Die Geschichte der französischen Parti socialiste bis heute liest sich wie ein Menetekel westeuropäischer Sozialdemokratien: Sie agieren in einem wohlhabenden Land Europas als gestaltende Kraft, sie sind dabei aber zerrissen zwischen einem neo-liberalen Pol und einer nationalistischen, rechtspopulistischen Option. Sie verlieren Wahlen nach Wahlen. Hinzu kommt, dass es in Frankreich noch eine relevante linke Alternative gibt – und damit einen dritten Pol.
Das macht die derzeitige Lage der französischen Sozialdemokratie noch komplizierter. Derzeit hält sie bei Umfragen im einstelligen Bereich. Nun hat mit Benoît Hamon scheinbar ein Außenseiter die Vorwahlen für den Präsidentschaftskandidaten gewonnen. Er wird nun zum Hoffnungsträger hochgejubelt, gleichzeitig setzt sich ein Teil der Parteiführung bereits von ihm ab. Ein Lehrbeispiel also, und deshalb ein interessantes Thema. Unser Gastautor Sebastian Chwala, Stipendiat der Rosa Luxemburg Stiftung, ist ein Kenner der politischen Szene in Frankreich. Für den Semiosisblog hat er eine informative und tiefgehende Analyse verfasst.
Die Parti socialiste – Vom ‚linksradikalen‘ Antikapitalismus zur Partei der Besserverdienenden
Die Würfel sind gefallen. Letztendlich überraschend deutlich hat sich der einstige Außenseiter Benoît Hamon als sozialistischer Bewerber für das Präsidentenamt in Frankreich durchgesetzt. Knapp 59 Prozent der immerhin 2 Millionen Wählerinnen und Wähler, die am Sonntag an der Abstimmung teilnahmen, sprachen sich für ihn aus. Nachdem der Amtsinhaber François Hollande verzichtet hatte, galt Premierminister Valls lange Zeit als der eigentliche Favorit.
Jetzt aber haben die Mitglieder und Sympathisanten der Sozialistischen Partei (PS) anders entschieden und schicken den ehemaligen Minister Hamon am 23. April 2017 ins Rennen. Mit welchem Erfolg, wird man am Abend des 23. April wissen. Das ist der Tag, an dem die erste Wahlrunde der eigentlichen Präsidentschaftswahl stattfindet. Die Umfragen deuten darauf hin, dass die bisher führende Partei der politischen Linken zum zweiten Male nach 2002 mit ihrem Kandidaten noch nicht einmal den zweiten Wahlgang erreichen wird.
War das Ausscheiden 2002 bereits ein herber Schlag, in dessen Folge die Führungsriege eine Erneuerung der Partei versprach, droht das Ergebnis der Wahlen für die PS nun zum Desaster zu werden, denn kurz nach den Präsidentschaftswahlen folgen Parlamentswahlen. Nicht nur, dass der Partei in den Umfragen einstellige Werte prognostiziert werden, viel mehr droht ihr eine Zerreißprobe. Grund dafür sind zwei alternative Präsidentschaftskandidaturen, die die Legitimität der PS und ihre innere, mühevoll austarierte Stabilität in Frage stellen.
Die Parti socialiste: Verfangen im politischen Koordinatensystem
Zum einen ist da Jean-Luc Mélenchon, Ex-Sozialist mit trotzkistischer Vergangenheit, der mit seiner Bewegung „la France insoumise“ (Das aufständische Frankreich) von sich reden macht und in Umfragen bis zu 15 Prozent erreicht. Und da ist zum anderen Emmanuel Macron, von Sommer 2014 bis September 2016 Wirtschaftsminister. Demoskopen trauen ihm derzeit sogar ein Wahlergebnis von über 20 Prozent zu. Der Absolvent der elitären Verwaltungshochschule ENA und Ex-Banker hat sich den vergangenen Monaten zum Liebling der Medien gemausert.
Sowohl Mélenchon als auch Macron versprechen einen Bruch mit gängigen Formen der Politik. Mélenchon plädiert sogar für eine 6.Republik, die wieder eine stärkere staatliche Einflussnahme gerade auf die ökonomische Sphäre zum Ziel hat. So werden die Regulierung der Finanzmärkte, ein ökologischer Umbau der französischen Ökonomie und die Stärkung eines sozialen Europas gefordert. Außenpolitisch wird demnach die Zusammenarbeit mit fortschrittlichen Regierungen angestrebt, die ebenfalls die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen.
Frankreich solle nach dem Willen von Mélenchon eine progressive Macht sein. Aus diesem Grund soll sie den rein marktorientierten internationalen Abkommen, wie sie in Form von CETA und TTIP daherkommen, ein Absage erteilen. Dagegen sieht Macron sein Ziel darin, Frankreich so umzubauen, dass die Stärkung eines „kreativen Unternehmertums“ im Mittelpunkt stehe, während die Aufgabe des Staates darin bestünde, eine „glückliche Globalisierung“ zu gestalten. Schon als die ersten Zahlen am Sonntag Abend verkündet wurden, meldeten sich im „Netz“ die ersten unzufriedenen Sozialisten, die sich als Macroniten zu erkennen gaben.
Zur ideologischen Geschichte der sozialistischen Partei
Dass Macron innerhalb des Parteiapparats und in der PS offenbar einen großen Zuspruch hat, erstaunt nur auf den ersten Blick. Schließlich war die PS – im Gegensatz zur Kommunistischen Partei (PCF) oder der deutschen Sozialdemokratie – niemals eine Massenorganisation. Zudem führte sie ab den 1970-er Jahren Akteure aus der „nichtkommunistischen“ Linken zusammen. Programmatisch grenzte sie sich dabei vom „Staatssozialismus“ sowjetischer Couleur ab. Aber auch von einer staatszentrierten Gesellschaft. Während die linksradikalen Mileus in der Folge von 1968 ihre Ideen einer zu erkämpfenden „Arbeiterselbstverwaltung“ in den Unternehmen durchzusetzen suchten – im Widerspruch zur damals kommunistischen CGT, die politisch auf die Stärkung der staatlichen Eigentums an Produktionsmittel setzte -, wünschten wiederum andere Kräfte eine nicht-klassenkämpferisch konnotierte, sozialpartnerschaftliche Veränderung der Arbeitswelt.
Angetrieben von den Debatten der 1960er über die „Neue Arbeiterklasse“ plädierten innerhalb der PS aber auch linkskatholische Millieus für eine pragmatische, konsensorientierte Mitbestimmungspolitik durch die ArbeiterInnen. Denn die Beschäftigten in den neu entstehenden, „modernen“ Industriezweigen hätten den Aufstieg in die Mittelschicht längst vollzogen. Daher bräuchten sie keine antibürgerlichen „Gegengesellschaften“, um ihre Interessen durchzusetzen.
Dennoch: Bis in die 1980ziger Jahre verstand sich die PS offiziell als Partei, die die Arbeiterklasse aktiv dazu bewegen wollte, sich „kollektiv alle Produktionsmittel anzueignen“ um eine demokratisch kontrollierte Wirtschaftsordnung zu schaffen, solidarisch und selbstverwaltet. Auf diese Weise sollte die Klassengesellschaft und Kapitalismus überwunden werden, wie es in den programmatischen Texten dieser Zeit immer wieder zu lesen ist. Allerdings stand nicht mehr die Übernahme der politischen Macht im Zentrum, sondern eine Aushöhlung des bürgerlichen Staates von unten, durch die Zivilgesellschaft. Die „Deuxieme gauche“ („Zweite Linke“) war geboren.
1983: Wende hin zur Austeritätspolitik
Doch mit der Regierungsübernahme und der austeritären Wende im Jahr 1983 änderte sich die Rhetorik. Die PS gab ihren Anspruch auf, eine Klassenpartei zu sein. Sie wollte auch den Kapitalismus nicht mehr überwinden, und plädierte nur noch dafür, dass den Beschäftigten ein staatsbürgerliches Recht auf Mitbestimmung zugestanden werden müsse. Alte Forderungen, wie jene nach einer „sozialen Demokratie“ oder sogar der Schaffung einer wirklichen „Wirtschaftsdemokratie“, fanden keinen Eingang in die Programmatik der Sozialisten mehr. Auch „Arbeiter“ gab es nicht mehr, sondern nur noch „Angestellte“. Das war so unklar formuliert, dass sich leitenden Angestellte genauso in der neuen Sozialistischen Partei zu Hause fühlen sollten wie Angehörigen der Unterklasse. Man wollte „Volkspartei“ werden. Der moderate Flügel um Michel Rocard hatte sich mit seinem Konzept der sozialpartnerschaftlichen legitimierten Marktgesellschaft durchgesetzt.
Da die PS allerdings weiterhin sehr erfolgreich unter studentischen AktivistInnen und OberstufenschülerInnen warb, verfestigte sich die Entwicklung, dass ihre Organisationen Transmissionsriemen der PS in die akademische Welt waren. Das verstärkte den Überhang intellektueller Milieus, die innerparteilich immer mehr an den Rand gedrängt wurden. Kein Wunder, dass es der PS gelang, in den zahlreichen „postmaterialistisch“ orientierten, akademisch geprägten Bürgerinitiativen und Vereinen Fuß zu fassen. So spielten soziale Themen der Menschen aus der Arbeiterklasse eine nur geringe Rolle. An ihre Stelle traten persönliche, individuelle und lebensweltliche Fragen, wie der Reform des Eherechts.
Kollektive Rechte als Hindernis der Emanzipation des Einzelnen – Die sozialistische Partei verbürgerlicht
Dies führte auch dazu , dass die Arbeitermilieus karikaturhaft wahrgenommen wurden. ProletarierInnen wurden als Traditionalisten und Besitzstandswahrer dargestellt. Spätestens das Papier des parteinahen Think-tanks Terra Nova aus dem Jahre 2011 machte das deutlich. Selbiges stellte sogar grundsätzlich das Arbeitsrecht und sozialstaatliche Regulierungen als Hindernis jeder Art von gesellschaftlicher Integration in Frage. Dadurch sei zu wenig Flexibilität vorhanden, um Angehörigen von Randgruppen zu integrieren und es gewähre der kollektiven weißen Arbeiterklasse zu viele Privilegien. Damit zeigten Teile der PS auch offiziell, dass sie es nicht mehr als ihre generelle Aufgabe ansahen, gesetzliche Schutzmechanismen für die Arbeiterklasse zu stärken. Sondern sie gingen dazu über, diese mit dem Argument der ungerechtfertigten Privilegien zugunsten von MigrantInnen und Frauen zu bekämpfen. In einem Zug bereiteten sie damit vor, die Verantwortung weg von einem Sozialstaat, der kollektive Interessen vertritt, hin zum einzelnen Individuum zu verlagern.
Bemerkenswerterweise sind gerade Vertreter der „Zweiten Linken“ federführend an dieser Entwicklung beteiligt. Die Vorstellung, dass die Eigenverantwortung höher anzusiedeln sei, macht schließlich auch die Überwindung des alten, allmächtigen bürokratischen Monstrums Staat möglich, der die alte Ordnung und die alten Sozialstrukturen institutionell in Stein meißelt. Gerade die „Antiestablishmentmilleus“ der „Zweiten Linken“ bekämpften diese Verkrustungen, aber nicht (mehr) den Kapitalismus. In diesem Sinne ist diese Erzählung der nach rechts gewendeten Akteure aus der PS tatsächlich etwas Revolutionäres. Sie scheint den Strukturkonservatismus der V. Republik erfolgreich aufbrechen zu können, so dass auch migrantische Milieus sozial aufsteigen können.
Man darf aber nicht vergessen: Die Unterstützer aus der sozialistischen „Zweiten Linken“ ticken elitär. Ihre Vordenker haben oftmals die ENA durchlaufen. Ihr Konzept ist das einer „ Reformpolitik“ von oben. Sie sind Teil jener Gruppe von politischen Führungskräften, die von großen Teilen der Öffentlichkeit als abgeschlossene Elite ohne Bindung zum Volk wahrgenommen werden.
Die Popularität des Präsidentschaftskandidaten Macron – nach etlichen Jahren des Erfolges von Parteien wie dem Front National (FN), die von rechtsaußen gegen die dominierenden Eliten mobilisierten, und wenigstens phasenweise massenwirksamen Bewegungen, wie „Nuit debout“ von links – scheint eine Chance für die alten Machtnetzwerke zu sein, die fragil gewordene Position in Staat, Partei und Gesellschaft wieder zu festigen.
Austeritätspolitik wird von Elite-Netzwerken getragen
Die Netzwerke der Absolventen der „Eliteschulen“ sind eng verbandelt mit wenigen Milliardären im Land. Dieses Milieu gehört zu den Siegern der Globalisierung. Man ist einfach gut vernetzt. Mit dabei sind so schillernde Figuren wie Vincent Bolloré, der Eigentümer von großen Fernsehsendern und Zeitungen ist, und der die Befreiung der Marktkräfte aus Eigeninteresse positiv sieht. Macron dürfte also an der Politik von Hollande – ebenfalls ENA-Absolvent und Rocardianer der ersten Stunde – festhalten, sollte er wider Erwarten die Präsidentschaftswahlen gewinnen. Auch wenn sich dessen Politik als wenig erfolgreich erwiesen hat. Weder sind die Erwerbslosenzahlen merklich gesunken, noch hat sich das Wirtschaftswachstum deutlich erhöht. Einzig angestiegen sind die Dividenden für Aktionäre und die Vergütungen für das Management, finanziert durch Steuerkredite: durch das so genannte CICE, mit dem umfangreiche „Steuerkredite zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit“ ermöglicht worden waren.
Immerhin waren über 40 Milliarden Euro zu verteilen. Dies bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die öffentliche Haushalte, die im Gegenzug in den nächsten Jahren 50 Milliarden Euro einsparen sollen. Mit all den negativen Folgen, etwa für die öffentliche Infrastruktur. So haben selbst junge Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen, die sich aktuell mit prekären Arbeitsverhältnissen über Wasser halten, wenig Aussicht auf eine berufliche Perspektive.
Hatten diese 2012 noch in Scharen wenigstens im zweiten Wahlgang Hollande gewählt, sahen sie sich später mit der Ausrufung des andauernden Notstandes konfrontiert, um Unzufriedenheit über die Politik der Sozialisten bereits im Keim zu ersticken. Dabei hatte sich gerade der bis Ende 2016 amtierende Premierminister Valls erhofft, in der Bevölkerung zu punkten: Sei es durch seine Politik der weiteren Stigmatisierung muslimischer Millieus, die ohnehin einen täglichen Spießrutenlauf erleben, und zwar durch die systematische Ausgrenzung im Schulsystem, am Arbeitsmarkt oder aber die allgegenwärtigen Übergriffe des Polizeiapparats. All jene, die offen versuchen, die Lebensumstände dieser Menschen, und damit die Ursachen von Kriminalität und die latente Affinität für islamistische Gruppen zu verstehen, mussten sich von Valls unterstellen lassen, einer „Entschuldigungskultur“ anzuhängen. Doch der Versuch, so vom eigenen Scheitern abzulenken und „Rechtswähler“ zur Sozialistischen Partei zu lenken, ging schief.
Dies zeigte die Wut der Menschen auf der Straße über das Loi Travail. Es beinhaltet im Kern, dass das staatliche Primat über das Arbeitsrecht aufgehoben und auf die Betriebsebene verlagert wird. Dort leisten oftmals schwache Gewerkschaften wenig Widerstand gegen „wettbewerbsbedingte“ Senkung von Löhnen und die Ausweitung von Arbeitszeiten. Dies wird von den meisten Anhängern der gesamten Linken abgelehnt.
Hollandes Austeritätspolitik – Gefahr für die Existenz der sozialistischen Partei
Die vollständig gescheiterte Angebotspolitik brachte der Sozialistischen Partei somit bereits schwere Niederlagen bei den Europawahlen, sowie den Kommunal-, Départementals- aber auch den Regionalwahlen ein.
Gerade die Niederlagen auf lokaler und regionaler Ebene bedeuten für die PS einen massiven Verlust an personellen und materiellen Ressourcen. So war die Eroberung eines Rathauses immer auch gleichbedeutend mit der Steigerung der Mitgliederzahlen der Partei, während andersherum der Verlust herbe Verluste zur Folge haben konnte. Oftmals beinhaltete die Hoffnung auf Zugang zur Macht auch materielle Vorteile, wie die Hoffnung auf eine Sozialwohnung oder eine Anstellung der Menschen aus der Partei. Eine „klientelistische“ Beziehung zwischen Bürgermeistern und Parteibasis, die der lokalen „Parteielite“ eine loyale Unterstützung in den innerparteilichen Auseinandersetzungen sicherte. Mit dem Verlust von 155 Rathäusern kann von einer Zäsur des „Munizipalsozialismus“ gesprochen werden, der mit dem Sieg bei den Kommunalwahlen 1977 seinen Anfang genommen hatte, als die Sozialisten den Gaullisten und Rechtsliberalen weit über 100 Kommunen entreißen konnten
Damit legten sie den Grundstein dafür, die durch innere „Restalinisierung“ immer weiter desavouierten Kommunistischen Partei als stärkste Linke abzulösen und die Machtübernahme 1981 vorzubereiten. Der einstige Vorteil wendet sich nun in sein Gegenteil. Denn die lokale Ebene konnte auch dazu dienen, Parteifunktionäre zu parken, um eine ökonomische Absicherung für die „Parteisoldaten“ zu gewährleisten. Somit wurde auch immer unterschwellig die Funktionsfähigkeit der Partei bewahrt. Durch die massiven Verluste in den vergangenen Wahlen ist diese „ausgelagerte Hauptamtlichkeit“ bedroht – und die Strukturen der PS in der Fläche sind noch schwerer aufrechtzuerhalten. Verständlicherweise haben diese klaglos hingenommenen Auswirkungen der Austeritätspolitik auf die Kommunen die durch die langen Regierungsjahre in den 1980er, und 1990er Jahren entstandene Entfremdung zwischen „Zivilgesellschaft“ und PS weiter wachsen lassen. Darin liegt ein weiterer Grund für den rapiden Rückgang der Mitgliedszahlen, die von einst über 100.000 auf unter 50.000 gesunken sind.
2017: Eine tief gespaltene Partei
Doch auf diese existenzielle Krise der Partei reagieren die treuen Vasallen von Hollande und Valls hinter den Kulissen mit offener Dissidenz, sollte sich die PS nicht zu einer „realistischen Politik“ statt zu „utopischen“ Träumereien bekennen. Der linke Kandidat Hamon möge also bitte TTIP und CETA für richtig erklären, weiter einer rigiden Austeritätspolitik im inneren das Wort reden und Steuergeschenke für Großunternehmen und Vermögende als Stärkung des Standortes verkaufen.
Da er das nicht tut, erklärten bereits am Morgen nach dem Sieg Hamons mehrere Angeordnete und Senatoren, die Valls im PS– internen Wahlkampf unterstützt hatten, dass sie von nun an Emmanuel Macrons Präsidentschaftskandidatur unterstützen werden. Denn man können von ihnen nicht verlangen, sich nun offiziell gegen die Politik auszusprechen, die sie fast fünf Jahre unterstützt hätten. Es scheint nicht verwunderlich, dass die Ablehnung Hamons mit wachsender Nähe zum Regierungsapparat zunimmt.
Dass die Debatte darüber, wie man sich im Wahljahr 2017 inhaltlich aufzustellen gedenke, Sprengkraft besitzen würde, war vor allem Parteichef Cambadélis lange klar. Deshalb arbeitete er schon seit Beginn des Jahres 2016 auf eine Vorwahl mit Vertretern des gesamten „Mitte-Links“ Lagers hin, einschließlich linksliberaler und kommunistischer Persönlichkeiten.
Freilich sollte die Veranstaltung unter der Federführung der PS stattfinden und am Ende ein Sozialist zum „Einheitskandidaten“ des „Linken Lagers“ gekürt werden. Natürlich wäre dieser gemeinsame Kandidat wieder einer gewesen, der als entschiedener Kämpfer gegen die rechtsextremistische Gefahr aufgetreten wäre und eine Politik des kleineren Übels versprochen hätte, der von den ganzen sozialen Grausamkeiten der PS-Administration wenig hätte wissen wollen. Real ging es aber um die Ausschaltung „lagerinterner“ Konkurrenz, die das Primat der Sozialisten gefährdete und Fliehkräfte entstehen ließen.
Gerade die Kommunistische Partei PCF, selbst von dem Problem eines langsamen strukturellen Niedergangs betroffen und von der Hoffnung durchdrungen als Gegenleistung für die offene Hinnahme des politischen Führungsanspruches der Parti socialiste wenigstens ein paar kleine lokale „Herrschaftsgebiete“ behalten zu dürfen, schien anfangs bereit, diesen Schritt mitzugehen und allenfalls einen Alibi-Kandidaten für das „Primaire“ zu nominieren.
Allerdings war der Einfluss Jean-Luc Mélenchons schon zu stark, um diese freiwillige Unterordnung letztendlich durchzuführen. Mélenchons Idee, einer Wiederaneignung der Nation von links, realisiert, indem eine neue Verfassung geschaffen wird, die vor allen Dingen die Verfügungsmacht der Eliten über die ökonomischen Ressourcen einschränken soll, hatte mehr Attraktivität. Zumal er zugleich für den „sozialökologischen Wandel“ eintritt. Die Unterstützer Mélenchons kommen zu großen Teilen aus dem Umfeld jener Milieus, die in gewisser Distanz zum tradtionellen Politikbetrieb stehen und solche klassischen Aushandlungsprozesse nicht mittragen würden.
Somit blieb das eigentliche Ziel, die innerlinke Konkurrenz auszuschalten, unerfüllt. Der Versuch, die parteiinterne Vorwahl durch die Hinzunahme einer willfähriger Zählkandidaten von PS-abhängigen Kleinstparteien plural erscheinen zu lassen, wirkte wenig glaubwürdig.
Hamon – Ein linker Alternativkandidat ?
Bemerkenswert ist es, dass sich trotz der großen Beharrungskräfte innerhalb der Führungsstrukturen ein Kandidat letztendlich durchgesetzt hat, der inhaltlich Jean-Luc Mélenchon in vielen Punkten nahe steht und nicht Valls, der nach außen hin für einen autoritären neoliberalen Kurs steht.
Somit finden sich bei Hamon viele bemerkenswerte inhaltliche Aspekte. Seine offene Absage an das genannte Loi Travail finden sich genauso wieder, wie die in Fragestellung der einstigen Kürzungspolitik zuungunsten der öffentlichen Haushalte. Die Regel, dass das Staatsdefizit keine 3 Prozent überschreiten dürfe, wird von ihm für nichtig erklärt. Weiterhin plädiert er für eine Senkung der Arbeitszeit und einen Ausbau von Formen des „solidarischen Wirtschaftens“, also für die Stärkung des Genossenschaftswesens, deren Anteil am PIB verdoppelt werden soll. Für Frankreich bemerkenswert, tritt er für einen 75prozentigen Ausstieg aus der Atomindustrie aus, und möchte den Dieselkraftstoff verbieten. Mélenchon geht noch weiter. Hier soll das Atomzeitalter in Frankreich beendet werden
Aber wie es sich bei einem „links-libertären“ Kandidaten gehört, dürfen auch wieder die lebensweltlichen Fragen nicht fehlen. Vorneweg steht hier natürlich die Einführung eines Grundeinkommens, über dessen Höhe sich Hamon allerdings nicht so richtig festlegen lassen will. Aktuell wären es 750 Euro bei Beibehaltung aller anderen sozialen Leistungen. Darüber hinaus soll Cannabis legalisiert werden, gleiches gilt für die aktive Sterbehilfe. Dieses Konzept wird von rechts bis links abgelehnt, sei es, weil es als „utopisch“ gilt: nicht umsetzbar, oder, weil das gewerkschaftliche Milieu den Wert der Arbeit diskreditiert sieht.
Auffällig bei Hamon ist auch, dass der sonst so stark betonte „identitäre Aspekt“ in den politischen Programmen der Parteien fast völlig fehlt. So ist der Kampf gegen muslimische Parallelgesellschaften, der Valls und die Rechte in den Mittelpunkt ihrer Politik gestellt haben, nicht existent. Für Hamon muss Ausgrenzung durch mehr finanzielle Mittel für Bildung bekämpft werden. Dafür will er 40.000 neue Lehrerstellen schaffen.
Ein Vorschlag: Volksveto gegen Gesetzesvorhaben
Eine ganz bemerkenswerte Forderung, die in den deutschen Medien gar nicht kommentiert wurde, ist die von ihm geplante Einführung eines „Volksvetos“ gegen Gesetzesvorhaben. Sollte ein Prozent der Wahlberechtigten unterschreiben, wäre zwangsläufig ein Referendum anzusetzen. Eine Idee, für die Hamon absurderweise in die Nähe von Trump oder Le Pen gerückt wurde, sowohl von Parteifreunden als auch von den Medien. Schließlich wäre dies ein Angriff auf die bestehenden Institutionen.
France insoumise, die andere linke Alternative, will nicht nur das Recht auf Widerspruch verankern, sondern sogar auch ein Recht auf Gesetzesinitiativen per Volksabstimmung schaffen. Genauso soll bei France insoumise die Möglichkeit geschaffen werden, Mandatsträger während ihrer Amtszeit abzuberufen. Im Vergleich dazu argumentiert der Sozialist Hamon doch eher zahm.
Allerdings plädiert er nicht für eine vollständige Abschaffung des so berühmt gewordenen Paragraphen 49.3 der aktuellen Verfassung, der zur Legitimation des Ausnahmezustandes dient. So soll der Regierung die Möglichkeit offen bleiben, Haushaltsfragen per Notverordnung durchzusetzen. Bleibt, die Frage, ob sich nicht alle Fragen, die einer politischen Entscheidung bedürfen, letztendlich Geld – oder Budgetfragen sind, weshalb man sich mit dieser schwammigen Formulierung alle Handlungsspielräume offen lässt.
Sozialdemokratische Gefahr des Rechtsabbiegens ist bei Hamon nicht gebannt
Wenig kommentiert worden sind auch Hamons Pläne bezüglich der Entwicklung des Budgets für Militärausgaben. So plädiert er, wie der Rest der Parteispitze, für eine Erhöhung des Etats auf 3 Prozent des BIP. Auch der so hochgelobte Linke stellt also die Politik der Aufrüstung für einen effektiveren Kampf gegen den Terror nicht in Frage.
Es zeigt sich also, dass der Sieger der Vorwahlen durchaus noch Platz nach links hätte, wenn er denn wollte und in vielen Fragen durchaus auf der linken Seite nicht unumstritten ist. Die sozialdemokratische Ambivalenz, links zu blinken und im Zweifelsfall doch rechts abzubiegen ist bei Hamon nicht gebannt.
Hamon ist ein Mann des „Apparats“- Sein größtes Problem besteht auch für seine Partei
Der entscheidende Punkt, weshalb man aber an Hamon Aufrichtigkeit zweifeln darf, ist die Tatsache, dass er wie Manuel Valls und alle anderen sozialistischen Kandidaten der Vorwahl im Parteiapparat Karriere gemacht hat und sich in den letzten gut zwei Jahrzehnte als gewiefte Strippenzieher in den parteiinternen Auseinandersetzungen. Vom Studierendenaktivisten, der kurze Zeit als Assistent im Parlament beschäftigt war, führte der Weg erst ins Europaparlament und anschließend in die Regierung, wo Hamon in der ersten Zeit nicht unbedingt als großer linker Widerpart zu Hollande aufgefallen war. In der Öffentlichkeit ist es nur allzu bekannt, dass es ausgerechnet Hamon gewesen ist, der im Jahre 2014 eine regierungsinterne Widerstandsbewegung gegen Premier Jean- Marc Ayrault, enger Wegegfährte François Hollande, mit ins Leben rief. Ziel war es, ausgerechnet den Rechtsausleger und Innenminister Valls als neuen Premierminister durchzusetzen. In diesem Sinne erscheint die öffentliche zur Schau getragene inhaltliche Konkurrenz zwischen Valls und Hamon als nicht besonders glaubwürdig.
An dem Kampf um Macht und Einfluss innerhalb der Partei haben sämtliche relevanten Köpfe Partei seit Jahren federführend teilgenommen. Er wird nun durch vermeintliche inhaltliche Konflikte übertüncht, während die realen politische Entscheidungen der Sozialisten enttäuschend waren. So hat sich die ökonomische Situation Frankreichs nicht verbessert und man agiert außenpolitisch längst nicht wieder auf Augenhöhe mit Deutschland. All das liefert den entscheidenden Punkt, weshalb die PS auf einstellige Werte in den Umfragen gefallen ist. Der Versuch der Funktionäre, die sich längst von der gesellschaftlichen Basis entfernt haben, im internen Machtkampf „reaktiv“ auf vermeintlich populäre Themen zu setzen, die sich in Meinungsumfragen herauskristallisieren und die „Abgehängten“ integrieren sollen, muss unter diesen Voraussetzungen scheitern.
Das innerparteiliche Wirrwar, das sich auch seit Sonntag wieder klar zeigt, macht aber die PS auch für die Profiteure der neoliberalen Epoche uninteressant. Die PS ist nach 24 Jahren Regierungsverantwortung, die sie einst mit dem mit dem Slogan, das „Leben verändern zu wollen“ begonnen hat, ideologisch entleert. Daher der Wunsch nach Alternativkandidaten, die scheinbar frischen Wind in die festgefügten Stukturen bringen und die alten Gesichter verschwinden lassen könnten.
Geblieben ist aber bei vielen Sympathisanten ein unumwunden positiver Bezug auf die Europäische Union und die damit verbundenen Liberalisierungen, die maßgeblich nur kulturell gedeutet wurden, und deren negativen ökonomischen Folgen für weite Teile der Unter- und Mittelklassen kaum betrachtet wurden. So stellt Macrons Verbindung eines wertebasierten Liberalismus samt ökonomischer Eigenverantwortung für nicht nationalkonservative (Links-) Liberale, die ökonomisch etabliert sind, eine politische Alternative dar.
Mélenchons Vorschlag eines sozial definierten, schützenden Nationalstaats hat dagegen wenigstens jene desillusionierten Millieus wieder in den Politikbetrieb eingebunden, die einen latenten Bezug zu einer klassenpolitisch agierenden Linken haben. Während nicht-linke und nicht-akademische Millieus aus Unbehagen über die wachsende Selbstverantwortung für das eigene Leben ihr Heil in der Unterstützung des Front national suchen, der ein klassisch hierarchisch organisierte „nationale Volksgemeinschaft“ verspricht. In dieser hat das soziale Element aber wenig Platz.
Ein sehr guter Artikel ist heute in der FAZ veröffentlicht zum Thema Mehdi Meklat, ein Autor und Gangsta-Rapper dessen Antisemitismus, Rassismus, Frauen- und Schwulenfeindlichkeit von einigen Linken wegerklärt und verharmlost wird.
F.A.Z., Freitag den 24.02.2017MEDIEN 15 „Holt Hitler, um die Juden zu töten“ Mehdi Meklat galt in Frankreich als Star der Integration. Jetzt kam heraus, dass er im Netz unter Pseudonym reinen Hass verbreitete. GENF, 23. Februar
Nach Lesen des obigen Textes wird deutlich, wer dies anprangert ist ein Nationalist und Rechtspopulist. Echte Linke beschützen und beschirmen Rassisten und Antisemiten, wenn diese aus den Vorstädten kommen, aus „muslimisch-migrantischen“ Milieu.