Kuren in Zeiten des Neoliberalismus, im Kurzentrum in Traunstein, das zum Gesundheitskonzern Künig gehört. Nachdem die Kurgäste die Folgen einer „endemische Norovirusinfektion“ zu spüren bekamen (viele Kurgäste infizierten sich mit diesem Magen-Darmvirus in kürzester Zeit), wurden sie wie nutzloses Material einfach weggeschafft und das Haus wurde leer geräumt. Sie vor Ort zu behandeln, lehnte die Kuranstalt ab. Der Literaturwissenschaftler Martin A. Hainz, der zu dieser Zeit in der Einrichtung weilte, beobachtete wie „alte Leutchen mit Brechdurchfall und Fieber ihre Koffer packen mussten.“ Auf sich selbst gestellt, natürlich. Auch berichtet er, dass man Infizierte und Gesunde per Bustransport wegbrachte. Einfach schnellstmöglich weg.
Die Betreiber der Einrichtung mit 92 Beschäftigten und rund 6 Millionen Euro Umsatz betonen zwar: „Das Wohlergehen und die Gesundheit unserer Gäste, steht an erster Stelle.“ Dass sie zugleich beklagen, 150.000 Euro Einnahmen verloren zu haben, gibt einen guten Einblick in ihre wahren Prioritäten. Und die waren in den Zeiten des Virus durchaus sichtbar. Ein Text zu diesem Fall von Martin A. Hainz.
1.
Wie sieht die Pflege Alter und Kranker in Zeiten des Neoliberalismus aus, wenn es nicht ohnehin eher ein Neofeudalismus ist, der aufkeimt – und notfalls auch vor Faschistoidem nicht zurückschreckt? Das Bild, das einst Jean Baudrillard zeichnete, ist düster, es ist das der Ausbeutung jener, die als scheinbar emanzipierte Sklaven dienen und eine „Auspressung der Arbeitskraft” erleiden, die sich „von den KZ’s bis zur ergotherapeutischen Wiedereingliederung” nur in der Strategie veränderte, in der Sache aber kaum.
So düster ist es vielleicht noch nicht, doch zeichnet sich gerade auch im Menschlichsten einer Gesellschaft, die sich der Reduktion des Menschen auf das, was er leisten kann und will oder wollen muß, ab, daß jene, die in der Schule Glückskompetenz erlernen, weil sie Glück mit ihrer Schicht oder fast Kaste nicht hatten, auch nun, wenn sie Lachyoga betreiben dürfen müssen, nicht eigentlich viel zum Lachen haben.
Die letzten Weihnachtsferien wollte ich in einem Gesundheitshotel verbringen, und zwar mit meinen Eltern – und ich wurde unfreiwillig Zeuge dessen, was selbst auf theoretisch gehobenem Niveau von der marktwirtschaftlichen Betreuung bleibt, wenn sich Kostenfragen plötzlich anders stellen, als sich der Direktor das vorstellt, genauer: als es sich jene wohl vorstellen, denen er mit klingendem Amt doch servil begegnet, mit Kosten, mit Nutzen, weniger offenbar: mit dem Anliegen, sich derer, die zur Kur kommen, eigentlich anzunehmen.
2.
Das Hotel war das Gesundheitshotel Bad Traunstein, zur Kette der Vivea-Hotels gehörend, deren Philosophie mir nicht bekannt ist, falls es nicht jene ist, die ich nun leider durch das besagte Hotel aber so richtig kennenlernte.
Das heißt, ich lernte erst ein Hotel kennen, das sich mühte, zu kaschieren, daß vor der Pflege das Geld komme. Dennoch: Abrechnung der Therapien nach Wertigkeit, drei Farben zur Auswahl, Zuteilung nach einer fünfminutigen Anamnese durch eine der drei Ärztinnen, die allesamt durchaus unter Druck zu stehen schienen.
Dazu die Begrüßung durch den Direktor, er sich jenen im Habitus schon angleichend, die ihn entlohnen, nämlich im Herablassenden, als er am Nebentisch sitzend sich in seine Serviette schneuzte und sie auf den Teller legte, der Kellnerin eine kleine Zuwendung von oben.
Reden wir kurz von diesen Angestellten: die in einem solchen System, das sich wie von selbst etabliert, wenn die Parameter einmal definiert sind – nämlich Profite, die zu machen sind –, ja selbst in einer schwierigen Lage sind, zumal, wenn sie Idealisten sind, die die cura, die Pflege also, ernstnehmen, weil sie die Menschen, die ihrer bedürfen, ernstnehmen. Allerdings sind auch die weniger idealistischen Mitarbeiter unter Druck, wenn man sein Kurhotel in die von den Gästen erwünschte: nämlich ruhige Gegend baut, die mit anderen Worten strukturschwach ist, wo dann manche Mitarbeiter gerne eine Stunde und länger pendeln. Darunter auch ärztliches Personal, man hat ja seit Jahren Abteilungen aufgelöst und Stellen abgebaut, wo sich eine angemessene Versorgung nicht lohnte, während übrigens aufgrund der gleichen Politik Familien, die die Versorgung von pflegebedürftigen Familienmitgliedern wenigstens teils zu übernehmen in der Lage wären, längst die Ausnahme sind.
Mitarbeiter, das weiß man aus ähnlichen Systemen, dürfen das, was sie nicht leisten können, und zwar nicht aus Unfähigkeit oder Unbequemlichkeit, sondern tatsächlich des Systems wegen, nicht thematisieren. Umgekehrt wird, wo etwas funktioniert, Einsparungspotential gesehen, wo es aber nicht mehr funktioniert, eben prinzipiell der systematisch Überforderte verantwortlich gemacht.
Der Direktor, der die vollgeschneuzte Serviette auf den Teller legte, monierte jedenfalls in Hörweite, daß ein falscher Löffel an seinem Tisch liege: „Wer hatte da Dienst?”
3.
Die Angestellten also tun mehr, als sie können, damit die Gewinnspanne stimmt, bis zur Therapierestebörse, wo Lücken von den Patienten selbst geschlossen werden, die das, was man nicht verordnete, sich leisten können, wenn sie es sich leisten können – das Gesundheitshotel Bad Traunstein ist ja keine Einrichtung, wo sozusagen das Prekariat durchgebracht würde, insofern ist es desto erstaunlicher, daß selbst hier die häßliche Seite der Pflege Alter und Kranker sich überhaupt zeigt.
Manches läßt sich ja auch als exklusiv bewerben, während es kostengünstig ist. Was ist wohl billiger, ein Buffet für Alte, die appetitlos sind und vielleicht auch wegen des Rollators nicht dreimal Nachschub holen, oder mehr Servierpersonal..? Als ein Kurgast fragte, was die exklusiven Infrarotstühle im Foyer denn kosten – normalerweise keine € 2000,– übrigens –, antwortete der Direktor ausweichend, Exklusivität ist fragil…
Was es hier nicht gibt, sind die Nöte, die sich aus Geldmangel ergeben, wo die Politik immerhin weiß oder wissen müßte:
Hier muß nichts anders werden, weil man die Gewinnspanne hat, weil auch irgendwie alle zufrieden sind, solange es keine Herausforderung des Systems gibt, bei dem menschenfreundliche Reserven dann aber fehlen. Solange und gerade dann arbeiten hier Idealisten in einem System, das eben Idealisten ausrottet – und Abhängigkeiten nutzt, wenn die slowakische Ärztin friktionsfrei umsetzt, was sich Hippokrates nicht hätte träumen lassen, ihr wird man es nicht vorwerfen.
4.
Was passiert, wenn dieses System geringfügig herausgefordert wird, durch erst grippale Infekte und dann offenbar Noro-Viren? Und daß ein Kurzentrum von derlei heimgesucht werden kann, das kann passieren, die Ausbreitung wäre freilich weniger wahrscheinlich, wenn der Direktor sein Schneuztuch nicht auf dem Teller liegenläßt und die Kranken nicht noch immer nur Buffets zum Frühstück geboten bekommen. Das ist schon etwas unvorsichtig bis unappetitlich.
Dann aber geht’s weitaus entlarvender weiter: Ist im Haus schon zuvor das Desinteresse an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spürbar, nicht nur beim Servietten-Schneuztuch, auch just bei der ganz anders gemeinten Geste, als der Direktor seine Angestellten am Weihnachtsabend vorstellen wollen sollte – ohne solche Zusammenstellungen von Hilfsverben, Sie merkten es längst, läßt sich ein System wie dieses nicht beschreiben –, aber dann einige Namen eben gar nicht kannte, so nun auch das Desinteresse an jenen deutlich, die plötzlich kostenintensiver als gedacht werden.
Da – nachdem man nach dem Ausbruch von Durchfallerkrankungen nichts getan, nichts verändert hatte – schickte man eine Angestellte, der das sichtlich peinlich war (aber der Herr Direktor wollte sich dies offenbar nicht antun), von Zimmer zu Zimmer, mit der einigermaßen überraschenden Botschaft, man wolle das Haus binnen etwa drei Stunden leer haben. Wer krank genug sei, dürfe ins Spital, jedenfalls wollte man nach Jahreswechsel wieder schön Profit machen, das wurde nicht gesagt, war aber den Worten doch zu entnehmen; und man müßte also das Haus bis dahin reinigen, am besten nicht zum Wochenendtarif, jedenfalls aber ohne Rücksicht auf die alten Leutchen, die mit Brechdurchfall und Fieber also ihre Koffer packen mußten.
Ein Bustransport, worin die Gesunden zusammen mit den nach Auskunft des Hauses „hochansteckend Kranken” wegschaffe, erfolge also in etwa drei Stunden. Die, die mit dem eigenen Auto da waren, sollten samt Brechdurchfall, Fieber etc. nach dem Kofferpacken selbst heimfahren, aus „Sorge um die Gesundheit” jener, die man vor Ort nicht versorgen können wollte.
5.
Die Krise zeigte, worum es immer ging. Ums Geschäft, was ja verständlich ist, aber, und das ist in diesem Sektor problematisch, eben nur ums Geschäft. Man könnte Kant zitieren:
„Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.”
Mittel, ja: nur dies: wo Kostenfaktor statt Einnahmequelle, da waren die alten Leutchen zu deportieren, sozusagen. Sonst hätte man in solch einer Situation Gesunden angeboten (!), den Aufenthalt raschestmöglich abzubrechen, während Kranke, so sie nicht ins Spital müssen, zumindest übergangsweise am Zimmer gepflegt würden. So aber ahnte man, daß Kapitalismus im Verfall faschistoid werden kann.
Der Direktor hat super gehandelt,in Bad Schönau wurden die Kranken nicht nach Hause geschickt den Virus hatten sie lange nicht los bekommen.