Frankreich: Alles läuft auf Macron als Präsident hinaus

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Die Wahlen in Frankreich rücken näher: für die Präsidentschaft im April und Mai 2017 und für die Nationalversammlung im Juni. Bei den Wahlgängen stehen die Chancen auf gute Resultate für den Front National (FN) nicht schlecht. Allerdings dürfte zumindest die Präsidentschaftswahl im zweiten Wahlgang verloren gehen. Gewinnen würde sie Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen. Das sagen die Umfragen voraus – und das ergibt die voraussichtliche Stimmenarithmetik.

Und die französische Linke? Sie ist zersplittert. So wurde der sozialistische Kandidat Benoît Hamon unmittelbar nach seiner Wahl hoch gejubelt. Er sollte die Wende für die sozialistische Partei bringen. Doch werden seine Programmpunkte je schwammiger, je näher der Wahltermin rückt. Und ein richtiges Wahlmanifest gibt es bis heute auch noch nicht. Bleibt nur Mélenchon und die Bewegung la France insoumise. Für sie könnte zumindest ein Achtungserfolg im ersten Wahlgang zur Präsidentschaft herausschauen. Währenddessen zeigt der Front national in den Gemeinden sein wahres Gesicht: Schulspeisungen werden gekürzt. Und lokale Politikerinnen und Politiker schlagen vor, Krippen und Kindergärten ganz zu schließen. Ein Bericht von Sebastian Chwala.


Der Front National meint: sozial = bolschewistisch

Auch wenn Le Pen am Ende nicht gewinnen würde: Die letzten fünf Jahre hätten für sie und ihre Partei kaum erfolgreicher sein können. Zu knappen Wahlniederlagen durch Marine Le Pen und ihre Nichte Marion Maréchal – Le Pen, gesellten sich zahlreiche Wahlsiege auf kommunaler Ebene im Jahre 2014. Diese Gemeinden dienen der Partei seitdem als Laboratorium für die Erprobung der eigenen nationalkonservativen und sozialdarwinistischen Programmatik. Dabei stellt die konsequente Ausgrenzungspolitik gegenüber nicht-weißen Mllieus nur einen Teilaspekt dar. Viel eher haben es die FN-Bürgermeister auf die gerne vom Mainstream abwertend bezeichneten „sozial schwachen“ Menschen abgesehen. Ganz besonders beliebt ist dabei die Kürzung von subventioniertem Mensaessen in Schulen für Erwerbslose und einkommensschwache Menschen, sowie die Aufhebung von gebührenfreien Lern- Berufsbildungs- oder Betreuungsangeboten. Schließlich wohne, laut Cyril Nauth, einem „frontistischen“ Bürgermeister von Mantes-La-Ville, dem Begriff „sozial“ der „Bolschewismus“ inne.

Manche KommunalpolitikerInnen des FN können sich sogar vorstellen, öffentliche Krippen und Kindergärten zu schließen. Schließlich ist man beim FN ohnehin der Meinung, dass Erziehungsarbeit Privatsache und vor allen Dingen eine Angelegenheit der Mütter sei. Viel lieber brüsten sich lokale MandatsträgerInnen damit, lokale Steuern gesenkt und privatwirtschaftlich finanzierte Immobilienprojekte für einkommensstärkere Angehörige der Mittelklassen angestoßen zu haben.

Der Erfolg des FN ist Ausdruck eines verletzten „Gerechtigkeitsgefühls“

Wie sich also zeigt, ist die These nicht ganz stimmig, dass der Front national eine Partei sei, die für die Ärmsten der Armen Politik machen wolle. Dennoch lässt sich kaum leugnen, dass unter den WählerInnen des FN eine nicht unerhebliche Zahl von ArbeiterInnen zu finden sind. Gerade diese Menschen haben die vergangenen Legislaturperioden und die jeweiligen Regierungen als Enttäuschung wahrgenommen. Nach den gescheiterten Politiken, die wirtschaftliche Erholung oder die Stärkung Frankreichs als außenpolitischer Akteur versprachen, rückte – berechtigterweise – mehr und mehr die Rolle der politischen und ökonomischen Eliten in dem Mittelpunkt der Kritik.

Der Grund: Klientelismus auf nationaler und lokaler Ebene

So geht die lokalen Verankerung politischer Akteure in Frankreich in der Regel mit der Bildung klientelistischer Abhängigkeitsstrukturen einher, und diese wiederum mit Korruption und Vetternwirtschaft. So wollen etwa die großen Parteien und deren VorzeigepolitikerInnenn auf lokaler Ebene ihre Machtbasis bewahren. Dafür gewähren sie treuen Parteigängern gerne einen exklusiven Zugang zu kommunalen Dienstleistungen, wie günstigem Wohnraum oder Beschäftigungsverhältnisse an.

Nicht weniger Ablehnung schlägt der Großbourgeosie entgegen, die in segregierten Räumen lebt, wie etwa dem 16. Pariser Arrondissement. Diese undurchsichtig agierenden großbürgerlichen Milieus schanzen sich Spitzenposten in Staat und Wirtschaft zu. Man kennt sich dabei bereits aus den Alumni-Netzwerken der AbsolventInnen der „Eliteschulen“ und durch verwandtschaftliche Beziehungen unter den Angehörigen der „reichsten Familien“.  Damit widersprechen sie dem neuen, aber gleichzeitig sehr alten französischen Ideal der Meritokratie. Diesem Verständnis nach wird der Einzelne durch seine Verdienste Teil der Elite – und nicht durch Vererbung.
Besonders auf den Anhang des FN, der eher aus den „unteren“ sozialen Schichten stammt, übt die Idee des sozialen Aufstieges eine reale Faszination aus. Zwar gibt es nicht den einen bzw. die eine idealtypische(n) WählerIn des Front national. Dennoch hat die qualitative Sozialforschung in Frankreich in den letzten Jahren nachgewiesen, dass ein großes Reservoir an WählerInnenstimmen in der Grauzone zwischen Arbeiterklasse und unterster Mittelschicht anzusiedeln sind.

Das Grauzonenmilieu des Front national

Diese sozialen Akteure verfügen real über Erwerbseinkommen, die tatsächlich nicht sonderlich hoch sind. Sie nehmen ihre „Lebenshaltungskosten“ und Lebensrisiken“ aber als sehr hoch und ausgeprägt wahr. Im Unterschied etwa zu Deutschland verfügen diese Milieus häufig über Immobilieneigentum, dessen Finanzierung einen hohen Anteil der materiellen Ressourcen verbraucht. Das kann die stark ausprägten Abstiegsängste erklären. In diesen Milieus herrscht zudem das Bewusstsein vor, dass nur diejenigen ehrliche und aufrichtige Menschen sind, die hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Demzufolge verletzen „die da oben“ ihr Gerechtigkeitsgefühl – aber auch die „da unten“ – die MigrantInnen, FaulenzerInnen und Erwerbslosen. Was wiederum zu einer großen Distanz staatlichem Handeln gegenüber führt.

Denn die öffentliche Hand benutze die Steuern dieser selbsterklärten Leistungsträger und führe eine illegitime Umverteilung durch, zugunsten derer, die keinen produktiven gesellschaftlichen Beitrag lieferten. Die politischen Ziele des FN, der einerseits vorgibt sich für die kleinen Leute einzusetzen, aber anderseits den „überbordende Staat“ durch allgemeine Steuersenkungen und Rückführung der Staatsquote zähmen zu wollen, stehen deshalb nicht im Widerspruch.

Dies ist der idealtypische Grund, weshalb Le Pen bei traditionslosen, und damit sozial aufstiegsorientierten „ArbeiterInnenmillieus“ so hoch im Kurs steht.
Diese Milieus können sich in Wahlumfragen zwar korrekterweise der ArbeiterInnenklasse zuordnen, objektiv betrachtet haben sie aber bereits die Wertevorstellungen der Mittelklasse verinnerlicht. So wird auf die Kernfamilie als Lebensmittelpunkt fokussiert – und sich von solidarischen Handlungsformen distanziert.

Die Positionen des FN sind nicht mehrheitsfähig

Spätestens seit dem letzten Jahr, also seit den Protesten gegen das Loi Travail, hat man gesehen, dass es nach wie vor linke Milleus gibt. Sie werden zum Teil von der alten Arbeiterklasse (CGT, teilweise die kommunistische PCF) getragen. Aber sie beziehen auch die prekären akademischen Milieus mit ein. Gerade letztere scheinen im Umfeld der UnterstützerInnen der Kandidatur von Jean-Luc Mélenchon aktiv zu sein. Dieser verspricht einen radikalen politischen Neuanfang durch einen institutionellen Neubeginn in Form einer sechsten Republik. Dies scheint viele bisher eher Politik ferne, aber nicht unpolitische junge Menschen anzusprechen. Das Ziel, eine „nationale Souveränität“ durch eine Politik zu erreichen, die nicht nach gesellschaftlich ausgrenzbaren Sündenböcken sucht, strahlt Attraktivität aus. Stattdessen sollen die bürgerlichen Eliten in die Pflicht genommen werden, indem höhere Steuern erhoben oder soziale staatliche Sicherungssysteme solidarisch finanziert werden. Das alles freilich ohne mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung brechen zu wollen. Nicht desto trotz bleibt Mélenchon der einzige Kandidat, der aktiv für den Ausbau öffentlicher Investitionen und Beschäftigung über den Weg der Neuverschuldung eintrit. Der Rest der Kandidierenden streitet derweil darüber, wer am konsequentesten öffentliche Ausgaben zurückfährt und die staatliche Handlungsfähigkeit noch weiter schwächt. Ausgenommen davon ist noch der sozialistische Kandidat Benoit Hamon, der mit näher rückender Wahl immer schwammiger in seinen Forderungen wird, und bis heute über kein vorzeigbares Wahlmanifest verfügt.

Alles läuft also auf Emmanuel Macron als kommenden Präsidenten heraus. Die gesamte Linke ist nach fünf Jahren gescheiterter Regierungspolitik der Sozialdemokratie in einer grundsätzlichen Krise. Derart gespalten scheint es unmöglich, ein gemeinsames Alternativprogramm zur Deregulierungspolitk der Mitte-Links-Regierungen unter Präsident Hollande anzubieten.
In diesem Fall bleibt nur Macron übrig, der mit seinem zentristischen Profil viele gemäßtigte Rechtswähler an sich binden kann, die weder die sozialkonservative Politik Fillons oder Le Pens noch deren Korruptionsaffären für gut befinden. Schließlich verspricht er die Fortsetzung der bestehenden Politik. In Zeiten in denen die „Alternativlosigkeit“ angebotsorientierter Wirtschaftspolitik noch nicht gebrochen werden kann, fehlen aber auch der radikaleren Linken wirkungsmächtige Argumente.

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