Nach den vielen verwunderten Vorberichten – bis hin zur deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ – ist es eigentlich keine Überraschung mehr. Dennoch ist das Ergebnis der Grazer KPÖ bei der Gemeinderatswahl 2017 ein besonderes. Mit 20 Prozent liegen die Grazer Kommunistinnen und Kommunisten mit Elke Kahr deutlich vor der FPÖ. Sie erzielte rund 15 Prozent. Stärkste Partei wird die konservative ÖVP unter Bürgermeister Nagl. Sie wurde von 38 Prozent der Grazerinnen und Grazer gewählt. Die SPÖ verlor rund fünf Prozentpunkte und liegt bei 10 Prozent knapp über der Einstelligkeit. In etwa gleich auf liegen die Grünen. Dieser Verlust ist jedenfalls ein Debakel für die sozialdemokratische Regierungspartei, die eigentlich auf einer Sympathiewelle ihres Frontmanns Christian Kern schwimmen sollte. So der Partei-Spin. Doch das neuerliche Regierungsübereinkommen mit der ÖVP im Bund bringt offenbar nur der konservativen ÖVP etwas.
Es bleibt die Frage: Wie kann es eigentlich sein, dass die kommunistische Partei in Graz mit ihren 20 Prozent der Stimmen so erfolgreich ist, während in Rest-Österreich die KPÖ nur knapp an der ein Prozent Grenze kratzt? So hat beispielsweise die Wiener KPÖ über die Wahlallianz Wien anders zwar fünf kommunistische Bezirksräte erreicht. Wienweit wurden es aber nur ein mageres Prozent. Ein Überblick von Sebastian Reinfeldt, inklusive einem Plädoyer, das innerkommunistische Schisma in Österreich zu überwinden.
KPÖ Graz: Gewinnen gegen den Trend
Es ist ein „eigentlich unwahrscheinliches Wahlergebnis“, betont der Politikwissenschaftler Manes Weisskircher. Er hat sich mit der lokalen Besonderheit der parlamentarischen und gesellschaftlichen Stärke der Grazer KPÖ beschäftigt. Unwahrscheinlich ist das Ergebnis deshalb, so meint er in einem ORF-Beitrag, weil es einige politikwissenschaftliche Gesetze infrage stellt. So schneiden linke Parteien bei der Wahl-Alternative zwischen grünen und rechtspopulistischen Parteien in der Regel schlecht ab. Zudem sind die stimmenstärksten linken Parteien in Europa keine kommunistische Parteien mehr. Die steirische Kommunistinnen und Kommunisten lehnen eine Umbenennung aber ausdrücklich ab. Ihr ideologisches Gerüst kommt allerdings in ihrer konkreten Politik kaum zum Vorschein. Es bildet für sie aber eine wesentliche Hintergrundgewissheit und Motivation zur Politik. Von daher gab es auch keine Notwendigkeit, groß von ihrer traditionalistischen Linie abzuweichen. In dieser Beharrlichkeit liegt ein Unterschied zur Bundes-KPÖ und der Wiener KPÖ. Sie folgen dem linken Zeitgeist und greifen die linken Themen auf, die gerade aktuell sind.
Linke Diskussionen drehen sich gerne um die Frage der Regierungsbeteiligung. Sie steht unter dem Verdacht, schädlich zu sein. Genau umgekehrt lief das in Graz. Die KPÖ ist besonders erfolgreich, seit sie auch institutionelle Stärke hat und in der Stadtregierung vertreten ist. Denn dort hat sie konkrete linke Akzente setzen können. Sie übt Macht – ganz kommunistisch übrigens – wie selbstverständlich aus, ohne Drohungen und dabei immer sachlich argumentierend.
Erfolgsfaktor eins: Wohnen und die Sorge um das tägliche Kleinklein
Zwei Aspekte nennt Weisskircher als entscheidende Faktoren: Zum einen, dass sie ein politisches Thema als unverkennbares Merkmal besetzt hat, das im alltäglichen Leben aller wesentlich ist: Wohnen. Und sie hat dieses Thema nicht nur hübsch plakatiert, sondern im täglichen Kleinklein bearbeitet.
Zum anderen hat die KPÖ gezielt mit direkt-demokratischen Elementen gearbeitet. Die Themen ihrer Unterschriftensammlungen bzw. der erzwungenen Volksbefragungen waren: Einführung der Mietzinszuzahlung (erfolgte ohne Befragung), gegen die Privatisierung der Gemeindebauwohnungen sowie die Renovierung von Substandard-Gemeindebauten. Das sind zwar klassische kommunistische Themen. Sie betreffen die Regelung der Angelegenheiten aller auf direkte und demokratische Weise. Diese Themen wurden allerdings pragmatisch, ohne ideologische Brimbamborium und hartnäckig angegangen.
Erfolgsfaktor zwei: Ein ehrlich erarbeitetes Charisma
Hinzu kommt dann das persönliche Charisma von Ernest Kaltenegger (er hat diese Grazer Linie entscheiden geprägt) und von Elke Kahr. Ganz materialistisch kommt diese in Graz nicht durch göttliche Gaben zustande, sondern durch eine kommunistische Haltung: Beide gestehen sich nur ein normales Gehalt zu, egal in welcher politischen Funktion sie sich befinden. Und der überschüssige Rest geht an einen Sozialfonds, der individuell hilft: Bei Mietschulden, oder wenn das Geld einer Familie oder einer Einzelperson nicht für die nötige neue Waschmaschine reicht. Es handelt sich dabei um ein erarbeitetes Charisma. Gutes Tun und darüber sprechen – so machen es alle Genossinnen und Genossen, denn diese Regel gilt für alle Mandatarinnen und Mandatare. Also entsprechen ihren Worten auch ihre Taten. Punktgenau.
Ein Deal zwischen Wahlvolk und den Kommunistinnen und Kommunisten
Was können wir also von diesem lokalen Beispiel lernen?
Es ist eine wahlstrategische Selbstverständlichkeit, dass jede Partei ein distinctive feature braucht. Ein solches hat sich die Grazer KPÖ in mühevoller Kleinarbeit erarbeitet. Ihres ist am ehesten mit der früheren PDS-Art der „Kümmerer-Partei“ vergleichbar: In Ostdeutschland sind sich die Genossinnen und Genossen bis heute auch nicht zu fein, sich um jedes erdenkliche Thema vor Ort zu kümmern. Daher liegt die KPÖ in Graz auf Bezirksebene auch nochmal sechs Prozent zu und erhält knapp 26 Prozent Prozent.
Auf diese Weise ist die Grazer KPÖ aus diesem ewigen linken Kritikmodus herausgekommen. Wenn alles immer schlimmer wird, sich die Krise zuspitzt und alles bedroht ist, was uns wichtig und heilig ist – tendiert die Linke dazu, auf Internet-Memes, genau das den Leuten andauernd zu erklären. Wofür sollte sie also gewählt werden? Eine Linke muss einen Gebrauchswert haben. Im Falle der Grazer KPÖ besteht er darin, dass viele Menschen sich eine Waschmaschine nur dann leisten werden können, wenn möglichst viele KPÖ-MandatarInnen in den Gemeinderat einziehen werden. Dieser Deal hat noch eine weitere Zielgruppe, übrigens. Denn somit können auch Gutverdienende sich ihr soziales Gewissen einfach erleichtern. Denn KPÖ wählen wird dann zu einer praktischen, guten Tat. Es hat einen Mehrwert. Die KPÖ hat somit ein lokales, fortschrittliches Klassenbündnis gebildet, das offenbar stabil ist. Und das der rechtspopulistischen FPÖ stand hält.
Das Schisma innerhalb der KPÖ sollte beenden werden
Abschließend, und über das Grazer Ergebnis hinaus: Das Schisma zwischen Bundes-KPÖ und den steirischen Genossinnen und Genossen sollte endlich beendet werden. So nimmt die steirische Partei – und auch die Grazer KPÖ – seit langem nicht mehr an den Beratungen der Bundespartei teil. Ebenso werden die Möglichkeiten auf dem Bundesparteitag nicht ausgeschöpft. Stühle bleiben leer, allenfalls schaut jemand zum Beobachten vorbei. Eine linke Alternative in ganz Österreich kann nur mit einer einigen KPÖ gesellschaftlich bedeutsam werden. Deshalb ist diese faktische Spaltung der KPÖ zu überwinden. Das gute Ergebnis der steirischen Genossinnen und Genossen bei der Wahl könnte ein Anlass dazu sein, die Gräben zu verlassen. Die Basis der Partei sieht das wohl auch so. Aus allen Landesteilen waren im Jänner und Februar Aktivistinnen und Aktivisten helfend vor Ort. Sie haben den Straßen-Wahlkampf der Grazer KPÖ mit unterstützt. Denn in der Kälte ist so etwas nun wirklich kein Zuckerschlecken. Und Solidarität soll ja bekanntlich wärmen.