Nach dem Rücktritt von Vizekanzler Mitterlehner haben viele Beobachter darauf getippt, dass Bundeskanzler Christian Kern unverzüglich Neuwahlen ankündigt. Die ÖVP hat Kern permanent blockiert. Die ÖVP hätte den schwarzen Peter für das Scheitern der Regierung. Kern könnte die ÖVP als Chaos-Truppe präsentieren. Kern hat sich entschieden. Ein kluger Schachzug findet Christoph Ulbrich.
Ein geschickter Schachzug
Es kam anders: Kern trat für ein kurzes Statement vor die Kameras. Kein Wort von Neuwahlen, stattdessen bietet Kern der ÖVP und Sebastian Kurz eine „Reformpartnerschaft“ an. Was auf den ersten Blick wie eine vertane Chance wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als machtpolitisch äußerst geschickter Schachzug des Bundeskanzlers.
Warum?
Kurz ist derzeit ein schwerer Gegner
Gäbe es jetzt Neuwahlen, hätte Kern mit Sebastian Kurz als Kanzlerkandidaten einen äußerst schweren Gegner. Kurz strahlte in den letzten Jahren im Rampenlicht der internationalen Diplomatie – aus den Querelen im Ministerrat konnte er sich heraus halten. Außenminister ist in Sachen Inszenierung ein äußerst dankbarer Job. Gleichzeitig ist das Wirken des Außenministers für die meisten WählerInnen relativ irrelevant: Wen in Österreich interessiert es schon, ob die Entwicklungshilfe gekürzt wird.
Stattdessen nennt Kern sein Gegenüber in seinem Statement „die ÖVP und Sebastian Kurz“. Damit diktiert Kern der ÖVP quasi Ihren neuen Vizekanzler. Die ÖVP ist also unter Zugzwang gesetzt. Und Ihre Optionen sind nicht sehr berauschend.
Drei Optionen der ÖVP
Option 1: Die ÖVP schlägt Kerns Angebot zur Zusammenarbeit aus und bricht Neuwahlen vom Zaun. Damit hat sie den Schwarzen Peter. Kern kann seinen Minister Kurz der Arbeitsverweigerung bezichtigen. Das Ende der Regierung wäre somit dem Chaos in der ÖVP geschuldet.
Option 2: Kurz wird Vizekanzler und die Regierung wurstelt ein Jahr weiter. Kurz wäre damit 1 Jahr der „Vize“ von Kern. Nun müsste sich Kurz in der täglichen Regierungsarbeit die Hände schmutzig machen. Viel schmutziger als er das als Außenminister muss. Der „Kurz-Effekt“, der die ÖVP vielleicht kurzfristig in den Umfragen nach oben katapultieren würde, könnte in den nächsten 12 Monaten wieder verpuffen – dass das so ist, hat Martin Schulz in Deutschland gerade bewiesen.
Option 3: Ein anderer (z.B. Andre Rupprechter) wird Vizekanzler und damit vermutlich Spitzenkandidat bei der nächsten Wahl. Auch das wäre gut für Kern, weil die ÖVP damit einen schwachen Chef als Notlösung hat, den sie eigentlich gar nicht will. Allesamt keine besonders rosigen Optionen für die ÖVP.
Die noch beste Option
Option 4: Die für Kurz und ÖVP noch beste Option ist wohl: Kurz wird nicht Vizekanzler. Den undankbaren Job übernimmt Harald Mahrer oder Andre Rupprechter. Sobotka oder Schelling wären zu unberechenbar und auch ein zu große Provokation der SPÖ gegenüber. Kurz hingegen bleibt Außenminister und wird Parteiobmann. So macht er sich die Finger nicht schmutzig und kann trotzdem glaubwürdig zur nächsten Wahl als Spitzenkandidat antreten.
Minderheitenregierung wäre ein fragiles Konstrukt
Nebenaspekt: Es geht endlich wieder ein bisschen bergauf mit Österreich. Die Wirtschaft wächst ein bisschen schneller, die Arbeitslosigkeit sinkt erstmals wieder. Wenn – was wahrscheinlich ist – diese Entwicklung anhält, hat Kern einige Erfolge, auf die er in einem Jahr im Wahlkampf gut verkaufen kann.
Abgesehen davon haben sowohl SPÖ als auch ÖVP bei dieser Wahl mehr zu verlieren als zu gewinnen. Natürlich könnte Christian Kern – wie Volker Plass in seinem Kommentar auf Semiosis vorschlägt – auch versuchen eine Minderheitsregierung zu bilden. Die müsste aber nicht nur von Grünen und NEOS geduldet werden, sondern auch vom Team Stronach und mindestens zwei fraktionslosen Mandataren. Das wäre schon ein äußerst fragiles Konstrukt.
In wenigen Tagen werden wir mehr wissen.