In „sechs losen Gedanken“ kommentiert unser Gastautor Klemens Herzog die Auseinandersetzung des österreichischen Bundeskanzlers Christian Kern mit der Boulevardzeitung „Österreich„. Jahrelang wurde auch diese Zeitung von der SPÖ und SPÖ-nahen Institutionen aufgepäppelt. Nun scheint sie nicht mehr zu spuren und beide Seiten inszenieren den Bruch. Zu ihrem Vorteil?
Ausscheren aus der Verbandelung
1) Prinzipiell ist es bemerkenswert, dass erstmals ein österreichischer Spitzenpolitiker aus dem Boulevard-Konsens ausschert und öffentliche Kritik übt. Und prinzipiell ist das zu unterstützen.
Aber nur, weil ich bei einer Wahl kandidiere, heißt das noch lange nicht, dass ich alles mitmachen muss. Die Tageszeitung „Österreich“ führt eine Kampagne gegen meine Person. Jeden Tag werden verleumdende Texte und abwertende Fotomontagen veröffentlicht. Offenbar erwartet sich der Herausgeber dadurch mit anderen Kandidaten bessere Geschäfte. Die moralische Qualifikation in diesem Fall überlasse ich gerne anderen. Aber es ist mein gutes Recht zu sagen: Ich mache da nicht mehr mit. Keine Interviews mit mir in „Österreich“, keine TV-Diskussionen auf oe24. Und natürlich auch keine Wahlkampf-Inserate.
2) Bemerkenswert ist auch mit welcher Offenheit Kern die enge Verbandelung von Boulevard und Politik und den Einfluss der Inseratenpolitik auf wohlwollende Berichterstattung anspricht. Das wurde in dieser Deutlichkeit selten angesprochen.
Wie wird der heiße Brei gegessen?
3) Ganz so dramatisch, wie Kern es gerade inszeniert, ist es natürlich nicht. Man könnte auch sagen, der Brei wird nicht so heiß gegessen wie gekocht. Sein Boykott bezieht sich auf Interviews und Inserate der SPÖ. Über die roten (und auch schwarzen) Ministerien sowie die rot-grüne Stadt Wien werden aller Voraussicht nach auch in Zukunft Millionenbeträge in der Österreich inseriert.
PolitikerInnen menschlich?
4) Interessant ist auch, welche Begründung Kern für seine Entscheidung anführt: Es sei die Kampagne gegen seine Person. Das ist menschlich nachvollziehbar. Aber: Im Vergleich zum britischen und amerikanischen Boulevard werden unsere Spitzenpolitiker immer noch mit Samthandschuhen angefasst. Ganz im Gegensatz zu ausgegrenzten Gruppen wie Flüchtlingen, MigrantInnen oder BettlerInnen. Kerns Schritt wäre eigentlich schon viel früher fällig gewesen. Doch nicht aus persönlicher Betroffenheit heraus, sondern aus Prinzip.
Alles kein Zufall
5) Nun wäre es an der Zeit, die persönliche Betroffenheit und Inszenierung von Kern, in eine strukturelle Debatte über Medienpolitik zu überführen. Wie können medienpolitische Rahmenbedingungen einen pluralistischen und demokratischen Journalismus unterstützen?
6) Dass das Medium Österreich so groß und einflussreich werden konnte, war eben kein Zufall, sondern wurde von Teilen der SPÖ gezielt forciert. Ob die SPÖ jetzt gscheiter geworden ist, darf bezweifelt werden. Hier habe ich beispielsweise über ein „neues“ Medienprojekt aus rot(blauem) Hause recherchiert.
Das Problem ist eben nicht „Österreich“, sondern eine verfehlte Medienpolitik, die in Vergangenheit immer auf politischen Einfluss und persönlichen Vorteil abgezielt hat. Dass dies dem Kern nun um die Ohren fliegt, hat er vorrangig seinen eigenen GenossInnen zu verdanken.