Warum der gleichnamige Führer der Liste Peter Pilz zugleich der brillanteste und schlechteste Populist der Welt ist. Richard Schuberth hat dessen Buch Heimat Österreich gelesen – amüsiert, erstaunt und angewidert.
Was links ist, ist eine Sache der Perspektive. In Österreich, wo eine Linke kaum existiert, gerät schon in den Ruch des Radical Chic, wer die Genfer Flüchtlingskonvention respektiert, und in den des Stalinismus, wer Millionerben fürs Gemeinwohl zur Kasse bitten will.
Die sozialen Interessen der Mehrheit zu vertreten, erscheint, wo die Mehrheit sie nicht mehr wahrnimmt, als weltfremder Idealismus. Wer hier Wahlstimmen lukrieren will, kann es sich leisten, linke Fische ins Meer zurückzuwerfen, denn die großen Fänge sind in der Mitte und rechts davon zu machen. Das weiß auch Peter Pilz, ein bald rentenreifer Rienzi aus dem Goethehof.
Sein Pamphlet in Buchform mit dem launigen Titel „Heimat Österreich“ ist ein recht ausgefuchstes Dokument eines letztlich zum Scheitern verurteilten linken Populismus. Es mag zwar kaum einen FPÖ-Wähler vorm Ofen hervorlocken, dafür aber politologische Debatten anheizen. Bereits das Cover liefert den Beweis, dass Pilz seine Heimattümelei unmöglich ernst meinen kann: Es gleicht dem einer Anthologie österreichischer Volkslieder aus den 60er-Jahren, die man aus Kostengründen im Ostblock drucken ließ. Man kann sich das lausejungenhafte Lachen von Pilz und seinem Mephisto Alfred J. Noll vorstellen, als sie den ersten Entwurf in Händen halten.
Warum Flo Klenk gerne Linke piekst
Peter Pilz trat seine politische Laufbahn, wie so viele Linke seiner Generation, als Trotzkist an. Das ist insofern bedeutsam, da sich Trotzkisten der Taktik des Entrismus verpflichtet hatten. Als Geheimagenten ihrer Sache waren sie darauf programmiert, die Institutionen der reformistischen Linken zu unterwandern – Sozialdemokratie, Gewerkschaften und auch die neue ökologische Linke. Doch nicht jeder besitzt die Charakterstärke eines Kim Philby. Ihre Mimikry wurde ihnen oft zur ersten Natur; es gefiel ihnen dort so gut, dass sie das gesamte Gefüge nicht nach links, sondern nicht selten als Avantgarde der Konformierung sogar in die Gegenrichtung zogen. Viel zitiert das Beispiel der Wiener Basisgruppe Roter Börsenkrach, deren Aktivisten – während die Genossen von der RAF in Stammheim darbten – sich plötzlich in die Vorstandsdirektorenbüros der mächtigsten Banken strafversetzt sahen.
Gemessen an der typischen Karrierebewegung von permanenter Revolution zu permanentem Opportunismus hielt sich Peter Pilz ganz gut in den ideologischen Schrebergärten, welche die Sozialdemokratie bei ihrem Marsch nach rechts zurückgelassen hatte. Pilz’ größtes Verdienst ist bekanntlich sein Kampf gegen die Korruption. Aufdecker politischer und ökonomischer Skandale figurieren als romantische Rebellen, nähren aber auch das Missverständnis, linke Rebellen zu sein. Wer das politische und ökonomische System selbst als Skandal empfindet – so müsste konsequente linke Kritik lauten –, der durchschaut Antikorruptionismus auch als demokratische Selbstreinigung eines Systems, das als solches nicht mehr in Frage gestellt wird. Kein Wunder, dass Florian „Falter“ Klenk dieses unentwegt anbetteln muss, ihn nicht mit einem Linken zu verwechseln, und er zum Beweis seiner Schwerttreue mit Vorliebe echte Linke piekst.
Der Marsch auf Wien und Umgebung
Und doch ist Österreich ein Sonderfall, weil hier die Unrechtmäßigkeit von Privatisierung und Sozialabbau zufällig immer auch von schleimigen Halbwelttypen und tollpatschigen Verbrechern exekutiert wird, wie die erste blauschwarze Koalition der staunenden Welt vorführte und damit einen Vorgeschmack auf die nächste gab, die nun ins Haus steht. Studenten und Studentinnen der Verflechtung von politischer Macht, Deregulierung und Korruption würden sich zur Schärfung ihres analytischen Verstands gerne in Staaten wünschen, wo dieser Konnex subtiler von statten geht als in Österreich, das als bizarre Persiflage osteuropäischer Kleptokratien die vulgärmarxistischsten Simplifizierungen untertrifft.
Hier hat Peter Pilz unschätzbare Arbeit geleistet. Dass ihn die da oben, denen er so zusetzte, hassen, verleitete ihn jedoch zu der Fehlannahme, von denen da unten besonders gemocht zu werden. Sein kritisches Profil war bei den Grünen am besten aufgehoben, sobald die aber seine Eitelkeit kränkten, erweckten sie den Volkstribun in ihm, dessen Tribunat samt dem dazugehörigen Manuskript selbstverständlich schon lange in der Schublade gewartet hatte. Denn sowohl Pilz’ als auch Sebastian Kurz’ Gründungserzählungen ihrer jeweiligen Märsche auf Wien und Umgebung greifen auf bewährte Mythologeme zurück. Der alte Hase reicht gedemütigt, aber demütig seinen Rücktritt ein, das junge Häschen fühlt sich der großen Aufgabe noch nicht gewachsen; beide werden sie von treuen Anhängern bekniet, das Szepter zu ergreifen, das sie nach publikumswirksamem Zögern machtbewusst an sich reißen.
Empathie und Anbiederung
Heimat Österreich liest sich wie eine 137 Seiten lange Bewerbungsmappe. Doch wo bewirbt er sich? Er bewirbt sich beim österreichischen Volk.
Das erste Drittel seines Buches besteht erwartungsgemäß aus Peter Pilz’ peniblen Aufzählungen von Peter Pilz’ Leistungen als Aufdecker. Man merkt ihnen an, dass er sich darin zu wenig gewürdigt fühlt, deshalb würdigt er sich selber, was auch legitim ist und den Bildungswert einer konzisen Zusammenfassung der Wirtschaftsverbrechen der letzten Jahrzehnte mitliefert. Und dann folgt eine streckenweise einfach und klar geschriebene Kritik der neoliberalen Bevormundung der Bevölkerung, ein Plädoyer für ein linksliberales, ja, sozialdemokratisches Programm, welches man der SPÖ nicht mehr abnehmen würde, selbst wenn sie es verträte. Kapitalbesteuerung, Entbürokratisierung, Restauration der aufgegebenen und Verteidigung der gefährdeten sozialstaatlichen und zivilisatorischen Standards, die sich eine bürgerliche Demokratie gerade noch leisten könnte. Hier erteilt Pilz seiner ehemaligen Partei und auch allen existierenden und kommenden linken Bewegungen eine Lektion, wie man Inhalte mit Empathie und Verbindlichkeit popularisiert, ohne notwendig in Populismus zu verfallen. Doch der lässt nicht lange auf sich warten.
Wie alle Populisten weiß Pilz, dass er nicht den Verstand der sogenannten einfachen Leute ansprechen muss, sondern vor allem ihre Herzen, also jene Mördergruben, die zudem als Sparschweinchen fürs politische Kleingeld taugen. Propaganda muss sich schließlich „einstellen auf die Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die er sich zu richten gedenkt. Je bescheidener ihr wissenschaftlicher Ballast, und je mehr sie ausschließlich auf das Fühlen der Masse Rücksicht nimmt, umso durchschlagender der Erfolg.“ An diesem Tipp Adolf Hitlers kommt kein gestandener Populist vorbei. Reichlich amüsant nehmen sich Pilz’ Versuche aus, sein linksliberales Utopia den gängigen diffusen Vorstellungen von Heimat einzuschreiben. Da die deutschnationale Codierung nicht in Frage kommt, muss als Ersatzmärchen das Goldene Zeitalter Kreiskys herhalten, da Arbeit und Kapital noch in sozialpartnerschaftlicher Harmonie zu Ambros, Fendrich und Danzer schunkelten, ehe Korruption und Spekulantentum den Eigennutz über die Heimatliebe stellten und das Familiensilber verscherbelten.
Zumindest verzichtet Pilz auf eine ländliches Styling dieses beschworenen Kollektivs – und unterscheidet sich darin angenehm von seiner Ex-Partei, die eine ganz große Spezialistin ist im Designen gruseliger Dystopien grüner Heimatlichkeit: Jodeln für Van der Bellen, dreadlockige Lederhosenboys, migrantische Bierzeltkellnerinnen und ungeschminkte Biobäuerinnen, die nicht nur aussehen wie deutsche Miminnen der Wiener Off-Theater-Szene, sondern es meistens auch sind. Bei meiner Ehr’.
Die letzte Zuflucht eines Halunken
Das Beschwören eines kuscheligen Wir-Gefühls wäre nichts als das schlichte Business as usual, würde Pilz mit seinem eigenen Ölkännchen nicht auch dessen ungustiösen Bedingungen befeuern: die Bedrohung von außen. Und spätestens hier wird er richtig widerlich.
Patriotismus, die letzte Zuflucht eines Halunken, wie Samuel Johnson ihn schon im 18. Jahrhundert nannte, braucht homogene Gegenbilder, Nationalismus setzt diese dann als totale Feinde. Das Eigene existiert nie positiv, es materialisiert sich selbst erst als Funktion der eingebildeten Anfechtung durchs Andere. Angst ist das beste Ferment, aus Bevölkerungen Völker zu machen, welche wiederum die durch die eigenen Eliten erfahrenen narzisstischen Kränkungen in Stolz transformieren. Zumeist in Stolz auf den geografischen Zufall ihrer Herkunft und Leistungen von Landsleuten, die von ihren Ahnen behindert und ins Exil getrieben wurden. Wenn es irgendetwas gibt, was jene Österreicher genannten Menschen von ihren Nachbarn unterscheidet, dann, dass sie noch um eine Spur ängstlicher sind als diese. Die Schockstarre der Angst friert das Denken ein. Gefrorenes Denken aber ist der geistige Aggregatszustand des permanenten Ausnahmezustands.
Während die kommenden Machthaber zum großen Angriff auf die stattlichen Überreste des österreichischen Sozialstaats blasen werden – Schwächung der Arbeiterkammer und Kollektivverträge, Halbierung des Familienlastenausgleichsfonds, Stärkung der Immobilienbesitzer und -makler, Kürzung der Mindestsicherung, fiskalische Entlastung des Kapitals und vieles mehr –, soll der „einfache Mann von der Straße“ (schon allein diese Floskel ist eine arrogante Frechheit) Sorge tragen, dass orientalische Eindringlinge die von ihm doch so mühsam erkämpften Frauenrechte nicht besudeln (damit meinen die Stammtischfeministen selten das Recht der Frauen auf gleichen Lohn und gleiche Position, sondern das auf Minirock und die sexuelle Freiheit, den Hias dem Hamid vorzuziehen). Wer aber die Sorgen des kleinen Mannes und der kleinen Frau ernst nimmt, tut ihnen nichts Gutes, denn die sind ihnen in 30 Jahren politischer Propaganda und medialer Manipulation einsouffliert worden.
Bis Ende der 80er-Jahre bestand unter den politischen Parteien der unausgesprochene Konsens, die latente Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung nicht zu instrumentalisieren. Als sich 1990 im burgenländischen Kaisersteinbruch Widerstand gegen die Unterbringung einiger hundert rumänischer Asylwerber regte, kündigte die SPÖ diesen Konsens in dem Wissen auf, dass die Freiheitlichen einen rassistischen Wahlkampf fahren würden, und kam ihnen somit zuvor. Seitdem lieferten sich die beiden Parteien populistische Wettrennen der fremdenfeindlichen Repression, die ÖVP lief konditionsstark mit. Als einzige Parlamentspartei trotzten die Grünen der feilen Stimmungsmache mit humanitärer Vernunft, welche sich mit der instrumentellen Vernunft des Peter Pilz früher oder später spießen musste.
Wer schützt unsere Frauen vor den Ausländern?
In seinem Buch räumt Pilz selber ein: „Österreich ist nach wie vor eines der sichersten Länder der Welt. Vielleicht das sicherste. Die Entwicklung in den wichtigsten Deliktsgruppen zeigt nach unten. Österreich ist noch sicherer geworden.“ So steigert sich die rhetorische Wiederholung bis zum atemberaubenden Umschlag. Denn obwohl es also keine rationalen Gründe für dieses Unsicherheitsgefühl gibt, würde der Populist eher eine Armada von Flüchtlingsbooten versenken, als dass er der Paranoia des Rassisten widerspräche. Um die gefühlte Unsicherheit zu rehabilitieren, greift Pilz zu einem billigen Trick: „Trotzdem fühlen sich so viele unsicher wie kaum jemals zuvor. Das sind nicht einfach Vorurteile, sondern reale Erfahrungen. Es trifft vor allem Frauen, die belästigt werden und sich am Abend vor dem Heimweg fürchten. Da gibt es ein Problem, und das Problem hat mit Ausländern (sic!) zu tun. Wir wissen, dass das in absoluten Zahlen kein großes Problem ist. Aber das hilft Frauen, die das erste Mal in ihrer sicheren Heimatstadt Angst haben, nicht. Auch sie haben ein Recht, dass ihre Angst ernstgenommen wird.“
Ich kenne keine Frau, die beim nächtlichen Heimweg nicht schon Angst gehabt hätte, und zwar nicht vor In- oder Ausländern, vor Mistelbachern oder Kabulern, sondern vor – Männern. Wer allerdings den Begriff Ausländer als eine Kategorie fasst, ist ein Dummkopf, wer sie als Negativkategorie fasst, ein Rassist, und wer diesen Rassismus wider besseres Wissen politisch nützt, ein Dreckskerl. Natürlich meint Pilz keine Isländer, nicht einmal Spanier damit, sondern spielt mit den düstersten Codierungen des kulturell oder naturhaft Anderen, das in den Projektionen der Dummköpfe umso mehr heimliches Einverständnis erzeugt, je unspezifischer es ist. Es funktioniert nicht anders als in der Psychologie der Einzelmenschen: Was im Inland faul ist, muss aus dem Ausland stinken. Dabei ist Ausländisch solch eine facettenreiche Sprache …
Sogar der rechte politische Abschaum weiß seine Feindbilder besser zu differenzieren (Marokkanerdiebe, Muselmanen, Linkslinke). Wer also Angst vor Ausländern schürt, hat jegliches Recht verwirkt, nur einmal noch in seinem Leben das Maul zu emanzipatorischen und sozialpolitischen Forderungen aufzureißen. Einmal in die braune Scheiße gegriffen, lässt sich der Geruch nie wieder abwaschen. Und hier könnte man die Akte Pilz schließen, ließen sich nicht noch einige interessante Lektionen daraus holen.
Wer schützt unsere Ausländer vor den Ausländern?
So sehr Pilz die Angst vor Ausländern nachempfinden kann, so weiß er doch seine Goethehof-Türken in Schutz zu nehmen. Vor wem aber? Vor dem von ihm aufgehetzten Mob? Nein, vor dem Türkentum natürlich, das – glaubt man ihm – in Form der AKP die größte Bedrohung seiner Heimat Österreich darstellt. Die alarmistischen Szenarien des Peter Pilz sind seinen eigenen Qualifikationen auf den Leib geschneidert und nehmen sich recht bescheiden aus. Sein Österreich scheint lediglich einem Zweifrontenkrieg zwischen Eurofightern und Erdoğan ausgesetzt zu sein. Somit gleicht er einem Installateur, der den von Delogierung bedrohten Bewohnern einer baufälligen Mietskaserne neue Wasserleitungen andrehen will.
Wer aber Türke ist, bestimmt Pilz, der seinen langen Marsch von Trotzki zu Lueger glaubhaft beendet hat: „Ich wusste, was die FPÖ an meiner Stelle getan hätte: ,Türken raus!’ Meine Antwort war ein Versuch, die Richtigen anzugreifen, ohne die Falschen zu treffen: ,Wir schützen unsere Türken vor Erdoğan!’“ Und dann tischt er eine rührende Anekdote auf, welche sich wie das glückliche Ende der Gemeindebaugeschichte ausnimmt, einen viel geträumten Linksintellektuellentraum: die Versöhnung von Prof und Prolo in der Verteidigung der guten gegen böse Ausländer: „Am Höhepunkt der Auseinandersetzung raunte mir am Heimweg in der U-Bahn ein älterer Kaisermühlner zu: ,Wissen S’, Herr Doktor, der Erdoğan soll seine Finger von unseren Türken lassen. Die schützen wir nämlich, ob’s ihm passt oder nicht.’ Da wusste ich, dass es gut gegangen war.“
Ob sich die Türken des Herrn Doktor und seines Kaisermühlener Genossen je aus ihrer moralischen Schuldknechtschaft werden freikaufen können? Spätestens seit dieser Passage kennen wir Peter Pilz’ exakten akademischen Titel, dass er ein gutes Händchen fürs Selektieren von Ausländern besitzt, wissen wir bereits seit seinem Positionspapier aus dem Vorjahr, in welchem er lange vor Kern und Kurz den Cordon um Europa, das auch ihm zufolge voll sei, in die Wüste verlegte, in welche man heimatuntaugliche Flüchtlinge zurückschicken müsse. Integrationsfähige sollten in jordanischen Lagern aber eine halbjährige „Österreich-Vorbereitung“ absolvieren. Das Buch Heimat Österreich böte sich dazu an: Wann wurde der parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Prüfung der Eurofighter-Beschaffung eingerichtet? – Im November 2006? – Super, Frau Al-Rashidi. Und wer war ihr Ausschuss-Führer? – Gabriela Moser? – Werft sie den Schakalen vor!
Der Rückfall von Aufklärung ins Ressentiment
„Das Geheimnis des Agitators ist“, schrieb Karl Kraus, „sich so dumm zu machen, wie seine Zuhörer sind, damit sie glauben, sie seien so gescheit wie er.“ Den professionellen Populisten zeichnet aus, dass er das Volk für blöd verkauft, indem er es ernst nimmt. Doch der Populist, der die Slogans und Lügen wirklich zu glauben beginnt, die ihm zum Erfolg verhalfen, ringt selbst seinen Gegnern mehr Respekt ab als der reine Instrumentalist, weil auch sie an den Unfug der authentischen Persönlichkeit glauben, zumal der öffentlichen. Ist der Populist intelligent genug, die Mittel stets vom Zweck zu trennen, den er verfolgt, wirkt er zynisch. Auch Peter Pilz wurde oft Zynismus nachgesagt, gerade dort, wo er gar nicht zynisch, sondern bloß sachlich war. Ein Spezifikum der österreichischen Mentalität, wo jede Schäbigkeit verziehen wird, so sie sich ihrer selbst nicht bewusst ist. Peter Pilz’ angeblich narzisstischer, selbstherrlicher Charakter fällt erst als Kontrast zur geheuchelten Selbstlosigkeit des grünen Biotops auf, in anderen Parteien gehört ein solcher zu den elementaren Qualifikationen des politischen Spiels und fiele nicht weiter auf.
Wenn Peter Pilz im politischen Islam eine vernachlässigte Gefahr sieht, behält er Recht. Wenn er ihn zur Hauptgefahr erklärt, stimmt er bereits in den Kanon der rechten Propaganda ein. Die ausgesuchte Perfidie seiner Taktik: Seine mit jeder Zeile berechtigte Schelte des Islamismus verlässt nie den Rahmen aufklärerischer Religionskritik und Säkularität, er verrät diese aber an den Rassismus, indem er die Rassisten darin bestärkt, ihre Ressentiments seien rational begründet.
Der Rassismus der Eh-Leiwanden
Eine noch größere Gefahr als die Anbiederung ans rechte Ressentiment liegt wohl darin, dass Pilz dieses in seinem eigenen Umfeld, dem linksliberalen Mittelstand, salonfähig macht, in jener Schicht von einst kulturell aufgeschlossenen Weekendhausbesitzern also, die ihre Kinder dann doch lieber auf die Waldorfschule geben, als mit Tschuschen spielen zu lassen, und immer öfter bitte sehr noch sagen zu dürfen glauben … Viele Gespräche mit Angehörigen dieser Schicht eröffneten mir das erschreckende Ausmaß einer gebildeten Fremdenfeindlichkeit, die sich über die Verteidigung der Aufklärung zu artikulieren glaubt und doch geistig vor gesellschaftlicher Komplexität kapituliert. Man kann nämlich traditionalistische Lebensentwürfe und religiöse Verbohrtheit, Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus und naiven Kulturrelativismus mit derselben gebotenen Härte bekämpfen wie die böswillige Markierung, Homogenisierung und Dämonisierung zugewanderter Menschen. Doch diese notwendige dialektische Anstrengung weicht zunehmend bequemen Vorurteilen. Der neue Schwur der Umfaller auf die makrobiotischen Werte des Abendlandes ist genauso dumm, wie es schon ihr kulinarischer Respekt vor fremden Sitten war. Differenzierendes Denken erweist sich im Nachhinein bloß als ein ringmuskuläres Zurückhalten von brauner Sauce, die immer schon im Alternativspießer war und nun kathartisch rausgelassen werden kann, und sie ist homogener als die Menschen, die sie als Angeschissene gleichmacht. Das Unheimliche am Einknicken der einst toleranten Besitzstandswahrer ist weniger die Eindeutigkeit des Fremden, von dem auch sie sich neuerdings belagert fühlen, sondern die des Eigenen, die Projektion des eigenen von sozialem Abstieg bedrohten privilegierten Lebensstils in eine amorphe „Heimat Österreich“, die sich von der Wiesen im Prater bis zum Museumsquartier in Stellung bringt gegen Heere junger, geiler Kriegsflüchtlinge.
Im Unterschied zu Blau und Türkis und den meisten Schattierungen von Rosa spielt Pilz mit den Ressentiments, ohne sich selbst mit ihnen zu infizieren. Das mag abstoßend wirken, ist aber ein beachtliches Unikum im Land der Gemütsmenschen. Denn der Rechtsruck der Zentrumsparteien war nicht nur kühl kalkulierender Machiavellismus, sondern stets auch die Entfesselung ihrer erbärmlichsten Instinkte. Der Wettlauf nach rechts nicht nur Berechnung, sondern auch Neigung, die bloß das morsche Band eines zivilisatorischen Konsens notdürftig zurückhielt.
Mangelnde Bierzelt-Credibility
Man möchte Peter Pilz wünschen, dass sein Hasardspiel glückt und er sowohl rechter Mitte als dem Pool der Unentschlossenen so viele Wähler wie möglich abringt. Ihn als Gegner zu haben wäre bestimmt eine interessantere Herausforderung als das rosa-türkis-blaue Umverteilungskartell. Doch die Rechnung wird nicht aufgehen. Denn nach den Ressentiments zu wieseln reicht nicht, Populisten müssen auch populär sein. Die Kreuzung von Fremdenfeindlichkeit und unvernünftiger Heimattümelei mit vernünftiger Sozialpolitik treibt keine Blüten. Würden unterer Mittelstand und die ehemalige Klientel der Sozialdemokratie sachpolitisch wählen, gäben sie ihre Stimmen nicht mehrheitlich denen, welche alle möglichen Interessen, bloß nicht die ihren vertreten.
Dem Peter Pilz aber merken sie sofort an, dass er ein Opportunist ist, der sich ihrem Rassismus bloß anbiedert, um sie für seine linksliberalen Visionen zu gewinnen. Er will ihre kulturell doch recht breit gefächerte Ausländerfeindlichkeit auf den politischen Islam und Erdoğan einengen und ihnen ihre gefühlte Heimat aus Blut und Hass und Boden gegen irgendein abgehobenes politologisches Modell aus Sozialstaat, Europa und Feminismus auswechseln. Kurzum: Er ist ein falscher Hase, weder Dobermann noch Bogart noch Schwiegersohn, es fehlt ihm schlichtweg die Bierzelt-Credibility; er wird in ihren Augen der durchtriebene Besserwisser bleiben, dessen überheblich hochgezogene Mundwinkeln er sich und dem Volke seit Monaten als empathisches Lächeln glaubhaft machen will. Die Beute im Sumpf der Rechten wie im Klärbecken der Apolitischen wird mager ausfallen, die Grünen hat er irreparabel geschädigt und die wirklich Linken gegen sich aufgebracht.
… wie die Katze das Wasser
Eine Linke hat Populismus zu scheuen wie die Katze das Wasser. Sie trägt die Aufgabe, Aufklärung gegen das Establishment zu behaupten, den Betrogenen, Benachteiligten, Unterdrückten beizustehen und eine vernünftige Gesellschaftsordnung zu erkämpfen. Antiintellektualismus und Heimatgesülze kontaminieren sie auf immer; es sind Ideologien, mit denen die Macht die Menschen stets von der Erkenntnis ihrer wahren politischen und sozialen Interessen weggelockt hat. Politik, welche die Menschen dort abholt, wo sie sind, hindert sie am Gehenlernen. Linke Politik aber hat sie darin zu unterstützen, sich auf die eigenen Beine zu stellen – und es besser zu wissen, anstatt sich gegen Besserwisser und Fremde zusammenzurotten.
Vielleicht liegt Peter Pilz’ Verdienst darin, einer sich neu formierenden Linken als abschreckendes Beispiel zu dienen, mit der heilsamen Lehre, dass sie dann am authentischsten wirkt, wenn sie in unkorrumpierbarer Theorie und gelebter Praxis die Schwachen stärkt, ohne vor deren Ressentiments zu knicken.
Richard Schuberth, 1968 geb. in Ybbs an der Donau, ist freier Autor. Seine Essaysammlung „Unruhe vor dem Sturm” ist vor kurzem im Drava Verlag erschienen, die Neuauflage seiner Aphorismen „Das neue Wörterbuch des Teufels“ im Klever Verlag.
Aus diesen wird er am Donnerstag, dem 28. September, um 20 Uhr im Nazîm Hikmet Cafe (Schottenfeldgasse 95) lesen, der Saxofonist Andrej Prozorov aus Odessa wird ihn dabei begleiten.
Fotocredit: Martin A. Hainz. Danke fürs Überlassen!
Danke! Sprachlich wie inhaltlich großartig!
Vor dem Nationalstaat muss man jetzt nicht soooo Angst haben. Wenn er, der Nationalstaat, wie es aktuell geschieht, einfach nur von etwas noch viel, viel Schlimmerem „überwunden“ wird – nämlich übernationalen Strukturen, die ihr Schwergewicht auf der Durchsetzung einer strikt neoliberalen Agenda haben [Abbau der Kollektivvertragsfähigkeit von Gewerkschaften, Austerität (z.B. im Gewand der Maastrichtkriterien), sogenannter „Freihandel“, „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes – was einfach nur Lohnzurückhaltung oder Lohnsenkung bedeutet] Wenn der Nationalstaat durch so ein neoliberales Regime abgelöst wird. Dann wäre es doch gut dieses Regime zu benennen. Seltsamerweise erwähnt der Autor dieses Kommentars das gar nicht. Was ihn interessiert und was er bekämpft ist: Rassismus, Populismus, Heimattümelei und Nationalstaat. Das ist rührend und ehrenwert. Der Autor versucht sich darin, klar zu kriegen was links sei und was Peter Pilz nicht ist. Das versucht er ausgefeilt und elaboriert. Meiner Meinung nach ist der Text aber ein treffendes Beispiel dafür, warum die Linke so schwach ist. Das Wort Löhne, das Wort Wirtschaft kommt in dem Text nicht vor. Dass die Lohnquote systematisch seit Jahrzehnten sinkt, dass die ökonomische Teilhabe der Mehrheit der Menschen am System weltweit abgebaut wird, das erwähnt der Autor mit keinem Wort. Dass das die Ursache der weltweiten Wirtschaftsflaute seit 2008 ist – die mangelnde Nachfrage wegen der weltweit sinkenden Lohnquote (mit interessanten Ausnahmen in Asien) das interessiert in dem Kommentar nicht. Die Austeritätspolitik und die sinkende Lohnquote und die durch beides verursachte Wirtschaftskrise, das führt direkt zu autoritären Regimen und zum Faschismus – das wissen wir seit den 1930er Jahren. Das alles kommt in dem Text nicht vor. In dem Text kommt auch nicht vor, dass es ein historisches Beispiel für ein erfolgreiches Gegenprojekt gibt – den New Deal Roosevelts. WAs könnten wir heute von Roosevelt lernen? Ein ökologisch gewendeter New Deal, ein New Deal 2.0 ist meiner Ansicht nach ein realistisches Projekt für das es sich zu kämpfen lohnt. Wenn wir die Klimakrise und diverse andere ökologische Krisen beachten und weiter gesellschaftlich notwendige Herausforderungen (z.B. Pflege) dann sehen wir, dass wir weite Bereiche unseres Stils zu produzieren und zu konsumieren umbauen müssen. Das wird nur durch Big Goverment gehen – in einem Bündnis mit zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Organisationen. Wenn wir so viel umbauen müssen, dann wird das die Möglichkeit geben sinnvolle und vernünftig bezahlte Jobs für alle (!) die arbeiten wollen (und das sind fast alle) zur Verfügung zu stellen. Wir können den Arbeitsmarkt leer räumen und Vollbeschäftigung erreichen. Der Autor des Kommentars benennt meiner Ansicht nach das Problem (das neoliberale Regime) nicht und er benennt einen meines Erachtens möglichen Ausweg – einen New Deal 2.0 – nicht. In dem Kommentar wird meines Erachtens nach das Pilz-Projekt unter seinem realen Wert diskutiert. Pilz (den ich nicht persönlich kenne) hat sich offensichtlich viele Jahre lang etwas überlegt und versucht seine Überlegungen innerhalb der Grünen zumindest als Flügel zu etablieren. Es ist schade, dass das nicht gelungen ist. Der Autor des Kommentars weiß nicht (oder geht er einfach nicht darauf ein?), dass Pilz sich das nicht im luftleeren Raum ausgedacht hat. Pilz versucht etwas in die politische Praxis zu bringen, was Ernesto Laclau, Chantal Mouffe und schließlich Antonio Gramsci vorgedacht haben. So ein Projekt ist dringend nötig – meiner Meinung nach. Der Autor des Kommentars diskutiert das gar nicht – entweder weil er nichts darüber weiß oder nichts dazu zu sagen hat. Stattdessen gefallen ihm Sprachbilder, dass das was Pilz probiert „braune Scheiße“ sei. Ich finde das ist ein origineller sprachlicher Kunstgriff und scharfe Polemik. In dem Kommentar ist für mich allerdings kein Hauch davon zu finden, was irgend ein linkes Projekt weiter treiben könnte. Das Pilz-Projekt hingegen finde ich durchaus interessant, wert der Beobachtung und kritischer Auseinandersetzung.
Hier spricht der Autor. Ich habe Gramsci immer geschätzt. Laclau & Mouffe schätze ich nicht so sehr, aber sie sind beinahe immer besser als die meisten Versuche, sich auf sie zu berufen. Immer wenn man heutzutage von linker Seite her sich den blödesten Ressentiments anbiedert, versucht man sich durch Nennung ihrer Namen intellektuell zu legitimieren. Ich habe nicht geschrieben, dass Pilz‘ Konzept braune Scheiße sei. Das wäre sachlich falsch und unverantwortlich und der derbe Stil von Menschen, die nicht denken können und echte braune Scheiße damit verharmlosen. Ich habe aber geschrieben: Wer aus taktischen Gründen in braune Scheiße greift, wird deren Geruch nicht mehr los. Das ist eine poetisch-polemische Umschreibung dafür, dass es sich um Liebäugeln mit Haltungen handelt, die noch nicht zwingend faschistisch sein müssen, aber bereits in einem Strom schwimmen, der immer dort mündet.
Mein Kommentar ist geprägt von der Lektüre von https://makroskop.eu/ – ich empfehle Makroskop.
ein zweiter Einfluss – und durchaus einer ähnlichen Denkschule zugehörig – ist die Wirtschaftspublizistin Ulrike Herrmann – z.b. hier mit einer Thematisierung des deutschen Außenhandelsbilanzüberschusses durch die deutsche Lohndumpingpolitik.
Hier: http://blog.arbeit-wirtschaft.at/author/ulrikehermann/
und hier: http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5416608&s=ulrike+herrmann/
und hier: https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5417971&s=Au%C3%9Fenhandel/
Ich denke es wäre eine interessante Kampagne (der Linken) klar zu machen – die Solidarität mit der Eurozone, mit den Ländern in Südeuropa und auch mit den Ländern des globalen Südens besteht darin, dass die Löhne in Deutschland und in Österreich massiv steigen – in Deutschland real um 4 -5 % jedes Jahr für die nächsten 10 Jahre, in Österreich auch – aber etwas geringer als in Deutschland. Die Analyse der Troika: Wegen der gemeinsamen Währung – dem Euro können die Südeuroäer ihre Lire, Drachme usw. nicht mehr abwerten. Statt der Wärhungsabwertung in Italien, Griechenland, Portugal, Spanien müssen die Löhne dort gesenkt werden (innere Abwertung). Diese Analyse der Troika muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Wenn es den Euro nicht gäbe, dann gäbe es den deutschen Exportüberschuss nicht (er ist höher als der Chinas und wird 2017 eine Rekordhöhe erreichen). Warum gäbe es den deutschen Rekordexportüberschuss ohne Euro nicht? Weil eine D-Mark längst aufgewertet wäre. Wenn wir den Euro retten wollen, müssen also statt der D-Mark die deutschen Löhne steigen. (innere Aufwertung) Das hilft Europas Süden und dem globalen Süden. Es hilft den deutschen (und österreichischen) Beschäftigten. Es stärkt die deutsche Binnennachfrage und die Unternehmen, die diese bedienen. Es bringt die deutsche Exportindustrie etwas in Stress – was notwendig ist um den Exportüberschuss abzubauen – dieser Stress wird kompensiert durch die Binnennachfrage.
Es ist tragisch oder drollig – je nach Sichtweise – dass keine breite linke Kampagne sichtbar ist, die das zumindest auf die Agenda einer Debatte bringt. Das müssen wir ändern. Wenn wir sichtbar und nachvollziehbar für so etwas kämpfen: New Deal 2.0 (ökologisch gewendeter New Deal a la Roosevelt) und stark wachsende Löhne in Deutschland und Österreich – wenn es uns gelingt, das auf die Agenda zu bringen, dann werden AfD und FPÖ und auch der Sebastian sehr schnell sehr kurz aussehen.
Danke für Ihre Ergänzung, bzw. Richtigstellung was die braune Scheiße betrifft. Da habe ich ein bisschen Sie nicht in der angemessenen Differenziertheit wiedergegeben.
Was halten Sie vom Rest meiner Argumentation?
Ich bin weder Ökonomin, noch Politikerin! Aber ich denke Populismus kann gegenwärtig noch am ehesten mit Populismus bekämpft werden. Ich finde das Konzept betreffend Asylsuchender/Migranten ziemlich gut. Denn leider kann man nicht allen helfen und je weniger Leute ins Land kommen, die leider die Vorurteile betätigen, umso mehr der Zulauf zu Rechten! Es müssen legale Migrationsmöglichkeiten bestehen, habe dies in der Liste Pilz auch dahingehend ergänzt, dass die Möglichkeit Asylanträge in Botschaften zu stellen wieder aktiviert werden muss. Es muss aber auch den Menschen geholfen werden, die keine Chance zur Einwanderung und auf Asyl haben. Dazu braucht es menschenwürdige Flüchtlingslager in denen kein Hunger, keine Gewaltausübung herrscht und die Möglichkeit des Schulbesuchs und ärztliche Versorgung vorhanden ist. Die „Lösung“ die Leute nach Libyen zurückzubringen ist ein Verbrechen – die Frauen werden vergewaltigt, es wird gefoltert und Menschen werden als Sklaven verkauft. Ich bin der Meinung diese Menschen würden gerne 6 Monate in einem Lager leben wo sie die Chance bekommen sich für die Einreise nach Europa zu qualifizieren. In dieser Zeit kann klar gestellt werden ob die Leute bereit sind Demokratie und Menschenrechte anzuerkennen und ihre Religion diesen Werten unterzuordnen! Denn es gibt den politischen Islam und es gibt Erdogan-Spitzel, ja es gibt sogar Todesdrohungen für Leute die Reformen wollen (z. B. Amer Albayati steht wieder unter Polizeischutz). Auch möchte ich darauf hinweisen, dass säkulare Muslime sehr wohl Druck von religiösen Moslem zu spüren bekommen, dass es Mobbing gg Frauen und Mädchen gibt die sich nicht mit einen Hijab verkleiden wollen. Wie eine Frau zu P.P. sagte, liberale, säkulare Moslems haben FPÖ gewählt und sind dankbar, dass es jetzt durch die Liste Pilz eine Alternative gibt. Ich finde es richtig und notwendig, dass endlich differenziert wird! Jahrzehntelang wurden die sehr wohl vorhandenen Probleme unter den Teppich gekehrt und der Zulauf zur FPÖ wurde immer stärker. Daher ist für mich die Liste Pilz eine gute Möglichkeit rational und ohne Hetze die Schwierigkeiten zu benennen und nach Lösungen zu suchen, bei denen nicht umgehend vor lauter Angst, Wut, Fremdenfeindlichkeit und Ignoranz in Abwehrhaltung gegangen wird. Damit kann man sicher viele Protestwähler die aus mehr oder weniger berechtigter Angst und mangelndem Vertrauen der FPÖ ihre Stimme gegeben haben in die Mitte zurückholen. Bei anderen Themen wird ohnehin, schon durch die antretenden KandidatInnen, Links und Links der Mitte nach passenden Lösungen, gesucht! Auch für die enorm wichtigen Themen Umwelt-Tierschutz, die immense Auswirkungen auf Klimawandel u. Gesundheit, überhaupt das Überleben haben, gibt es passenden KandidatInnen.
Renate Rose, ich finde Ihr Posting sehr nachvollziehbar. Danke. Ich denke es ist ein bisschen die Frage, was jemand unter „Populismus“ versteht. Wenn damit Demagogie gemeint ist, dann ist das wohl meiner Ansicht nach keine sinnvolle und vertretbare politische Strategie. Strache und Kurz machen meiner Ansicht nach genau das: Demagogie. Darauf auch mit Demagogie zu antworten ist nicht gut. Die Frage ist, ist das, was die Liste Pilz macht, Demagogie. Ich meine nein. Aber natürlich ist genau das interessant und im Detail diskutierenswert, inwiefern Aspekte von Pilzens Argumentation demagogisch seien oder nicht. Wie gesagt, ich meine nein. Chantal Mouffe und Ernesto Laclau haben versucht einen linken Populismusbegriff zu entwickeln, der nicht demagogisch ist. Das ist es was Pilz auch versucht in die Praxis zu bringen – einen linken Populismus, der nicht demagogisch ist. (hier ein link zu einer Podiumsdiskussion wo Pilz und Mouffe auf dem Podium sitzen und ein Kritiker des Populismus Jan Werner Müller https://www.youtube.com/watch?v=cwE7vUaOaSo – wie gesagt ich neige eher zu Pilz und Mouffe als zu Müller)
Ich meine, den rechten Bewegungen lässt sich am ehesten dann etwas Wirkungsvolles entgegensetzen, wenn die Linke in der Lage ist, eine „realistische“ mächtige Zukunftserzählung auf die Agenda zu bringen. Ich bin schon über 50 und es interessiert mich nicht mehr in einer Art Opfer-Position als Vertreter irgendeiner reinen Lehre zu beklagen, dass die anderen, bösen am Ruder sind. Das Wahlvolk ist ja deshalb für die rechte Demagogie zugänglich weil die Leute merken, dass die Institutionen (Parteien, Medien, wissenschaftliche Insitute u.a.) in erheblichem Ausmaß dabei versagen, die Zukunftsthemen auf wirksame Weise zu gestalten. Zugespitzt könnte man sagen: Die Macht liegt auf der Straße, die traditionellen Parteien zerbröseln vor unseren Augen. Statt zu leiden könnten wir eine Zukunftserzählung ausformulieren und einfach den Laden übernehmen. Pilz macht tastende, stolpernde, unsichere aber bemerkenswerte Schritte in diese Richtung – wir werden sehen.
Hier eine kurze Erklärung Stephan Schulmeisters wie ein New Deal a la Roosevelt gemacht werden könnte:
http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/New_Deal_FALTER_01_2017.pdf
Sehr gut auch der Beitrag in Makroskop zur Möglichkeit heute einen New Deal als politisches Projekt zu machen:
https://makroskop.eu/2017/05/kann-man-aus-wirtschafts-geschichte-lernen/ Leider nur für AbonnentInnen lesbar – ich kann ein Abonnement sehr empfehlen.
Lieber Wolfgang Wanicek,
ich stimme mit ihren Argumenten überein, sofern sie die Politische Ökonomie betreffen. Hier ein Essay, den ich vor zwei Jahren zur Unterwerfung Griechenlands schrieb (ich bediene mich dabei literarischer Mittel, zuweilen poetischer und satirischer, denn ökonomisch und politologisch war dazu bereits alles gesagt worden, so man bereit war, die richtigen Quellen zu finden).
http://richard-schuberth.com/getting-started/essays-und-polemiken/athenae-delendae-sunt
Nicht übereinstimmen kann ich mit dem Konzept eines linken Populismus, vor allem wenn er akademisch verbrämt wird. Ich halte wenig von Laclaus und Mouffes Konzepten, und wenn das Anbiedern an kognitive Verzerrungen, die stets einen konzeptuellen Feind brauchen (der bezeichnenderweise nie dort steht, wo er wirklich ist), zur „Zukunftserzählung“ hochstilisiert wird, weiß ich gleichfalls, wo ich stehe. Es geht allerdings nicht um eine „reine Lehre“, whatever that means.
„Eine Linke hat Populismus zu scheuen wie die Katze das Wasser.“
[gif: badende katze] (ich habe noch nicht davon gehört, dass wasser einer katze geschadet hätte)
Also ja, die Haken, die Pilz in Ressentiment-Nähe schlägt, irritieren. Ein Blick auf die Bundeslisten der Parteien ergänzt vielleicht das Bild:
Auf den ersten 10 Bundeslistenplätzen haben
SPÖ : 1
ÖVP : 1
FPÖ : 0
Grüne : 1 (2 bei den ersten 11 Listenplätzen)
Pilz : 4
KPÖ : 1
migrantische KandidatInnen.
Vielleicht ist mit Pilz der Gegenpart des verbreiteten Typs „links denken, reden und rechts handeln“ aufgetaucht?
Lieber Lukas, viel könnte man jetzt hier diskutieren. Nur ein Punkt: Migranten auf Wahllisten sind noch kein Indiz einer linken Politik. Sie setzen Zeichen, und die letzten Jahrzehnte war von der allmählichen Transformation von politischem Bewusstsein als sachpolitischem Bewusstsein zur Politik der Zeichen, Symbole und Repräsentationen bestimmt. Das hat zur Folge, dass wir irgendwann das Verhältnis von Zeichen und Bezeichnetem nicht mehr verstanden und auf all die Hologramme hereinfielen. Jede rechte Bewegung schmückt sich gerne mit Hofmigranten, ansonsten ist es liberaler, bestenfalls linksliberaler Konsens. Dass ich einen Osttiroler zu meinem Kabinettschef mache ist weder zwingend eine Maßnahme gegen die Diskriminierung der Osttiroler noch dafür, dass der sich für mehr Gleichheit für alle einsetzt.