In der Krise werden Geschichten erzählt. So banal, boulevardesk und primitiv sie erscheinen mögen, so sind sie doch das zentrale Bindungsmittel rechter politischer Führung. Sie nur als „ideologischen Firlefanz“ wahr – und somit nicht Ernst – zu nehmen, bedeutet, die Wirksamkeit des Rechtspopulismus permanent zu verfehlen. Und dies führt zu politischen Kurzschlüssen und fatalen Strategien. Eine erweiterte Analyse der Wirksamkeit der FPÖ und von Sebastian Kurz von Sebastian Reinfeldt. (Erstveröffentlichung in arranca!, Sommer 2017. * Mit Ergebnissen der Nationalratswahl 2017 aktualisiert)
Rechter Populismus zeigt die Krise der liberalen, repräsentativen Demokratie an
Rechter Populismus kam als politisches Phänomen auf die Welt, das die Krise der liberalen, repräsentativen Demokratie zugleich anzeigte und verschärfte. Österreich ist seit 1986 die Fertigungsstätte des Prototyps dieser politischen Maschine, die tagtäglich scharfe Entgegensetzungen, innere und äußere Feinderklärungen und Deutungsbrocken auf das politische Feld wirft. Ihre Wirksamkeit lässt sich am Beispiel Österreichs nicht nur an Wahlergebnissen der FPÖ und ihres Präsidentschaftskandidaten messen. Norbert Hofer konnte 2016 in zwei Wahlgängen knapp 50 Prozent der Menschen in der Alpenrepublik mobilisieren. Die Nachwahlbefragungen verzeichneten knapp 85 Prozent Zustimmung bei „Arbeitern“. Gemeint sind damit Menschen in sozialversicherungspflichtigen Normarbeitsverhältnissen. Bei der Nationalratswahl 2017 liegt die FPÖ mit 59% der Stimmen bei Arbeitern klar vor SPÖ (19%) und ÖVP (15%). Das Forschungsinstitut SORA ergänzt:
Damit kann die FPÖ die Stimmung in dieser Gruppe am besten nutzen: Über 80% der ArbeiterInnen sind mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden, und 54% sehen Österreich als „eher ungerechtes“ Land.
Die Wirksamkeit des rechten Populismus lässt sich aber nicht nur an Wahlergebnissen festmachen. Und keineswegs ist sie aufgrund dieser Werte schon eine „proletarische“ Partei. Ihre FunktionärInnen kommen aus dem gehobenen Bürgertum und sind oft in Burschenschaften organisiert und sozialisiert worden: Rechte Intellektuelle führen das Kommando.
Wirksamkeit durch Umsetzung rechtspopulistischer Forderungen
Wirksam ist dieser Populismus, weil seine Agenda politisch übernommen und umgesetzt wird. Insbesondere in der Sozial- und Flüchtlingspolitik setzte die Regierung aus SPÖ und ÖVP autoritäre, restriktive und repressive Maßnahmen durch: Etwa die Verschärfung des Asylrechts bis hin zu Internierungen von AsylwerberInnen („Registrierzentren„) oder aber Sicherheitsgesetze, mit denen grundlegende bürgerliche Freiheiten eingeschränkt werden können. Der Zugang zur sozialen Mindestsicherung wurde in einigen Bundesländern deutlich erschwert, Diese politischen Initiativen finden den uneingeschränkten Beifall des Boulevards, eine Teils der Bevölkerung – und natürlich der FPÖ. Denn es in nuce ist ihre Politik.
13. 9. 1986: Österreich wird zum Labor des Rechtspopulismus
13. September 1986 in Innsbruck, Tirol. Die Geburt des postmodernen, europäischen Rechtspopulismus besitzt ein Datum und einen Ort: Jörg Haider übernimmt in einem Parteiputsch gegen Norbert Steger die Führung der FPÖ. In den Umfragen grundelte die Partei damals bei rund 4 Prozent. Sie war in einer Koalition mit der früher noch allmächtigen SPÖ. Ein Bündnis, das Jörg Haider sofort aufkündigte und damit Neuwahlen provozierte.
Konsequent wird seitdem gegen „Die-da-oben“ mobilisiert, und in einem Atemzug gegen alles Fremde. Die politische Kaste – die in Österreich mit SPÖ und ÖVP seit langem Namen und Gesicht trägt – entzieht sich tatsächlich bis heute wirksamer demokratischer Kontrolle. Sie verlangte eine aktive politische Unterwerfung der Subjekte. Es musste ein politisches Bekenntnis abgeben werden, um irgendwie „dazu“ zu gehören. Über das österreichische System der Sozialpartnerschaft – Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer – reicht der Zugriff politischer Macht und Unterwerfung sicht- und erlebbar bis in die Mikrophysik der Macht: Bis in die Kleingartensiedlungen, in die Betriebe und in die Büros.
Widerstand und Opposition – und das gilt für die von rechts wie die von links – wurde durch dieses Machtdispositiv der Großen Koalition wirksam neutralisiert und immer wieder an das kritisierte System zurück gebunden. Das ist einer der Gründe, warum eine unabhängige und radikale Linke in Österreich vergleichsweise schwach und politisch bedeutungslos blieb – und bis heute ist.
Populare Kritik als permanente rebellische Selbstunterwerfung
Populare Kritik war an die Stammtische, Pausenräume oder Freundeskreise verwiesen, wo man sich politisch wirkungslos beschweren konnte. Plötzlich tauchte mit Jörg Haider aber jemand auf, der mithilfe der rechtspopulistischen Diskursmaschine öffentlich sagbar machte, was zuvor verborgen bleiben musste. Von diesen – zuvor politisch neutralisierten – gesellschaftlichen Orten aus konnte man sich plötzlich mit dem neuen, rechten Diskurs einer „rebellierenden Selbstunterwerfung“ (Nora Rätzel) identifizieren und ihn – was ebenso wichtig ist – weiter tragen. Dort zirkulierten die zahllosen Alltagsgeschichten der kleinen und großen Ungerechtigkeiten, für die die „Die-da-oben“ verantwortlich sind. Und natürlich handelten diese kleinen, schmutzigen Geschichtchen immer auch von den „Ausländern“, denen permanent unterstellt wurde, nur im Land zu sein, um es auszunutzen und permanent zu berauben. Ins Visier gerieten je nach politischer Konjunktur verschiedene Bevölkerungsgruppen: Polen, dann Juden, dann Rumänen, Georgier, Tschetschenen, Deutsche, Flüchtlinge… Beides, die Frontstellung gegen „Die-da-oben“ und gegen „Die-da unten“, geschieht immer in einem Atemzug. Unauflöslich ist der rechtspopulistische Rassismus mit dem Ressentiment gegen „Die-da-oben“ verwoben.
Sebastian Kurz ist der Nutznießer Haiders
Nein. Sebastian Kurz, offiziell der Parteiführer der ÖVP, im Wahlkampf aber der Anführer einer „türkisen Bewegung„, ist nicht der neue Jörg Haider. Kurz ist der strategische Typ Politiker. Er konnte auf das alles aufbauen, was Haider, Strache und Hofer erschaffen hatten. Und er konnte darauf setzen, dass die ÖsterreicherInnen mehrheitlich keine Flüchtlinge mehr ins Land lassen wollen. Tatsache ist, dass der relative Wohlstand im Land durch die Verwerfungen der kapitalistischen Rationalisierungsprozesse akut und in Zukunft bedroht sein wird. Als Verursacher dafür werden die Flüchtenden angesehen. Eine Verschiebung und Verdichtung zwar, aber sehr wirksam. Sebastian Kurz musste diese nur anbringen. Wann immer es in den vergangenen Monaten um eine politische Frage ging, führte er diese auf die Anwesenheit der Flüchtlinge und die angeblich verschwenderische, rot-grün regierte Hauptstadt Wien zurück. Er mobilisierte somit die Provinz (als räumlicher und ideologischer Begriff verstanden) gegen das Städtische, Urbane und Liberale. Dafür erzielte er 31,5 Prozent der WählerInnenstimmen. Er wird möglicherweise der neue österreichische Bundeskanzler.
Die Krise des Fordismus und sein Auswurf
Die Krise des Fordismus reflektiert sich aber im jurdischen, politischen und ideologischen Überbau nicht nur. Dieser überzog die Produktionsverhältnisse mit den neoliberalen Prämissen von Selbstverantwortlichkeit, Teamarbeit, vorgeblicher Freiheit und Unternehmungsgeist – und baute sie dementsprechend um. Neue Machtverhältnisse entstehen und werden gelebt. Sie werden gelebt und inkorporiert.
Mehr und mehr Menschen fielen aus den ehemals sichernden Institutionen heraus. Sie wurden in den großen Wettlauf um knapper werdende Vollzeitjobs mit ihren sozialen Sicherungen geworfen. Wie ein riesengroßer Staubsauger breitete sich die rechtspopulistische Diskursmaschine im Land aus, und saugte Kritik und Unzufriedene auf. Mal tönt sie neoliberal wie die Politik von oben, nur dass sie sich gegen die leistungslosen Versorgungsposten da oben richtet, die nichts arbeiten, aber abkassieren würden. Dann wieder klingt sie sozial, wenn sie etwa proklamiert: „Unser Geld für unsre Leut‘“. Derzeit rühmt sich die FPÖ, in diesem Sinne eine soziale Heimatpartei zu sein. Das stimmt allerdings keineswegs mit ihrer politischen Programmatik überein. Sie definiert einfach den Kreis derer, die durch ein gutes soziales Netz abgesichert werden sollen, immer enger und enger. Und sie befeuert den allgemeinen Wettlauf darum, auf die vorgeblich sichere Seite zu gelangen. Eine soziale Volksgemeinschaft nach Außen zwar, aber zugleich im Kampfmodus gegeneinander nach Innen.
Blanker Rassismus etabliert kein stabiles politisches Führungsverhältnis
Den Fremden, denen unterstellt wird, sich von Außen einzuschleichen, entsprechen die „Parasiten“ und „Sozialschmarotzer“ im Inneren, die dort bereits waren. Beide jedenfalls sollen keinen oder nur einen beschränkten Zugang mehr zu den sozialen Sicherungssystemen haben. Sie sollen nicht zur Volksgemeinschaft der Anständigen und Fleißigen gehören dürfen, die sie dennoch aktuell bedrohen.
(Die rechtspopulistische Diskursmaschine schematisch. Nach: Reinfeldt 2000 und 2013)
Das Volk, das von dieser Maschine seit 1986 bearbeitet wird, findet sich im populistischen Viereck links unten. Es ist ein schwach signifizierter Platz, der sich nur aus den Entgegensetzungen nach oben (gegen Die-da-oben) und nach rechts hin ergibt: gegen die, die nicht so wie Wir sind. Dort – im linken, unteren Feld – werden jedenfalls die Zielgruppen des rechten Populismus verortet. Zu einem Anhänger oder zu einer Anhängerin werden die Adressierten in der Logik dieser Maschine erst dann, wenn sie von links unten nach links oben „empor“ gehoben werden.
Diese Aufwertung geschieht keineswegs automatisch und auch nicht von alleine. Die Maschine verortet permanent. Sie schafft Subjektpositionen, die der charismatische Führer bzw. die charismatische Führerin dann weiter bearbeitet. Sie sind es, die die Menschen „anrufen“, indem sie die Adressierten in die kollektive Wir-Kategorie „hoch“ heben. Wenn man so will, sie zu Gläubigen zu machen, was sie als eine Aufwertung ihrer Selbst erleben.
An dieser Stelle wird der rechte Populismus demokratisch. Denn dieses Verhältnis der Geführten zum charismatischen Führer ist ein Anerkennungsverhältnis, wie es Max Weber charakterisiert hat. Das Charisma des Hervorgehobenen, der wahr spricht, ist nicht von einer höheren Instanz gegeben, sondern es besteht nur und insofern ihm massenhaft zugesprochen wird, anders als die anderen zu sein. Der charismatische Führer und die charismatische Führerin verkörpern das Wir. Sie können dies aber nur solange tun, wie an sie geglaubt wird.
Glaubenstatsachen indes sind unsicher. Sie können von einem Tag auf den anderen verfliegen. Dann bleiben die vielfältigen Wünsche und Begehren – nach Freiheit, nach einem menschlichen Wert, nach einem Status und nach Bedeutungen, nach Anerkennung und nach einem Platz im Ganzen – unerfüllt. Denn sie haben ihre Projektionsfläche verloren.
Charismatische Führung
Die charismatische Führung ist also eine Leerstelle, die jede rechtspopulistische Diskursmaschine besetzen muss. Ansonsten ist sie krisenhaft und läuft nicht stabil. Es mag zynisch klingen, aber mit blankem Rassismus alleine lässt sich kein halbwegs stabiles politisches Führungsverhältnis etablieren.
Zwei deutschsprachige rechtspopulistische Parteien sind derzeit genau an dieser Frage in der Krise. In der AfD tobt der innerparteiliche Kampf darum, wer führend sein soll. Petry? Höcke? Oder eine andere Figur? Ebenso neigt sich bei der FPÖ die Ära HC Strache dem Ende zu. Der erfolgreiche Präsidentschafts-Kandidat Norbert Hofer war in den vergangenen Monaten „die“ Projektionsfläche in Österreich. Die Frontstellung gegen praktisch das gesamte politische und gesellschaftliche Establishment war ideal, um sich diese projektive Anerkennung zu erarbeiten. Der Machtkampf um diese unverzichtbare Funktion verläuft derzeit noch unter der Oberfläche, aber stagnierende Umfragewerte der FPÖ unter Strache zeigen einen kommenden Führungswechsel an. Die Partei wird den charismatischen Führer austauschen. Norbert Hofer wird kommen, früher oder später.
Auch von Michael Jackson verlangt niemand Interessensvertretung!
„Sie werden sich noch wundern, was alles mögliche ist.“ Diese unverholene Drohung des FPÖ-Kandidaten Hofer, seine von der Verfassung gegebene politische Macht auch tatsächlich einzusetzen, ist der symptomatische Satz seiner Wahlkampagne gewesen: Ich tue, was mir beliebt, hart an der Grenze des Legalen und mitunter darüber hinaus – so lautete die Botschaft. In diesem Sinne ist ein rechtspopulistischer Führer am ehesten mit einem Volkshelden aus den Märchen und Sagen zu vergleichen. Er ist ihr politisches Remake.
Die Struktur einer Heldenerzählung beinhaltet nach Vladimir Propp nicht nur den Weg des Helden (er verlässt die angestammte Heimat), seine Helfenden, seine Gegenüber (diejenigen, die ihm übel mitspielen) und seine Siege und Niederlagen. Ihm eingeschrieben ist die Grenzüberschreitung und die Regelverletzung als Bestandteil des Mythos, so wiederum Jurij Lotman.
Bei der Beziehung Führende – Geführte spielt es also kaum eine Rolle, ob dabei wirklich die „objektiven“ Interessen der Geführten vertreten würden. Sie werden von IHM angerufen. Wenn sie den Ruf hören, wollen sie schlicht so wie der Volksheld sein: Sie wollen etwas SEIN. Interessenvertretung wird weder von einem Popstar und analog nicht von Norbert Hofer erwartet. Darum nehmen sie auch hin, wenn der erwählte Volksheld ausdrücklich gegen ihre Interessen handelt, und etwa ihre Krankenversicherung abschafft. Es reicht, dass der charismatische Führer genommen hat, „was er will“ und dass „er sagt, wie es ist.“
Zum Weiterlesen
Vladimir Propp, Morphologie des Märchens. Frankfurt a.M 1975
Sebastian Reinfeldt, Nicht-Wir und Die-da. Wien 2000
Lous Althusser, Ideologie und Ideologische Staatsapparate. Hamburg 2010
Annita Kalpaka, Nora Rätzel, Klaus Weber (Hg.), Texte kritische Psychologie 7,
Hamburg 2017 (= Neuauflage von: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein)