So oder so ist ein Burka- und Niqabverbot in Österreich reine Symbolpolitik. Bekleidungsvorschriften für Frauen wehren keinen Terrorangriff ab und verhindern keinen patriarchalen Ehrenmord. Und es stärkt auch nicht die Selbstbestimmung der betroffenen Frauen. Das Gesetz sollte halt ein politisches Zeichen werden. Von allen Möglichkeiten, diese Symbolpolitik durchzuziehen, hat die parlamentarische Mehrheit Österreichs mit dem Verhüllungsverbot diejenige gewählt, die die schwerwiegendsten Folgen für die Grundrechte aller hat. Zufall? Ein Kommentar von Sebastian Reinfeldt.
Anlassgesetze in der Postdemokratie
In postdemokratischen Zeiten ist Anlassgesetzgebung die Regel. Zudem wird diese oft handwerklich schlecht gemacht. Das sogenannte „Integrationsgesetz“ ist so ein Fall. Wegen eines Formalfehlers musste der Gesetzgebungsprozess im Sommer im Eilverfahren wiederholt werden. Mit den Stimmen von ÖVP und SPÖ ist das Verhüllungsverbot ab 1. Oktober Realität. Gezielt wurde auf Burka und Niqab; getroffen wurden die Grundrechte aller Personen, die sich in Österreich im öffentlichen Raum aufhalten. Erstmals werden dafür explizite Bekleidungsvorschriften erlassen – und strafrechtlich bewertet.
Der Gesetzestext
1) Wer an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Gebäuden seine Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände in einer Weise verhüllt oder verbirgt, dass sie nicht mehr erkennbar sind, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 150 Euro zu bestrafen.
Die Verwaltungsübertretung kann durch Organstrafverfügung gemäß §50 VStG in der Höhe von bis zu 150 Euro geahndet werden.
(2) Ein Verstoß gegen das Verhüllungsverbot gemäß Abs.1 liegt nicht vor, wenn die Verhüllung oder Verbergung der Gesichtszüge durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist, im Rahmen künstlerischer, kultureller oder traditioneller Veranstaltungen oder im Rahmen der Sportausübung erfolgt oder gesundheitliche oder berufliche Gründe hat.
Religiöse Symbole verbieten?
Offenbar ist eine Burka oder ein Niqab kein modisches Accessoire. Er wird aus religiösen Gründen angelegt, um den Glauben an eine bestimmte Interpretation des Islams zu bezeugen. Würden diese Kleidungsstücke als religiöses Symbole verboten, so müsste das Tragen religiöser Symbole generell unter Strafe gestellt werden. Und so eine Maßnahme würde von Kreuzen als Schmuckstücken über Nonnen- und Mönchskleidung bis hin zur Kippa reichen. Das ist nicht nur absurd, sondern würde die geltende Religionsfreiheit in unerträglicher Weise einschränken. Die Regierung würde alle Religionsgemeinschaften gegen sich aufbringen. Unwahrscheinlich, dass so ein Gesetz gegen religiöse Symbole im öffentlichen Raum vor dem Verfassungsgerichtshof halten würde.
Also: Verhüllung generell verbieten
Also wählte man die zweite Variante. Nach dieser wird die Burka oder der Niqab als Verhüllung interpretiert, die die Identifikation der Person verunmöglicht. Im Gesetzestext wird also von der religiösen – und damit ideologischen – Dimension abstrahiert und in einen Sicherheitskontext verschoben. Problematisch an der Vollverschleierung sei, so das Gesetz, nicht die Unterdrückung der Frau. Problematisch ist ihre Nicht-Erkennbarkeit. Damit wird unversehens ein Sicherheit-Dispositiv etabliert: Der anständige Österreicher, die anständige Österreicherin zeigt sich allzeit erkennbar. Das gilt auch für diejenigen, die als Touristinnen zu Besuch kommen.
Das alltägliche Gesichtsscreening
In Deutschland gibt es das verfassungsmäßig verbriefte Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dies beinhaltet das Recht, „sich anonym und unerkannt in der Öfffentlichkeit zu bewegen„, so der Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk anlässlich eines Großversuchs zur Gesichtserkennung am Berliner Südkreuz. Durch das verallgemeinerte Verhüllungsverbot, das es unter bestimmten Umständen sogar verbietet, einen Schal bis über den Hals zu tragen (von den Clownnasen mal ganz abgesehen), wird das allgemeine und tägliche Gesichtsscreening vorbereitet. In Kombination mit Handydaten können so persönliche und vollständige Bewegungsprofile erstellt werden. Der radikale Islam dient nur als Vorwand.
Der weibliche Körper als Projektionsfläche
In der Auseinandersetzung mit patriarchalen Machtstrukturen, die hinter den religiösen Vorschriften für die Burka oder den Niqab stehen, dient der weibliche Körper als Projektionsfläche. Statt die islamischen Männer direkt zur Auseinandersetzung aufzufordern, spielt der Staat den Konflikt über die vermeintlich und tatsächlich unterdrückten Frauen. Dabei wird ein vergleichbares Muster angewendet, wie es in der kritisierten Religionsinterpretation auch angewandt wird: Frauen haben keine Stimme zu haben. Im radikalen Islam werden sie zum Objekt männlicher Besitzergreifung und entsprechender Ver- und Enthüllungsfantasien. Durch das österreichische Gesetz werden sie zu Objekten eines hochgedrehten Sicherheitsapparates. Und am Ende bringen beide Seiten vor, für die Frauen eh nur das Beste zu wollen.