Mittlerweile hat sich die SPÖ-Affäre „Silberstein“ zu einem politischen Krimi entwickelt. Die halbe Republik rätselt, wer was wann tat, in Auftrag gab und wusste. Fieberhaft wird recherchiert. Das ist ein Desaster für die SPÖ. Nachdem der Semiosisblog Ende August 2017 mit einer Recherche zum Antisemitismus der Facebook-Seite „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ das Ganze ins Rollen gebracht hat, wollen wir nun einige grundsätzliche Fragen ansprechen: Denn das ganze Dirty Campaigning der SPÖ ist eine Folge der post-politischen, post-demokratischen Ausrichtung der Partei. Während die ÖVP, die FPÖ, die Neos und KPÖ plus ein politisches Profil haben, ist die SPÖ nicht erst unter Christian Kern politisch völlig beliebig. Diese Leere haben die Verantwortlichen mit schmutzigen Wahlkampftricks zu füllen gesucht. Eine analytischer Kommentar von Christoph Ulbrich und Sebastian Reinfeldt.
Wahlkampf ohne Konzept und Profil
Es scheint so, als hätten die SPÖ in den vergangenen Monaten lediglich verschiedene Vermarktungsvarianten durchgespielt. In einem Feldversuch kurz vor der Wahl. Einmal gab sich die Partei mit Kern neoliberal und wollte den Mittelstand ansprechen, die Wirtschaft ankurbeln und Startups fördern. Im nächsten Moment fordert sie die Maschinensteuer und jeder und jede solle sich holen, was ihm oder ihr zusteht. Einmal ist Kern der nice guy von der ÖBB, der von Außen erst die Partei und dann Österreich rettet. Dann wiederum will er mit „Erfahrung“ als Regierungschef punkten. Dieser SPÖ-Wahlkampf ist skizzenhaft geblieben.
Die gute alte Zeit: Weiterkommen mit Parteibuch
Ich bin automatisch bei die Roten, weil ich gesehen habe, dort kann ich weiter kommen
Ganze 15 Worte braucht der Rote am „Saufplatzl“ in der ersten Episode von Elizabeth T Spiras Alltagsgeschichte aus dem Jahr 1988, um haarscharf zu analysieren, was die SPÖ zusammen hielt – und gleichzeitig ihr größtes Problem ist: Man war in der Partei, um dazu zu gehören, um zumindest ein paar Bröseln vom Kuchen ab zu bekommen. Ein Grundstück im Kleingartenverein oder an der Alten Donau, eine Stelle bei der Gemeinde oder bei der Partei beziehungsweise in den vielen parteinahen Vereinen und Institutionen. Bei den Kinderfreunden bis hin zur Volkshilfe.
https://youtu.be/16a2Be-O1iQ?t=2
Seit Gusenbauer: Die Partei ohne Eigenschaften
Diese Zeiten sind seit längerem vorbei. Es ist weniger zu verteilen. Wenn überhaupt. Heutzutage müssen die Leute immer wieder politisch überzeugt und begeistert werden. In der Wahlkampagne 2002 und 2006 begann Alfred Gusenbauer aus der Opposition heraus, post-demokratische Methoden im Wahlkampf zu benutzen. Er hatte den Berater Tal Silberstein engagiert, dessen Team den Wahlkampf der Partei führte. Politische Themen wie Bildung und Gesundheit waren 2006 zuvor in Fokusgruppen abgetestet worden. Und man scheute sich nicht, einen persönlichen Pflegeskandal in der Familie des politischen Gegners Wolfgang Schüssel in die Kampagne einzubauen. In der Regierung stand der einstige „Erlöser“ Gusenbauer ziemlich nackt da. Sozialdemokratisches Profil? Fehlanzeige.
Berater ersetzen politisches Profil
Dieses Problem der SPÖ besteht bis heute. Von Werner Faymann bis Christian Kern bleibt die Diagnose dieselbe: Das Problem der SPÖ ist, dass sie keine eigenständige Politik macht. Sie vollzieht nach, was sowieso als unabwendbar erscheint oder was vermeintlich gut ankommt. Noch nicht einmal der ohnehin kleine politische Gestaltungsspielraum wird ausgereizt. Bloß niemandem wehtun, um niemanden zu verschrecken. Würde Elisabet T. Spira heute eine Alltagsgeschichte zur SPÖ machen, bei der Frage nach der SPÖ käme wahrscheinlich nur Achselzucken. Die SPÖ ist für Solidarität und gleichzeitig gegen Flüchtlingshilfe. Sie will die Wirtschaft „ankurbeln“ und „Arbeit schaffen“, weiß aber gleichzeitig, dass die Arbeit ausgeht und per 35 Stunden-Woche besser verteilt werden muss. Die Mitglieder Stimmen gegen CETA, die Nationalratsabgeordneten dafür. Sie ist für die Ehe für alle, lehnt sie im Parlament aber ab. Die SPÖ steht für alles und nichts.
Der Vorsitzende ohne Eigenschaften
Christian Kern ist der logische Vorsitzende dieser Partei. Kern einer, der es geschafft hat: smarter Manager, sympathisch, ein ausgezeichneter Redner, der es versteht, sein Publikum in den Bann zu ziehen.
Auch seine Häutungen folgen dem post-demokratischen Muster. Kern ist einmal Dandy. Dann der extra-clevere Manager, dann armer Arbeiterbub aus Simmering. Nur eines ist Kern nicht: Politiker. So wie die SPÖ keine Partei mehr ist. Das Wort Partei stammt vom lateinischen Wort Pars/Partis, das soviel wie Richtung bedeutet. Genau das fehlt der SPÖ, eine Richtung.
Es ist kein Zufall, dass der britische Soziologe Colin Crouch, der den Begriff „Postdemokratie“ vor knapp 20 Jahren etabliert hat, seine Thesen ausgerechnet an der britischen Sozialdemokratie durchdeklinierte. Die Silberstein-Affäre der SPÖ zeigt, die SPÖ verkörpert die idealtypische Definition von Postdemokratie in Österreich. Postdemokratisch, so Crouch, ist nämlich
ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden (…), in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. (Colin Crouch, Postdemokratie, S. 10)
Nur so ist es möglich, dass der Nicht-Politiker Kern überhaupt Kanzler und Parteivorsitzender werden konnte. Werner Faymann war blass, Kern bei seinem Antritt das blühende Leben. Einer den man gut verkaufen kann. Einer der mittels Plan A professionell kommuniziert
Dass Kern keinerlei politische Erfahrung hatte, nie ein Mandat oder politisches Amt bekleidet hat, dass er auch in der Partei nicht verankert war und in keinem Parteigremium war. All das nahm die SPÖ in kauf – vielleicht wurde sie auch einfach überrumpelt.
Silberstein ist (nur) das Symptom des Problems
Eine Partei, die nicht weiß, was sie ist, braucht Umfragen, Fokusgruppen und Spindoktoren. Weder Ideologie noch Überzeugungen bestimmen dann die politische Agenda. Sondern: Analysen von Fokusgruppen bestimmen die Themen, politische Positionen werden an Umfragen ausgerichtet. Dirty-Campaigning rückt den politischen Gegner in ein schlechtes Licht. Während die unzähligen eigenen YouTube-Clips den Kandidaten als das inszenieren, was die Leute vermeintlich wollen.
All das verdeckt das eigentliche Problem der SPÖ heute. Sie ist eine Partei ohne Eigenschaften.
Hallo
Vielen Dank für diesen Artikel. Es gibt das genaue Bild einer ehemaligen Arbeiterpartei wieder, die noch Ideale hatte und diese vollkommen abhanden gekommen sind.
Es wäre gut wenn Ihr Artikel ein jeder in der SPÖ Zentrale als Pflichtlektüre lesen müsste.