In Österreich wird Rechtsextremismus im Parlament nicht erkannt – Interview mit Samuel Salzborn

Foto des Autors

By Gastautor

Er gilt als einer der profiliertesten Politikwissenschaftler in Deutschland. Seine Schwerpunkte: Rechtsextremismusforschung, Antisemitismus und politische Theorie. Samuel Salzborn ist unbequem, auch weil er seine kritischen Forschungsergebnisse öffentlich gut darstellen kann. Nun wird sein Vertrag von Seiten der Göttinger Universität endgültig nicht verlängert. Die Proteste der Studierenden verhallten erfolglos. Wir haben uns mit Samuel Salzborn über sein neuestes Buch Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten unterhalten. Darin macht er eine geschickte Medienstrategie der Rechtsextremen als eine der Erklärungen für ihren Erfolg aus. Die liberale Medienöffentlichkeit wiederum setzt sich nicht kritisch mit rechtsextremen Thesen auseinander, sie erkennt diese oft noch nicht einmal. Das Gespräch mit Salzborn führte Sebastian Reinfeldt.


„Freiheit ist eben nicht Beliebigkeit“

In deinem Buch „Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten“ argumentierst du, dass es falsch ist, rassistische und völkische Positionen als öffentlich diskutable Meinungen zu behandeln. Steht das nicht im Widerspruch zum liberalen Selbstverständnis westlicher Demokratien?

Aus meiner Sicht ist es ein großer Fehler, in der Demokratie ein liberales mit einem beliebigen Selbstverständnis zu verwechseln. Eine Demokratie ist zuallererst eine politische Herrschaftsordnung, die klare Regeln festlegen muss, will sie als solche funktionieren und langfristig existieren. Dazu gehört elementar, auch festzulegen, was nicht-demokratisch ist und was insofern im Rahmen eines demokratischen Pluralismus nicht toleriert wird. Was dann als außerhalb der demokratischen Ordnung stehend verstanden wird, darüber kann und muss in jeder Demokratie immer wieder gestritten werden, sprich: das Verständnis darüber kann sich immer auch ändern. Freiheit ist aber eben nicht Beliebigkeit.

In Österreich gilt bis heute ein doppelter Opfermythos

Die österreichische Erfahrung ist dir ja vertraut: Seit 1986 besuchte Jörg Haider – und besuchen jetzt Strache, Kickl & Co – Talkshows und Diskussionsrunden. Besonders im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vom ORF sind sie gern gesehene Gäste. Lässt sich mit einer solchen Tradition einfach brechen?

Demokratie- und Rechtsextremismusforschung leben von einer vergleichenden Perspektive, will man aber konkrete Analysen vornehmen und Handlungsoptionen ausloten, muss man die jeweilige Konstellation in ihrer Spezifik in den Blick nehmen. Und mit Blick auf die öffentliche Akzeptanz für rechtsextreme Positionen gibt es zwischen Deutschland und Österreich markante Unterschiede. Meines Erachtens bemerkenswert mit Blick auf Österreich ist die Doppelbödigkeit, mit der man einerseits einen antifaschistischen Konstituierungsmythos der Zweiten Republik pflegt, andererseits aber real existierenden Rechtsextremismus, tritt er parlamentarisch auf, nicht mehr als solchen erkennen mag. Meines Erachtens liegt der Ursprung für eine Neujustierung der österreichischen Diskussion über diese Fragen insofern im österreichische Selbstverständnis und einem – freilich falschen – (doppelten) Opfermythos, den man auf der politischen Agenda hinterfragen und in seiner Ambivalenz und Differenziertheit begreifen müsste, um daraus dann auch ein klareres Bild für den seit Jahrzehnten konstant verankerten Rechtsextremismus zu ermöglichen.

Die deutsche AfD wendet Politiktezepte von Vordenkern des Nationalsozialismus an

Wo siehst du die zentralen antidemokratischen Inhalte bei der deutschen AfD?

Es gibt eine alte Strategie in rechter Agitation, die auf maßgebliche Vordenker des Nationalsozialismus während der Weimarer Republik zurückgeht: Man lehnt den demokratischen Pluralismus ab und nutzt ein rhetorisches Vehikel zu behaupten, Demokratie sei von Parteienpluralismus und Parlamentarismus zu trennen. Demokratie wird vorsätzlich naiv mit Volksherrschaft übersetzt – und dabei ignoriert, dass der „demos“ in keiner Weise ethnisch/völkisch verstanden werden muss und insofern immer umstritten ist, wer zu einem „Volk“ im Sinne einer demokratischen Nation gehört. Die rechte Rhetorik suggeriert nun, dass das Volk nicht mehr bestimme und es notwendig sei, den so genannten Volkswillen zur Geltung zu bringen. Entscheidend in dieser rhetorischen Strategie ist, dass es nicht um den wirklichen, realen, empirisch (z.B. durch repräsentative Wahlen) messbaren Volkswillen geht, sondern um einen frei erfunden: einen „Volkswillen“, der von rechter Seite als homogen unterstellt wird und den man dann gegen alle pluralistischen Parteien in Stellung bringt, weil man die objektiven sozialen, ökonomischen und politischen Widersprüche, deren Ausdruck die Existenz von Parteien ja immer ist, negieren und ein Konzept ethnischer Homogenität durchsetzen möchte, das von den Nationalsozialisten auf den zutiefst antidemokratischen Begriff der „Volksgemeinschaft“ gebracht wurde und von der heutigen extremen Rechten wieder reaktualisiert werden soll. Der wichtigste historische Kronzeuge dieser Strategie war Carl Schmitt, der den Weimarer Parlamentarismus scharf kritisierte und ein zentrales Motiv gegen die repräsentative Demokratie in Stellung brachte: Die Einforderung von mehr direktdemokratischen Momenten in Verbindung mit einer Person, die diesen „Volkswillen“ zu erspüren in der Lage sei, so dass das Volk gar nicht mehr abstimmen muss, weil sein Wille „erfühlt“ werden kann. Im Ergebnis ist ein solches Modell also nicht nur die Suspendierung von Partizipation, sondern auch die Installation einer mächtigen Führungsperson gegen die Demokratie.

„Rechte Parteien haben grundsätzlich eine gesellschaftlich desintegrierende Wirkung“

Aus deiner Warte: Sind die deutsche AfD und die FPÖ hier Brüder und Schwestern im Geiste?

Ja und nein – beide speisen sich aus ähnlichen historischen und konzeptionellen Traditionen, beide operieren mit ähnlichen politischen Strategien. Und, was mir das wichtigste scheint: beide agieren auch aus einer ähnlichen vergangenheitspolitischen Konstellation heraus, in der die Abwehr der NS-Vergangenheit zum wesentlichen Anker der Politik wird. Ein wichtiger Unterschied ist aber die machtpolitische Verankerung im politischen System – und damit, gesellschaftspolitisch formuliert, der Einfluss auf eine Spaltung der Gesellschaft, denn: rechte Parteien haben grundsätzlich eine gesellschaftlich desintegrierende Wirkung, weil sie Feindseligkeiten mobilisieren und damit die Kraft von vor-politischem Denken verstärken: Wer an ethnisch-völkische Kollektive glaubt und sich damit dem Glauben an vor-politische Kategorien hingibt, zerstört die politischen Gestaltungsmöglichkeiten in einer Gesellschaft, die tatsächlich immer heterogen ist und durch ihre zahlreichen Widersprüche und konkurrierenden Interessen gekennzeichnet.

Die FPÖ-Obsession der medialen Öffentlichkeit

Tatsache ist: Eine FPÖ-Story bringt in Österreich Klicks und Quote. Die mediale Öffentlichkeit in Österreich hat eine FPÖ-Obsession. Wie lässt sich das verändern?

Wenn man nach Deutschland schaut, kann man sehen: die TV-Talkshows haben die AfD überhaupt erst großgemacht – statt eine gesellschaftspolitische Herausforderung, die die Migrationsprozesse der letzten Jahre fraglos bedeuten, sachlich und seriös zu diskutieren, haben deutsche Fernsehsender rassistische Positionen zu Wort kommen lassen, die in keiner Weise geeignet sind, reale politische Probleme zu bearbeiten. Seitdem bei deutschen Fernsehsendern die Sehnsucht nach Quote wieder auch von einem selbstreflexiven Prozess begleitet wird und man zunehmend wieder darauf verzichtet, rechten Agitatoren eine öffentliche Bühne zu bieten, verliert auch die AfD wieder an Zustimmung. Und das ist meines Erachtens der Kern: die selbstreflexive Einsicht, dass eine Demokratie nur existieren kann, wenn alle ihre Akteure – jenseits unzähliger Differenzen – sich in einer Frage einig sind: Rassismus, Antisemitismus und völkisches Denken stehen in grundsätzlicher Opposition zu jeder Demokratie und können deshalb auch nichts Konstruktives für einen pluralistischen Streit beitragen. Es beginnt medial also mit der Fähigkeit und der Bereitschaft zur Selbstkritik.


Zitat: Die rechte Strategie des „Gaslightning“

Auf der einen Seite ist es neurechte Medienstrategie im Kampf für eine rechte „kulturelle Hegemonie“, auf der anderen Seite das Prinzip des Gaslighting, das die AfD öffentlichkeitswirksam praktiziert. Es geht darum, wie es in einem Strategiepapier des AfD-Bundesvorstandes aus dem Dezember 2016 heißt, „sorgfältig geplante Provokationen“ zu platzieren, man müsse „ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein“, „harte und provokante Slogans“ seien „wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze“. Zentrales Ziel der AfD ist dabei die „Eskalation der Konflikte“ und die „Verschärfung der inhaltlichen Positionierung“, denn: „Je klarer und kontroverser die AfD sich positioniert desto weniger können die Medien sie ignorieren.“ Das offensichtliche Ziel dieser Hoffnung auf Kaperung der demokratischen Medien besteht darin, möglichst viele Lügen und Halbwahrheiten zu streuen und dabei um jeden Preis zu provozieren. Es soll das aggressive Gefühl geschürt und der irrationale Glaube verbreitet werden es gebe keine Wahrheit, sondern nur noch „postfaktische“ Emotionen – umso in einem dichten Nebel der Gerüchte die eigene völkische, rassistische und antisemitische Weltsicht schleichend zu verankern und dabei die demokratischen Medien zu instrumentalisieren.

Buchauszug aus: Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten“: Vorabdruck in: Die Salonkommunisten http://www.salonkolumnisten.com/angriff-der-antidemokraten/


Fotocredit: Samuel Salzborn als Sachverständiger im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags von Baden-Württemberg. https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/287/gefaehrliche-toleranz-3904.html

Schreibe einen Kommentar