Gegen Ende des Fastenmonats Ramadan kommt es seit Jahren zu einer sogenannten „Al-Quds-Demonstration“ in Wien. Diese Aktion richtet sich ausdrücklich gegen das Existenzrecht Israels. Lauthals werden dort antisemitische Slogans skandiert. Gegen diesen Aufmarsch gibt es regelmäßig eine Protestkundgebung eines breiten Bündnisses von jüdischen Organisationen bis hin zu PolitikerInnen von SPÖ und Grünen. Dort werden Reden gehalten und es wird lebenslustige Musik gespielt. Diesmal war aber alles etwas anders. Die Route des Al-Quds Aufmarschs führte durch die Burggasse. Und die Demonstration wurde tatsächlich blockiert. Die Folge: Die Polizei räumte einer Menge, die „Kindermörder Israel“ und „Zionismus ist Faschismus“ skandierte, den Weg frei. Eine Reportage von Sebastian Reinfeldt.
Al-Quds ist der arabische Name für Jerusalem. 1979 hat der iranische Führer Ajatollah Chomeini diesen Tag ausgerufen. Er soll den alleinigen Anspruch auf die heilige Stadt unterstreichen, den Anspruch auf ein Jerusalem ohne Juden. Und um diesen Anspruch öffentlich zu machen, gibt es auch in Wien jedes Jahr eine Demonstration. Vordergründig geht es dabei um Palästina, aber unmissverständlich geht es gegen einen Gegner, der auch im Verlauf der Demonstration ausdrücklich genannt wird: Israel.
Antisemitische Demonstration zieht durch die Burggasse
Wie sollte man also die rund 500 Demonstrierenden bezeichnen, die unter diesem Motto, begleitet und überwacht von Mullahs, lautstark durch die Burggasse gezogen sind? Islamische Faschisten? Islamische Antisemiten? Jedenfalls war dies keine normale Demonstration, weil das Leugnen des Existenzrechts Israels eine antisemitische Einstellung ist. Das skandierte „Kindermörder Israel“ etwa ruft ein uraltes antisemitisches Stereotyp auf: Ritualmord. Zugleich ruft es zur Tat. Diese Art von Antisemitismus ist keine Meinung unter vielen, sondern der Aufruf dazu, Menschen einem aufgeputschten Mob preis zu geben.
Politik schaut weg – Die Polizei bezieht Position
Es gibt also gute Gründe, dagegen vorzugehen. Die Politik allerdings schaut verschämt weg. Und überlässt das Handeln der Polizei. Diese tut etwas, das wiederum über das normale Polizeihandeln im Falle zweier konträrer Demonstrationen hinaus geht. Denn um den Aufmasch zum Al-Quds Tag wirksam zu stören, hatte sich die autonome Antifa zu einer Blockade entschlossen. Eine Blockade, die sie folgendermaßen begründet hat:
Der Marsch dient vor allem als Machtdemonstration des islamistischen Regimes im Iran, welches neben den antisemitischen Vernichtungsdrohungen gegen den Staat der Shoah-Überlebenden Israel, tagtäglichen Horror für Homosexuelle, „Ungläubige“ und Frauen bedeutet.
„Bei Reaktionären und Faschist*innen ist es uns egal, an welche Fabelwesen sie glauben oder wo ihre Eltern herkommen, wir blockieren ihre Aufmärsche, wann und wo immer wir können.
Blockade-Gerüchte machten bereits während der Kundgebung in der Mariahilfer Straße die Runde. Wie andere auch, begab ich mich also auf den Weg, die Demonstration und diese Blockade zu suchen.
Die Blockade
Plötzlich sah ich in der Burggasse, auf der Höhe Zieglergasse, die Palästina- sowie Österreich-Fahnen, die im Demonstrationszug geschwenkt wurden. Der Zug kam mir entgegen. Dann liefen einige PassantInnen vom Straßenrand auf die Straße und stellte sich der Demonstration entgegen. „Alerta, alerta, Antifascista!“ wurde skandiert. Der weitere Weg war blockiert. Sofort rannten PolizistInnen herbei. Sie bauten sich vor der Blockade auf. Über Lautsprecher wurden die AktivistInnen aufgefordert, die Straße wieder zu räumen.
„Massive Polizeigewalt“
Was sie natürlich nicht taten. Dass sie vor dieser widerlichen Demonstration nicht wichen, war eine mutige Aktion. Denn dieser Antisemitismus schreit, er schreit nach einer Tat. Nach einer knappen halben Stunde wurde für ihn die Straße freigeräumt. Unsanft wurden die Blockierenden in eine Seitenstraße getragen und umringt. Die Gemeinderätin Birgit Hebein, die vor Ort war, lief andauernd zwischen den eingekesselten BlockiererInnen und den PolizistInnen hin- und her. Sie berichtete danach, dass drei Personen in Gewahrsam genommen würden. Unter anderem wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Die Eingekesselten wiederum sprachen in einer Presseaussendung von „massiver Polizeigewalt“ bei diesem denkwürdigen Einsatz. Mittlerweile sind die BlockiererInnen aus dem Polizei-Gewahrsam entlassen worden.
„Sie sehen doch, dass das nicht normal ist, was da grad abläuft!“
Leider konnten wir, eine Gruppe von JournalistInnen und BeobachterInnen, die Räumung der Blockade nicht genau verfolgen. Denn wir wurden von den PolizistInnen abgedrängt. „Das ist zu Ihrer Sicherheit! Sie sehen doch, dass das nicht normal ist, was da grad abläuft!“ Mit diesen Worten kommandierte uns der Polizeibeamte zurück in die Hermanngasse. Auch Kollegen, wie der Videojournalist von Neuwal, der sichtbar einen Presseausweis trug, wurde am Berichterstatten gehindert. Wie in einem Actionfilm zelebrierte die Polizei Ausnahmezustand, ein Ausnahmezustand, der allerdings den Protesten gegen den offen zur Schau gestellten Antisemitismus galt.
„Aber das ist doch Antisemitismus!“
Während ich dann später die Szenerie in der Seitengasse beobachtete, kam eine ältere Dame mit Fahrrad vorbei. Sie wollte erfahren, was los ist. Ich erklärte ihr, dass diese Menschen sich zuvor einem antisemitischen Zug entgegen gestellt hatten. Daraufhin schob sie ihr Rad auf die Polizisten zu, die uns den Zugang zu ihnen verwehrten. Mit ruhiger Stimme bat sie die Polizisten, sich dazu zu äußern. Einer antwortete ihr schließlich. Er meinte, die Aussage, dass die Al-Quds-Demonstration antisemitisch sei, sei nur eine Meinung. Und zwar meine. Was ich ihr erläutert hätte, sei reine „Mundpropaganda“ und keine Tatsache. Sie, die Polizei, sei neutral. Und hätte das Demonstrationsrecht durchgesetzt, was ihr Auftrag sei.
„Aber es handelt sich doch um Antisemitismus! Da kann man doch nicht einfach zuschauen!“, wandte die Dame sofort ein. Der Polizist zuckte nur die Schultern. Das könne er nicht beurteilen.