Rot-weiß-rote Schwestern ist zur Hymne für das siegreiche österreichische Frauenteam geworden. Die „Schwestern“ haben jetzt am Platz schon mehr erreicht als die Männer. Geschrieben hat das Lied Kid Pex, ein Rapper aus der MigrantInnenszene. Vom Typ und seiner Musik her ist er der Gegenentwurf zu Andreas Gabalier. Engagierte Texte für Minderheiten, treibender Beat – und er steht auch noch politisch links. „Bevor ich Gabalier höre, begeh‘ ich lieber Suizid“, rappt er denn auch in seinem Song „Antifašista“. Kid Pex ist ein kroatisch-stämmiger österreichischer Hip-Hop-Musiker. Der „Tschuschenrapper Österreichs“ hat sich bereits 2013 für Flüchtlinge engagiert. Wir haben ihn getroffen und mit ihm über (Frauen-)Fußball, Rap und Politik gesprochen.
Du bist ein politischer Rapper. Warum hast du das Stück Rot-weiß-rote Schwestern über das österreichische Frauenteam geschrieben?
Ich habe letztes Jahr bereits gemeinsam mit meinem Hawara A.Geh für das Herren-Nationalteam ein Lied gemacht, da ich in deren Team ein Beispiel für gelungene Inklusion sehe. Es ist einfach eine Multi-Kulti-Truppe, in der Leute mit nigerianischen, ex-jugoslawischen und türkischen Namen eine Chance haben, Führungsrollen zu übernehmen. Das ist leider ansonsten eher die Ausnahme als die Regel in unserer Gesellschaft – noch immer. Sport kann in diese Richtung viel bewegen und, ja, dieses Österreich-Bild unterstütze ich auf jeden Fall. Ich kann mich sogar damit völlig identifizieren, weil ja letztendlich Leute mit ähnlichem Migrationshintergrund darin spielen. Was den Track für das Frauen-Nationalteam angeht, ist alles sehr spontan gegangen und ich musste auf die Schnelle ein Studio im Kroatien-Urlaub finden, wobei vor allem das Gewissen ein Motor war. Ich kann nicht einen Track für die Männer machen und dann keinen für die Frauen, die kein einziges Fan-Lied hatten und die Männer letztes Jahr sogar fünfzehn.
Frauenfußball ist leidenschaftlich
Das finde ich ungerecht, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die Frauen viel leidenschaftlicher, herzhafter und unverdorbener spielen. Der Frauenfußball ist noch nicht verdorben durch Mega-Konzerne, die Einflussnahme der großen Politik, russische, arabische und amerikanische Multimilliardäre und heutige reiche Klubbesitzer, sowie astronomisch hohe Gehälter, die gar keinen Bezug zur Realität mehr haben. Frauenfußball ist leiwand und bekommt jetzt – zurecht – die Aufmerksamkeit, die er verdient. Andererseits, wie wird es nach der EM sein? Ich hoffe, dass da nicht alle darauf vergessen nach dem Mega-Hype. Da bin ich skeptischer Optimist, weil die Hoffnung stirbt zuletzt. Denn das, was Männerfußball früher war von der Leidenschaft her und auch durchaus von der Volksnähe, ist jetzt Frauenfußball. Letztendlich zeigt das auch unter anderem das Dankesvideo der Mädels an mich, das eine Überraschung war und wo ich komplett baff war. Frauenfußball an die Macht: Eierstöcke und Herz gegen Kommerz!
Rap geht auch ohne Sexismus und Machismo. Anerkennung für faireres Verhalten am Spielfeld „ohne billige Schwalbe, ohne vorgespielten Schmerz“. Und das auch noch mit „…Herz gegen Kommerz.“
Männliche Fans, die Frauen zujubeln. Kid Pex Video ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert.
Gehst du auch sonst ins Stadion? Welcher Verein?
Ich habe die ersten neun Jahre meines Lebens in Kroatien gelebt. Mein Vater hat mich ab und zu – wenn gerade nicht Stadion-Randale waren und bei den ungefährlicheren Spielen- ins Stadion mitgenommen, um unseren Heimatstadtverein Dinamo Zagreb anzufeuern.
Am Balkan sagt man ja: Der Krieg hat in den Stadien begonnen
Damals, so wie heute, war die Hooligan-Kultur im ehemaligen Jugoslawien sehr präsent und vor allem bei Spielen zwischen Dynamo Zagreb, Hajduk Split, Roter Stern Belgrad und Partizan Belgrad gab es immer wieder Ausschreitungen. Am Balkan sagt man ja: Der Krieg hat in den Stadien begonnen. Mittlerweile ist Dinamo leider eine Ruine, wenn es um die Seele des Klubs geht. Dort diktiert der Balkan-Mafiosi Zdravko Mamic nach dem Prinzip des Ludwig des Vierzehnten. Und die Fans boykottieren das zurecht. Mein Herz schlägt zwar, durch die Nostalgie und Erinnerung an alte Zeiten, für Dinamo weiterhin, aber ich freue mich auch, dass der Außenseiter Rijeka dieses Jahr endlich Meister geworden ist. Auch weil dieser Klub 1998, nach einer Anweisung vom damaligen Präsidenten Franjo Tuđmans, um den Titel betrogen wurde mit einem eindeutig falschen und beabsichtlichen Abseitspfiff. Das war eine Riesen-Sauerei, weil Tuđmans Klub Dinamo, damals sogar mit einem, aus nationalistischen Motiven veränderten Namen (Croatia Zagreb), um jeden Preis Meister werden musste. Fußball in Kroatien ist leider zum Teil noch immer so schmutzig und das Spielzeug von Kriegsprofiteuren und Balkan-Sheriffs. Als ich nach Wien als junger Bursche kam, nahm mich ein Kollege meiner Mutter zu den Rapid-Spielen mit. Ich durfte damals das Europacup-Finale erleben, hatte ein West-Abo um damalige 250 Schilling für Schüler und es war der pure Wahnsinn. Mit Rapid konnte ich mich schnell identifizieren: es ist einfach der Arbeiter-Klub mit sehr viel Jugo-Bezug, wenn wir an grüne Legenden wie Zlatko „Cico“ Kranjčar, Dejan Savičević, Petar Bručić oder auch Nikica Jelavić denken. Ich wohne vier Minuten vom Stadion, bin aber in den letzten Jahren vor allem bei Europacup-Spielen, Derbys und Schlagern dabei. Also, mit den Hardcore-Fans kann ich definitiv nicht mithalten. Aber ich hab mir ein Stück St. Hanappi in meine Wohnung geholt und bei einer Auktion einen Stadionwegweiser aus dem alten Stadion gekauft. Rapid ist schon ein starker Teil meiner, eigens zusammengebauten Wien-Identität, die vor allem durch einen Spruch auf den Punkt gebracht wird: „Wien oida, Beč oida“. Simpel ja, prollig ja, aber es bringt es am besten auf den Punkt. Wir alle sind Wien.
Ist Fußball für dich politisch?
Definitiv. Vor allem, ich komme aus Kroatien, wo ich erlebt habe, wie sich Politik in den Sport und in die Kultur, vor allem in den Neunzigern, eingemischt hat und dort plötzlich die meisten Posten übernommen hat. Es war auch kein Geheimnis, dass der vorher erwähnte Präsident des Staates teilweise die Mannschaftsaufstellung bei der WM 1998 gemacht hat.
Der kroatische Präsident stellte die Mannschaft auf
Es war schon pervers, was da passiert ist im kroatischen Fußball, genauso im serbischen oder bosnischen, derselbe Fall, nur mit anderen Fahnen und Religionssymbolen. Das ist aber ein negatives Beispiel für das Politische im Fußball. Positivere Beispiele sind, wie gesagt, das Frauen-Nationalteam, aber auch unsere Multi-Kulti-Herren-Truppe aus Österreich. Ich habe das Gefühl dieser Tage, dass sich etwas bewegt in der Gesellschaft durch unsere Wunder-Kickerinnen. Das ist gut so, sehr sogar. Durch mein Lied ist sogar meine alte Heimat, sonst komplett ignorant und desinteressiert gegenüber Frauenfußball, auf unsere Damen aufmerksam geworden. Gestern kamen die ersten Artikel über das Lied und den Erfolg der Damen. Da sehe ich dann wieder: Es hat sich ausgezahlt. Es bewirkt was. Sonst hab ich bei Musik eher selten den Eindruck, dass ich etwas verändern kann, auch wenn ich immer wieder politische Messages in Raps verpacke.
Was denkst du über Nationalismus im Fußball?
Es gibt Nationalismus im Fußball und das kann man nicht leugnen. Genau deswegen sind positive Beispiele hervorzuheben, um eine neue Art des Stolzes auf sein Team, auch das Nationalteam, zu generieren. Fußball ist aber auch multikultureller denn je, und das stoppt automatisch eine Breitenwirkung des Nationalismus auf die Massen. Auch das verhindert zum Beispiel, dass hetzerische politische Optionen – ihr wisst, wen ich meine – großen Einfluss oder sogar politisches Kapital aus dem Fußball schlagen können. Wenn man Hellas Kagran und den dortigen Präsidenten, den gewissen Herrn Graf aus dem Spiel lässt, ist österreichischer Fußball schon auf einem guten Weg, was das betrifft.
Ich mag das Wort Integration nicht
Wenn im Nationalteam der Tochter der türkischen Hausbesorgerin spielt, zum Beispiel (obwohl es leider dafür kein Beispiel gibt), dann tut sich was – auch in der Gesellschaft und im Denken und in der Perzeption von Menschen. Fußball zeigt dann das Gegenteil, von dem was täglich propagiert wird: es zeigt, dass Österreich gemeinsam kann. Natürlich wünsche ich mir auch, dass beim Frauen-Nationalteam der Anteil der Frauen mit Migrationshintergrund steigt. Aber da müssen wir in unseren Communities mehr tun, und da kämpfen wir, keine Frage, mit patriarchalischen Vorstellungen von Frauenfußball – und zwar vielleicht noch wesentlich stärker, als dies in der österreichischen Gesellschaft der Fall ist. Ich bin auch einer, der der Community nix schuldig bleibt: ich bin da kein Freund der „Streichelpolitik“ in den eigenen Reihen. Und nicht überall wo Integration draufsteht, ist auch Integration drinnen, aber das ist ein anderes Thema. Ich mag das Wort Integration nicht, ich sage lieber immer Inklusion. Aber, vergessen wir nicht: Auch Österreich war vor dieser EM zum Großteil desinteressiert an Frauenfußball. Umso wichtiger und sensationeller ist es, was sich gerade abspielt. Da darf man ruhig stolz sein. Und auch wenn ich weiß, dass das vielleicht nicht bei allen meinen Freunden in der linken Szene gut ankommt: Es bewegt sich dank unseren Mädels etwas, Freundinnen und Freunde. Das darf man nicht übersehen.
Dein Stück vor dem Schwestern-Song war Antifašista, eine antifaschistische Ansage. Es gab viel positive Resonanz, aber auch Reaktionen wie „Linke Schwuchteln ihr habt keinen Bizeps!“ Martin Sellner meinte in einem Kommentar sogar: „Spiel Norbert Hofer!“ Wie gehst du damit um?
Apropos „Schwuchteln“: Es gibt derzeit in der Hip-Hop-Szene eine Initiative, die viele Rapper vereint, um gemeinsam ein Lied gegen die rechte Szene zu machen. Da sind teilweise namhafte Rapper und Rapperinnen dabei, teilweise No-Names.
Ich bin nicht dabei, wenn Lines gegen Homosexuelle oder Minderheiten vorkommen
Als gestern jemand – zwar ein Einziger aber doch – im gemeinsamen Chat etwas schrieb à la „Machen wir diese Nazi-Schwuchteln“ fertig, musste ich reagieren und sagte gleich, dass ich nicht dabei bin, wenn Lines gegen Homosexuelle oder Minderheiten vorkommen. Vor zehn, fünfzehn Jahren hätte ich – aus einer egofixierten, maskulinen Szene kommend und aus einem nationalistischen, patriarchalen Land – das vielleicht anders gesehen. Ehrlich, zugegeben. Jetzt begreife ich Dinge und Sachverhalte bis zur Gänze, meiner Meinung nach besser, und weiß auch mehr, wohin es mit der Musik gehen soll.
Die Zeit des Votivkirchen-Refugee-Camps haben mich sehr geprägt
Die Zeit des Votivkirchen-Refugee-Camps, so wie gewisse Leute und Menschen haben mich schon sehr geprägt in den letzten zehn Jahren. Und ich bin dankbar, dass es Leute wie Lev Bro, Def Ill, die Ottakringer Vodkatrinker oder den jungen Disorder in der Szene gibt, die auch mal konkrete politische Ansagen machen. Die Hip-Hop-Szene, liebe skeptische Leute, entwickelt sich sehr gut, wird weltoffener. Die Frauen bekommen, ähnlich wie im Frauenfußball, endlich mehr Anerkennung, wenn man z.B. an Yasmo und Esrap denkt. Der Kampf ist aber nicht zu Ende. Keine Frage. Auch wenn nicht jeder Kid Pex oder den oder den mag: Schraubt das Ego runter, unterstützt das Frauen-Nationalteam und die heimische Hip-Hop-Szene. Wir sind in einer sehr ähnlichen Situation, noch immer unverdorben, in Entwicklung, aber mit viel Herz, Können und Kreativgeist dabei. Letztendlich: Support your local Artist, egal ob Punk, Rock oder Hip Hop. Fight the System.