Seit 25. August, dem Beginn der Militäraktionen gegen die ethnische Minderheit der Rohingya, sind rund 391.000 Angehörige der Volksgruppe – zumeist Frauen und Kinder – ins Nachbarland Bangladesch geflohen. Das Vorgehen der Militärs sei ein “ Textbuchbeispiel für ethnische Säuberungen “ , meint Seid al-Hussein, der UN-Hochkommissar für Menschenrechte. Die Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat bis gestern dazu geschwiegen. Auch in ihrer heutigen Rede an die Nation wird deutlich, dass sie das Vorgehen des Militärs de facto deckt. Die Rohingya sind nämlich kein Einzelfall. Sebastian Reinfeldt arbeitet einige Hintergründe zur Situation der ethnischen Midnerheiten in Myanmar auf. Im Auftrag der Rosa-Luxemburg Stiftung hatte er sich im November 2014 im Land aufgehalten. Er leitete damals Demokratie-Workshops mit VertreterInnen ethnischer Minderheiten im Land.
2014: Government informers everywhere
Mandalay, im Herbst 2014. Ich bin in einem der vielen offenen Teehäuser im Zentrum der Stadt. Es ist noch ein Jahr Zeit bis zur ersten demokratischen Wahl im Land. Neben mir sitzt ein Mann von Mitte 60, der acht Jahre im Gefängnis verbracht hatte. Er war früher Geografieprofessor, wurde dann verhaftet, da er in Opposition zur Militärjunta stand. Nach seiner Freilassung hatte er quasi Berufsverbot – und seine Studenten hatten Kontaktverbot. Just in diesem Teehaus gelang es ihnen trotzdem, miteinander zu kommunizieren. Während unseres Gesprächs scannten seine Augen andauernd die Umgebung. Auf Nachfrage meinte er: „There are government informers everywhere“ . Er berichtete mir, dass er für die Partei der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi kandidieren werde. Sie stehe für Demokratie, Menschenrechte und Meinungsfreiheit. Als wir über die Probleme der ethnischen Minderheiten – etwa das Land-Grabbing oder die systematische Diskriminierung im Alltag – sprachen, verhielt er sich sehr zurückhaltend. Es schien nicht sein Thema zu sein.
Ethnisierung als Strategie der Militärregierung
Das unabhängige Myanmar wird seit seinem Bestehen von der dominierenden Ethnie, den Bramaren, regiert. Zumindest seit der Unabhängigkeit des Landes Burma. Sowohl das Militär als auch die Oppositionsführerin gehören dieser Ethnie an, sie bilden die Elite und sind mehrheitlich buddhistisch. In Myanmar gibt es offiziell 135 Ethnien, die bis heute kaum eine Bedeutung im politischen Leben haben. Praktisch jede von ihnen hat in der Geschichte irgendwann einmal militärisch für ihre Rechte gekämpft. Viele besitzen noch Waffen. Sie sind irgendwo gut versteckt, denn sie vertrauen dem Militär nicht. Im Laufe der Zeit wurden mit den meisten Ethnien seitens der Militärregierung separate Waffenstillstandsvereinbarungen abgeschlossen. Diese haben aber nicht immer Bestand gehabt. Besonders die Konflikte im Kachin-Staat flammten immer wieder auf – bis heute übrigens.
Ethnie versus Ethnie als Strategie der Militärs
Der Umgang mit den Ethnien in Myanmar durch die Militärs folgte einem einheitlichen Muster. Sie wurden einerseits gegeneinander ausgespielt, indem man den einen etwas zugestand, was den anderen verwehrt wurde. Dadurch sind Konflikte untereinander geschürt worden und es wurde verhindert, dass sie sich zusammen schließen, obwohl sie zumeist über dieselben Diskriminierungserfahrungen berichten können. Das Militär inszeniert sich andererseits dem gegenüber als angeblich neutrale Schutzmacht, die einzig Frieden und Zusammenhalt im Land garantieren könne. In Wahrheit agiert es im Interesse und unter dem Kommando der herrschenden Ethnie und Elite. Als angebliche neutrale Schutzmacht der Nation startete das Militär immer wieder Operationen gegen so genannte Terroristen. Als solche wurden immer schon Angehörige ethnischer Minderheiten unter Waffen bezeichnet. Das besondere an den Rohingya ist indes, dass sie mehrheitlich moslemisch sind, während die anderen Ethnien mehrere Religionen ausüben.
Fremd im eigenen Land
Allen Ethnien Myanmars wurde (und wird bisweilen bis heute) unterstellt, dass sie Fremde im eigenen Land seien. Dies war eine weitere, langjährige Strategie der Machthaber. Während des Demokratieworkshops mit Vertreter*innen von verschiedenen Gruppen im November 2014 berichteten diese beispielsweise, dass sie Schwierigkeiten hätten, an normale Personalausweise zu gelangen. Auch sind die Möglichkeiten des Zugangs zu einer Schulbildung für die ethnischen Minderheiten generell schlechter, vom Zugang an die Universitäten ganz zu schweigen. Diese Strategie wird nun auch bei den Rohingyas angewendet. Beispielsweise bot Aung San Suu Kyi in ihrer Rede der Minderheit an, wieder zurückkehren zu können. Doch: Sie besitzen keine gültigen Papiere und werden daher nicht nur im Land wie Fremde behandelt. Viele würden an den Grenzkontrollstationen abgewiesen werden.
Freundschaftliche Familienbanden der herrschenden Ethnien
Im Namen der Demokratie wird, so ist die allgemeine Erwartung im 2014-Workshop, die Unterdrückung als minoritäre Ethnien weiter geführt werden. Genau das ist auch eingetreten. Die Strategien der Militärs wurden nach dem angeblichen Regimewechsel einfach in einer neuen Verkleidung angewandt. Subtiler, doch nicht weniger wirksam. Ihr Ziel: Die Herrschaft der dominierenden Ethnie und der dort regierenden Familienclans absichern. Die frühere Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi ist nun Staatsberaterin, Regierungschefin, Ministerin des Büros des Präsidenten und Außenministerin von Myanmar in einem. Dass sie jahrzehntelang „nur“ unter Hausarrest stand, hat sie dem Umstand zu verdanken, dass ihre Familie – sie ist die Tochter des buremesischen Nationalhelden und Bogyoke (oberster militärischer Führer) Aung San – mit den Familien der Militärs freundschaftlich verbunden waren. Genau diese Verbundenheit wird es ihr niemals erlauben, sich gegen das Militär zu stellen. Was im Fall der Rohingyas augenfällig ist.
Die Parallelwelt des Militärs
Demokratie wurde also auf den gleichen Zugang zu den Wahlkabinen reduziert. Die Öffnung des Landes besteht weiterhin in dem Versuch, neoliberale Politikkonzepte zu implementieren. Aung San Suu Kyi wird dabei exklusiv von der deutschen Friedrich Naumann Stiftung beraten. Einige Zivilprojekte – wie etwa politikwissenschaftliche Bibliotheken – werden übrigens offen von der CIA finanziert. Die Verbesserung der Situation der ethnischen Midnerheiten geht aber in Minischritten voran. Der Zugang zu öffentlichen Ämtern, zu Schulen und Universitäten im Land ist weiterhin stark beschränkt. Ganz zu schweigen davon, dass das Militär weiterhin in einer macht- und prachtvollen Parallelwelt lebt: in eingezäunten Arealen mit Wohnblocks, Schulen und Universitäten. Dort findet die exklusive Ausbildung der Mitglieder der gesellschaftlichen Elite statt. Sie sollen dies auch bleiben. Es existiert sogar ein eigener militärisch-kommerzieller Komplex: vom Militär betriebene geschäftliche Aktivitäten. Seit dem Wegfall der US-Sanktionen bekommt dies besonderes ökonomisches Gewicht. Diesem gegenüber haben die ethnischen Minderheiten weiterhin keine Chance.
Gemeinsame Forderungen der ethnischen Minderheiten
Der Workshop, den ich damals geleitete hatte, endete mit einem Dokument, das alle Beteiligten unterschrieben. Die Forderungen von damals sind nicht nur demokratiepolitisch relevant. Ihre Umsetzung würde die Situation der Rohingya deutlich verbessern und ihnen einen anerkannten Status geben:
1.) In order to vote all ethnic minority voters over 18 should be treated equally and should get Identity- Card.
2) All ethnic minorities should get land titleship and licenced form [Die Forderung richtet sich gegen das weit verbreitete Land-Grabing in Myanmar]
3) Freedom to express culture and cultural norms
4) Self-determination of ethnic groups
5) Equality rights for indigeneous people
6) Self-administration of natural ressources
7) Promote and empower education on different angles
8) Immediate action on drug-problem
9) To apply and practise proteced law for all ethnic minorities.