Linke Opposition in Israel: Ihr gemeinsamer Nenner ist die Forderung nach der Zwei-Staaten-Lösung. „Wir glauben, dass Frieden mit den Palästinensern die einzige Option ist, die Israel hat“, erläutert der Knesset-Abgeordnete Dov Khenin im Semiosis-Gespräch. Er gehört der israelisch-arabischen Vereinten Liste an, die derzeit mit 13 Sitzen die drittstärkste Fraktion in der Knesset stellt. Zusammen mit der links-zionistischen Partei Meeretz bildet sie die linke Opposition in Israel.
Für Esawi Frag wiederum, der als Angehöriger der arabischen Minderheit für Meeretz in die Knesset gewählt wurde, ist der Kampf um die Demokratie in seinem Land zentral. „Denn: Demokratie stellt für die 20 Prozent Bevölkerung, die Araber sind, die Eingangstür in die israelische Gesellschaft dar.“
Über die politische Situation in Israel und über die Positionen der israelischen Linken meint das Mitglied des Zentralkommitees von Meeretz, Shaqued Morag: „Die Besetzung der palästinensischen Gebiete muss beendet und Staat und Religion müssen getrennt werden. Viele religiöse Institutionen kontrollieren unser persönliches Leben, von der Geburt an bis zum Tod.“ Die Säkularisierung des israelischen Staates steht für sie im Mittelpunkt des politischen Handelns.
Für den Generalsekretär von Meeretz, Mosik Raz, ist Frieden das Wichtigste. Und das, seitdem er als Soldat im Libanon-Krieg gekämpft hat.
Die israelischen Oppositionellen waren auf Einladung von transform in Wien zu Gast. Sebastian Reinfeldt hat mit ihnen über die politische Situation in Israel gesprochen.
Was sind die wesentlichen Kritikpunkte der linken Opposition an der Politik der israelischen Regierung?
Esawi Frag: Die Regierung unternimmt es immer wieder, die Demokratie in Israel zu zerstören oder zu begrenzen. Demokratie scheint nur für sie zu existieren. Wer anders denkt, ist gegen das Land, ist schuldig, ist ein schlechter Mensch. Sie sagen: Wir müssen dich hinaus werfen. Das ist das Erste, das mich nervös macht. Meeretz kämpft also für Demokratie.
Das zweite, das mich nervös macht, ist, wie die Regierung den israelisch-palästinensischen Konflikt behandelt. Wir glauben an die Menschenrechte für alle, deshalb kann man mehr als 4 Millionen Menschen nicht unter Besatzung halten. Man kann nicht okkupiert sein und zugleich in einer demokratischen und gleichen Gesellschaft leben. Das geht niemals zusammen.
Die andauernde Bedrohung der arabischen Minderheit seitens der Regierung ist das Dritte, das mich nervös macht. Sie behandeln sie wie potentielle Feinde, nicht wie Bürger.Shaqued Morag: Die israelische Regierung ist eine verängstigte Regierung, die alles tun wird, um zu überleben. Und das beginnt mit der Aufregung Minderheiten gegenüber, und geht weiter mit ihrer Unterdrückung – besonders der arabischen Minderheit in Israel.
Außerdem haben sie keinen Versuch unternommen, Frieden mit den Palästinensern zu machen. Es gibt eine Stagnation in den Friedensgesprächen und im allgemeinen in den internationalen Beziehungen.
Die israelische Regierung unterstützt Angstbotschaften, so dass die Bevölkerung glaubt, dass sie nicht erwünscht ist, weder im Mittleren Osten noch in der Welt. Die Leute sind infolge dessen verängstigt, sie glauben nicht an eine bessere Zukunft.
Die israelische Regierung verkauft die Zukunft der Mehrheit der Bevölkerung, der säkularen, liberalen arbeitenden Menschen in Israel. Sie könnten nicht von einer besseren Zukunft träumen, sondern müssten andauernd um ihr Leben fürchten und „überleben“. Mithilfe dieser Methode bleiben sie an der Macht – das ist meine Hauptkritik. Unsere Mission ist es aufzuzeigen, dass es Alternativen gibt. Das Leben in Israel kann besser sein.
Sie bezeichnen uns dann als naiv oder sie sagen – mit einem hebräischen Sprichwort – „Ihr habt schöne Seelen“. Das soll bedeuten: Ihr seht die Realität nicht so, wie sie ist, ihr seht alles schöner, als es ist.
Ich denke, das ist ein gute Sichtweise auf das Leben, oder? Es könnte schön sein, es könnte gerecht sein. Genau das ist unser Job, den Leuten das zu zeigen.
Was sind aus eurer Sicht eigentlich die Hindernisse, die 2-Staaten Lösung umzusetzen?
Dov Khenin: Die Politik der israelischen Regierung. Die palästinensische Führung will die 2-Staaten Lösung tatsächlich haben und umsetzen. Hingegen tut die israelische Führung alles, was in ihrer Macht steht, um sie zu vermeiden. Das ist nicht nur für die Palästinenser gefährlich, sondern auch für die Zukunft Israels.
Glaubst du, dass die Hamas die 2-Staaten Lösung akzeptieren würde?
Dov Khenin: Ich bin mir nicht sicher. Aber das ist nicht die Frage, also es geht nicht darum, ob die Extremisten sie akzeptieren würden, sondern ob die Moderaten genug Kraft und politische Macht haben werden, sie umzusetzen. Bei den Juden und bei den Palästinensern wird es immer Extremisten geben, die das nicht akzeptieren werden. Aber wir sollten ihnen nicht erlauben, ein Veto einzulegen.
Könntet ihr einige konkrete Beispiele anführen, in denen die momentane politische und soziale Situation in Israel greifbar wird?
Esawi Frag: Über die besetzten Gebiete: Im Haushaltsbudget Israels werden Milliarden Schekel für die Siedlungen in den besetzten Gebiete ausgegeben. 300.000 Menschen leben in diesen Siedlungen in der Westbank. Für diese kleine Gruppe der Siedler sind mehr als 10 Prozent des Haushaltsbudgets vorgesehen. Das ist eine Menge Geld. Wenn du zu diesen Leuten gehörst, dann bist du ein wohlhabender Mensch! Du hast dort gute Bedingungen, gute Häuser – Villen. Das ist die Schweiz Israels! Die Schweiz von Israel liegt in der Westbank.
Würdest du denn gerne in so einem abgeschlossenen und geschützten Bereich leben wollen? Das sind doch reine Trutzburgen!
Esawi Frag: Aber das ist mittlerweile nicht mehr so. Sie haben die Gebiete in drei Zonen unterteilt. Zone A, Zone B und Zone C. 60 Prozent der Siedlungen in der Westbank befinden sich in Zone C, in denen keine Palästinenser leben dürfen. Sie bewegen sich dort ganz offen und frei.
Das andere Beispiel ist der Umgang mit der arabischen Minderheit, im Staatshaushalt etwa. Da gibt es eine Kluft zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung innerhalb Israels. Wenn man das vergleicht, wie viel des Budgets an die in Israel geborene Minderheit geht, dann muss man sich fragen: Was geht da vor? Sind das nun Bürger des Landes, oder was?
Wie ist die soziale Situation in Israel?
Mosik Raz: Ich kritisiere die Regierung dafür, dass sie die Besatzung aufrecht erhält, dass sie sowohl in den besetzten Gebieten als auch im Inneren Israels die Menschenrechte der palästinensischen Minderheit verletzt, aber auch von LGBT-Menschen, während sie die Wünsche und Interessen kleiner religiöser Gruppen bevorzugt. Außerdem kritisiere ich sie für die Privatisierung wichtiger Sektoren wie die Gasversorgung zum Beispiel.
Ich möchte noch eine Sache hinzufügen: Mit Vorsatz haben sie den Wohnungsmarkt frei gegeben, so dass die Preise für Wohnen (Mieten und besonders für Eigentum) andauernd ansteigen.
Gut 70 Prozent der Israelis besitzen eigene Häuser oder Appartements: Für die 30 Prozent, die das nicht haben, ist es problematisch: Das trifft besonders die jungen Leuten. Wir könnten sie sogar verlieren, denn sie können ins Ausland gehen.
Die andere Seite, die Rechten, sind derzeit nicht nur in Israel in der Lage, Unterstützung in der Bevölkerung zu mobilisieren. Wie diskutiert ihr diese Situation intern? Was müsstet ihr ändern?
Esawi Frag: Wir wissen, dass wir in einer schwierigen Situation sind. Das ist uns bewusst. In Israel ist es gar nicht leicht, links zu sein.
Es gibt da eine Formel: Wenn der Diskurs fundamentalistisch und nationalistisch ist, dann kann Meeretz nicht Teil des Spiels sein. Aber wenn es einen zivilisierten Diskurs gibt, dann wird Meeretz ein sehr wichtiger Player in diesem Spiel sein.
Also seid ihr in einer Art Warteposition?
Esawi Frag: Ja. Auch aus einem zweiten Grund. Wenn die globale Situation sich verbessert, auch dann wird Meeretz in einer guten Position sein.
Umso wichtiger dann die nächste Frage: Wie den Diskurs verändern?
Esawi Frag: Das hängt nicht nur von Israel und dem israelischen Staat ab. Wir sind ein Teil des Mittleren Ostens und Teil der globalen Politik. Was in unserer direkten Umgebung vor sich geht, betrifft unsere Situation direkt.
Ein Rätsel: Meeretz ist die einzige israelische Partei, die jetzt mehr als 16 Jahre außerhalb der Koalition existiert und immer noch in der Knesset vertreten ist. Der Grund: Wir haben Hardcore-Wähler!Shaqued Morag: Unsere Agenda wird sich nicht ändern. Der Grund, warum wir unsere Hardcore-Wählerinnen und Wähler haben, ist, dass wir sehr stabil in unserer Vision sind. Wir ändern die nicht aufgrund von Umfragen oder so. Daher ist es auch so, dass wir hier dieselbe Agenda teilen. Das ist ein großer Unterschied zum Rest der politischen Parteien.
Denen sagen die Berater, was zu sagen ist, und möglicherweise wird die Öffentlichkeit ein oder zweimal für sie votieren, aber dann verschwinden diese Parteien auch wieder.
Unsere Herausforderung ist es, die Leute von unserer Agenda zu überzeugen. Das ist überhaupt die härteste Mission. Da die Situation in Israel immer radikaler wird im Sinne einer Bedrohung der Demokratie, kommen die Leute zu uns: Sie fühlen, dass die Regierung immer intoleranter anderen Meinungen gegenüber wird, dass die Presse zum Schweigen gebracht wird und dass die Minderheiten auf verschiedene Art und Weise unter Druck gesetzt werden. Sie brauchen uns als einen sicheren Ort. Am Ende wird sich das auszahlen.
Ok, aber nochmal konkret: Wie kann man die israelische Bevölkerung davon überzeugen, nicht weiter den Extremisten zu folgen, sondern den moderaten und sozialistischen Weg einzuschlagen?
Dov Khenin: Die wichtigste Sache ist, dass die Israelis wieder glauben, dass die 2-Staaten Lösung möglich ist. Wenn man die Leute in Israel jetzt fragt, dann unterstützt die Mehrheit diese Lösung.
Aber wenn sie wählen, dann stimmen sie für die rechten Parteien.
Wie ist das möglich?
Dov Khenin: Der Grund ist, dass sie zwar diese Lösung wollen, aber zugleich nicht glauben, dass sie durchführbar ist. Und sie denken, sie ist deshalb nicht durchführbar, weil die Araber, die Palästinenser, sie angeblich nicht akzeptieren würden. Die Herausforderung für uns besteht nun darin, die israelische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass diese Lösung nicht nur gut ist, sondern auch möglich.
Die Partei Meeretz ist in den 1990er Jahren aus einer Listenverbindung dreier Parteien hervorgegangen (der Bürgerrechtspartei Raz, der Arbeiterpartei Mapam und der liberalen Shinui). Der jetzige Generalsekretär der Partei, Mosik Raz, ist einer der Gründer von Meeretz und er war für einige Jahre ihr Knesset-Abgeordneter. Knesset-Abgeordneter Esawi Frag kommt aus dem Bürgerrechtszugang Ratz. Er gehört der arabischen Minderheit in Israel an, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Er ist einer von 5 Abgeordneten der Partei. Über sich selbst sagt er, dass er aufgrund seiner Herkunft als in Israel geborener Araber gezwungenermaßen in zwei Welten lebt. Für Shaqued Morag ist Meeretz eine feministische Partei.
Der Knesset-Abgeordnete Dov Khenin ist in der linkssozialistischen Partei Chadasch beheimatet, die ein Bestandteil der israelisch-arabischen Listenverbindung Vereinte Liste ist.
* Auf dem Foto: Ashraf Al Ajrami, ehemaliger Minister in der palästinensischen Autonomiebehörde, im Gespräch mit Meeretz-Abgeordneten in Wien. Moderation der Diskussion im Wiener Ken der Hashomer Hatzair: Doron Rabinovici.