„Silberstein-frei“ – Die Büchse der Pandora ist geöffnet

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By Sebastian Reinfeldt

Well, that escalated quickly“ – so könnte man ironisch meinen. Das hat sich jetzt aber rasant entwickelt, wenn es nicht so Ernst wäre. Am Wochenende setzte Außenminister Sebastian Kurz gezielt eine antisemitische Chiffre, indem er „die Silbersteins“ per Volksabstimmung raus aus Österreich haben wollte. Bereits am folgenden Montag hat Peter Pilz die Botschaft verstanden und rief dazu auf, Österreich „Silberstein-frei“ zu machen. Eine Formulierung, die er auf einer Pressekonferenz mehrmals wiederholte. Damit spielen beide Politiker mit antisemitischen Codes herum, einzig mit dem Ziel Aufmerksamkeit oder ein paar WählerInnenstimmen zu gewinnen. Eine Recherche zum Antisemitismus in der österreichischen Politik. Von Sebastian Reinfeldt.


Österreich wird Silberstein-frei

Wenn wir diese Republik Silberstein-frei machen wollen, und es mir ein ganz großes Ziel in der Politik, Österreich Silberstein-frei zu machen, und da ist es völlig egal, ob es rote Silbersteins, schwarze Silbersteins, blaue Silbersteins oder von mir aus auch grün-türkis gestreifte Silbersteins sind, wenn wir Österreich Silberstein-frei machen wollen, dann müssen wir klare Strafbestimmungen und Gefängnisstrafen in die Gesetze gegen den Parteienstaat reinschreiben.“ (Peter Pilz, Pressekonferenz am 9.10.2017)

Das Ableugnen und Heruminterpretieren, wie diese Aussage von Peter Pilz möglicherweise gemeint sei, gehört zu dieser Art antisemitischer Anspielung. Denn die ausdrücklich nicht geäußerte Aussage „Österreich judenfrei“ machen zu wollen, schwingt dabei mit. Sie ist ein historischer Tatbestand. Denn der Satz war eine Realität in Österreich, die die Vernichtung der europäischen Juden begleitete. Es gibt hier keinen neutralen Raum, in dem mal so, mal so interpretiert werden kann. Wer die Anspielung benutzt, der stellt sich selbst in diesen Kontext. Keinesfalls wird er dort böswillig hinein gestellt.

Schlechte Umfragen? Da muss ein Sager her

Selbstverständlich hatte die SPÖ – und hier Christian Kern besonders – den Berater Tal Silberstein engagiert, um mit schmutzigem Wahlkampf die Wahlen zu gewinnen. Der Auftraggeber war also eine österreichische Partei und ein österreichischer Spitzenpolitiker, der genau das bekommen hat, was er wollte. Es gibt einen Vertrag mit klar definierten Vertragsleistungen. Der Mann, der offenbar sein Geld wert ist, hat seinen Teil erfüllt. Er kommt aus Israel. Sein Name ist verräterisch. Wer diese Art von politischer Kampagnenführung nicht mag, hat viele Möglichkeiten, dies auszudrücken. Man will solche Berater nicht, denn man will Österreich Schutzkampagnen-frei machen. Wie auch immer. Aber der personalisierte „Sager“ von Pilz zielt auf jemanden mit jüdischem Namen. Von dem er Österreich befreien möchte. Ausgerechnet in der letzten – entscheidenden – Woche vor den Wahlen, und das bei Umfragewerten von vier Prozent. Es wird knapp werden für die Liste Pilz. Also muss ein Sager her. Da kommt ihm dieser Silberstein gerade recht.

Das Klischee: Der skrupellose Jude in der Politik

Dabei verwendet er ein – besonders in Österreich – tief sitzendes Stereotyp: Der skrupellose Jude. Das zielte historisch auf den skrupellosen Verdiener, der seine GeschäftspartnerInnen übers Ohr hauen würde. Die Realität unsauberer Geschäftspraktiken wurde auf eine Personengruppe hin verschoben und konzentriert. In der Geschichte des österreichischen Antisemitismus von Bruce F. Pauley wird diese Figur ausdrücklich erwähnt.

Das Klischee des skrupellosen, lüsternen und revolutionären Juden war fest im Bewußtsein der Österreicher verankert worden, lange bevor irgendjemand etwas vom Nationalsozialismus gehört hatte. (Pauley, Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus)

Also steht diese Person – ein Silberstein – für alle skrupellosen Berater in Österreich: für den Puller so wie für den Fußi oder für den Misik, wenn man so möchte. Doch werden sie namentlich nicht erwähnt. Der Jude steht an ihrer Stelle – und genau das ist Antisemitismus.

Der Außenminister mobilisiert gegen „die Silbersteins“

In den österreichischen Medien fand der erste Sager in dieser Richtung keine Erwähnung. Und das, obwohl sein Urheber der amtierende Außenminister ist. Doch statt diplomatischer Zurückhaltung nimmt auch er „die Silbersteins“ als pars pro toto für alle skrupellosen Berater im Land. In Deutschland müsste ein Minister nach so einer kalkulierten Provokation seinen Hut nehmen und zurück treten. Besonders der Außenminister. Es ist schon eine österreichisches Spezifikum, dass es über diese Aussage von Sebastian Kurz kaum eine Diskussion gibt. Die international renommierte israelische Zeitung Haaretz hat den Vorfall allerdings aufgegriffen – und sein öffentliches Amt dabei eigens genannt.

Die Büchse der Pandora ist geöffnet worden

ORF-Journalist Armin Wolf hat noch am Montag den Ex-Grünen Politiker Peter Pilz auf Twitter kritisiert. Im Forum des Standards, der darüber berichtet, ergießt sich seitdem eine Welle der Empörung – und zwar gegen den ORF-Journalisten. Da wird etwa Armin Wolf mit Silberstein gleich gesetzt, der wiederum mit dem Mossad in Verbindung gebracht wird.

Standard Forum
Silbersteins und Mossad

 

 

 

 

 

 

In einem weiteren Posting wird das eigene Schlafzimmer als staubfrei erklärt – „mit oder ohne Juden“.

Judenfrei = Staubfrei – mit oder ohne Juden

 

 

 

 

 

Und schließlich wird auch auf die Kampagne zum Boykott israelischer Produkte BDS verwiesen.

Boykott Israel
Boykott Israel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die SPÖ hat sich zum Opfer von Tal Silberstein erklärt. Und die österreichische Öffentlichkeit – die Opferrolle gewohnt – nimmt ihr das dankbar ab. Schuld ist, mal wieder, der Jude.

8 Gedanken zu „„Silberstein-frei“ – Die Büchse der Pandora ist geöffnet“

  1. Kaum kommentiert wurde, so weit ich sehe, dieser Tweet von Peter Rabl (30. Sep. 2017): „Dieser Silber-Dreck wurde hier und auf FB von vielen begeistert zitiert.“

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  2. Sehr treffender Artikel!!! Genauso ist es. Wie heißt es doch bei Brecht: Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem dies kroch!
    Und der Gebrauch dieser braunen Sprache – bewusst oder unbewusst – ist ekelhaft. Die Opferrolle liegt den Österreichern!!!

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  3. ‚Reinfeldt explained to Haaretz that „Pilz’s statement is clearly anti-Semitic.‘
    https://www.haaretz.com/world-news/1.816295

    Sehr geehrter Herr Reinfeldt,

    Ich kann nachvollziehen, dass Sie Pilzens Wortwahl bedenklich finden.
    Doch warum gießen Sie noch Oel ins Feuer?
    Als jemand, der die lokalen Medien verfolgt, koennte Ihnen durchaus bekannt sein, dass der Name Silberstein ausschließlich als Synonym fuer ‚Schmutzkuebel‘ gebraucht worden sein duerfte.

    Auch dass der „personalisierte Sager von Pilz“ lediglich auf jemanden „mit jüdischem Namen“ abziele, halte ich entweder fuer peinlich missinterpretiert oder eine rufschaedigende Unterstellung.
    Puller, Fußi und Misik fanden natuerlich deswegen keine Erwaehnung, weil Sie weder an Bekanntheit noch durch strategisch/taktisches Geschick Tal Silberstein das Wasser reichen duerften.
    (Andernfalls frage ich mich, warum die SPOE nicht schon zu Beginn mit Rudi Fußi Vorlieb nehmen konnte.)

    Peter Pilz weiters vorzuwerfen, sich aufgrund von schlechten Umfragewerten vorsaetzlich antisemitischer Klischees wie des „skrupellosen Juden in der Politik“ zu bedienen, welches noch dazu tief in Oesterreich verankert sein soll, bloß um in der letzten entscheidenden Woche noch ein paar Waehlerstimmen zu lukrieren, ist aber wirklich der Gipfel der Unverschaemtheit und laesst groben Zweifel an Ihren lauteren Motiven aufkommen.

    Es wuerde mich beruhigen, wenn die Rufschaedigung meines parlamentarischen Hoffnungstraegers
    (und auf internationaler Ebene natuerlich auch die des ganzen Landes!!)
    iuristische Konsequenzen fuer Sie haette.

    Die zunehmende Instrumentalisierung des Antisemitismus in der Gesellschaft zur Beschmutzung politischer Gegner ist eine abscheuliche Verharmlosung desselben und traegt auf lange Frist immens zur Desensibilisierung der Bevoelkerung bei.

    Sich herzlichst dafuer bedankend,
    dass Sie ihm den Nachtschlaf raubten,
    aber dennoch mit freundlichen Grueßen –

    Jemand, der nicht in der ersten Haelfte des vorigen Jahrhunderts stecken geblieben ist.

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  4. Das Zitat ist im Text ausführlich drin. Und auch das Video. Die Quellen sidn also korrekt. Zur Analyse verweise ich auf Ruth Wodak, die sicherlich eine Autorität auf dem Gebiet ist. Sie meint: „Denn, so die Expertin für Diskursanalyse: Silberstein biete sich mit seinem typisch jüdischen Namen hier als Metonym und damit als Symbol für alle bösen Spindoktoren und Kampagnisierer an – und mit dem Verweis, dass man seinesgleichen nicht in Österreich haben wolle, werde impliziert, das Böse sei hierzulande nicht existent und komme daher von außen. Wodak: „Doch es gibt auch Nichtjuden, die Dirty Campaigning machen – und damit könnte den Wählern suggeriert werden: ‚Wir wollen keine jüdischen Spindoktoren.'“ Daher fragt die Wissenschafterin unter Hinweis auf andere verdächtige Berater: „Wieso sagt man als Politiker nicht einfach, ‚wir wollen auch keine Pullers und Fußis haben‘?““
    derstandard.at

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