„Jetzt wird eine Phase des lebendigen Parlamentarismus beginnen“ erklärte SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern gestern im Nationalrat. Wohl nicht ganz zu unrecht. Nach dem Ende der rot-schwarzen Koalition hat sich ein Zeitfenster aufgetan, um im freien Spiel der Kräfte politische Vorhaben durchzusetzen: zum Beispiel beim Mindestlohn. Da könnten die politisch Handelnden jetzt Farbe bekennen. Eine Intervention von Christoph Ulbrich.
Mindestlohn: Warum gibt es ihn nicht längst?
Eigentlich sollte das in einem der reichsten Länder der Welt eine Selbstverständlichkeit sein: Und tatsächlich gibt es in 22 von 28 EU-Ländern bereits einen gesetzlichen Mindestlohn. Nicht so in Österreich. Die Lohnhöhe regelt die Kollektivpartnerschaft über Kollektivverträge. Das war, im durch und durch sozialpartnerschaftlich organisierten Österreich, die längste Zeit DAS Argument gegen den Mindestlohn. Allerdings: Das galt auch für Deutschland. Und so wie in Deutschland fallen immer mehr Arbeitnehmer aus dem Kollektiv- bzw. Tarifverträgen heraus. Deswegen wurde 2015 in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn eingeführt.
Erfolgsmodell Mindestlohn in Deutschland
Allen Warnungen der Arbeitgeberseite zum trotz, hat der Mindestlohn dem Arbeitsmarkt nicht geschadet. Im Gegenteil: Nach der Einführung zogen die meisten Experten eine positive Bilanz. Natürlich hat der gesetzliche Mindestlohn die Armut nicht abgeschafft. Immer noch sind zu viele Menschen in Deutschland armutsgefährdet. Auch der Deutsche Gewrkschaftsbund (DGB) zog eine positive Bilanz. In Deutschland profitieren über 3,5 Millionen Menschen vom gesetzlichen Mindestlohn. Und auch in Österreich würde ein gesetzlicher Mindestlohn die Einkommenssituation von 350.000 Menschen verbessern – Zwei Drittel davon übrigens Frauen.
Klare Parlamentsmehrheit für Mindestlohn
Zurück nach Österreich, und zum angekündigten freien Spiel der Kräfte. In Österreich fordern die Grünen, die FPÖ und die SPÖ einen gesetzlichen Mindestlohn. In Mandaten gerechnet, ist das eine klare Mehrheit im Nationalrat. Gescheitert ist die Einführung bisher am Unwillen der ÖVP. Aber diese Konstellation gehört ja seit gestern der Vergangenheit an
Konkret fordern die Grünen € 1.750, die FPÖ € 1.600 und die SPÖ € 1.500 gesetzlichen Mindestlohn. Eine interessante Abstufung.
Es gilt Farbe zu bekennen
Der gesetzliche Mindestlohn ist damit in greifbarer Reichweite. Ein Kompromiss bezüglich der Höhe, sollte für Grüne, FPÖ und SPÖ keine allzu große Hürde sein.
Es gilt nun Farbe zu bekennen, wie ernst es vor allem der „sozialen Heimatpartei“ FPÖ und der (ehemaligen) Arbeiterpartei SPÖ mit ihren eigenen Forderungen ist.