Gestern, Mittwoch, ist am Flughafen Schwechat ein FRONTEX-Charterflug von Wien nach Kabul gestartet. An Bord waren laut Innenministerium 19 Personen aus Österreich. Es ist der zweite organisierte Abschiebeflug aus Wien, über den Informationen öffentlich geworden sind. Die zuständigen Stellen wünschen eigentlich keine Öffentlichkeit bei ihrem Vorgehen. Daher informieren sie auch wenig.
Binnen kürzester Zeit wurde Afghanistan zum sicheren Herkunftsland erklärt und Verunsicherung und Angst unter den Geflüchteten verbreitet. Die Öffentlichkeit wird aufgehetzt, um diese Deportationen nach Kabul medial zu inszenieren und zu rechtfertigen. Der so genannte „Sobotka-Tausender“ für die ersten Tausend, die sich freiwillig abschieben lassen, ist nur der Höhepunkt einer Medien-Kampagne gegen Menschen aus Afghanistan. Dies ist allerdings kein österreichisches Phänomen. Koordiniert – und mit Rückendeckung der Europäischen Union – gehen das deutsche und österreichische Innenministerium gezielt gegen eine große Gruppe von Geflüchteten vor. Fakten interessieren sie dabei kaum. Sebastian Reinfeldt analysiert die derzeitige Kampagne und Praxis.
Oktober 2016: Abschiebeabkommen zwischen der EU und Afghanistan veröffentlicht
Die Europäische Union veröffentlichte am 4. Oktober 2016 einen Vertrag zwischen ihr und der afghanischen Regierung. Darin wird die Vorgehensweise bei Abschiebungen geregelt. Unter anderem besagt das Papier, dass die afghanischen Behörden die Reisedokumente schnell ausstellen sollten. Nach Berichten der Zeitung Der Standard tun sie dies allerdings in Wien nur zögerlich. Am Flughafen in Kabul soll außerdem ein spezielles Terminal für Abschiebeflüge gebaut werden. Die EU verpflichtet sich, sämtliche Reisekosten zu tragen und Reintegrationsprogramme zu finanzieren. Als Belohnung für den Deal erhält Afghanistan 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Auch wenn dieser Zusammenhang von offizieller Seite bestritten wird.
Abschiebeflüge starteten von Frankfurt/M. im Dezember 2016: Inszenierte Politik by Angst
Dezember 2016, Flughafen Frankfurt am Main. Nach zwölf Jahren startet der erste Abschiebeflug von Deutschland nach Kabul. An Bord befinden sich 34 Personen. In den Jahren zuvor wurden in Deutschland Menschen aus Afghanistan nicht abgeschoben. Es ist offensichtlich, das Afghanistan kein „sicheres Herkunftsland“ war. Daran hat sich eigentlich nichts geändert. Die Taliban wüten weiterhin gegen alles und jeden, die ihnen nicht in ihren ideologischen Kram passen: Ethnische oder sexuelle Minderheiten, Frauen, die selbstbestimmt leben möchten und natürlich jede und jeder Andersgläubige.
Die deutsche Organisation Pro Asyl sah damals voraus, dass hier eine bedeutende Änderung in der Flüchtlingspolitik bevor stand. Das Ziel dieser Aktionen ist es nicht, tatsächlich Zehntausende per Flugzeug abzuschieben. Kolportiert wird die Zahl von 80.000 aus der Europäischen Union. Bei den Passagierzahlen bislang klingt das nicht besonders realistisch. Geschürt werden aber Unsicherheit und sogar Panik unter den Geflüchteten. Nach Informationen der Frankfurter Rundschau wurde in Deutschland dafür eigens die Beratungsfirma McKinsey vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beauftragt. Gezielte Politik by Angst also. Denn die Anerkennungsquote afghanischer Flüchtlinge in Deutschland lag 2016 deutlich über 50 Prozent. Ähnlich sieht es in Österreich aus.
Afghanistan: Attentate und islamistische Selbstjustiz
In einer Informationsbroschüre von ProAsyl zur Situation afghanischer Flüchtlinge heißt es deutlich:
Afghanistan ist für Flüchtlinge nicht sicher – diese Einschätzung teilen nicht nur die Flüchtlinge und ihre Unterstützer*innen, sondern auch viele Expert*innen, informierte Journalist*innen und Politiker*innen. Dennoch startete am 14. Dezember 2016 der erste Sammelcharter mit 34 afghanischen Staatsangehörigen vom Flughafen Frankfurt am Main mit Ziel Kabul.
Die Realität im Land am Hindukusch in dürren Zahlen: Seit Januar 2017 kam es in Kabul zu mehreren Anschlägen. Am 10. Januar unweit des afghanischen Parlaments, mit rund 50 Getöteten. Am 7.2. vor dem Obersten Gerichtshof mit mindestens 22 Toten. Am 8. März 2017 wurde das Militärkrankenhaus in Kabul angegriffen. Mehr als 30 Menschen starben. Spiegel Online berichtet von islamistischer Selbstjustiz. So haben die Taliban einem vermeintlichen Dieb eine Hand und ein Fuß abgehackt.
CIA: Taliban sind eine Bedrohung in praktisch jeder Provinz
Dass die weiterhin bedrohliche Situation dort nicht Propaganda verblendeter NGOs ist, zeigt ein Blick in das Fakt-Sheet des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Dieser hält tagesaktuelle Informationen aller Länder der Welt bereit. Die Übersicht macht deutlich, dass es im Land weder einen halbwegs funktionierenden Staat noch andere Organisationen gibt, die wirksam schützen könnten. Ein Leben ohne Hunger, mit Unterkunft, ärztlicher Versorgung und geregelter Arbeit erwartet die Rückkehrerinnen und Rückkehrer nicht. Besonders kann der Staat keinen wirksamen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen bieten. Die Regierung und die staatlichen Institutionen sind weitgehend korrupt. Deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass die 1,2 Milliarden Euro der EU an den richtigen Stellen und Personen ankommen.
Die islamistischen Taliban sind weiterhin eine prägender politischer Faktor, in praktisch allen Provinzen. Die CIA hebt das eigens hervor.
Despite gains toward building a stable central government, the Taliban remains a serious challenge for the Afghan Government in almost every province. The Taliban still considers itself the rightful government of Afghanistan, and it remains a capable and confident insurgent force despite its last two spiritual leaders being killed; it continues to declare that it will pursue a peace deal with Kabul only after foreign military forces depart.
Der Krieg gegen die zivile Bevölkerung
Diese „aufständischen Kräfte“, von denen der CIA-Bericht hier spricht, führen ihren Krieg erklärtermaßen gegen die Zivilbevölkerung. So berichtet die UN-Unterstützungsmission für Afghanistan (UNAMA), dass der Taliban-Krieg alleine im Jahr 2015 11.034 zivile Opfer gefordert hat: 3.565 Todesopfer und 7.469 Verletzte. 2016 sind diese Zahlen noch leicht angestiegen. Aus dieser Statistik der zivilen Opfer ergibt sich: Afghanistan wird nicht sicherer, sondern unsicherer.
Wer dennoch meint, Afghanistan sei ein sicheres Herkunftsland, möge sich eine ähnliche Situation in Österreich vorstellen. Und ob er oder sie sich dann subjektiv und objektiv sicher fühlen könnte. Angehörige ethnischer Minderheiten, etwa der Hazara, werden dennoch ins Flugzeug gesetzt. Die österreichischen Behörden wollen es so. Obwohl sie ein bevorzugtes Hassobjekt der Taliban sind. Sie werden also kalkuliert in einen durchaus möglichen Tod zurück geschickt.
Die Kampagne des Innenministers
Solche Fakten spielen aber schon lange keine Rolle mehr. Stattdessen wurde eine regelrechte Kampagne gegen Geflüchtete aus dieser Region in Anschlag gebracht. Sie begann mit der Bemerkung Sobotkas, ein Polizist in Afghanistan würde 50 Cent pro Stunde verdienen. Mit dieser Aussage argumentierte der Innenminister gegen die Aufhebung des Arbeitsverbots für Asylwerbern. Denn dadurch würden Asylwerber die Möglichkeit bekommen, für ihren Unterhalt zu sorgen – und damit ihren Status zu festigen.
Fortgesetzt wurde diese Kampagne mit einem Doppelinterview im Kurier zum Jahresbeginn. Gesprächspartner war SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Sobotka und Doskozil überboten sich in zur Schau gestellter Härte. Dort forderte Sobotka „härtere Maßnahmen gegen Asylwerber, die ihrer Abschiebung entgehen wollen.“ Gemeint sind Menschen, die völlig legal alle Möglichkeiten des Rechtsstaates ausschöpfen, um ihren Status zu klären.
Wahlkampfgerecht kam es Anfang 2017 in Graz zu verschärften Kontrollen in Parks und man veranstaltete eine „Terror-Razzia“. Die Aufregung ebbte ab, übrig blieb nur das Codewort „Afghanen“. In Wien wiederum wurde am Westbahnhof medial ein Bedrohungsszenario heraufbeschworen. Codewort auch hier: „Afghanen“. Dort ist das bislang freie W-Lan gedrosselt worden. Eine tatsächliche Bedrohung hat dort niemals bestanden.
Zufrieden kommentierte der Innenminister den Abschiebeflug vom Mittwoch:
BAMF: „Afghanistan ist ein zerrütteter, unsicherer Staat“
Zeitgleich ist übrigens in Deutschland ein internes Papier aus dem Bundesamts für Migration (BAMF) aufgetaucht. Es untersteht dem Innenministerium. Laut Berliner Zeitung, die ein Exemplar des Dokuments besitzt, steht dort:
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Fotocredit: LPD Steiermark/Jürgen Makowecz Abdruck honorarfrei