Am Beispiel des grünen Konfliktes rund um die Jungen Grünen lässt sich gut verfolgen, wie zentral „Storytelling“ in der politischen Kommunikation ist. Wäre das Ganze als die Geschichte einer Spaltung der grünen Studierendenorganisation durch eine machtbesessene Klique der Jungen Grünen erzählt worden, dann hätte die öffentliche Reaktion in den vergangenen Wochen ganz anders ausgesehen. Doch folgte die öffentliche Meinung einer anderen Linie.
Die aktuelle Geschichte wurde mit dem Brief an die grüne Bundessprecherin Eva Glawischnig begonnen. In ihm forderte Flora Petrik die derzeit unbeliebteste Politikerin Österreichs zum Rücktritt auf. Der Text hat in eins gesetzt: Die alte grüne Parteiführung und die GRAS. Dagegen stand sie, die Unterzeichnerin, als einzelne Person für die Jungen Grünen. Dabei konnte Petrik darauf setzen, dass die spontanen öffentlichen Reaktionen auf ihrer Seite sein werden. Denn man könne die rebellischen jungen Leute doch ruhig gewähren lassen, dachten viele. Und schon war die ganze Sache ordentlich emotionalisiert. Intuitiv verweben BeobachterInnen sich in diese Geschichte hinein. Es ist nicht schwer zu erraten, auf welcher Seite. Denn David ist immer die beliebtere Identifikationsfigur, wenn ihm ein Goliath entgegen steht. Well done, Junge Grüne! Eine Analyse von Sebastian Reinfeldt.
Große Erzählungen beginnen
Aus einem Handbuch des Storytellings in den Social Media: „Überlegen Sie sich, was Sie vermitteln wollen und was Ihr primäres Erzählziel ist.“ Dazu gehört insbesondere die Frage: Welche Art von Geschichte soll erzählt werden? „Was bringt die Geschichte dem Empfänger?“ Welchen Gebrauchswert soll sie für die Lesenden haben? Und weiter: „Was braucht [es], um die Geschichte zu verstehen? Was soll der Empfänger denken, fühlen, danach tun?“ Dient sie etwa nur der Unterhaltung, aktiviert sie oder funktioniert sie als ideologische Festigung?
Beim Erzählen in der Politik geht es also weniger darum, ob die jeweilige Botschaft annehmbar ist oder nicht. Oder ob es dabei überhaupt um eine Botschaft politischer Art geht. Die Inhalte sind beliebig, ihre Anordnung ist zentral. Bei dieser Art von Storytelling „ist“ die Struktur der Erzählung die politische Botschaft selber. Im vorliegenden Beispiel des grünen Konfliktes wurde ein klassisches Heldenmärchen erzählt.
Junge Grüne: Eine Heldinnenengeschichte
Alle Rollen und ihr Verhältnis zueinander sind besetzt worden: Die Heldin (Flora Petrik), die Gegenspielerin (Eva Glawischnig), die entgegen stehenden Kräfte (Grüner Bundesvorstand), die Unterstützenden (grün-linke Personen und Organisationen), die falschen HeldInnen (Michel Reimon, Birgit Hebein), die Schenker von Zaubermitteln (breite Medienöffentlichkeit) und so weiter. Die spontane Sympathie im Märchen liegt immer bei den Jüngsten, Ärmsten, Dümmsten, Schwächsten oder Kleinsten. Damit waren auch die emotionalen Werte gut verteilt. Denn es standen sich zwei Frauen gegenüber: Eine junge und eine ältere, etablierte. Dass Erstere dabei aus einer grünen Familie stammt, macht das Ganze noch heldenmärchenhafter.
Ein Kampf bis zur Entscheidung
So entwickelte sich die ganze Geschichte recht genau dem Skript einer solchen Erzählung folgend. Sie beginnt mit einem Mangel, der die ganze Geschichte in Bewegung setzt: Das ist die Krise der grünen Partei, an der das Führungspersonal und ihre Adjuvanten an der Universität Schuld seien: die GRAS. Dann wird seitens der Heldin und ihrer UnterstützerInnen ein Verbot verletzt, indem im Herbst 2016 die Grünen Studierenden gegründet werden und bei den ÖH-Wahlen 2017 antreten wollen. Nach der Veröffentlichung des Briefs über die Nachrichtenagentur APA begann der direkte Zweikampf der Heldin und ihrer Gegnerin. Im Zuge dieser öffentlichen Auseinandersetzung wird eine Entscheidungssituation konstruiert, nach der es nur Sieg oder Niederlage geben kann. Auch müssen alle Beteiligten sich in eines der Lager einsortieren. Auf welcher Seite stehst du?, wurde unentwegt gefragt. Differenzierte Haltungen werden im Zuge einer solchen öffentlichen Diskussion unmöglich. Ein scheinbarer Endkampf tobt. Showdown am Donnerstag, den 30. März 2017.
Diesen hat die Heldin verloren, und sie kann nicht nach Hause zurückkehren. Das im Heldenmärchen eingeschrieben glückliche Ende findet nicht statt. Im Gegenteil. Trotz Unterwerfungsgeste, in der unter anderem die medial so spektakuläre Rücktrittsforderung zurück genommen wurde, kam es zum Bruch.
Ideologie in Reinform
Der Ordnung halber sei angemerkt, dass diese Art, eine Geschichte zu erzählen, Ideologie in Reinform ist. Die Jungen Grünen haben den Konflikt von vorne herein so angelegt, dass er von den Medien entsprechend der Heldenmärchen-Struktur weiter erzählt werden konnte. Diese Geschichte richtet sich direkt an die Lesenden oder Hörenden, weist ihnen auf der einen wie auf der anderen Seite einen Platz zu, lässt keinen Raum für andere Interpretationen – und regt sicher nicht zum Nachdenken an. Erst nach dem abrupten Ende der Geschichte kann eine reflektierte Diskussion beginnen. Das scheint auch zu passieren. Interessant wird dabei in der weiteren Folge sein zu erfahren, was hinter den Kulissen wirklich abgegangen ist. Und nun?
Politische Konsequenzen: Frust und linke Hoffnungen
Vorerst wurden aber neue Trennungslinien in der politischen Landschaft Österreichs eingezogen. Linke Grüne haben sich gespalten. Die einen stehen nun als Organisation außerhalb der Partei, während die anderen in der Partei (als FunktionärInnen) oder in deren Nähe (wie die GRAS) verblieben sind. Wie man hört, sind daran auch (politische) Freundschaften zerbrochen. Gemeinsames Handeln wird in Zukunft zumindest schwieriger.
Linke IN den Grünen sind objektiv geschwächt worden, außer ein großer Teil der Mitglieder der Jungen Grünen verbleibt weiterhin in der Partei. Da eine neue Jugendorganisation aufgebaut werden wird, scheint das möglich. Auch den Jungen Grünen steht also möglicherweise eine Spaltung bevor. Ob andere Organisationen oder Zusammenschlüsse von dem Bruch profitieren werden können, ist mehr als fraglich. Die SJ hat ja bereits ihre Arme geöffnet, ebenso hofft der Aufbruch, dass der „demokratische Aufbruch“ der Jungen Grünen bei ihnen landet. Piraten und Junge Linke würden sich auch über neue Mitglieder freuen. Aus politischer Erfahrung heraus scheint aber der frustrierte Rückzug vieler Junger Grüner die wahrscheinlichste Variante. So wird man zur Geisel der eigenen Geschichte: weil die Heldinnengeschichte kein gutes Ende fand. Vielleicht hätte die Geschichte doch ganz anders erzählt werden sollen?
Für einen kurzen Überlick zu einer materialistischen Erzählanalyse siehe die Zusammenfassung von Gloria Withalm: http://www.uni-ak.ac.at/culture/withalm/semiotics/SEMIOintro/11-Propp.pptx.pdf
Das Titelfoto zeigt die Erstausgabe von Vladimir Propps Morphologie des Märchens.