AfD und Wikipedia: Die rechte Ordnung des Diskurses

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By Sebastian Reinfeldt

Was soll eigentlich diese ganze Aufregung? Ist das nicht Hysterie? Panik? Alarmismus?

Fakt ist: Der Wikipedia-Benutzer, Autor und Schiedsrichter MAGISTER hat sich während seiner Wikipedia-Aktivitäten der vergangenen Jahre der AfD Mecklenburg-Vorpommern angeschlossen. Mittlerweile ist er dort Funktionär geworden. Seit 2016 ist er als Beisitzer im Kreisvorstand Nordwestmecklenburg der rechtspopulistischen Partei – und hat den Landtagswahlkampf vor Ort organisiert. Sein Klarname* ist mittlerweile vielen Beteiligten bekannt. Im wirklichen Leben ist er laut Xing freier Autor, der historische Romane und populärwissenschaftliche Bücher schreibt. Als Mitglied des Schiedsgerichts von Wikipedia und Mentor übt der AfD-Funktionär bei der Internet-Enzyklopädie bis heute eine herausgehobene Funktion aus. Bislang wurde er weder abberufen noch wirksam zum Rücktritt aufgefordert. Teile von Wikipedia scheinen stattdessen weiterhin in ihrer eigenen Internet-Sandkiste zu leben. Sie bemerken die rechte Ordnung ihrer Diskurse nicht. Oder sie sind sogar selber rechte Aktivisten. Eine weitere Recherche zu AfD und Wikipedia von Sebastian Reinfeldt.


Von „haltlosen Vorwürfe gegenüber einem normal arbeitenden SG-Mitglied“ ist von einigen Wikipedianern zu lesen. Sie verteidigen das Wirken von MAGISTER: „Soll das perfekte SG-Mitglied stramm links marschieren?“, so fragt ein andere Nutzer in der internen Diskussion des Falles provokant. Dabei werden die belegten politischen Vorgänge auf der Plattform (Einführen von NS-Literatur auf Wikipedia, deutsch-nationale Geschichtsschreibung, Zugriff der AfD und von Burschenschaften auf Wikipedia-Inhalte) kaum diskutiert. Wohl weislich lenken sie von den inhaltlichen Fragen ab und gehen stattdessen persönlich auf die KritikerInnen los, zum Beispiel, indem ihnen eine „beispiellose Hetzjagd“ unterstellt wird.

Wissen ist Macht

Im Grunde geht es aber um die Macht, die Wikipedia zweifellos hat; und um die Sorgfalt, die der Umgang damit erfordert, und um das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer in die Güte der Informationen. Diese Macht ist – so wie die gedruckter Enzyklopädien – nicht nur die der Definition, was wichtig ist und was nicht. Selbstverständlich muss entschieden werden, welche Personen, Ereignisse und Themen als gesellschaftlich relevant gelten. Darüber hinaus geht es darum, auf welche Weise und mit welchen Argumenten diese Personen, Ereignisse und Themen relevant gemacht werden. Die besondere Macht von Wikipedia betrifft also auch die Form der Darstellung wichtiger Personen, Institutionen, Organisationen und Ereignisse: Sie werden bezeichnet, eingeordnet und solcherart via Internet der Allgemeinheit zugänglich gemacht.

AfD ist auf Wikipedia vor Wahlen besonders gefragt

Besonders vor Wahlen wird Wikipedia von Interessierten verstärkt aufgerufen, weil sie sich dort über Parteien und Programme informieren wollen. Zu den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, in denen der Wikipedia-Schiedsrichter MAGISTER bereits für seine Partei wahlkämpfte, wurde seine AfD auf Wikipedia besonders oft gesucht. Das zeigt die folgende Benutzer-Statistik:

Wikipedia Seitenaufrufe zur Landtagswahl MV. AFD=blau NPD=braun, Grüne=orange, FDP=grün, CDU=rot, SPD=violet Quelle: björn buß‏, https://mobile.twitter.com/bjoern_buss/status/763431049330364417

Dass Wikipedia für die politische Bildung wichtig ist, ist keine Neuigkeit. Das Wiki ist eine Quelle politischer Informationsbeschaffung, deren zahlenmäßige Bedeutung sogar höher als die der Landeszentralen für politische Bildung einzuschätzen ist. Die NutzerInnen erwarten demokratische Informationen, die eben nicht von den Parteien wie der AfD gesteuert sind. Dazu gehört, dass dort unabhängiges Material zur eigenen Meinungsbildung bereit gestellt wird.

Deshalb macht es durchaus einen Unterschied, ob Wikipedianer im wirklichen Leben Funktionsträger einer Partei sind, über die Wikipedia zugleich informiert. Ein Funktionär der AfD hat öffentlich die politischen Interessen „seiner“ Partei zu vertreten, dafür wurde er schließlich gewählt. Beides zusammen (politische Funktion in einer Partei und Schiedsgerichtstätigkeit bei Wikipedia) ergibt einen Interessenkonflikt – in die eine oder andere Richtung. Ein AfD-Funktionär als Autor und Schiedsrichter auf Wikipedia ist jedenfalls das Gegenteil des von Wikipedia selbst proklamierten Grundprinzips des neutralen Standpunkts.

Ist die AfD eine Partei wie jede andere?

Hinzu kommt im konkreten Fall die Frage, ob die AfD eine Partei wie jede andere ist. Das ist sie eindeutig nicht: Als völkische, nationalistische und rechtspopulistische Sammelbewegung hat sie eine Sonderstellung im politischen System der Bundesrepublik.
Zudem läuft sie programmatisch den Prinzipien der Wikipedia-Community zuwider, die offen und pluralistisch ist, und die das Internet als freien, grenzenlosen Raum verteidigt – so argumentieren viele Kritikerinnen und Kritiker an der Tätigkeit von MAGISTER in den internen Diskussionen. Besonders hervorgehoben wird dabei der „Gender-Bias“, also der Umstand, dass sowohl die AfD als auch die Wikipedia-Aktivisten auf dem Frauen-Auge blind sind.

Die AfD in Mecklenburg-Vorpommern steht weit rechts

Im konkreten Fall des AfD-Funktionärs MAGISTER wird die AfD in Mecklenburg-Vorpommern außerhalb der Wikipedia-Blase als besonders weit rechts stehend eingeordnet: „AfD-Fraktion mit starkem Rechtsdrall“ schreibt der Nachrichtendienst Blick nach rechts über die personelle Zusammensetzung und Führung der AfD im nordostdeutschen Landtag. Auf Platz 18 der Landesliste der Partei kandidierte ein Promi der harten Neonazi-Szene. Auch diese Informationen belegt der Blick nach rechts in einem weiteren Text.

Auf Wikipedia erscheint der betreffende AfD-Landesverband eigentlich wie eine ganz normale Untergliederung einer ganz normalen Partei. Lediglich die Escort-Affäre von Petra Federau findet Erwähnung. Nur kurz wird die Dominanz des rechten Parteiflügels nach den Wahlen erwähnt. Doch: Was bedeutet bei einer eh schon sehr weit rechts stehenden Partei bitteschön „der rechte Parteiflügel“? Wikipedia bietet hier keine politische Einordnung, keine weiteren Informationen, keine Aufklärung, sondern man druckst um die zentralen politischen Fragen herum. Und das soll wirklich eine rein zufällige Unachtsamkeit sein?

„Adolf Hitler, sein Werk verteufelt und verkannt“

In einer Zeit-Reportage über den Wahlkampf der Partei in Mecklenburg-Vorpommern wird über den Wismarer Spitzenkandidaten der AfD, Christoph Grimm und dessen Parteifreunde Klartext berichtet:

Früher kämpfte er gegen Kohl und Strauß, jetzt ist er in der gleichen Partei wie Ralph Weber, Jura-Professor aus Greifswald, der in einer Vorlesung ein T-Shirt von der Neonazi-Marke Thor Steinar trug. „Ich kenne Professor Weber. Es ist doch sein gutes Recht, diese Thor-Steinar-Kleidung anzuziehen“, sagt Grimm. Der Jura-Professor promovierte kürzlich den früheren Sänger der Band Hassgesang, Maik Bunzel. Ins Mikrofon brüllte der: „Adolf Hitler, im Kampf für unser Land. Adolf Hitler, sein Werk verteufelt und verkannt. Adolf Hitler, du machtest es uns vor. Adolf Hitler, Sieg Heil tönt es zu dir empor.“

Genau hier liegt das eigentliche Problem der ganzen Angelegenheit. Die Person, die sich hinter MAGISTER verbirgt und sich seit Wochen selbstverliebt auf Wikipedia inszeniert, ist ziemlich sicher nicht der Mastermind hinter den AfD betreffenden  „Unachtsamkeiten“. Er ist nur das Symbol für die angestrebte AfD-Normalisierung, wohl aber nicht ihr Urheber.

Einschüchterungen und Drohungen als Reaktion auf Kritik

Wirksamer sind da schon die andauernden Einschüchterungen, die durch die Diskussion dieser Personalie auf Wikipedia sichtbar werden. Sie offenbaren, wie intensiv Macht bewusste rechte Ideologen auf Wikipedia agieren, und das nicht erst seit gestern.
Wer kritisch über Wikipedia und den Fall MAGISTER schreibt, muss im Gegenzug damit rechnen, dass er – sofern es einen Personenartikel auf der Plattform gibt – plötzlich editiert wird. Weiters werden ganz unverholen Drohungen ausgesprochen, im Sinne von „Wartet nur ab, bis wir im Land das Sagen haben werden!“
Solche Einschüchterungen gehen mittlerweile so weit, dass dem Kollegen vom Deutschlandfunk, der die AfD-Mitgliedschaft des Schiedsrichter öffentlich machte und der weiterhin kritisch berichtet, offen mit beruflichen Konsequenzen gedroht wird. Kollegen raten ihm, deshalb nicht weiter über die Verquickung der AfD mit Wikipedia zu recherchieren. Denn die AfD würde ihre Kritiker nicht vergessen.

Was wäre eigentlich, wenn es 1933 Wikipedia gegeben hätte?

Wer mag, kann im Wikipedia-Archiv seitenlang die Diskussion nachlesen, ob die AfD eine völkische und nationalistische Partei sei, beziehungsweise, welche Bedeutung ihr politischer Flügel mit dieser Ausrichtung aufweist.

Dass dem so ist, ist zwar Common Sense in der Politikwissenschaft. In den einschlägigen Wikipedia-Diskussionen wird es dennoch immer wieder, aus durchsichtigen und ideologisch motivierten Gründen, bestritten. Seit Bestehen dieser rechtspopulistischen Partei werden endlose Diskussionen inszeniert, in denen die rechten Wikipedia-Aktivisten immer wieder deutlich machen, dass Tatsachen im Politischen reine Interpretationssache sind und damit eine Machtfrage darstellen. Irgendwann sollen dort über diese Partei die selbst verfassten Zeilen stehen, in denen sie im besten Licht erscheint. Man stelle sich einmal vor, es hätte Wikipedia im Jahr 1933 gegeben. Und die Funktionäre der NSDAP hätten auf die Geschichtsschreibung ihrer Partei direkt zugreifen können. Der technikaffine Joseph Goebbels hätte sich anonym als Benutzer registriert, er wäre dann nicht müde geworden, die NSDAP als eigentlich normale deutsche Partei erscheinen zu lassen. Im Lichte der derzeitigen Diskussionen um die AfD auf Wikipedia kann man sich nicht so sicher sein, ob die Nazis damals auf Wikipedia als völkisch, antisemitisch, militaristisch und anti-demokratisch eingeordnet worden wären, obwohl ihre Propaganda in dieser Richtung mehr als eindeutig war.

„Schandttaten, begangen aus Gutmenschlerei“

Über diese Verantwortung, die ein demokratisches Nachschlagewerk wie Wikipedia eindeutig hat, scheint es wenig Bewusstsein in der Community zu geben. Dort sind zwei Argumentationslinien auszumachen, die die AfD-Funktion des noch aktiven Schiedsrichters verteidigen. In der einen wird die rechte Gesinnung der Beteiligten ganz offen dargelegt. So beschwert sich Nutzer Koyaanis über die „Schandtaten aus übersteigerter Gutmenschlerei“ und er bedient sich dabei bedenkenlos einer Rhetorik aus der rechten Propagandakiste:

Es ist brutal, es so auszudrücken, aber Schandtaten, aus übersteigerter Gutmenschlerei begangen, stellen hier die widerlichste und verachtenswerteste Form der Heuchlerei dar. Das war in den letzten Jahren nicht anders und wird uns noch lange beschäftigen. (Koyaanis)

Hier findet eine klassische Umwertung der Werte statt. Angebliche „Gutmenschlerei“ die hinter der Kritik stehe, führe zu schrecklichen „Schandtaten“, meint er. Damit rückt er die Kritik am AfD-Funktionär in Wikipedias Diensten in die Nähe zu Verbrechen („Schandtaten“) und unterstellt zugleich eine moralisch minderwertige Haltung („widerlichste und verachtenswerteste Form“), die durch den Superlativ noch übersteigert und besonders betont wird. Die Ebene einer Diskussion um die Frage, wie mit dem Sachverhalt umzugehen ist, ist hier schon lange verlassen. Ziel solcher Ausführungen (die übrigens direkt auf Wikiepdia stattfinden) ist es, die GesprächspartnerInnen herabzuwürdigen und einen genuin rechtsextremen Ausdruck für politische Gegner in die Diskussion einzuführen: Gutmenschlerei.

Die AfD – bloß ein Schachverein?

Der Sachverhalt, der zur Diskussion stehen müsste, ist das Selbstverständnis von Wikipedia. Und hier ist die zweite Argumentationslinie der rechten Aktivisten auf Wikipedia zu verorten. Das Schreiben für die Internet-Enzyklopäde sei mit einem Schachspiel in einem Schachverein zu vergleichen, führt Nutzer bwag zum Thema aus, denn dort tue die politische Haltung der Spieler auch nichts zur Sache.

Ehrlich gesagt ist es mir egal, wer mir im Schachverein als Schachspieler gegenüber sitzt (oder anderen Freizeitaktivitäten) und ich würde auch nicht fluchtartig das Schachspiel verlassen, weil ich erfahre, dass der jahrelange Schachspielpartner einer Partei angehört, die meiner diametral gegenübersteht. Soviel zu meinem Demokratieverständnis und meiner Einstellung bezüglich Pluralismus. (bwag)

Die politische Strategie dieses Vergleichs scheint eindeutig: Nicht nur, dass die AfD unter der Hand als genauso respektable Partei wie die anderen präsentiert wird. Zudem vergleicht bwag das Schreiben enzyklopädischer Artikel mit irgendeinem Hobby, wie etwa dem Schachspiel. In der internen Diskussion fiel noch ironisch das Beispiel Modelleisenbahn. Doch ist beides beside the point. Denn Wikipedia ist ein offenes, öffentliches und demokratisches Wissensprojekt – und keine Internet-Sandkiste.


* Zum sogenannten Klarnamen von MAGISTER
Offene Geheimnisse, die niemand aussprechen darf, sind ein wichtiges Element von Machtausübung, denn sie schweißen zusammen und rücken die Person, um die sich das Geheimnis rankt, in eine besondere Position. „Ich weiß es, du weißt es – aber wir dürfen oder wollen es IHM zuliebe nicht sagen“. Also gehört das Spiel um den Klarnamen des Benutzers MAGISTER zum Thema Ausüben politischer Macht auf Wikipedia. Denn eines der auch strafbewehrten Prinzipien auf Wikipedia ist WP:ANON, das bedeutet, dass die Anonymität eines Nutzers unter allen Umständen zu wahren ist, außer die Person lüftet seine wahre Identität selbst.
Ein politisches Amt in einer rechtspopulistischen Partei ist allerdings eine öffentliche Angelegenheit und keine Privatsache. Diese offenzulegen entspräche dem demokratischen Anstand, doch zieht es Benutzer MAGISTER vor, weiterhin ein Versteckspiel mit seinem wirklichen Namen und damit seiner politischen Funktion zu betreiben. Auch der Semiosisblog kennt den wirklichen Namen von MAGISTER, wird ihn aber nicht veröffentlichen. Erstens tut er nicht viel zur Sache, und zweitens ist es Sache der Wikipedia-Community, hier entsprechend vorzugehen.

Foto: Screenshot von: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-08/christoph-grimm-afd-kandidat-nordwestmecklenburg-mecklenburg-vorpommern-landtagswahl/seite-2

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