Was ist linker Populismus?

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By Sebastian Reinfeldt

Populismus ist nicht gleich Populismus. Vorherrschend in Europa ist eindeutig seine rechte Variante: etwa in Österreich, Frankreich, Dänemark, Ungarn, Polen und so weiter. In einigen Ländern (Polen, Ungarn) haben rechte Populisten bereits die politische Macht errungen. Mancherorts macht sich auch ein linker Populismus bemerkbar.

Mit der jüngsten Attacke auf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die linke Sahra Wagenknecht den letzten, entscheidenden Baustein zu ihrer linkspopulistischen Erzählung hinzugefügt. Darin hat sie die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin als mit verantwortlich für den Terroranschlag in Berlin bezeichnet. Somit sind alle Elemente einer deutschen Version des Linkspopulismus vorhanden. In ihr wird ein Ausschluss ganzer Bevölkerungsteile aus der Wir-Gruppe sowohl sozial als auch ethnisch begründet. Dieser Linkspoulismus riskiert zudem ein Abgleiten ins Antisemitische, wenn er sich gegen die „Spekulanten“ „da-oben“ richtet. Eine Analyse von Sebastian Reinfeldt.


„Die Ackermänner dieser Welt!“

Mai 2010, deutscher Bundestag: Die damals noch einfache Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Sahra Wagenknecht, hält eine viel beachtete Rede. Fulminant begründet sie darin die Ablehnung eines der zahlreichen EU-Bankenrettungspakete:

Während Sie die Ackermänner dieser Welt in Sänften tragen, diktieren Sie der griechischen Bevölkerung ein Sparpaket, das unerträgliche Folgen haben wird, das Griechenland in eine tiefe Depression stürzen wird. Spätestens dann wird die griechische Zahlungsunfähigkeit tatsächlich nicht mehr aufschiebbar sein.
Wenn wir nicht endlich den Zockerbanken, den Spekulanten das Handwerk legen, das sage ich Ihnen, werden wir uns sowieso in wenigen Wochen hier wiedersehen, und dann wird uns Frau Merkel mit treuem Augenaufschlag begründen, warum wir jetzt auch Portugal oder Irland unterstützen müssen, dann vielleicht Spanien oder Italien. Hören Sie doch auf, die Leute zu belügen!

„Zockerbanken“, „Spekulanten“ und „Ackermänner“ – das ist das erwartbare rhetorische Repertoir einer linken Rednerin. Besonders die Formulierung „Ackermänner“ als Synonym für Manager, die sich in erster Linie persönlich bereichern – statt ein Unternehmen verantwortungsvoll zu führen – machte damals die Runde. Mit „Sie“ direkt angesprochen wird dabei die deutsche Regierung unter Führung von Angela Merkel.

„Unkontrollierte Grenzöffnung, Mitverantwortung von Merkel an Anschlägen“

Knapp sieben Jahre später sieht dieselbe Politikerin die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wieder persönlich (mit)verantwortlich. Diesmal für den Anschlag in Berlin und die Anschlagsversuche in Deutschland. Ihre Sätze aus einem autorisierten Stern-Interview sind in tune mit ähnlichen Äußerungen aus Reihen der rechtspopulistischen Afd.

Es gibt eine Mitverantwortung, aber sie ist vielschichtiger. Neben der unkontrollierten Grenzöffnung ist da die kaputtgesparte Polizei, die weder personell noch technisch so ausgestattet ist, wie es der Gefahrenlage angemessen ist.

 

AfD: „Merkels Tote“

Noch in der Anschlagsnacht im Dezember 2016 hatte nämlich der NRW-Landeschef der AfD, Marcus Pretzell und Ehemann von Frauke Petry ohne genau Kenntnis der Faktenlage getwittert: „Es sind Merkels Tote.“  Demgegenüber sind die Äußerungen von Wagenknecht zwar noch zurückhaltend und argumentativ differenziert. Dennoch: Sie spielt ganz offensichtlich auf die Formulierung aus seinem Tweet an, und versucht seiner Aussage einen linken Dreh zu geben – so könnte es strategisch interpretiert werden. Doch innerhalb der sieben Jahre von 2010 bis 2017 ist politisch viel passiert. Auch hat sich mittlerweile eine vollständige linkspopulistische Erzählung herausgebildet. In ihr spielt diese personalisierte Kapitalismuskritik eine wesentliche Rolle. Sie geht einher mit dem Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen, die nicht zur Wir-Gruppe dazu gehören.

„Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt.“

„Das meine ich auch so, wie ich es gesagt habe“, setzte Sahra Wagenknecht auf einer Pressekonferenz im Januar 2016 eigens hinzu. Es handelte sich also um eine kalkulierte Formulierung. Die Rechte der Individuen seien in erster Linie an ihre Nationalität gebunden. Dies macht die Formulierung des „Gast“rechts deutlich. Das Recht auf Asyl ist eigentlich kein Gastrecht. Mit ihrer anders lautenden Formulierung hatte Sarah Wagenknecht auf die sexuell motivierten Straftaten in der Kölner Silvesternacht 2016 reagiert. Der „normalen“ Strafe gegen die aggressiven und sexistischen Männer sollte in diesem Fall eine besondere Strafe wegen ihrer Nationalität und ihres Aufenthaltsstatus hinzu kommen. Wieso eigentlich? Missbraucht wurden Frauen und es wurde ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf sexuelle Selbstbestimmung verletzt. Das Strafrecht gilt für alle gleich – ohne Ansehen der Person und ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Es kann also keine extra Straferhöhung für Täter mit nicht-deutschem Reisepasses geben, und dementsprechend auch kein Verwirken des Aufenthaltsstatus.

„Keine deutschen Lehrstellen für junge Südeuropäer“

In dieser linkspopulistischen Erzählung soll im Fall einer Straftat die fremde Nationalität des Täters erschwerend hinzu kommen, meint Wagenknecht. Bei den sozialen Rechten wiederum ist der Besitz eines falschen Passes ein Hindernis und damit ein Ausschlussgrund. Hier führt die Nationalität zu weniger Rechten. Ein Jugendlicher aus Südeuropa hat geringere Ansprüche auf eine Lehrstelle als ein deutscher Jugendlicher. Im Sommer 2013 meinte Wagenknecht nämlich:

Gegenüber der Zeitung Die Welt bezeichnete sie die Einladung von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) an junge Südeuropäer, in Deutschland eine Ausbildung zu machen, als „Ohrfeige für Hunderttausende junge Menschen, die in Deutschland leben und von denen viele nie eine Chance bekommen haben“.
„Bevor wir Talente aus anderen Ländern abwerben, müssen wir eine Ausbildungsoffensive in Deutschland starten und die verlorene Generation ausbilden“, sagte Wagenknecht. Sie verwies auf interne Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, laut denen in Deutschland im Mai fast eine Million Menschen zwischen 15 und 35 arbeitslos waren.“

Fremdarbeiter und Billiglöhne

Den relativ rechtloseren Jugendlichen aus Südeuropa entsprechen die Lafontainschen „Fremdarbeiter“, die bereit seien zu Billiglöhnen zu arbeiten. Deshalb würden sie „Familienvätern und Arbeitslosen“ die Arbeitsplätze wegnehmen. So formulierte Oskar Lafontaine im Juni 2005 in einer Rede in Chemnitz.

Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen. (Oskar Lafontaine)

Dabei verstört nicht nur die Gegenüberstellung von „fremd“-Arbeitern zu „Familienväter“ und „Arbeitslose“. Da die „Fremden“ natürlich auch Familienväter und arbeitslos sein können, wird das Attribut „fremd“ hier besonders betont. In dieser Hinsicht sind sie gleich. Aber ihre „reine“ Herkunft macht sie verschieden, und also 2005 zu fremden Arbeitern und 2013 zu fremden Lehrlingen. Auch die Vorstellung eines starken und autoritären nationalen Sozialstaates („Der Staat ist verpflichtet zu verhindern…“) irritiert hier. Sie geht einher mit der verdeckten Männer-Bezogenheit des ganzen Zitates bei Oskar Lafontaine. Die Fremdarbeiter nehmen den Männern die Arbeitsplätze weg, sie seien also selber vorwiegend Männer.

„Demokratie ist, wenn sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen“

Damals 2005, zu Lafontaines Zeiten, war ein linker Populismus in Deutschland noch nicht entwickelt. Die Äußerung mit den Fremdarbeitern funktionierte als Testballon, ob so etwas schon sagbar ist. Das war es nicht, und wurde deshalb auch nicht mehr wiederholt. Mittlerweile, 2016/2017 ist die links-populistische Erzählung „rund“. Und sie hat ein neues Gesicht bekommen: Sahra Wagenknecht. Um das gesamte Bild der linkspopulistischen Erzählung zu erhalten, fehlt nur noch die Bestimmung der Wir-Gruppe: Sie folgt aus einer typisch populistischen Bestimmung von Demokratie als einer Art Diktatur der Mehrheit. Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine definieren dies übereinstimmend so:

Demokratie heißt eine Gesellschaft, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. (Oskar Lafontaine,  Jung & Naiv, Folge 265)

Demokratie ist, wenn sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Der moderne Kapitalismus setzt die Demokratie trotz Wahlen außer Kraft. (Sahra Wagenknecht im Neuen Deutschland)

Die Mehrheit der Menschen wünscht sich ein „Weiter so“ nicht“ (Sahra Wagenknecht in einem Interview mit Russia Today!)

Rhetorisch geht es in diesen Zitaten darum, die Reichen und Wohlhabenden inklusive der Politikerkaste von der unterstellten Mehrheit der normalen Leute abzuheben. Insoweit wird hier einfach eine bedenkliche Vorstellung von Demokratie entwickelt. In ihr wird eine hypothetische Mehrheit konstruiert – in den demokratischen Wahlen zeige sich ja immer eine ganz andere Mehrheit – und diese konstruierte Mehrheit den Da-oben entgegen gesetzt (nämlich minus Minderheitenrechte und minus universeller Menschenrechte sowie minus der immer möglichen Umkehrbarkeit der demokratischen Mehrheitsverhältnisse).

„Die arbeitende Mitte“

Im Rahmen der linkspopulistischen Erzählung fungiert diese große Mehrheit als Bodensatz, aus dem sich die neue Wir-Gruppe speisen soll. Auch für sie hat Wagenknecht bereits die passenden Ausdrücke gefunden. Die „arbeitende Mitte“, die „hart Arbeitenden“ und Anständigen.

 

Linkspopulistisches Viereck. Sebastian Reinfeldt

 

 

 

 

Einen SPD-Kanzler – egal ob Gabriel oder ein anderer – kann es nur geben, wenn nicht weiter gegen die arbeitende Mitte und die Ärmeren Politik gemacht wird. Wir brauchen eine Wiederherstellung des Sozialstaates, aber die SPD wirkt leider seit Jahren an seiner Zerstörung mit. Wenn die SPD bereit wäre, den Niedriglohnsektor einzudämmen, Leiharbeit und Dauerbefristungen die Grundlage zu entziehen, eine ordentliche Rente wiederherzustellen und dafür zu sorgen, dass Konzerne und Superreiche endlich angemessen Steuern zahlen, können wir Partner werden. (Wagenknecht im Bild-Zeitungsinterview am 30.10.2016)

Alles in allem ergibt sich ein ähnliches Bild wie beim rechten Populismus. Nur, dass bei Denen-da-oben zusätzlich zur politischen Kaste personifizierte Figuren skupelloser Kapitalisten auftauchen (die „Ackermänner“), was im Falle der „Spekulanten“ und des „Spekulationskapitals“ ein Abgleiten ins Antisemitische riskiert. Und dass die ethnisch begründete Ausschließung von der „hart arbeitenden“ und „anständigen“ Mitte insgesamt moderater vorgetragen wird. Vorhanden ist dieser Ausschluss einer Gruppe über ein Merkmal (Pass, Herkunft und/oder Status) aber eindeutig.

 

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