Wahl 2017: Die Eliten bitten zum Tanz

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By Sebastian Reinfeldt

„Alle Politik endet darin, dass sie Masken trägt“. Um zeitgenössische Politik zu analysieren, lohnt ein Blick in die Schriften von Jean Baudrillard. Das Zitat am Anfang stammt so allerdings nicht von ihm. In seinem Buch Amerika hatte er formuliert: “All societies end up wearing masks.” Die Übertragung auf das Reich des Politischen ist deshalb angezeigt, weil in Wahlkampf-Zeiten PR-Agenturen Images, Bilder, Kampagnen und Slogans kreieren. Politik wird maskiert. Dahinter verbergen sich Menschen und politische Themen – bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Auch ein kritisch-analytischer Zugang kann dem Politikbetrieb nicht so einfach die Maske herunterreißen. Dahinter befinden sich nämlich weitere. Und am Ende – nach den Wahlen – werden wir feststellen: Die handelnden Personen sind doch dieselben geblieben. Auch politisch ändert sich wenig. Dass alles schlechter wird, ist ja eine ur-österreichische Erfahrung. Sebastian Reinfeldt analysiert, wie der breite Wunsch nach Veränderung von den herrschenden Eliten in erneute Zustimmung umgewandelt werden soll.


Sich selbst auf den Stimmzettel setzen können

Donnerstags Nachmittag vor dem Magistratischen Bezirksamt des zweiten Wiener Bezirks. Am Stand von KPÖ Plus herrscht ein reges Kommen und Gehen. Unterstützungserklärungen müssen im Amt unterschrieben und den AktivistInnen übergeben werden. Eine Übung in Demokratie, allerdings nur für all diejenigen Parteien, die nicht im Parlament vertreten sind. Bei der vergangenen Wahl zählten die NEOS noch zu dieser Gruppe. Damals haben auch sie gesammelt, nun können sie sich selbst auf den Stimmzettel setzen, weil ihre Abgeordneten den Wahlvorschlag unterzeichnen werden. Auch die Liste Peter Pilz wird auf diese Weise am Stimmzettel „aufscheinen“.

Sinnbild für Demokratieverständnis

Die anderen Parteien müssen 2600 Unterschriften in den Gemeinde- und Bezirksämtern beibringen, auf die Bundesländer nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt. Sie haben also vor der Wahl nachzuweisen, dass ein Bedarf nach ihnen besteht. Die Liste Peter Pilz muss diesen Nachweis nicht antreten, da Abgeordnete, die von ihren Parteien abgelegt worden sind, den demokratischen Bedarf per Unterschrift unter dem Wahlvorschlag feststellen können. Diese Usancen sind ein Sinnbild für das Demokratieverständnis in der Republik.

Geringe Durchlässigkeit des politischen Systems

Macht definiert sich unter anderem über den Zugang zu Ressourcen. Dazu gehören Geld, Vermögen, Bildung – und eben auch Kontakte zu MulitplikatorInnen. In einer Demokratie sollte dieser durch eine Wahl geregelt werden, die frei, geheim unmittelbar und gleich ist. Die letzte Partei, die es tatsächlich „von unten“ geschafft hat, in ein fest gefügtes politisches Arrangement einzudringen, waren die Grünen in den 1980er Jahren. Die NEOS sind zwar als Partei neu eingezogen, dort werkeln aber im Hintergrund Persönlichkeiten wie der Industrielle Hans Peter Haselsteiner oder der Botschaftersohn und Manager Veit Dengler. Sie gehören zur gesellschaftlichen Elite und kämpfen um „entsprechenden“ politischen Einfluss. Auch das Team Stronach war die Gründung eines bereits mächtigen Mannes. Das BZÖ wiederum erklärt sich aus parteiinternen Machtkämpfen innerhalb der FPÖ. Nun ist es von der politischen Bildfläche verschwunden.

Den Machterhalt im Blick

Derzeit ist eine große Mehrheit der Bevölkerung mit der bestehenden Regierung und ihrer Politik mehr als unzufrieden. Das wissen alle Parteien. Zumindest steht es in den Umfragen, die sie ständig in Auftrag geben. Im Unterschied zu Deutschland herrscht in Österreich ein Wille zur Veränderung. Denn die Regierung verwaltet das Bestehende einfach nur statt es zu gestalten. Sie tut dies auch handwerklich schlecht, mitunter sogar dilettantisch, wie das Beispiel der Pannen beim Fremdenrechtspaket zeigt. Mittels Anlassgesetzgebung wird husch husch auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert. Die Fehler im Detail fallen nicht ins Gewicht, denn Gesetze sollen eh nur symbolisch wirken. Auch sie täuschen Gestaltung nur vor. Hinter ihnen steht der Wille zur Machterhaltung oder zu deren Erweiterung – und nicht der zur Politik.

Die Wahl setzt Positionskämpfe der Eliten in Szene

So stellt sich derzeit die vorzeitige Nationalratswahl als eine Inszenierung von Positionskämpfen der gesellschaftlichen und politischen Eliten dar. Sie versuchen dabei, die breite Unzufriedenheit in WählerInnenstimmen für sich umzumünzen. So wollen sie ihre erreichte Stellung und ihren Einfluss behalten und gegebenenfalls erweitern. Im Prinzip bleibt das ein „closed shop“. Die meisten Parteien oder Listen kämpfen nun um ihre Positionen, indem sie sich verkleiden und Politik simulieren. Auf diese Weise versuchen sie, ihrer eigentlich fälligen Abwahl zu entgehen.

ÖVP: Seit 31 Jahren durchgehend an der politischen Macht

Im Falle der ÖVP wird so getan, als ob eine neue Bewegung entstanden wäre. Eine Aura von Erneuerung wird bewusst erzeugt. Dadurch werden die Parteinetzwerke an der Macht erhalten. Es soll auf diese Weise verhindert werden, dass ganz neue politischen Kräfte die Szenerie bestimmen. Deshalb färbt Sebastian Kurz seine Partei um und nennt sie ab sofort „Bewegung“. Seit unvorstellbaren 31 Jahren ist die ÖVP pausenlos an der Macht, auf allen Ebenen der österreichischen Gesellschaft. Mit der umgefärbten Liste Kurz stellt sie den Anspruch, dies fünf weitere Jahre zu sein.

Themen der FPÖ im anderen Gewand

Für die Liste Kurz gibt es bislang kein Programm, sondern nur PR. Das ist für eine Partei an der Macht wirklich bemerkenswert. Dabei werden im wesentlichen die Themen der FPÖ – Innere Sicherheit und Angst vor Flüchtlingen – hemmungslos auf den politischen Markt geworfen. Außenminister Kurz will etwa die Mittelmeerroute schließen lassen, bleibt aber natürlich die Antwort auf die Frage schuldig, wie dies bei Tausenden von Küstenkilometern erreicht werden soll, ohne dass Tausende von Schutzsuchenden ertrinken. Österreich hat keine Seehäfen mehr. In der Europäischen Union ist der politische Einfluss des Ministers verschwindend gering. Das alles ist also bloße Inszenierung von Politik. Inklusive der angedrohten Grenzschließung zu Italien. Und einer simplen Sündenbock-Inszenierung. Denn an all dem seien die NGOs Schuld, die den Job der Regierungen übernehmen, nämlich Menschen vor dem Ertrinken zu retten.

SPÖ: Vom Plan A zum Videokanzler

Christian Kern verlegt sich – statt aufs Regieren – auf die Produktion von Video-Clips. Er schient, seine Rolle als führender Politiker ebenso nur zu spielen wie er bei den ÖBB die Rolle als Topmanager ausgefüllt hat. Mediengerechte Performance, wenig Substanz. Der Standard hatte bereits seine Zeit bei der ÖBB in diesem Sinn bilanziert.

Aufpoliert wurde die Erfolgsbilanz zweifellos auch durch kontinuierlich steigende staatliche Zuschüsse, die die ÖBB in Form von Gemeinwirtschaftlichen Leistungen des Bundes erhält. Mit ihnen wird nicht nur eine höhere Kilometerleistung von Pendlerzügen und unwirtschaftlichen Linienbussen abgegolten, sondern auch Pünktlichkeit („Qualitätsmanagement“) und die Neuanschaffung von Fahrzeugen monetarisiert, schließlich zahlen die Länder beim Rollmaterial mit.

„Aufpolieren“. Ein passender Ausdruck für das smarte Auftreten von Kern, immer auf die Inszenierung bedacht. Im Hintergrund hat die öffentliche Hand die ÖBB – und damit seinen Nimbus – bezahlt. Der Gestaltungsanspruch von Plan A – im Detail problematisch, aber immerhin irgendeine Art politisches Programm – ist längst verblasst. Stattdessen gibt es Videos als Pizzabote und humoristische Einlagen. Es fehlen klare politische Aussagen zu allen grundlegenden Fragen.

Grüne: Die Kampagnenpartei ohne Konzept und Programm

In gewisser Weise sind die österreichischen Grünen die Blaupause für die Post-Politik der anderen. Seit mehr als 15 Jahren propagieren sie „weiche“ politische Inhalte. Politik mit Wohlfühlbonus für die urbanen Mittelschichten. Tut niemandem weh, verändert aber wenig bis nichts. In Wien mit der SPÖ, in Salzburg und Vorarlberg mit der ÖVP in der Regierung sein zu können, erfordert einen programmatischen Spagat, die die Partei ausgezehrt hat. Koalitionsräson und Kompromisse ersetzen zudem eine radikale Reformpolitik. Die jetzige Parteiführung inklusive Ulrike Lunacek scheint diesen Weichspül-Kurs fortsetzen zu wollen.

Marillenkirtag Grüne
Ulrike Lunacek am Marillenkirtag – Video

 

Denn in einem Video über den Besuch der Grünen Spitzenkandidatin am Marillenkirtag wird diese Linie ungebrochen fortgesetzt. Nur: Nach den ganzen Krisen und Abspaltungen scheint die Maschine leer zu laufen. Plötzlich nimmt kaum jemand der Partei noch irgendeinen politischen Inhalt ab, so sie denn solche überhaupt vermittelt.

Auch in Österreich droht ein böses Erwachen

Für die Zusehenden mag dieses Spektakel im Moment ganz amüsant sein. Scheinbar bewegt sich was. Mit all den Wünschen nach Veränderung wird allerdings nur gespielt. Wie in Frankreich unter Macron könnte auch in Österreich nach der Wahl ein böses Erwachen kommen. Wenn nämlich ein Kanzler Kurz oder ein Kanzler Kern an die sozialen Netze Hand anlegen werden. Dann geht es ans Eingemachte. Das Reale bricht dann in Form verlängerter Arbeitszeiten herein, gekürzter Mindestsicherung, steigender Mieten, Anhebung des Pensionsalters und prekärer Arbeitsplätze in Leihfirmen und als Scheinselbstständige.

Diejenigen, die das beschließen, werden davon nicht betroffen sein. Denn sie haben es sich in ihrer großen Inszenierung bereits gerichtet. Die Party ist spätestens dann vorüber.


Fotocredit: https://stockata.de/bild/0009007-taenzer-squaredance-menschen-paar.html

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