„In Europa gilt der Grundsatz: Unrecht darf sich lohnen“ – Ein Interview mit Konsumentenschützer Peter Kolba

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By Sebastian Reinfeldt

KonsumentInnenschutz? Das mag vielleicht spießig und unpolitisch klingen: nach ewigen Vergleichen und Warentests für aus Prinzip unzufriedene Kundinnen und Kunden. Doch weit gefehlt. Es ist im Grunde eine hochpolitische Angelegenheit.

Aus diesem Grund ist es für Peter Kolba, der bist vor kurzem oberster Jurist des VKI war, ein linkes Thema. Wenn nämlich, so wie im Fall des Dieselgates von VW, die Konsumentinnen und Konsumenten einem Riesenkonzern gegenüber stehen, dann geht es ans Eingemachte. Um Profite zu sichern, wurden bewusst falsche Abgasmesswerte produziert. Sich dagegen zu wehren ist natürlich hochpolitisch. Und das ist einer der Gründe, warum Peter Kolba nicht mehr beim VKI beschäftigt sein kann. Im Interview mit Sebastian Reinfeldt spricht er über die Hängepartie „Sammelklage gegen VW“, über den besonderen Charakter des österreichischen VKI und ob KonsumentInnenschutz im Kapitalismus mehr als nur ein Alibi ist.


Du hast nun deine langjährige Tätigkeit als Jurist beim VKI beendet. Gab es dafür nur persönliche Gründe?

Ich leide seit etwa 4 Jahren an einer Erkrankung der peripheren Nerven, Polyneuropathie. Die Ärzte konnten keine Ursache feststellen. Diese Erkrankung führt zu Schmerzen in Füßen und teilweise auch in den Händen: brennen, Kälte, Schmerz, Taubheit. Bei dieser Erkrankung gelingt es, dass man die Schmerzen nicht so stark wahrnimmt, wenn man sich wohlfühlt und selbstbestimmt in einer kooperativen Umgebung arbeitet. Andererseits schlagen sich Konflikte und Stress so nieder, dass sich die Schmerzen verstärken und ein konzentriertes Arbeiten schwierig wird. Diese Erkrankung war also ein Grund, dass ich den Dienstgeber Verein für Konsumenteninformation (VKI) nach 26 Dienstjahren als Bereichsleiter für Recht um eine einvernehmliche Auflösung meines Dienstverhältnisses ersucht habe.

Doch hat sich auch der Charakter des VKI zu einer Art Vorfeldorganisation der Arbeiterkammer gewandelt. Früher war er eine klassische Sozialpartnereinrichtung mit Arbeiterkammer, Gewerkschaft, Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer sowie der Republik als außerordentliches Mitglied. Heute ist die Arbeiterkammer das einzige ordentliche Mitglied im VKI. Man meint sich mit dem VKI in Konkurrenz um die mediale Aufmerksamkeit – und das hat zu Konflikten geführt, die ich nicht mehr aushalten wollte und konnte. Daher habe ich nun mit 31.1.2017 den VKI verlassen. Durchaus im Einvernehmen.

Bei der Sammelaktion des VKI in Sachen „VW-Dieselgate“ haben sich rund 30.000 geschädigte VW-Fahrzeughalterinnen und -halter beim VKI gemeldet. Wann wird es nun eine Sammelklage geben?

Eine Sammelklage, wie man sie aus den USA kennt, gibt es in Europa nicht. Die Wirtschaftslobby hat es bislang geschafft, europäische Initiativen dazu zu verhindern. In Europa gilt – pointiert gesagt – der Grundsatz: Unrecht darf sich lohnen. Während VW in den USA über 20 Milliarden Euro als Schadenersatz- und Strafschadenersatz anbietet, gibt es in Europa nur die kalte Schulter. Das liegt daran, dass man mit den verschiedenen nationalen Instrumenten VW vielleicht ärgern, kaum aber zu Zahlungen zwingen kann.

Eine Sammelklage nach österreichischem Recht wird es voraussichtlich nicht geben. In Österreich gilt in solchen Verfahren im Kostenersatzrecht der Zivilprozessordnung das „Taxameter-Prinzip“: Je länger verhandelt wird, desto mehr verdienen die Anwälte. Daher ist es vom Kostenrisiko nicht abschätzbar und mit 30.000 Ansprüchen würde es wohl erst in Jahrzehnten zu Urteilen kommen.

In Deutschland haben VW-Aktieninhaber Musterverfahren nach dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz eingebracht. Für Fahrzeuginhaber und normale Verbraucherinnen und Verbraucher gibt es dieses Instrument noch nicht.

Aber Unrecht ist doch strafbar. Auch in Europa, oder?

Schon. In Braunschweig, am Sitz von VW, ist ein deutsches Strafverfahren anhängig; allerdings nur gegen Personen und nicht gegen die Firma VW. Daher hat der VKI auch bei der österreichischen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft eine Strafanzeige eingebracht. Über 3000 Geschädigte haben sich als Privatbeteiligte dem Verfahren angeschlossen. Doch die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren nach Braunschweig abgeschoben. Das ist ärgerlich. Denn anders als in Deutschland könnte in Österreich auch das Unternehmen VW nach dem Verbandverantwortlichkeitsgesetz bestraft werden.

In den Niederlanden wurde aber eine Stiftung gegründet, die versuchen wird, mit VW dennoch auch für Europa zu einem Vergleich zu kommen. Das ist erheblich mühsamer als in den USA, aber es könnte doch gelingen.

Ist Konsumentenschutz im Kapitalismus nicht nur eine Alibi- und PR-Sache?

Das amerikanische System der Sammelklagen mit dem opt out-System und dem Erfolgshonorar für Rechtsanwälte ist ein wirksames marktwirtschaftliches System. Opt-out-System bedeutet, ein Urteil oder Vergleich wirkt für alle Geschädigten, die sich nicht abmelden. Das Erfolgshonorar ist ein starker Anreiz, dass Anwälte sich für solche Verfahren engagieren und diese vorantreiben. Der Effekt: Schadenersatz für die Geschädigten aber insbesondere – auch durch hohe Strafzahlungen – eine Abschöpfung des Gewinns, der durch Unrecht erzielt wird. Das ist höchst wirksam, sowohl spezialpräventiv – gegenüber dem betroffenen Unternehmen – als auch generalpräventiv für den Mitbewerb.

In Europa wird – zum Gaudium der Wirtschaft – sogar von den Verbraucherschützern als Mantra wiederholt, dass man keine „amerikanischen Verhältnisse“ anstrebe. Man strebt aber auch keine wirksame Alternative dazu an. Es gibt nationale Ansätze, aber keine europäische Sammelklage. So verkommt der Konsumenten-Schutz zu einer PR-Sache von EU-Kommission und nationalen Regierungen. In Wahrheit wird dauernd mit gespaltener Zunge agiert.

Kannst du Beispiel dafür nennen?

Die EU-Justizkommissarin Jurova hat VW öffentlich heftigst kritisiert und angekündigt, auch in Europa „Sammelklagen“ koordinieren zu wollen. Am Tag darauf – in einer Sitzung der europäischen Verbraucherorganisationen – war davon keine Rede mehr; im Gegenteil, sie stellte klar, dass die Kommission wegen VW sicher keine Sammelklagen einführen wolle.

In Deutschland hat die Verbraucherorganisation vzbv im Herbst 2015 allen Ernstes ein rechtliches Gutachten dafür eingeholt, ob ein Schaden vorliege. Das bestellte Gutachten sagte: Nein. Und was macht die Verbraucherorganisation? Sie veröffentlicht das auch noch. Inzwischen ist der vzbv zurückgerudert und erhebt immer wieder „moralische Aufrufe“ an VW. Geklagt wird aber nicht.

Das ist wieder so ein PR-Gag. Denn kein Vorstand eines Unternehmens kann es verantworten, nur aus einer „moralischen Verpflichtung“ heraus Milliarden zu zahlen. Das wäre meiner Meinung nach Untreue. Es ist schon nötig, dass man rechtlich valide Klagen einbringt. Erst dann ergibt sich die Möglichkeit für den Vorstand, das Schlimmste durch einen Vergleich abzuwenden.

Wie wirkt sich die für Österreich typische Verparteiung durch SPÖ und ÖVP im Konsumentenschutz aus?

Konsumentenschutz ist Österreich ist bislang ein Thema der Sozialpartnerschaft. Dabei ging es meines Erachtens den Sozialpartnern vor allem darum, durch die Herausgabe des Test-Magazines KONSUMENT zu verhindern, dass die deutsche Stiftung Warentest mit ihrem Magazin TEST auf den österreichischen Markt drängt. Dagegen ist die Wirtschaftskammer naturgemäß nicht froh, dass ihre Unternehmer mit Verbandsklagen, Musterprozessen und auch Sammelaktionen an die bestehenden Gesetze erinnert werden.
Die Arbeiterkammer wiederum macht seit 2000 (Schwarz-Blau) selbst Konsumentenberatung. Sie sieht sich in der Öffentlichkeit in Konkurrenz zum VKI. Schließlich stützt das Sozialministerium die Klagstätigkeit des VKI mit Förderungen bzw Werkaufträgen ab. Doch bei Organisationen, die als Hauptziel „Arbeitnehmerschutz“ vertreten, steht der „Konsumentenschutz“ immer erst an zweiter Stelle. Das Argument, dass Klagen Arbeitsplätze gefährden würden, wird rasch angeführt. Gelegentlich bringen Betriebsräten es auch direkt vor. Da gilt es dann, „den Ball flach“ zu halten, sagen sie. Was auch immer das heißen soll.
Ich vermisse in Österreich daher eine Organisation, die von staatlichem Einfluss frei ist, eine freie Organisation, die bei Massenschäden ausschließlich im Dienste der Geschädigten auftritt. Egal, ob es VerbraucherInnen EinpersonenunternehmerInnen, KMUs oder Investoren sind. Sie könnte deren Ansprüche sammeln und gemeinsam durchsetzen.

Kann man da als „freier“ Konsumentenschützer überhaupt etwas bewirken?

Ich kann mich jetzt jedenfalls einmal gesundheitlich erholen. Ich werde weiter publizieren und auch bloggen auf www.himko.at. Weiters werde ich Vorträge und Seminare halten und mich in die rechtspolitische Diskussion einmischen. Ich fürchte jedoch, dass eine einsame Stimme verhallen könnte. Daher habe ich die Idee, mit hoffentlich starker Unterstützung der Zivilgesellschaft völlig unabhängige Institutionen mitaufbauen zu helfen. Ich bin – ein erster Schritt – nun Vorsitzender zweier Rechtspersonen: Die Österreichische Gesellschaft für Verbraucherrecht (ÖGVR) hat das Ziel, sich in die Rechtspolitik einzumischen. Und der Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen (Verbraucherschutzverein) könnte Basis für neue Massenverfahren werden.

Du bist ein Linker. Warum eigentlich?

Eine meiner wichtigsten Bezugspersonen meiner Jugend – mein verstorbener Opa – war aus seinem konkreten Leben als Straßenbahner heraus Kommunist. Ich war Teil der antimilitaristischen Friedensbewegung in der ARGE Wehrdienstverweigerung. Damals habe ich aus meinem Kontakt in der Koordination der Friedensbewegung heraus wenig Lust bekommen, in die KPÖ einzutreten oder bei der SJ Tischtennis zu spielen. Ich würde mich daher allenfalls als „undogmatischer“ Linker bezeichnen. Wolf Biermann hat mich mit seinem Widerstand gegen den DDR-Stalinismus auch sehr geprägt. Weiters hatte ich das Glück, mit meinem Job im VKI ein Berufsleben lang „auf der richtigen Seite“ stehen zu können. Ich musste also meinen Idealismus für eine bessere Welt, in der alle gut leben können, nicht beim Jobeintritt an den Nagel hängen. Bei allem Bemühen ist es den Institutionen nicht gelungen, mir diesen Idealismus auszutreiben.

Was müsste deiner Meinung nach passieren, dass eine linke Alternative in Österreich erfolgreich wird?

Eine linke Alternative, die erfolgreich im Sinne einer Eroberung einer Mehrheit wäre, sehe ich weit und breit nicht. Im Gegenteil: Es ist doch erschreckend, dass sich rund 50 Prozent der Bevölkerung von den Inhalten der FPÖ nicht abhalten lassen, deren Kandidaten zum Bundespräsidenten zu wählen und der Gegenkandidat nur gewinnen konnte, weil er einen professionellen „Dirndl- und Lederhosen“-Wahlkampf geführt hat. Weichspülen aller Inhalte inklusive. Das hat de facto den politischen Diskurs in Österreich nach rechts verschoben.

Ich sehe die Grünen dafür mitverantwortlich. Auf Bundesebene treten diese nicht als kantige Opposition zur Sozialpartner-Regierung auf, sondern wollen da unbedingt mitspielen. Letztlich machen sie der Regierung immer wieder die Mauer. Es fehlt eine kantige linke Opposition, die allerdings so stark sein müsste, dass ein Einzug in den Nationalrat jedenfalls sicher ist. Denn nur so könnte man den Rechten jene Stimmen abnehmen, die die FPÖ nutzen um der Regierung ihren Protest auszudrücken bzw jene Stimmen derer, die inzwischen bei Wahlen zuhause bleiben.

Peter Kolba, 1959 in Wien geboren, Jurist, 26 Jahre Leiter Bereich Recht im VKI, seit 31.1.2017 freier Jurist/Autor/Berater – Verbraucherschutz.

Ich sehe einige kleine Ansätze, aber keine „Graswurzelrevolution“ wie etwa in der Anti-AKW-Bewegung oder bei der Besetzung der Hainburger Au. Ebenfalls sehe ich kein „parlamentarisches Spielbein“ derselben. Doch die Widersprüche spitzen sich zu – warten wir ab, was sich da noch entwickeln wird.

 

 

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