Gegen Flüchtlinge und Ausländer zu sein, ist noch kein Regierungsprogramm. Der bei der Wahl unterlegene SPÖ-Vorsitzende und Noch-Kanzler Christian Kern ätzt ja gerne, dass die Programme von ÖVP und FPÖ fast wortgleich seien. Die schwarz-blaue Koalition daher quasi schon in trockenen Tüchern. Doch ist Papier geduldig, wie gelernte Österreicherinnen und Österreicher wissen. Und auch Schwarz-Blau muss Interessen ausgleichen. Und das wird nicht so leicht sein, wie es scheint. Von Sebastian Reinfeldt.
Die Alarmmeldungen gehen schon durch dieSozialen Medien. Schwarz-blau wird die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern abschaffen und überhaupt einen Großangriff auf die Sozialpartnerschaft starten. Doch ist in dieser Frage bereits eine erste Bruchlinie sichtbar. Schließlich hatte die schwarz-blaue Regierung unter Wolfgang Schüssel einst die Sozialpartnerschaft kaum angetastet.
Bruchlinie Sozialpartnerschaft
Natürlich haben die Bünde der ÖVP in den vergangenen Monaten still gehalten. Sebastian Kurz hat die Macht in der Partei ergriffen und einen erfolgreichen Wahlkampf geführt. Doch war dies Inszenierung, Theater fürs Volk. Nun geht es ans Eingemachte, und bei der ÖVP gehört da durchaus die Sozialpartnerschaft dazu. Der Tiroler Arbeiterkammer-Chef Erwin Zangerl vom ÖAAB zieht nämlich bereits eine Warnlinie.
Wir werden uns sicher nicht gefallen lassen, als Faustpfand für irgendwelche Koalitionsverhandlungen herzuhalten. Wir haben die klare Zusage des ÖVP-Parteiobmannes, die er vor der Wahl zur Pflichtmitgliedschaft in der Arbeiterkammer und zum Erhalt der AK-Umlage abgegeben hat. Gegenteilige Zurufe einzelner Akteure innerhalb der ÖVP sind deshalb kontraproduktiv, weil man damit dem eigenen Parteiobmann in den Rücken fällt.
Landwirtschaftskammern sind ebenfalls Sozialpartner
Nun ist der politische Einfluss des ÖAAB enden wollend, könnte man einwenden. Auch die Fraktion der christlichen Gewerkschafter hat sich bereits in diese Richtung geäußert. Aber zur typisch österreichischen Sozialpartnerschaft gehört nicht nur die Arbeiterkammer, die die ÖVP und FPÖ aus rein machtpolitischen Gründen nicht schätzen – hat dort doch seit jeher die SPÖ das Sagen. Zur Sozialpartnerschaft gehören auch die Wirtschaftskammer, in der viele ÖVPler versorgt wurden und werden. Und in der Provinz sind die Landwirtschaftskammern – die Interessensvertretungen der Land- und Forstwirte – zentral, besonders für die ÖVP. Es ist fraglich, ob diese ihre institutionelle Macht und ihren entsprechenden Einfluss beschneiden lassen.
Das UnternehmerInnenlager ist gespalten
In der Frage der Sozialpartnerschaft ist das Lager Unternehmerinnen und Unternehmer in Wahrheit gespalten. Der derzeitige Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl (ÖVP) ist ein engagierter Verfechter der Sozialpartnerschaft. Die Industriellen wollen diese – und damit auch Leitl – alsbald loswerden. Deshalb wird über seine vorzeitige Ablöse geredet. Jedenfalls gibt es Verfechter der Sozialpartnerschaft auch in dieser Kammer, in der der Einfluss der ÖVP besonders groß ist.
Kammerkritische Gruppen
Auf der anderen Seite sind andere kammerkritische Strömungen neben den Industriellen, denen es um Flexibilisierung und mehr Handlungsspielraum geht, auch viele EPUs, Ein-Personen-Unternehmungen. In Österreich gibt es 305.000 EPUs, bei 500.000 Wirtschaftskammer-Mitgliedern. Sie sind allerdings in den Gremien kaum repräsentiert und stehen dem System daher kritisch gegenüber.
Gleiches gilt für die Kolleginnen und Kollegen auf Seiten der Arbeiterkammer und des ÖGB, die in sogenannten „atypischen“ Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Teilzeit-, Leiharbeits- und Kurzzeitbeschäftigte sowie geringfügig Beschäftigte. Seitens des ÖGB und der Arbeiterkammer ist man stolz über die große Abdeckung der Kollektivverträge (mehr als 90 Prozent), obwohl diese das Entstehen dieser Beschäftigungsverhältnisse nicht verhindert haben. Eine Stimme in der Gewerkschaft und in den Kammern haben diese Beschäftigten jedenfalls nicht. Für sie würde eine Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft wenig bis nichts ändern.
Bruchlinie Sparprogramm: Der oberösterreichische Weg für ganz Österreich?
Es müsse gespart und rationalisiert werden, so so das Mantra im Wahlkampf. Für viele gilt Oberösterreich als wegweisend, regiert dort doch eine Koalition aus ÖVP und FPÖ. Bisher gelangte an die Öffentlichkeit, dass es eine lineare Kürzung „aller Ermessensausgaben“ der Landesregierung um 10 Prozent geben soll. Über Studiengebühren für die Fachhochschulen denkt die Koalition genau so nach wie über die Nachmittagsbetreuung in den Kindergärten. Sie soll wieder kostenpflichtig werden.
Die Pläne sorgen bereits im Vorfeld für Kritik. Sind solche Maßnahmen, wenn sie nicht nur die Flüchtlinge treffen, wirklich mehrheitsfähig? Verfügt eine schwarz-blaue Koalition über die Kraft, dies durch zu bringen? Selbst in Oberösterreich ist das keinesfalls sicher, bundesweit schon eher fraglich. Wie wird sich der ÖGB verhalten?
Bruchlinie Außenpolitik
Irritierend war und ist, dass die Außenpolitik gar kein Thema im Wahlkampf war. Der mögliche neue Bundeskanzler Sebastian Kurz ist amtierender Außenminister. Trotzdem kam niemand auf die Idee eine Bilanz seiner Politik zu ziehen. Außenpolitik wurde auf Balkan- und Mittelmeerroute reduziert.
Doch nun ist der Wahlkampf vorbei. Und Österreich muss sich in Europa und in der Welt verorten. Die FPÖ-Außenpolitik ist mehr als nur Putin-freundlich. Rechte Ideologen geben dort bislang den Ton an. Beispielsweise treten Vertreter der FPÖ für die Anerkennung der Krim-Annexion durch Russland ein. Auch gab es in den vergangenen Jahren eine irrlichternde parallele Reisediplomatie führender ParteivertreterInnen gen Osten.
Wird sich Österreich an der sogenannten Visegrad-Gruppe bestehend aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei orientieren, in der sich durchgängig rechtspopulistisch regierte Staaten treffen? Diese Gruppe tritt allerdings für eine enge Kooperation mit den USA ein, und nicht mit Russland. Die polnische Regierung ist alles andere als Putin-freundlich.
Es wird eine Präambel geben
Für die Haltung zur EU gibt es ja schon eine österreichische Lösung: Eine Präambel. In ihr werden viele große Worte stehen, feierlich und staatsmännisch. Strache und all die anderen FPÖ-Regierungsmitglieder werden unterschreiben. Sicherlich. Doch wie sieht der Text zur Europäischen Union aus? Erhalt des Status quo? Ein Rückbau zu einer reinen Staatengemeinschaft bedeutet eigentlich, dass die gültigen Verträge aufgekündigt werden. Kommt ein Öxit-Debatte, oder hält man sich eher bedeckt?
Insgesamt scheint noch sehr viel offen bei einer möglichen schwarz-blauen Koalition. Es wäre nicht das erste Mal, dass Christian Kern mit seinen Prognosen Unrecht gehabt hätte.
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