Gegen Arme, Linke und Juden – Eine Hetzwelle in den Sozialen Medien

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By Sebastian Reinfeldt

Wer sich politisch äußert, darf nicht zart besaitet sein. Kritik gehört dazu. Doch was sich in den vergangenen zwei Tagen in den Sozialen Medien abspielt, lässt Schlimmes erahnen. Da wird hemmungslos losgezogen gegen alle, die sich nach der Wahl kritisch äußern. Eine kleine Rundschau in eine Welle von Hasskommentaren der vergangenen Stunden von Sebastian Reinfeldt.


„Gesindel“

Die Monatszeitschrift Volksstimme – aus dem Umfeld der KPÖ – hat sich entschlossen, bis zur Angelobung der neuen Regierung ihre Jahresabos verbilligt abzugeben. Das kündigt sie auf Facebook an und schaltet dafür Werbung. Die Reaktionen sind erschütternd. Die klassischen anti-linken Topoi werden abgerufen: „Vaterlandsverräter“ und „Gesindel“ seien diejenigen, die dort ihre Meinung ausdrücken würden. Das hat mit politischer Kritik oder auch Gegnerschaft nichts mehr zu tun. Auch Fäkalsprache wird dabei gerne benutzt.

Volksstimmme - Facebookseite
Screenshot Facebook vom 23.10.2017

Die „Fleißigen und Tüchtigen“ an der Macht

Fast 100 Kommentare hat die Ankündigung in kurzer Zeit bekommen. Möglicherweise handelt es sich dabei um eine organisierte Reaktion. In der ersten Kommentar-Welle wird etwa behauptet, mit der kommenden Regierung würden wieder die „Fleißigen und Tüchtigen“ zum Zuge kommen.

Facebook-Posting Die Volksstimme vom 23.10.2017
Facebook-Posting Die Volksstimme vom 23.10.2017

Mit dieser Formulierung wird ein Zitat von Jörg Haider aufgegriffen; sie legt vielleicht auch eine Fährte zu den deutschnationalen Urhebern. Denn es handelt sich dabei um keinen Ausdruck, der im aktuellen Wahlkampf verwendet worden ist. Die „Fleißigen und Tüchtigen“, das würde das österreichische Wir-Kollektiv ausmachen, meinte Haider in seinen Wahlkämpfen damals. Damit verknüpfte er eine politische Frontstellung mit einer sozialen Zuschreibung, woran sich einige wohl jetzt erinnern. Aufgegriffen hat die ÖVP unter Sebastian Kurz diese Methode, sie aber anders ausgefüllt. Denn sie hat diesmal ausdrücklich einen Wahlkampf gegen die „soziale Hängematte“ Wien geführt.

„Wenn es Herrn Deutsch hier nicht passt, kann er ja zurückkehren“

Praktisch zeitgleich toben sich Poster im Forum der Kleinen Zeitung aus. Anlass war ein offener Brief des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch. In diesem warnt er einer Regierungsbeteiligung der FPÖ, weil diese ausländerfeindlich ist.

Beim Lesen der Thora unterscheiden wir zwischen dem „Pschat“, dem nackten Wortsinn, und den „Remes“, den angedeuteten Sinn. Wer das Alte Testament wirklich verstehen will, muss zwischen den Zeilen lesen. Das gilt auch für die Politik.
Früher war die FPÖ deutlich: Pschats wie „Ausländer raus!“ oder „Stopp der Überfremdung“ prangten auf ihren Plakaten. Mittlerweile hat sie den Remes entdeckt und formuliert die alte Botschaft subtiler: „Österreicher zuerst

Im Forum der Kleinen Zeitung, die diesen Brief aufgegriffen hat, wird der Präsident der Kultusgemeinde nun ganz offen aufgefordert, das Land zu verlassen, wenn es ihm hier nicht passe.

Forum der Kleinen Zeitung, 23.10.2017
Forum der Kleinen Zeitung, 23.10.2017

Wir brauchen keine Ratschläge von anderen Staaten und Institutionen„. Als ob die Israelitische Kultusgemeinde eine ausländische Organisation wäre. Sie vertritt die Jüdinnen und Juden in Österreich. Dass sie sich gegen Antisemitismus wehrt, gehört zu ihren ureigenen Aufgaben. Dass dieser Kommentator den Präsidenten quasi herauswerfen will, weil ihn dessen Meinung stört, und dass er ihn mit einem anderen Staat in Verbindung bringt, ist nichts anderes als antisemitisch. In anderen Stellungnahmen in den Kommentarspalten der Zeitung wird darauf verwiesen, dass sich „die Israelis lieber mit sich selbst beschäftigen“ sollten.

„Die Steuerbefreiung jüdischer Mitbürger geht flöten“

Aus der Welle antisemitischer Stellungnahmen sticht noch eine besonders heraus. Oskar Deutsch fürchte um die angebliche „Steuerbefreiung jüdischer Mitbürger“. Ein weiterer antisemitischer Topos, der sich offenbar hartnäckig hält. Er geht offenbar auf eine angebliche Wiedergutmachungsgeste zurück, die es allerdings niemals gegeben hat. Brigitte Bailer führte dazu im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands aus:

Auch die immer wieder behauptete Steuerbefreiung von Jüdinnen und Juden oder anderen NS-Verfolgten ist ein Mythos, diese ist in keiner Steuergesetzgebung nach 1945 zu finden, wie auch ein im Auftrag der Historikerkommission durchgeführtes Projekt nochmals nachgewiesen hat. Nur das Opferfürsorgegesetz sieht für anerkannte NS-Opfer einen kleinen, im Einkommenssteuergesetz bzw. im Opferfürsorgegesetz nachzulesenden Steuerfreibetrag vor. Und die Rückübertragung des Eigentums im Zuge der Rückstellungen war wenigstens steuerfrei.

Es gibt keine Steuerbefreiung. Aber es gibt antisemitische Propaganda. Besonders bemerkenswert ist die Zustimmung für solche Haltungen, die ja anonym abgegeben werden kann. Der zuletzt genannte Kommentar hat 51 Likes bekommen. Der Wahlkampf der vergangenen Monate, in dem antisemitische Anspielungen häufiger vorkamen, zeigt eindeutig Wirkung.


P.S.: Die Kleine Zeitung hat mittlerweile einige der Kommentare gelöscht.

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