Frankreich: Neoliberalismus with a smile und die Linke. Ein Gespräch mit Sebastian Chwala

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Es ist gut gegangen. Sogar im Endergebnis besser als etwa in Österreich, wo ein rechtspopulistischer Präsident eher möglich gewesen wäre als in Frankreich. Macron wird aber Präsident ohne parlamentarische Mehrheit werden. Wie kam es zu dem Ergebnis? Was bedeutet das für die Linke in den kommenden Parlamentswahlen? Wir haben den Frankreich-Experten Sebastian Chwala gefragt. Seine These ist sicherlich provokant: „Der Spagat, einerseits einen Sieg von Le Pen zu verhindern und andererseits Macron in dieser Stichwahl bereits die Grenzen seiner Möglichkeiten aufzuzeigen, hat also funktioniert. Ein Erfolg.“ Mit ihm hat Sebastian Reinfeldt gesprochen.


Macron hat die Präsidentschaftswahl in Frankreich am Ende deutlich gewonnen. In der deutschsprachigen politischen Diskussion wurde der Linken eine besondere Verantwortung zugesprochen. Hätte er verloren, wäre die Linke Schuld gewesen. Hat nun die Linke gewonnen?

Nein, die Linke hat natürlich nicht gewonnen. Dazu müsste Macron ja ein linkes politisches Angebot machen. Aber der Abbau von zehntausenden Stellen im öffentlichen Dienst, Haushaltskürzungen in Milliardenhöhe, bei gleichzeitiger Senkung oder Abschaffung der Vermögenssteuern sind nun wirklich ein klassisch neoliberales Programm. Allerdings hat er es vermocht mit seinem Bekenntnis zu Europa Teile des linksliberalen Establishments auf seine Seite zu ziehen, die einseitig nur die positiven Aspekte der Europäischen Union sehen. Dazu zählen liberale Freiheitsrechte und die Möglichkeit, sich seit dem Wegfall der Binnengrenzen frei in Europa bewegen zu können. Nicht umsonst haben diejenigen für ihn gestimmt, die die Globalisierung positiv sehen. Häufig Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen und höherem Lebensalter. Für diese gesellschaftlich privilegierten Individualisten ist das Aufbrechen der nationalstaatlichen Strukturen eine zu befürwortende Modernisierung Frankreichs, da man sich am erfolgreichen Vorbild Deutschlands orientieren kann. Rein pragmatisch betrachtet scheint der ökonomische Erfolg des Nachbarlandes ja allzu offensichtlich zu sein, weshalb man das Modell ja kopieren sollte.

Das linke Dilemma

Die Linke steckte dagegen in einem Dilemma. Hatte der ganze Wahlkampf von Mélenchon darauf beruht, gerade die Rolle Macrons als Vertreter einer finanzkapitalistischen Fraktion der Eliten zu thematisieren, der schon in seiner Zeit als Minister für harte Einschnitte ins Arbeitsrecht verantwortlich war. er meinte, Frankreich mangele es an genügend Eigeninitiative seiner BürgerInnen, weshalb die Arbeitslosen mehr Repression ertragen müssten. Nun auf einmal galt dieser „Kandidat des Unternehmertums“ als letzte Bastion gegen die Faschistin. Beide KandidatInnen setzten sich aber weder für Gewerkschaftsrechte noch für soziale Rechte ein. Der stark moralisierende Diskurs, der die beiden Wochen vor der Stichwahl geführt wurde und der die Linke in die alleinige Verantwortung für den potentiellen Erfolg des Front National in Haftung nehmen wollte, stieß deshalb auf keine sonderliche Gegenliebe innerhalb der linken Milieus. Zumal Macron auch in dieser politisch zugespitzten Situation darauf bestand, dass er sein politisches Programm ohne Abstriche durchziehen wolle.

Wie haben sich die Mélenchon-WählerInnen in diesem zweiten Wahlgang denn verhalten?

Die Linke hat lange diskutiert. Der Frust in der Woche nach der Wahl unter den Mélenchon-AnhängerInnen war riesig. Die Konstellation, wurde als desillusionierend wahrgenommen.
„France insoumise“ (FI) wollte sich aber nicht auf Macron festlegen lassen, weshalb Mélenchon für eine Basisbefragung der Organisation plädierte, die übrigens keine Partei ist. Dass Le Pen keine Option sein konnte, war klar. Niemand an der Spitze von FI wollte es riskieren, dass der FN eine Chance bekommen sollte, den Staat zu regieren. Le Pen hatte zwar den ’schönen‘ Wahlkampfslogan „das befriedete Frankreich“ gewählt. Allerdings hätte ein Sieg wahrscheinlich die weitere Aufrüstung der Polizei, mehr Militär und die Institutionalisierung des Ausnahmezustandes bedeutet. Deshalb bestand eigentlich nur die Option, ob man zur Abgabe eines weißen Stimmzettels oder zur Wahlenthaltung aufruft.

„Neun Prozent weiße Stimmen zeigen Macron Grenzen auf. Ein Erfolg“

2017
Frankreich Präsidentschaftswahlen 2017. WählerInnenströme

Die Befragung der Basis von FI, an der sich mehr als die Hälfte der eingeschriebenen UnterstützerInnen beteiligte, entschied sich nicht überraschend mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit dafür, Macron nicht zu wählen. So ähnlich ist es dann gestern auch gekommen, nur die Hälfte der WählerInnen von Mélenchon hat für Macron gestimmt. Die andere Hälfte blieb zu Hause oder gab einen leeren Stimmzettel ab. Insgesamt waren knapp neun Prozent der abgegebenen Stimmen leer oder ungültig. Dies hat es in der Vergangenheit niemals gegeben und zeigt die fragile Legitimität von Macron. Der Spagat, einerseits einen Sieg von Le Pen zu verhindern und andererseits Macron in dieser Stichwahl bereits die Grenzen seiner Möglichkeiten aufzuzeigen, hat also funktioniert. Ein Erfolg

Was bedeuten die fast 20 Prozent Mélenchon-Stimmen für die anstehenden Wahlen zur französischen Nationalversammlung?

Das wird sich noch zeigen. Erst einmal weisen die ersten ernsthaften Umfragen zur Parlamentswahl darauf hin, dass die WählerInnen Macron zu einem Großteil nur aus Angst vor Le Pen gewählt haben. Dies hat zur Folge, was für die V. Republik und ihr Mehrheitswahlsystem unüblich ist, dass bei den WählerInnen kein Wunsch danach besteht, dass Macrons „En Marche!“-Bewegung über eine Parlamentsmehrheit verfügt. Um die 30 Prozent der Befragten können sich sogar einen Premierminister vorstellen, der von „France Insoumise“ gestellt wird.

Die PCF liegt derzeit bei 1,5 Prozent – Mélenchon hingegen bei 15 Prozent

Allerdings liegt FI in den Wahlumfragen nur bei knapp 15 Prozent. Entscheidend dafür, wie die Wahlen im Juni ausgehen werden, sind nicht unbedingt nationale Stimmungsbilder, sondern die Bedingungen vor Ort in den Wahlkreisen. Hier bestehen teilweise noch große Differenzen mit der Kommunistischen Partei (PCF), die noch über einen relevanten politischen Apparat, samt BürgermeisterInnen und (wenigen) Parlamentsabgeordneten verfügt. Diese wollen aus machtpolitischem Interesse der PCF nicht völlig auf Distanz zu den Sozialdemokraten und zur V. Republik gehen. Dies ist aber Grundpfeiler der Programmatik von FI, weshalb getrennte Kandidaturen nicht ausgeschlossen sind.
Mir erscheint es aber nach wie vor möglich, dass man sich einigt. So hieß es im November 2016 auch erst, der PCF würde keine Kandidatur von Mélenchon unterstützen. Nachdem eine Urabstimmung der Partei aber anders entschied, reihte sich der PCF trotzdem hinter Jean-Luc Mélenchon ein.
Ich denke, dass der Druck auf die KommunistInnen – die Umfragen zur Parlamentswahl sehen sie bei knapp 1,5 Prozent – auch diesmal dazu führen wird, das man in den meisten Fällen auf Gegenkandidaturen gegen FI-KandidatInnen verzichtet. FI seinerseits hat schon angekündigt, keine Kandidat_innen gegen kommunistische MandatsträgerInnen aufzustellen.
Sollte man sich links der Sozialdemokratie einig werden, scheint es mir möglich, mehr als 100 Mandate in der neuen Nationalversammlung zu erringen.

Neoliberalismus with a smile versus Rechtspopulismus. Das ist die hegemoniale politische Situation in Europa. Mélenchons Auftreten und seine guten Wahlresultate könnten hier eine echte dritte Option anzeigen. Woraus besteht diese?

Wichtig scheint mir das Ziel, wieder ein politisches Subjekt schaffen zu wollen. Im Zeitalter des Poststrukturalismus und des Bedürfnisses nach allgemeiner Dekonstruktion wird auch im politischen Feld unheimlich viel Wert darauf gelegt, das sämtliche Interessengruppen und Widersprüche in ihrer auch sprachlichen Komplexität in den Organisationen abgebildet werden müssen. Mélenchon und seine engsten Vertrauten haben Wert darauf gelegt, dass Themen angesprochen werden, für die in der breiten Öffentlichkeit Mehrheiten existieren und die nicht nur Teil akademischer Debatten sind.
Damit ist gemeint: Probleme, wie die ungerechte Verteilung von Vermögen und eine nicht- vernünftige Form des Zustandes der Volkswirtschaft, sichtbar in Form von wenigen, fürstlich bezahlten Vorstandsvorsitzenden, die durchaus profitable Unternehmen stilllegen oder verlagern. Sichtbar auch an Korruption. All dies könnte durch eine radikale Demokratisierung des Gemeinwesen überwunden werden.

Das Ziel: „Wieder ein politisches Subjekt konstituieren“

Die Kritik Mélenchons an den herrschenden Eliten ist stark moralisch eingefärbt und definiert die politische Dominanz des Kapitals als Dreh -und Angelpunkt der gesellschaftlichen Beziehungen als dem „Allgemeinwohl“ entgegenstehendes „Partikularinteresse“. Der gesellschaftliche Widerspruch wird nicht dargestellt als Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, sondern als Interessengegensatz zwischen „Volk“ und „Eliten“, die kein Interesse haben, an der Entfaltung „gleicher“ Lebensverhältnisse, die ein angstfreies „brüderliches“ bzw. „solidarisches“ Miteinander der Menschen ermöglichen.
Dies hat aber interessanterweise nicht etwa dazu geführt, dass nationalkonservative Wähler_innen in erhöhtem Masse Mélenchon gewählt Sondern es hat eher eine Einigung linker Milieus bewirkt, da die Strömungs- und Richtungsstreitigkeiten durch die starke emotionale Betonung der grundsätzlichen Distanz zu den Inhalten der politischen Konkurrenz überdeckt wurden.

Frankreich: Weißwählen
Weiß Wählen Präsidentschaftswahlen Frankreich 2017

Da die französische Linke sich – nicht zu Unrecht – als Triebfeder der Schaffung der französischen Nation sieht und die eigenen Eilten sich mehrfach mit konservativen und reaktionären Kräften aus dem Ausland verbanden – man denke an die Intervention der absolutischen Mächte zur Wiedereinsetzung Ludwig XVI. oder die Rolle der Preußen und ihre Unterstützung der französischen Regierung bei der Niederschlagung der Pariser Kommune 1871 – schwingt links immer ein patriotisches Selbstverständnis mit. Trotzdem: Die Idee der Brüderlichkeit hat die Idee einer Assoziation der freien Völker zur Schaffung von Frieden und internationaler Solidarität zur Folge. Das hat nichts mit der Abschottungspolitik des nationalistischen Front National gemein.


Sebastian Chwala ist Politikwissenschaftler und lebt in Marburg. Dort ist er auch Vorsitzender des Kreisverbandes der LINKEN. Er ist Frankreich-Spezialist und promoviert als Stipendiat der RLS zur radikalen Rechten in Frankreich.

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