Die Diskussion um ein Posting von Götz Schrage begann auf Facebook. Mittlerweile haben sich auch die Boulevardmedien der Sache angenommen. Waren die seltsamen Bemerkungen von Schrage über die neue ÖVP-Generalsekretärin Elisabeth Köstinger nun sexistisch oder nicht? Ja. Meint unser Gastautor Richard Schuberth. Eine Erwiderung auf Bernhard Torschs Verteidigung Götz Schrages gegen den Vorwurf, ein Sexist zu sein.
München, 13. Februar 1914. Karl Kraus liest vor vollem Haus. Zuvor war ihm die neueste Ausgabe des Simplicissimus, des damaligen Zentralorgans deutschsprachiger Spaßkultur, zugesteckt worden. Darin befand sich auch eine Erzählung des österreichischen Schriftstellers Alexander Roda Roda, der durch launige Anekdoten aus dem k. u. k. Regimentsleben und der Wiener Gesellschaft große Erfolge feierte. Seine Affäre mit der Schauspielerin Adele Sandrock hatte er bereits publikumswirksam in einem Theaterstück verbraten und seine unehrenhafte Entlassung aus der Armee zu einem Marktvorteil gewendet, indem er sich aus dem roten Offiziersrock eine Weste schneidern ließ, mit der er fortan auf den Kleinkunstbühnen posierte. Kraus war mitgeteilt worden, dass sich Roda Roda im Publikum befinde.
Roda Roda
In der Geschichte vergnügt sich dessen Alter Ego, ein Offizier namens Barta, in einem Hotelzimmer in Semlin, dem heutigen Zemun, mit einer Belgrader Dame, die hernach für ihre Liebesdienste 20 Kronen von ihm verlangt. Barta ist zunächst zutiefst in seiner kaiserlichen und königlichen Ehre gekränkt, versucht jedoch, die Frau wiederzufinden, um ihr, die ihn nicht um seines schönen roten Ulanenrocks, sondern Geldes willen gevögelt hat, ihren „Lohn“ zu erstatten. Vergeblich. Jahre später sieht er sie in der Loge eines Belgrader Theaters wieder, sie ist mittlerweile Königin von Serbien. Die Geschichte endet mit dem verächtlichen Behagen Bartas: „Und ich erlebte das Außerordentliche, einer Königin 20 Kronen zu schulden.“
Kraus ergreift die Gelegenheit beim Schopf und trägt besonders widerliche Passagen aus der Erzählung vor. Roda Roda, schreibt Hans Weigel, „wurde von dem protestierenden Publikum genötigt, den Saal zu verlassen. Augenzeugen berichten, sein Kopf sei röter gewesen als seine Weste.“
Prostitution: la condition bourgeoise
Warum hat Kraus Roda Roda bloßgestellt? Etwa weil der die Ehre eines gekrönten Hauptes beleidigt hat, das noch dazu 11 Jahre zuvor in einem Putsch grausam ermordet worden war? Solch eine Interpretation würde das konservative Bild von Kraus als Verteidiger der alten Ordnung gegen eine anmaßende Welt liberaler Schmierfinken und Geschäftemacher wiederkäuen. Wer Kraus kennt, weiß, dass bei ihm alles, was die bürgerliche Gesellschaft tut, auf Prostitution beruht, und die sexuelle Käuflichkeit noch die ehrenvollste ist. Jede Prostituierte konnte seiner kämpferischen Solidarität sicher sein gegen eine patriarchale Doppelmoral, die eben das, was Lust spendet, verächtlich machen muss. Karl Kraus hat nicht die Ehre einer Königin, sondern einer Frau verteidigt, vor der Anmaßung eines schreibenden und der eines uniformierten Scheißkerls, der seine Frauenverachtung, dass eine Königin eben auch nur eine kleine Schlampe sei, mit schmieriger Genugtuung quittiert.
Männliche Projektionen weiblicher Sexualität sind kein Zeichen für Befreiung
Aber dieser Kraus war doch selbst der schlimmste Sexist, mag man jetzt einwerfen. Wahr ist, dass er einem rigiden Geschlechterdifferentialismus anhing, wie man heute sagt, wahr ist aber auch, dass er radikal sexpositiv war, wie man heute leider auch sagt, und eben darin zeigt sich paradoxerweise seine feministische Seite, denn gerade in den männlichen Projektionen auf die weibliche Sexualität zeigt sich viel – außer eben eine gelungene sexuellen Befreiung.
„Kraus“, konzedierte ihm Theodor Adorno, „wusste alles über die Rolle des Sexualneids, der Verdrängung und der Projektion in den Tabus.“ Auch über die latente Unsicherheit im Herrenwitz, wo sozialer Druck und das Ressentiment gegen eine Lust, die „neben der männlichen wie ein Epos neben einem Epigramm“ (Kraus) liege – er nennt es auch „sexuelles Tirolertum“ –, sich in „Hämischkeit, Zote, grinsendem Behagen und schmieriger Lüsternheit“ (Adorno) entlade.
Der Abschleppferrari ist kein Vehikel der sexuellen Befreiung
Bernhard Torsch, unbestritten einer der herausragenden linken Publizisten, dessen Texte ein polemisches und analytisches Niveau haben, das man sich hierzulande öfter wünschen würde, hat ein wortgewaltiges Plädoyer für Götz Schrage geschrieben, in welchem vieles stimmt, am wenigsten allerdings die Hauptaussage: dass sein Schützling kein Sexist sei.
Umso verwunderlicher aber die undialektische Beweisführung. Zunächst versucht er sich in einer Verteidigung des charakterlichen Leumunds Schrages. Dieser habe sich in der Flüchtlingsarbeit engagiert und auch tolle Fotos von Flüchtlingen geschossen. Die Honorare dafür habe er der Flüchtlingshilfe gespendet. Weiters sei er innerhalb der SPÖ ein verdienter Linker. Götz Schrage mag ein guter Flüchtlingsfotograf sein und eine karitative Seele, sein Frauenbild rehabilitiert das allerdings nicht. Aber ist jemand ein Sexist, nur weil er bekennt, mit Frauen geschlafen zu haben?
Manichäismus
Um eine feministische Kritik an Schrages Aufrissprotokoll in den Ruch einer puritanischen Hexerjagd zu schieben, ersinnt Torsch ein manichäisches Endkampfszenario, das auf erstaunliche Weise in der Zeit stecken geblieben zu sein scheint, als der Juso Schrage seine ersten Jagden auf christlich-soziale Mädels in Wiener Innenstadtbeisln veranstaltete: dort zurückgebliebenes Land, hier aufgeklärte Stadt (so als würden Stadt und Land in Österreich nicht längst ein bedrohlich ineinandergreifendes Yin und Yang von halburbanisierter Provinz und verländlichter Metropole ergeben), dort Eindeutigkeit, hier Ambivalenz, dort braune Scheiße, hier Ronnie Urini, dort katholische Leibfeindlichkeit, hier: Sogar Jung-ÖVPlerinnen geben sich uns sexuell befreiten Männern hin. Doch das Imperium schlägt zurück: Torsch ortet ein „bizarres Bündnis aus Reaktionären, Religiösen etlicher Konfessionen und sexualneurotischen ,Linken’“, das „fleißig dabei“ sei, „uns alle wieder in die 50er Jahre oder noch weiter zurück zu katapultieren und alles zunichte zu machen, was Freud, Jung, de Beauvoir, Foucault und so viele andere, denen an der Freiheit des Individuums gelegen war, uns mühsam beizubringen versuchten“. Abgesehen davon, dass Freud nicht wirklich an Entfesselung, sondern Sublimierung der Triebimpulse lag, und Nazi-Verharmloser Jung, alles was fortschrittlich und dynamisch an der Psychoanalyse war, in die zeitlose Welt mythischer Archetypen auflösen wollte, suggeriert Torsch hier eine befreite Sexualzone, ein neonbeleuchtetes Shangri-La in Wien I., wo machoide Vokuhilas und knackige ÖVP-Mädies endlich die Burberry-Schals fallen lassen können.
Wer daran zweifelt, dass dieses „Minenfeld“ der Sexualität nicht wirklich entmint wurde, kann dies – eine andere Möglichkeit lässt Torsch nicht zu – nur aus Lustfeindlichkeit tun. Und wer in diesem Swinger Club im Sinne Foucaults und der Kritischen Theorie weiter über Macht und Pseudobefreiung nachdenkt, und wer als Frau weiter Unbehagen mit dem männlichen Behagen hat, kann nur eine zugeknöpfte Spaßbremse sein. Dabei dürfen Frauen sogar gratis in unseren Swinger-Club!
Die 1980er Jahre
Zu mehr reicht das Bewusstsein der männlichen Veteranen der „Pudern ist geil“-Revolte nicht hin. Als Ministranten hatte man ihnen eingeredet, Sex sei dreckig, seitdem wollten sie nur noch dreckigen Sex, zur Not machte man die ersehnten Objekte zu dreckigen Ludern. Dann endlich der Sommer der Befreiung, die Wet-T-Shirt-Contests, die lockeren – leiwand – Mädels, bis die Feministinnen und andere Partybreakers kamen, und der Winter des Weiterdenkenmüssens. In den 70er Jahren war die sexuelle Befreiung noch Teil eines emanzipatorischen Gesamtprojekts, dafür standen in Österreich schillernde Figuren wie der Kulturwissenschaftler und Aktivist Dieter Schrage, in den 80ern verschlankte sich der Anspruch wie ein kesses Aerobicmädchen, von den Antagonismen der Klassen und Interessen blieb bloß der zwischen willigen und faden Girls übrig. Für diese Entwicklung steht zum Beispiel Dieter Schrages Sohn Götz. Immerhin, als sich die SPÖ längst dem Neoliberalismus hingab, gab er den Kampf nicht auf und legte Klassenfeindinnen flach.
Bernhard Torsch würdigt Schrage als „Metropolen-Mensch“, als urbanes Bollwerk gegen den Einfall der „Trachten-Beschränktheit“ in die Stadt, als Garant einer „geistigen Offenheit, die sich erst durch das Aufeinanderprallen verschiedenster Lebensstile, die daraus entstehende intellektuelle Reibungshitze und die tägliche Konfrontation mit dem Nicht-Identischen ergibt“. Woher sich Schrage die intellektuelle Reibungshitze Anfang der 80er-Jahre holte, hat er freimütig bekannt, seine erotische Aufgeschlossenheit aber entspricht genau der Bierzeltkatharsis der „Wies’n“, mit der eine Wien überflutende „Trachtenbeschränktheit“ mit den Austropop-Veteranen der sexuellen Freiheit gegen einen kritischen Diskurs von Sexualität und Macht koaliert, der idealerweise keinen Rückfall in den Puritanismus bedeutet, sondern die konsequente Weiterführung der sexuellen Revolution.
Götz Schrage ist in seinem Facebook-Posting weitaus weniger sexistisch als in seinem restlichen Lebenswerk. Dort figuriert er als Mann von Halbwelt, und ist aus dem zutiefst kleinbürgerlichen, sozialromantischen Bubentraum von schweren Jungs und leichten Mädchen noch nicht erwacht. Schrage sei – so Torsch – nun mal fasziniert „vom Leben im Schein roter Glühbirnen, das er in Fotos und Texten beschreibungspotent (sic!) dokumentierte. Ohne Scham oder Berührungsängste bewegte er sich zwischen Zuhältern und Sexarbeiterinnen und gab jenen ein Gesicht, die in den gesellschaftlichen Zwischenräumen lebten.“ – Er meint wohl: Ohne Scham bewegte er sich zwischen Zuhältern und ohne Berührungsängste zwischen Sexarbeiterinnen, und gab sich selbst das Gesicht des Underdogs, das er sozialgeil schnüffelnd in die gesellschaftlichen Zwischenräume steckte. Torsch besteht aber darauf, dass Schrage diese Szene nie romantisiere. Schlimmer, er romantisiert sie nicht nur, er affirmiert ihre Abscheulichkeit, indem er sich zum Beispiel nicht gemeinsam mit der verdienten Organisation LEFÖ für die Autonomie von migrantischen Sexarbeiterinnen und die Rehabilitation des ältesten Gewerbes der Welt gegen moralistische Kontrollmacht engagiert, sondern in den maskulinen Milieus der Huren-Unterdrückung als coole Socke herumstinkt.
„… wie ein Türke“
Man braucht Götz Schrage nicht zu entlarven, mit seinem belletristischen Meisterwerk „Der Schwärmer“ (2004) hat er diesen Striptease ganz allein vollführt. Und die sexuelle Befreiungszone sogar ausgeweitet, von Menschen auf Elektronikzubehör zum Beispiel („schwule Netzkabel“), und zudem ganz neue ethnische Liebespraktiken erschlossen („er fickte wie ein Türke“).
So viel Koks kann gar nicht die Nasenscheidewand zerfressen, so viel Synthiepop nicht die Ohren verklebt haben, als dass sich nicht Kilometer gegen den Wind riechen und hören ließe, dass dieses spießige Machoimitat vielleicht zum liebenswert-amüsanten Museumsstück taugt, aber bestimmt nicht zum Rebellen gegen neues Spießertum. Zugegeben: Politische Korrektheit, die Denken und Subversion durch Benimmregeln ersetzen will, kann unerträglich lächerlich sein, und ist doch nur die hilflose Reaktion auf ein noch lächerlicheres Phänomen: die forcierte politische Unkorrektheit, mit der verwöhnte Lausebengels aus Langweile auf aus Langeweile entschlummerte Tabus treten – und sie damit erst wecken.
Das Burberry-Rätsel
Wenden wir uns Götz Schrages inkriminiertem Facebookposting zu, das nach mehrmaliger Lektüre weitaus mehr Fragen aufwirft, als vorschnelle Empörer und Verteidiger vermuten ließen.
„Elisabeth Köstinger als neues Gesicht und neue Generalsekretärin einer neuen Bewegung? Aus autobiographischen und stadthistorischen Motiven möchte ich schon anmerken, dass die jungen Damen der ÖVP Innere Stadt aus den frühen 80er Jahren, die mit mir schliefen, weil sie mich wohl für einen talentierten Revolutionär hielten, genauso aussahen, genauso gekleidet waren und genauso sprachen. Da hängt sicher noch ein Burberry Schal im Vorzimmer bei Elisabeth Köstinger. Ich muss das wissen als Experte.“
Das Unfassbare dieser Aussage liegt weniger in ihrem Sexismus als in ihrer Beschreibungsimpotenz, solange man sie bloß als das liest, was sie zu sein scheint: Beschreibungsimpotenz als Vorwand für Sexprotzerei.
Aus „stadthistorischen Motiven“ kenne ich derlei Lallen aus Innenstadtlokalen, das man dort nach Mitternacht zuweilen von Überlebenden des Austropop mit schütternen Vokuhilas und in ausgebleichten türkisen Ballonstoffmänteln vernahm. Meist wollten sie den Barkeeper und anwesende Frauen lediglich darauf hinweisen, dass sie weibliche Geschlechtsorgane urleiwand finden. Dann passierte immer wieder etwas Erstaunliches: Der Barkeeper und die anwesenden Frauen legten ihnen die Hände auf die Schulter und sagten:
,Jo eh, Opa, auch wir finden sie urleiwand, unsere eigenen und die der anderen. Uns ist das aber so selbstverständlich, dass wir nicht viel Aufhebens darum machen.’ So in die Enge getrieben, begannen die Angesprochenen oft zu schreien: ,Revolution’, ,Blood sugar baby, she is magic!’ – oder den Refrain von Fräulein Josefine zu grölen.
Das Nachvollziehen von Schrages Bekenntnis mit den Mitteln der aristoteleischen Logik erweist sich indes als äußerst schwierig. Eines nach dem anderen.
Vom Zustand der Partei
Wir haben hier zwei Prämissen. Prämisse Nummer eins: Elisabeth Köstinger ist neue ÖVP-Generalsekretärin. Prämisse Nummer zwei: Sie sieht genauso aus, ja, redet sogar so wie die jungen Damen der ÖVP Innere Stadt, die mit Götz Schrage geschlafen haben. Syllogismus: Ein Burberry-Schal hängt in Köstingers Vorzimmer.
Will man nach Abgleichung aller Möglichkeiten aus der Korrelation von E. Köstingers Neuigkeitswert und Schrages tollem Hechttum im Jungövaupälerinnenaquarium auf Biegen und Brechen eine Kausalität herstellen, so kann – ich versuche Schrage gerade zu rehabilitieren – diese nur in einem erschütternden Bekenntnis eines maskulinen Minderwertigkeitskomplexes liegen, die ihm eigentlich statt Niederlegung seines Bezirksratsmandats die Beförderung in den Parteivorstand bescheren sollte, denn niemand repräsentiert den Zustand seiner Partei besser als er.
I could never respect a politician who accepts me as a fucker!
Götz Schrage schickt uns durch sein kryptisches Posting einen heiseren Hilferuf: Wer so redet und so aussieht wie die Frauen, die auf so etwas wie mich hereinfallen, will er uns sagen, mit der kann es nicht weit her sein. Oder frei nach Groucho Marx: I could never respect a politician who accepts me as a fucker! Besser wurde das Wesen der Großen Koalition nie paraphrasiert.
Der Syllogismus indes gibt noch immer Rätsel auf.
Was hat der Burberry-Schal zu bedeuten, Watson? –
Hm. Wollte Mister Schrage damit etwa sagen, dass junge ÖVP-Politikerinnen heute wie damals Spießerinnen sind, weil sie noch immer diese unsäglichen Burberry-Schals tragen? Das läuft aber auf nichts als die Tautologie heraus, dass ÖVPlerinnen Spießerinnen sind, weil sie – eben Spießerinnen sind. –
Elementar, mein lieber Watson, oder aber: Schrage verwechselt aufgrund seines fortschrittlichen Nahverhältnisses zu Verkäufern gewisser Substanzen die Zeitebenen und hält den Burberry-Schal in Mrs. Koestingers Vorzimmer wirklich für seinen eigenen. Er wollte damit selbstkritisch auf die beginnende Yuppisierung der Sozialdemokratie in den Boring Eighties hinweisen. Der Burberry-Schal: die rote Fahne von New Labour. –
Sie verblüffen mich immer wieder, Holmes.
Worin Torsch recht hat
Er habe es nicht so gemeint, ließ Götz Schrage über Facebook verlautbaren. Das ist eine schwerwiegende Entschuldigung in Anbetracht des Umstandes, dass er zunächst nicht einmal selbst gewusst zu haben scheint, was er gemeint hat.
Dass die Aufregung überzogen war und ein engagierter Bezirksrat von seiner eigenen Partei entmachtet wurde, ärgert Bernhard Torsch zu Recht, zumal ein Großteil von Schrages Genossen und Genossinnen mit etwas weniger Sexismus, aber nachweisbarer Gesinnungslosigkeit ihre Positionen behalten dürfen. Und auch dass sich an die berechtigte Kritik des Postings ein hysterischer Moralismus angehängt hat, der neuerdings an allen Ecken, auch linken, Gesellschaftskritik auf fertige Haltungen, Parolen und Regeln reduzieren will, ist nicht von der Hand zu weisen.
Einem digitalisierten Bewusstsein, dessen Amplitüde zu erhobenen Daumen, Herzerln, Wut- und Trauerfrätzchen verarmt ist, kam auch zwingend die Fähigkeit des Differenzierens abhanden. Und der tägliche Zwang zum Liken geht mit dem unterdrückten Zwang zum Disliken schwanger, dass sich nicht in Gedanken, sondern periodisch in kollektiven Sanktionen entlädt. Automatisierte Gesten, hysterisch einschnappende, wie die Sozialmaschine selbst funktionierende Rechtschaffenheitsprogramme scheinen am Werk. Und da Aussagen, zumal männliche, über Sexualität von echtem Sexismus nur durch eine dem je einzelnen Fall angemessene Reflexion zu unterscheiden sind, gibt man lieber prophylaktisch dem Generalverdacht nach und fällt letztinstanzliche Urteile, die eher Parolen, Demonstrationsbannern oder den Schießbefehlen von Exekutionskommandos gleichen. Gerade beim Sex, der sich seit der guten alten Zeit der Repression in eine verstörende Inkongruenz von Pornografisierung, Prüderie, Freiheit und Verdinglichung verwandelt hat, sind unhinterfragbare Wegmarken des richtigen Verhaltens willkommen. Dieser neuen Tendenz zum Moralisieren sollte man mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Frivolität und der Verwirrung in die Parade fahren.
Jeglichen Widerwillen gegen Schrages Posting aber solch einem Moralismus in die Schuhe zu schieben, ist selbst vegetative Kritik – und im Übrigen so alt wie die Abwehr des Feminismus selbst.
Schrage hätte man statt Gesinnungsmemen auch bloß Folgendes in die Timeline posten können: ,Weißt’ was? Wo du deinen Lust-Lenin (G. Benn) auch immer hineinstecken magst, behalt’ es einfach für dich, aber verschone uns mit deinem wie ein SPÖ-Ballon am ersten Mai aufgeblähten Ego, und wenn du uns deine erotischen Triumphe unbedingt mitteilen musst, dann setze sie nicht in Zusammenhang mit einer gegnerischen Politikerin, für deren Kritik sich sicher auch Argumente finden lassen. Ein Gentleman schweigt und genießt, ein Würstchen prahlt und macht verächtlich.’
Warum Schrages Posting doch sexistisch ist
In seiner Verteidigungsschrift erstellt Bernhard Torsch eine exakte Typologie, was Sexismus ist und was eben nicht, und behält in jedem Punkt recht, außer einem. Er schreibt:
Der Begriff Sexismus hat nichts mit Sex im Sinne von Geschlechtsverkehr und Erotik zu tun, sondern mit Sexus, also dem Geschlecht. Einem Menschen Sexismus vorzuwerfen, weil er schreibt, er habe mal mit ÖVP-Politikerinnen geschlafen, ist in etwa so, als würde man jemandem Behindertenfeindlichkeit vorwerfen, weil er mal Rollstühle verkauft hat. Es ist sprachlich falsch und faktisch dumm.
Dieses etwas schiefe Bild unterschlägt jedoch, wie sich der Rollstuhlverkäufer über seine Kunden geäußert hat. Und dass der Begriff Sexismus nichts mit Sex im Sinne von Geschlechtsverkehr und Erotik zu tun hat, unterschlägt, dass Sex keineswegs sexismusfreie Zone ist, bloß weil er so viel Spaß macht und so hart der Kirche und der Biomacht abgetrotzt werden musste. So wie sich weder Justiz noch irgendeine selbsternannte Sittenpolizei, innerhalb und außerhalb des Internets, einmischen dürfen, wo – in Karl Kraus‘ Worten – „Trieb und freier Wille mündiger Menschen ein Einverständnis schufen. Bei allen sexuellen Möglichkeiten“, so bleibt er doch ein Schlachtfeld von Verdinglichung und Machtkämpfen – und damit sind eben nicht BDSM und Erniedrigungsrituale gemeint. Wie auch könnte er als richtiges Leben im Falschen von den Machtgefällen der Gesellschaft ausgenommen sein? Und meist ist es nicht die Sexualität selbst, sondern die Rede davon, die als Machtmittel eingesetzt wird. Kaum eine Frau, die nicht an eigenem Leib erlebt hat, was es heißt, auf diesen zurückgeworfen zu sein – beim Vorstellungsgespräch, beim Heimweg im Dunkeln, in Wiener Innenstadtbars – gegen ihren Willen zur permanenten erogenen Zone erklärt zu werden.
Götz Schrages Statement ist sexistisch, weil er seine harmlos narzisstischen Angebereien in semantischen Bezug zu Wert und Wesen einer Politikerin gesetzt hat. Dass seine Analogisierung herzzerreißend dumm ist, mildert nicht deren Sexismus ab. Er hätte auch sagen können: ,Jö, die schaut genau so aus wie die Frauen, die vor 30 Jahren mit mir geschlafen haben.’ Und das war es auch, was er der Facebookgemeinde mitteilen wollte. Doch um diese eitel-jämmerliche Spur zu verwischen, kleidete er die Freude über die Trophäen aus dem vorigen Jahrtausend in die politische Evaluierung einer jungen Frau. Und darin liegt der Sexismus, andernfalls wäre es bloß despektierlich gewesen. Klar und deutlich auch der Zweischritt von Begehren und Entwertung, dem Kraus stets auf der Spur war und der dem patriarchalen Umgang mit Frauen, vor allem solchen, die patriarchale Positionen besetzen, endemisch ist: ,Wow, solche Frauen sind mit mir ins Bett gegangen, bin ich nicht super’ verwandelt sich, um das schräge Ego des Schrage ins Lot zu bringen, in: ,Nix Besonderes, so was hab ich reihenweise flachgelegt.’ Er hätte auch schreiben können: ,Bei den Schwarzen sind alle Betthäschen grau.’
Schrage und Elisabeth Köstinger
Mit schmierigen Anspielungen macht er Elisabeth Köstinger zur erogenen Zone, um sie im selben Atemzug herabzuwürdigen, und versucht diese archaische, aber sehr gebräuchliche Methode auch noch irgendwie als politische Expertise zu verkaufen. Das dünkelhafte Herabziehen von Menschen des öffentlichen Lebens auf die somatische Ebene, das Verletzen der Intimsphäre ist besonders bei Linken ein Eingeständnis, dass sie wie ihre rechten Feinde auf die mediale Personalisierung politischer Strukturen hereingefallen sind. Im schlechten Scherz noch – Parodien von Alois Mocks spastischen Zuckungen, Anspielungen auf Kurz’ Ohren und Lunaceks sexuelle Identität – zeigen sich die Grenzen ihres politischen Bewusstseins.
Schrage betreibt zudem eine besonders grindige Sonderform des Sexismus: den Paparazzo-Sexismus. Hierin gleicht er Homer Simpson, als dieser als Butler in der Villa von Kim Basinger und Alec Baldwin deren Unterwäsche und andere Devotionalien entwendet und für gutes Geld, aber eigentlich zur Hebung seines Selbstwerts, den Bewohnern von Springfield vorführt. Im Grunde verkörpert er aber die Erotik von Moe Szyslak.
Es stimmt schon, dass die Hetze von mehr oder minder frauenfeindlichen Parteien wie ÖVP und FPÖ gegen Schrage ein Hohn ist. Aber immerhin hat er diesen mit seinem Posting die Gelegenheit gegeben, sich als stammtischfeministische Streiter gegen Sexismus und die „linke Jagdgesellschaft“ zu positionieren. Auch das ist eine Leistung.
Versöhnliches Schlusswort
Schrages Verteidiger pochen immer wieder auf seine klugen Bonmots und sarkastischen Beobachtungen, die zwar über die Stränge schlügen, aber doch erhellend seien. Eine Spur dazu legt die durchaus selbstironische Aussage, dass die jungen ÖVPlerinnen vermutlich mit ihm geschlafen haben, weil sie ihn für einen talentierten Revolutionär hielten. Das hat Witz und zudem eine tiefere Aussage. Die erotische Anziehung des imaginär Anderen, Che Guevara für konservative Frauen, der schwarze wilde Mann für die Rassistin, Kopftuchtragende für FPÖ-Funktionäre, das sind amüsante Themen, die guten Stoff für gute Schelmenromane abgäben. Einen solchen könnte Götz Schrage schreiben – und sich darin üben, ja, den Beweis erbringen, dass man sich auch alle Derbheit, Schlüpfrigkeit und Fiesheit leisten kann, ohne zwingend sexistisch zu sein. Und er und seine Verteidiger würden erkennen, dass der neuere Feminismus mitnichten prüde sein muss, sondern sowohl in Hedonismus als auch der Subtilität seiner Machtkritik um einiges weiter ist als die erste Generation der sexuellen Befreiung, die zunächst eine Befreiung der Ministranten war.
Wäre da noch der Burberry-Schal. Ich hänge wie Sherlock Holmes noch immer der Theorie an, dass Schrage selbst es war, der die Schals in den Innenstadtappartements seiner Eroberungen liegen ließ. Man kennt das: Das Zurücklassen eines Gegenstandes nach einem One-Night-Stand, um Kontakt zu halten. Die jungen ÖVPlerinnen zogen es offensichtlich vor, den Schal zu behalten, als kleine Entschädigung für eine erotische Performance, die keinen weiteren Kontakt zur jungen SPÖ ratsam sein ließ. Möge Elisabeth Köstinger den Burberry-Schal in ihrem Vorzimmer, wie auch immer er in Familienbesitz gelangt sein mag, der Stiftung zur Läuterung egomaner Machogorillas kredenzen.
Bliebe Schrage Bezirksrat, könnte es passieren, dass eine von Köstingers Tanten oder Freundinnen ihrer Mutter ihn bei der 3423. Vorstellung von „Cats“ in einer Loge des Ronachers wiedererkennt. Sie könnte dann ein Kapitel ihrer Memoiren und ich diesen Text frei nach Roda Roda mit den Worten schließen lassen: „Und ich erlebte das Außerordentliche, einem Bezirksrat einen Burberry-Schal zu schulden.“
Über Richard Schuberth: Er wurde 1968 in Ybbs an der Donau geboren, ist freier Autor. Seine Essaysammlung „Unruhe vor dem Sturm“ ist vor kurzem im Drava Verlag erschienen.
Ist das nicht etwas viel Text und Aufmerksamkeit für einen, der es offenbar dringend nötig hat? Zeigt sich nicht in der Notwendigkeit das auszubreiten als Mann nicht auch …letzlich auch Sexismus..? Net bös sein, jeder kann schreiben was er/sie will (Kommentiert v. weiblicher Person)
ziemlich viel gscheites ueber so wenig bloedes.
spatz trifft kanone.
Ich habe selten so unfassbar viel Dummes von einem zweifelsfrei gescheiten Menschen gelesen. Richard Schuberth schreibt da einen fantasierten Nonsens über eine Welt, die er aus Derrick und Trautmann zu kennen glaubt. Ich bräuchte acht Meter, um alles, was er an biographischen Missverständnissen, Halbwahrheiten und schlichter Fiktion formuliert, gerade zu rücken. Für 800.-€ Honorar aufwärts mache ich das.
Wenn er von der „Jagd“ auf Frauen fabuliert, müssen die wenigen Frauen aus meiner Vergangenheit sicher schmunzeln. Meine „Jagd“ bestand darin, dass ich an Bar saß, traurig dreinschaute und Zigaretten rauchte. – Dass er aus meinem Roman zitiert, der von einer Kunstfigur, die sich als großmäuliger aber scheiternder Antiheld gibt, was natürlich autobiographische Züge hat, aber trotzdem. – Und die „Zuhälter“? Entschuldigung, da brauche ich auch ein Smilie 🙂
Jedenfalls die Zuhälter kenne auch ich aus dem Derrick. Würde ich einen treffen heute, wäre ich sein Feind. OOps da fällt mir ein, gibt es nicht da einen verrückten Linken, der sich gar nix scheißt, wenn Frauen bedroht werden und immer zur Stelle ist, wenn es GEGEN Zuhälter zu ziehen geht, die nicht geschnallt haben, dass wir 2017 schreiben. Aber egal, wenn ich Schuberth als romantisierender Zuhälterfreund gefalle, muss es wohl stimmen, sonst ist sein Text ja obsolet.
Und zuletzt, ich bin als analysierender Hobbypsychologe eine Vollniete. Wenn ich ein Muster, ein tiefer sitzendes Motiv zu erkennen glaube, ist es garantiert daneben. Gegen Schuberth bin ich Freud in Bestform. Halleluja, ist das ein gequirlter Bockmist was ihm zum Schal und meinem Motiven einfällt. – Zwei versöhnliche Sachen zum Schluss direkt an Schuberth. Bitte schreiben Sie weiter, es ist alles wunderbar formuliert und schön und lesbar strukturiert. Wenn Sie jetzt noch Themen behandeln von denen Sie nur ansatzweise etwas verstehen, können Sie Großes leisten. Das zweite, ich trinke jederzeit ein Bier mit Ihnen, bin dann versprochen sehr höflich und ich gehe auch mit Ihnen Zuhälter suchen. Und zuletzt, ich sammle Autographen und ich habe einen wunderschönen Roda Roda Brief, den zeige ich Ihnen dann. Alles Liebe, auch wenn es nicht so klingen mag, ich respektiere Sie. Halt auf meine romantische Zuhälterart.
Ich darf kurz dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen:
https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10208388501011595&set=a.1104586136348.17821.1277582817&type=3&theater
Und? Was wollen Sie mir mit diesem Foto vorwerfen? Mein Freund Hermann „Pascha“ Müller ist ein großherziger Mann auf seine Art. Politisch sicher eher rechtskonservativ angesiedelt, trotzdem war es für ihn eine Selbstverständlichkeit von Salzburg extra nach Wien zu einer Benefizkonzert zu kommen und hat dabei eine €3000.- Spende da gelassen. – Mit u.a. diesem Geld haben wir sehr viel Vernüftiges und Glücksbringendes für die von uns betreuten Menschen aus Syrien, Irak, Iran, Somalia und Afghanistan organisieren könne. Viele, viele Deutschkurse bezahlen, Netzkarten und viele kleine Weihnachtsgeschenke für die geflohenen Kinder. – Wir zwei kannten uns damals noch nicht Herr Ulbrich. Aber auch wenn wir uns gekannt hätten, hätte ich das Geld nicht abgelehnt, weil Sie zu dumm, oder zu gehässig(?), sind, um den Unterschied zwischen einem Laufhausbetreiber und einem „Zuhälter“ zu erkennen. Und ich verbiete mir für die Zukunft mir von Ihnen „auf die Sprünge helfen“ zu lassen. Aber ich kann Ihnen meine ehemalige Hausmeisterin vorstellen, die hat die Situation im nahegelegenen Park so beschrieben: „da sitzen die Neger und spritzen sich Haschisch“. Mit der werden Sie sich gut verstehen und ich wieder meine ehrenamtliche Flüchtlingshilfe machen.