter Pilz oder der ehemalige norwegische Handelsminister Trond Giske schwere Schädigungen ihres öffentlichen Ansehens und ihrer beruflichen Tätigkeit erleiden mussten, ohne dass die gegen sie erhobenen Anschuldigungen geklärt werden konnten. Unter dem Druck ähnlicher Vorwürfe hat der walisische Sozialdemokrat Carl Sargeant Selbstmord begangen. Die angeblichen Taten von Pilz sind, sofern es sich überhaupt um Übergriffe handelt, verjährt. Aber für die öffentliche Vernichtung genügten in seinem Fall eine aktuell hochgradig erregte Stimmung und die bloße Vermutung. Eine ganze politische Oppositionsbewegung wurde hier bei ihrem Start zu vernichten versucht.
Da haben die Autorinnen recht, und die Gefahr der Hexenjagd und Hysterisierung ist nicht bloß eine Retourkutsche der phallokratischen Macht, und Woody Allen, der dies monierte, auch nicht das prominente Glied eines Vergewaltigungskartells. Es stößt sauer auf, wenn verdiente Menschen aufgrund verjährter Dummheiten und Anzüglichkeiten aus ihren Berufen gedrängt werden, und sexuell unbescholtene Waffenproduzenten ruhig in ihren Betten schlafen.
Doch in jedem gesellschaftlichen Kampf gibt es sowohl Friendly Fire als auch unschuldige Opfer. Das ist leider der Beweis, dass es wirklich ein gesellschaftlicher Kampf war und nicht eines dieser systemstabilisierenden Kompromissspiele, die sich als liberaler Modus des Interessensausgleichs verkaufen. Ob Peter Pilz unschuldig ist, darf bezweifelt werden. Die ihm zu Last gelegten Vorwürfe wurden in einem Fall von der Gleichbehandlungsanwaltschaft bestätigt (auf deren Expertise die Autorinnen offensichtlich nichts geben), im anderen Fall (Forum Alpbach) von mehreren Zeugen. Beide Fälle ereigneten sich nach 2010. Sind sie wirklich verjährt, und welche Rolle spielt der Umstand ihrer vermeintlichen Verjährung, wenn die Anschuldigungen nicht geklärt sind? Es ist m. W. kein Gerichtsverfahren anhängig und es gilt die Unschuldsvermutung. Warum aber hat Pilz nicht den Rechtsweg beschritten? Natürlich weiß er sehr gut, warum er es nicht darauf hat ankommen lassen. Und seine Macho-Eskapaden würden weniger wiegen, wenn er nicht in seinem Buch Heimat Österreich partout so viel Empathie mit der Angst einheimischer Frauen vor „ausländischen“ Grapschern gezeigt und so lautstark die abendländischen Werte der Frauenrechte beschworen hätte.
Zitat Peter Pilz:
Trotzdem fühlen sich so viele unsicher wie kaum jemals zuvor. Das sind nicht einfach Vorurteile, sondern reale Erfahrungen. Es trifft vor allem Frauen, die belästigt werden und sich am Abend vor dem Heimweg fürchten. Da gibt es ein Problem, und das Problem hat mit Ausländern (sic!) zu tun. Wir wissen, dass das in absoluten Zahlen kein großes Problem ist. Aber das hilft Frauen, die das erste Mal in ihrer sicheren Heimatstadt Angst haben, nicht. Auch sie haben ein Recht, dass ihre Angst ernstgenommen wird.
Mehr von mir zu Peter Pilz auf Semiosis.
Breaking News: #MeToo Handlanger des Patriarchats und Lustkiller zugleich
5. Die Propagierung eines patriarchalen Frauenbildes. #MeToo verkündet ein antifeministisches Frauenbild. Frauen werden als hilflose Opfer dargestellt; Männer als böse Raubtiere.
Nein, werden sie nicht. Der Backlash kommt ausnahmsweise von den Erwachsenen Schwestern. Wenn #MeToo wirklich ein antifeministisches Frauenbild vermittelt, dann sind Catherine Deneuve und Nina Proll die letzten Feministinnen. Da es keinen programmatischen Text zu #MeToo gibt, gibt es auch keinen Beweis, dass Frauen als hilflose Opfer, Männer als böse Raubtiere dargestellt werden. Der reaktionäre Charakter dieser Aussage zeigt sich in dem zutiefst neoliberalen Desiderat der selbstbewussten monadischen Powerfrau, die sich ebenso nonchalant wie charmant die Raubtiere vom Leibe halten oder sich, wenn’s die zu bunt treiben, gute Anwälte leisten kann, sowie in einer Unterstellung, einer bloßen Projektion. #MeToo ist eine riesige amorphe Bewegung, auf die vermutlich viele Trittbrettfahrerinnen, Hysterikerinnen und Angeberinnen aufsprangen. Und Selbstviktimisierung ist in der Tat wenig hilfreich. Doch dass so viele Frauen ohne nennenswerte feministische Ambitionen ihr Schweigen brachen, ist eben nicht Ausdruck ihrer Hilflosigkeit, sondern des exakten Gegenteils von Hilflosigkeit. Von erlesener Perfidie ist es indes, realen Opfern vorzuwerfen, sie würden Täter als Täter und sich als Opfer darstellen, sobald sie Zeugnis von erlittenem Unrecht ablegen. Nirgends wurden diese Fälle auf alle Frauen und auf alle Männer verallgemeinert.
Laura Kipnis again
Die feministische Filmtheoretikerin Laura Kipnis hat das als ein primitives melodramatisches Klischee bezeichnet. Es leugnet jegliche Handlungsmacht von Frauen.
Laura Kipnis hat in ihrem Buch Unwanted Advances: Sexual Paranoia Comes to Campus gegen die identätspolitische Substanzialisierung der Opferrolle im studentischen Milieu Stellung bezogen. Das hat per se nichts mit #MeToo zu tun, obwohl es sicher vielfach auf diese Schiene gezerrt wird. Im Vergleich zum Klub der erwachsenen Frauen weiß Kipnis präzise zu differenzieren. Und bei aller konstruktiver Kritik an #MeToo ist sie doch deren Fürsprecherin; erst neulich hat sie die Kampagne in einem im Guardian erschienenen (bereits oben zitierten) Text gegen die ihrer Ansicht nach dummen Statements von Deneuve, Millet und Co. verteidigt.
Breaking News: Frühlingsfröhlicher Gorillasex und #MeToo kein Widerspruch
Gerade Feministinnen hatten jedoch dafür gekämpft, dass Frauen als mündige und darum gleichberechtigte Menschen wahrgenommen werden, die eigene sexuelle Interessen verfolgen können. Nun hingegen scheint der Sex immer als etwas Böses immer von den Männern zu kommen und die Frauen völlig zu überfordern.
Die Erwachsenen für Erwachsene betreiben hier eine bizarre Diskursvermengung, was nur auf Einfalt oder Kalkül beruhen kann – oder die wahrscheinlichste Variante: einer originären Kombination von beidem. Die Frauen, welche die Kampagne in den USA ins Rollen brachten, mehr oder minder prominente Menschen aus Kultur- und Popbusiness, entsprechen bestimmt nicht dem Bild puritanischer, sexfeindlicher Männerhasserinnen. Nicht einmal ein Großteil der Feministinnen hat je diesem Bild entsprochen, welches man ihnen in diffamierender Absicht aber permanent anheftet. Dass dies von Frauen getan wird, die selbst beanspruchen, Feministinnen zu sein, ist allerdings neu.
Neu ist auch, dass sie sich einer Abwehrstrategie bedienen, die man sonst nur von Männern gewöhnt ist. Wenn Männer Frauen Sexualfeindlichkeit unterstellen, weil sie Anmache und Übergriffe gegen ihren Willen nicht als den Höhepunkt erfüllter Sinnlichkeit erleben, gestehen sie ja der Logik der Konsequenz zufolge ein, dass sie keine anderen Formen der Sexualität kennen. Dass die Frauen für Robert Pfaller auch dieser Vorstellung von erfüllter Sexualität anzuhängen scheinen, tut mir als Mensch, der nie im Leben so erwachsen sein möchte wie sie, ehrlich leid. Für sie.
Zusammenfassend: #MeToo ist und war nie eine Kampagne gegen Sex, Ausschweifung, Dirty Talking, frühlingsfröhlichen Gorillasex, Unterwerfungsspiele, gegen Penisse und männlichen Schweißgeruch, sondern schlicht und einfach der beherzte kollektive Aufstand gegen eine Sexualisierung gegen den Willen der Sexualisierten, gegen den Einsatz von Sex als Machtmittel, als Mittel der Einschüchterung, der Verdinglichung, als Ausdruck einer männerdominierten Gesellschaft, die vom Hilfsarbeiter bis zum CEO ihre beeinspruchte Macht durch Überschreiten persönlicher und körperlicher Grenzen behauptet.
Wer ist mündiger?
Wenn wir Frauen zulassen, dass unsere Mündigkeit und unsere Handlungsmacht dermaßen in Abrede gestellt werden, laufen wir Gefahr, bereits erkämpfte Rechte wieder zu verlieren und bald wieder, wie damals, ähnlich wie Kinder behandelt zu werden.
Dieser Satz könnte der Anfang oder das Ende eines nie geschriebenen programmatischen Textes von #MeToo gewesen sein. Leider ist er unsinnigerweise gegen #MeToo in Stellung gebracht.
Ihr seid es, welche Frauen, die es nicht länger als natürliche Ordnung akzeptieren wollen, belästigt zu werden, als Kinder behandelt.
Sex ist super!
Die Idee, dass Sexualität uns Frauen grundsätzlich fremd und unangenehm wäre, ist die patriarchale Idee par excellence.
Es ist mir etwas peinlich, Erwachsene, noch dazu solche, die es für notwendig halten, sich als solche zu bezeichnen, folgendermaßen zu maßregeln: Aber, Kinder, wer kommt denn auf die Idee? Ihr baut Pappkameradinnen auf, und verfehlt sogar diese.
Auch Frauen haben das Recht zu flirten!
Sexuelle Initiative ist nicht Sexismus oder Gewalt. Sexuelle Avancen gehen nach der bestehenden kulturellen Geschlechterordnung eher von Männern als von Frauen aus. Aber auch wir Frauen setzen manchmal sexuelle Initiativen, und das ist gut so. Nicht nur Männer haben das Recht zu flirten, sondern auch Frauen.
Ist das der Grundsatz-Katalog der ÖVP-Frauen? Liebe Kinder, heute Biologie. Der Mann ist ein Jäger. Die Frau eher Sammlerin. Manchmal jagt auch sie. Die bestehende kulturelle Geschlechterordnung (die Erwachsenen Frauen flirten sehr gerne mit bestehenden Gesetzen, Regeln und Ordnungen) wird hier als metaphysisch gesetzt. Die sexuellen Avancen durch Frauen werden zwar begrüßt, aber dann doch eher als Ausnahme festgeschrieben. Fortschrittlich wäre es, die bestehende kulturelle Geschlechterordnung zur Hölle zu schicken, zu Gunsten einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichermaßen die Initiative ergreifen, und der „dämliche“ Vorwurf der weiblichen Opferrolle und des Männerhasses zum Beispiel dadurch entkräftet wird, dass weitaus mehr Männer dann #MeToo sagen müssten. Die Akzeptanz des bequemen traditionellen Rollenschemas, dass der Mann der Agierende, die Frau die zu Gewährende zu sein hat, muss wirklich aufgebrochen werden. Es lastet dem Mann das gesamte Risiko auf und ja, das begehrte Objekt, das bekanntlich in abwartender Stellung das Begehren des Jägers dirigiert, kann sich stets abputzen. Macht des Jägers und Macht der Beute sind zugleich beider Ohnmacht.
Böser, dämonischer Sex – huu, huuu
Nicht jede unerwünschte Initiative ist deshalb schon ein Übergriff. Jeder und jede kann „Nein, danke“ sagen, und jeder und jede kann das begreifen und das Feuer einstellen. Es ist nicht notwendig, Sex zu dämonisieren.
Erwachsene können ziemlich penetrant sein. Diese Erwachsenen verkaufen ihre Gechlechtsgenossinnen genau dafür, was sie der Kampagne in die Schuhe schieben wollen: für dumm. Es gibt wohl wenige Frauen, die den Unterschied zwischen einer netten Anmache, die im Moment nicht erwünscht ist, und einer sexualisierten Machtdemonstration nicht kennen würden. Und ob die nette Anmache im Büro oder an der Bar stattfindet, und ob sie von einem Menschen kommt, von welchem sie abhängig sind oder nicht. Who the fuck demonizes sex?
Mit Vergewaltigungsvorwürfen spaßt man nicht!
7. Die Ausweitung des Vergewaltigungsbegriffs. Die Verschiedenheit der von #MeToo versammelten Fälle trägt dazu bei, den Begriff der Vergewaltigung auszuweiten – auch auf einvernehmlich vollzogene Sexualkontakte, die erst im Nachhinein als unerwünscht empfunden werden.
Vergewaltigung ist die extremste Art der dokumentierten Übergriffe. #MeToo bezieht sich auf ein sehr weites Spektrum unerwünschter sexueller Annäherung. Mit keinem Wort hat meines Wissens nur irgendeine der Millionen Zeugnis ablegenden Frauen Vergewaltigung mit harmloseren Formen sexualisierter Machtausübung gleichgesetzt. Dass Menschen anderen Menschen post coitum eine Vergewaltigung anhängen wollen, die keine war, hat es schon immer gegeben. Die Erwachsenen-Logik ist auch hier nicht nachvollziehbar: Zuerst wird #MeToo unterstellt, jede Form von Übergriffigkeit einer Vergewaltigung gleichzusetzen, dann werden die Opfer dem Generalverdacht der Falschaussage unterworfen. Das ist freilich nichts als die bewährte patriarchale Praxis, der Frau die Beweislast aufzubürden, den Täter nicht mit ihrem provokant weiblichen Körper angemacht, es nicht gewollt zu haben.
Betrüger: Du bist gar kein Schwede!
Erfährt eine Person nach einvernehmlichem Geschlechtsverkehr etwa Unverwünschtes über die ethnische Identität, den Beruf, den Familienstand, die Einkommensverhältnisse, die Weltanschauung oder die Sexualethik des Partners, kann sie ihn nachträglich wegen Vergewaltigung verklagen.
Also doch jetzt der Rechtsweg. Manchmal wissen auch Erwachsene nicht, was sie wollen. Der Vorwurf von oben war doch, dass die vermeintlichen Opfer neoliberales Whistleblowing in sozialen Netzwerken betreiben, anstatt eine gesunde Anzeige wegen Vergewaltigung zu machen, deren rechtliche Basis wir Pfallers Jüngerinnen verdanken. Jetzt ist #MeToo auf einmal auch schuld daran, dass es so viele Falschanzeigen gibt. Haben die #MeToo-Aktivistinnen nächtens die Gesetze geändert?
Der Klub der Erwachsenen scheint eine Fixierung auf Standes-, Klassen- und Rassenunterschiede zu haben. Etwas befremdlich muten hier die Motive der postkoitalen Vergewaltigung an, die sehr viel über das Wertesystem erwachsener Menschen verrät: Du heißt gar nicht Sven, sondern Abdulrahman, du bist gar nicht Schwede, sondern Bantu, du bist gar nicht Pilot, sondern Spengler, und du Schuft hast gar keinen Anspruch auf die neuen Familienbeihilfeabsetzbeträge und Kinder hast du auch nicht, außerdem bist du impotent, du Vergewaltiger. Wem das zu satirisch ist, der mache sich auf den nächsten Absatz gefasst.
Der diskrete Charme der Piloten
Hier ist, gerade aus feministischer Perspektive, festzuhalten: Der entscheidende Unterschied ist, ob sexuelle Handlungen durch Gewalt oder Nötigung erzwungen werden oder ob dabei Einvernehmen herrscht (und sei es auch Einvernehmen auf Basis unvollständiger oder falscher Information). Frauen sind durchaus in der Lage, sich zu informieren und an einmal getroffenen Entscheidungen festzuhalten. Und es darf keine Verpflichtung des Staates geben, speziell Frauen davor zu schützen, dass jemand, mit dem sie ins Bett gehen, in Wirklichkeit vielleicht nicht Pilot ist.
Ich bin nicht erwachsen, und folglich nicht leistungsfähig genug, alle Protokolle von #MeToo gelesen zu haben, die Autorinnen wissen sicher besser Bescheid als ich, aber hat tatsächlich nur eines der Opfer jemandem Vergewaltigung vorgeworfen, weil es unter Vortäuschung falscher Tatsachen mit ihm ins Bett gegangen war? Auf welche Statistiken berufen die Autorinnen sich? Oder malen sie bloß einen Verdacht an die Wand?
Im letzten zitierten Satz erreicht der sich sehr apodiktisch und souverän gebende Text dann doch das Niveau der Wartezimmerillustrierten: Ich wusste nicht, dass Piloten solch hohes erotisches Prestige besitzen, und dachte immer, dass die Schriftsteller diesbezüglich höher fliegen. Als leidenschaftlicher Pilot, der sich gerne als ebenso leidenschaftlicher Schriftsteller ausgibt, kann ich jetzt beruhigt aufatmen.
Feministinnen für Assange
8. Hintertüren für politische Willkür. Solche Gesetze, die angeblich speziell zum Schutz von Frauen in Schweden, Großbritannien oder Israel eingeführt wurden, haben diesbezüglich bereits zu bizarren Verurteilungen geführt. Dies hat nicht nur fatale Folgen für die zwischenmenschlichen Beziehungen. Es scheint auch ein effizientes Mittel für die Verfolgung unliebsamer Kritiker – wie zum Beispiel eines Julian Assange – zu sein. Die Verwendung von angeblich frauenfreundlichen Gesetzen zur Verfolgung politischer Gegner hat inzwischen offensichtlich System. Gegen diese Art von Missbrauch müssen gerade wir Feministinnen uns wehren.
Zum schwedischen Gesetzesentwurf mein Artikel auf Semiosis.
Sind die Erwachsenen Frauen jetzt gegen die Gesetze? Soeben waren sie doch noch gegen Frauen, die auf Facebook, Twitter etc. denunzieren anstatt das Recht in Anspruch zu nehmen. Weiters: Sind sie jetzt gegen die Gesetze oder gegen den Missbrauch dieser Gesetze zur Verfolgung unliebsamer Kritiker? Auf einmal stellen sich die Erwachsenen doch auf Seite einer feministischen Zivilgesellschaft gegen den Missbrauch von Gesetzen, die zuvor noch als das Nonplusultra des Erreichten gewürdigt wurden. Wo ist auf einmal die „präzise Urteilsfähigkeit“, welche die Erwachsenen Frauen sich in Abgrenzung zu den hysterischen #MeToo-Hascherln zugute schreiben? Unergründlich sind der Erwachsenen Seelen.
Staub in unschuldigen Lungen
9. Die Demontage von Rechtsstandards. Gesetze zum Schutz aller von sexuellen Übergriffen Bedrohten sind zu prüfen, gegebenenfalls zu verbessern und an neue Gefahrenlagen anzupassen. Ebenso aber darf die gerade bei sexuellen Tatbeständen häufig auftretende Schwierigkeit, Gesetze durchzusetzen und Schuldige zu überführen, nicht dazu Anlass geben, dass Rechtsstandards wie Unschuldsvermutung, Information und Anhörung von Beschuldigten, Beweisprüfung sowie Rechtsfriede und Verjährung ausgehöhlt werden. Es darf nicht sein, dass mithilfe einer aufgeheizten öffentlichen Stimmung, durch absichtliche Konfusion von schwerwiegenden mit leichten Fällen – oder auch durch Vorwürfe von nicht strafbaren oder verjährten Handlungen – Menschen fertiggemacht werden. Angesichts der vorgefallenen Rufschädigungen fordern wir eine Präzisierung der Gesetze zu Verleumdung und übler Nachrede. Wer Schlimmes tut, soll bestraft werden. Wer jemand anderen aber mit verjährten oder irrelevanten Vorwürfen – oder durch deren journalistische Weitergabe – öffentlich fertigzumachen versucht, soll ebenfalls bestraft werden. So wie im modernen Frauenfußball gehören nicht nur Fouls, sondern auch „Schwalben“ im Strafraum mit einer gelben Karte geahndet.
Diesem abschließenden Statement ist vorbehaltlos zuzustimmen. Und dennoch bleibt der Kontext, in den es gesetzt wird, der diffamierenden Tendenz des gesamten Textes treu. Denn so wie die Unschuldsvermutung für den Angeklagten zu gelten hat, muss sie das auch für Kläger und Klägerin. Die Autorinnen suggerieren einen Antagonismus zwischen dem guten alten Rechtsweg und einer demagogischen Selbstjustiz. Natürlich haben die sechs Frauen, welche die Kampagne starteten, Klage gegen Harvey Weinstein eingereicht, nichts findet hier im rechtsfreien Raum statt. #MeToo hat dem Rechtssystem sogar ungeahnte Konjunkturen verschafft, geklagt wird auf beiden Seiten fleißig. Dass ein Skandal an die Öffentlichkeit gelangt, ist keine Erfindung von #MeToo. Und wo Staub aufgewirbelt wird, husten auch Unbescholtene. Wo das aber nicht geschieht, bleibt er am Boden liegen und wird als normales Innendesign akzeptiert.
Das Opfer macht sich vor allem als Opfer verdächtig
Im Großen und Ganzen wollen die Autorinnen in und zwischen den Zeilen glauben machen, dass Frauen, die im Sog der #MeToo-Kampagne ausgepackt haben, unreife hysterisierte Wesen sind, die aufgrund sexueller Unsicherheit, Karrieregeilheit oder Übersensibilität Männer per Umgehung des Rechtswegs fertig machen wollen und dabei vor Diffamierungen nicht zurückschrecken. Es ist so, wie es seit ehedem war, der Circulus vitiosus patriarchaler Macht, diesmal assistiert durch Erwachsene Frauen. Das Opfer steht stets unter Verdacht. Schöner kann sich der Grund gar nicht entlarven, warum Frauen so lange so eingeschüchtert blieben, dass sie die pseudoliberale Harmonie einer angeblich freien Konkurrenzgesellschaft nicht zu stören wagten. Dass sie aber so eingeschüchtert waren, nicht von Anfang an den Mund aufzumachen, wird ihnen nun als Charakterdefekt angelastet.
Die Autorinnen von der alpinen Filiale des Franchising-Think-Tanks Adults for Adults kaprizieren sich auf die Herabwürdigung eines emanzipatorischen Kampfes.
Warum ich nie erwachsen werden will
Durch ein recht misstönendes feministisches Megaphon schreien sie ein altes Lied: Ziehrt’s euch net so, Mädeln, die Welt ist nun mal, wie sie ist, und für den Rest gibt’s Gesetze. Toughe Frauen können mit den Raubtieren umgehen und trotzdem Spaß haben. Hascherln san immer de Opfer, Opfer san immer Hascherln, und jammern dann und wollen Rache. Und deshalb, schöne Bescherung, is unser Peter nimmer im Parlament. Entre nous: Wir wollen gar nicht, dass die Männer so Weicheier werden wie die kastrierten Frauenversteher, weil gerade wegen ihrer patscherten Männlichkeit können wir unsere Souveränität über sie beweisen. Seid’s ihr am Ohr gezogen worden, ihr Hascherln, ha? Wir haben Schlimmeres ertragen müssen, und uns hat auch niemand geholfen, aber wir haben es ausgehalten wie richtige Frauen, weil die Abhärtung gegenüber den Verhältnissen, wie sie nun mal sind, uns erwachsen und hart wie stahl und flexibel wie Vaseline machte. Wir haben wie die Deneuve Kathi den Spießrutenlauf durch die Grapschspaliere mit erhobenem Haupte getan, seitdem respektieren sie uns. Ihr aber seid selber schuld, wenn euch die Hunde beißen, denn sie haben eure Angst, euer Unbehagen gewittert. Und eines noch: Wir sind emanzipiert, aber keine Emanzen.
Man braucht nicht Gender Studies studieren, um die Lehre zu verstehen, die #MeToo der Welt erteilt hat: dass die wechselseitige Freude an Sex steht und fällt mit seiner Freiwilligkeit, und Sexualität nicht eher befreit ist, als sie nicht als Mittel zur Verdinglichung, Einschüchterung, Machtausübung verwendet wird.
Für viele war das Ausmaß der sexuellen Übergriffigkeit erstaunlich. Es ist nicht einfach, den Beweis kognitiv zu verkraften, dass die Omnipräsenz patriachaler Gewalt auch im vermeintlich aufgeklärten Westen keine Übertreibung von gehässigen Emanzen ist. Eine Methode der Verdrängung ist es, die Briefträgerinnen dieser unangenehmen Nachricht abzuwerten.
Selten las ich einen frauenfeindlicheren Text als diesen. Mich hat er bestärkt, bestärkt in der Hoffnung, nie erwachsen zu werden.
Richard Schuberth ist Zweiter Kassier des europaweit agierenden Vereins Adults for Adultery.
„Deneuve ist nur eine der Absenderinnen des Briefes an den „Figaro“, und Laura Kipnis vermutet, dass deren schöne Hand von Catherine Millet geführt wurde, einer anderen Ikone der sexpositiven Selbstbestimmung. Die bekennende Sexsüchtige hatte manch feministisches Milieu dadurch verstört, dass sie Selbsterniedrigung als Selbstermächtigung inszenierte. Solche provokativen Ambivalenzen sind immer heilsam, weil sie auch die Reflexionsmuskulatur durchbluten. Jede ihrer gewollten Selbsterniedrigungen hat indes mehr Würde als die marktgeile Berechnung, mit der sie ihre seriellen Orgien durch Kitzeln intellektueller Geilheit in Francs und Megaverruchtheit konvertierte.“ Das Problem ist, dass Sie nicht nur Menschen unterstützen wollen, die objektiv erniedrigt werden, sondern auch solche, die „sich selbst erniedrigen“. Und das ist genau der Grund, warum die Unterzeichnerinnen des Briefes auf Ihre Hilfe gerne verzichten können. „Sie hätte in Fußnoten bloß erläutern sollen, dass nicht jede Frau ihr luxuriöses Hobby teilen mag, täglich von 20 Wildfremden begattet zu werden, und selbst der reizvolle Tagtraum darüber keine Rechte gewährt. “ Das dürfte sich für jeden von selbst verstehen, wird hier aber nur erwähnt, um mit dem Pseudoargument aus Zeiten des Sittenstrafrechts, man sei mit seinem Sexualleben irgendwie dafür verantwortlich, was andere tun, die Abwertung eines selbst gewählten Lebensstils normal erscheinen zu lassen.
Ich werte Catherine Millets Lebensstil keineswegs ab, habe sogar großen Respekt vor ihrer Ehrlichkeit und finde ihre Promiskuität aiuch bis zu einem gewissen Grad recht cool, ich habe lediglich die Vermarktung dieser Ehrlichkeit ironisiert, und das mache ich immer, wenn die Transformation in eine Ware als Unmittelbarkeit vorgegaukelt wird.
Sogar Laura Kipnis‘ Hinweis auf Millets Frustration und Einsamkeit hat mir selbst einen zu moralischen Touch und fällt nolens volens in das alte Sühnemuster „seelenloser Sex“ oder „heruntergekommene Lebedame“.
Ich wollte etwas ganz anderes kritisieren. Dass die durchaus kathartischen Freiheiten, die sich Damen wie Deneuve und Millet nehmen, das Privileg ihrer Klasse sind, eines kulturell aufgeschlossenen oberen Mittelstandes. Dort mag die Orgiastikerin sogar schocken, den Appetit anregen und ein rein monadisches Self-Empowerment betreiben. Nur taugt das sehr schlecht als Role Model für die Mehrheit der Gesellschaft. Der plebejische Hengst, der die weiße Lady „beschlafen“ darf, wird eine Frau aus seiner Klasse, die seine Tochter oder Frau ein könnte, ganz anders behandeln. Dort wo männlicher Sexus objektiv als Bedrohung und Unterwerfungsmodus erfahren wurde, suchen Frauen eher Schutz vor ihm, und sei es in harmloser berechenbarer Monogamie. Sich mit dem männlichen Sexus zu spielen wie Millet ist das Vorrecht des Jetset-Boudoirs.