Ein Interview mit Professor Tomislav Bogdan.
Seltsam, dass praktisch kein deutschsprachiges Medium über diesen Fall in Kroatien berichtet: An der Universität Zagreb sollen die Sozialwissenschaften in die Theologische Fakultät eingegliedert und unter Kuratel gestellt werden. Diese skurril anmutende Initiative ist allerdings eine ernste Angelegenheit, obwohl sie von noch seltsameren Kommentaren begleitet wird. So seien diejenigen Intellektuellen, die sich in einem offenen Brief dieser Verschmelzung widersetzen, „anarchistische und bolschewikische Satantisten“, kommentierte ein kroatischer Parlamentsabgeordnete wörtlich. Die Eingliederung ist eine Umwertung (potentiell) kritischer Wissenschaft. Damir Boras, der Präsident der Universität, hatte zudem öffentlich angekündigt, diese müsse zu den „biblischen Werten“ (!) zurückkehren. Eigenständige Intellektualität gänzlich auszulöschen – so scheint der Masterplan zu lauten. Insgesamt fügt sich das alles ein in eine Re-Ustaschaisierung der politischen Szenerie des Landes.
Über die Situation an der Zagreber Universität sprach der Schriftsteller Mladen Savić mit Professor Tomislav Bogdan, mit einem der angeblichen Bolschewiki und Satanisten also. In einem Kommentar für Semiosis hat Mladen die Ereignisse an der Fakultät in die politische Gesamtsituation in Kroatien eingeordnet.
Seit wann arbeiten Sie an der sogenannten Philosophischen Fakultät in Zagreb (Geisteswissenschaften) und wie sieht Ihre Tätigkeit dort aus? Hat sich etwas verbessert oder, im Gegenteil, verschlechtert im Zuge des 2001 unterzeichneten Bologna-Prozesses?
An der Philosophischen Fakultät in Zagreb arbeite ich nun seit fast zwanzig Jahren. Da bin ich angestellt als außerordentlicher Professor für Kroatistik in der Abteilung für ältere kroatische Literatur. Die Umsetzung des Bologna-Prozesses, dem sich die kroatischen Universitäten schon vor zehn Jahren verpflichtet haben, ist ein sehr komplexes Thema, über das sich lange sprechen ließe. Bologna hat zwar einige Verbesserungen mit sich gebracht, aber auch bestimmte Kriterien innerhalb des Bildungssystems gesenkt. Mit anderen Worten, die Aufgabenstellungen sowohl der Studentenschaft als auch des Lehrkörpers haben sich vervielfacht, das ganze System sich bürokratisiert. Die Arbeit mit den Studentinnen und Studenten verläuft kontinuierlich, denn die Lernziele und Lernergebnisse sind etwas besser definiert, aber der Umfang der Vorlesungen hat sich deutlich verringert, während die Bildungsinhalte insgesamt oberflächlicher gehandhabt werden als davor.
Warum haben Sie sich dazu entschlossen, sich zu engagieren? Wogegen kämpfen Sie eigentlich?
Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen von der Philosophischen Fakultät kämpfe ich gegen eine Klerikalisierung der staatlichen Universitäten bzw. gegen die Gefährdung einer säkularen Hochschulbildung. Zugleich kämpfen wir auch gegen schädliche Praktiken einer Gruppe klientelistisch vernetzter Personen, die derzeit die Universität Zagreb im Würgegriff halten, wenn nicht gar ganze Wissenschafts- und Bildungsressorts in der Regierung. Es geht in erster Linie um Damir Boras, den Rektor der Universität Zagreb, sodann um einige seiner Prorektoren und Mitarbeiter im Rektorat, und leider auch um den neuen Bildungs- und Wissenschaftsminister Pavo Barišić. Dank des verheerenden Prinzips negativer Selektion und dank der Trägheit der wissenschaftlichen und akademischen Gemeinschaft sind Persönlichkeiten wie diese – sie sind ehrgeizig, rücksichtslos und weitgehend unbedeutend in ihrem Fach – in der universitären Hierarchie aufgestiegen, wo sie nun partikuläre Interessen durchzusetzen suchen, oder auch Interessen von Institutionen, die abseits der Hochschulen stehen, mit ihnen nichts zu tun haben und diesen auch keinen Nutzen bringen. Alles begann an der Philosophischen Fakultät in Zagreb, als man versucht hatte, die Studienrichtungen der Geisteswissenschaften mit dem Curriculum der Katholischen Theologischen Fakultät organisatorisch auf Linie zu bringen, wofür vom System her keinerlei Notwendigkeit vorlag und woraus sich für den Großteil der Studierenden zahlreiche Probleme ergaben. In einem normalen Staat würde sich eine Institution wie die Katholische Theologie erst gar nicht in einer staatlichen Universität befinden, weil es sich um eine konfessionelle Einrichtung handelt – wer also inskribieren will, muss Belege seiner katholischen Sakramente vorlegen sowie Empfehlungen des katholischen Klerus. Nachdem der Rat der Philosophischen Fakultät mit einer überzeugenden Mehrheit der Stimmen die Vereinbarung über eine solche Zusammenarbeit abgelehnt hatte, begann die Sanktionierung unserer Institution.
Sagen Sie uns, bitte, in aller Kürze, was sich hinter dieser Krise der Fakultätsleitung verbirgt?
Dahinter versteckt sich der Versuch jener zuvor erwähnten klientelistisch vernetzten Gruppe, dass der Universitätssenat fortan die Philosophische Fakultät leiten soll. Nachdem unser mittlerweile ehemaliger Dekan Vlatko Previšić – über jedes angemessene und vertretbare Maß hinaus darum bemüht, eine Einigung mit der Katholisch-Theologischen Fakultät zu zu erzielen – offiziell das Vertrauen des Managements der Philosophischen Fakultät verloren hatte, stimmte im Zuge eines Gerichtsverfahrens zu seiner Entlassung der Rektor Boras, um Previšić und seinen Arbeitsplatz zu retten, einer Entscheidung über die Entfernung von Studentenvertretern aus dem Fakultätsrat zu, was wiederum das Funktionieren des Rates unmöglich machte. Das Ministerium für Wissenschaft hatte daraufhin Dekan Previšić in den Ruhestand geschickt, während der Rektor Boras dem Universitätssenat unserer Fakultät die Posten neu besetzt und uns einen Dekan und dessen Stellvertreter aufoktroyiert hat. Tatsächlich wollte der Rektor mit seiner Entscheidung den widerspenstigen Fakultätsrat umgehen. Herausgekommen ist, dass die aufgezwungene Führung dessen Sitzungen überhaupt nicht mehr einberuft. Stattdessen prolongiert er die Verwaltungskrise, fällt Entscheidungen ohne demokratische Kontrolle und entwickelt Pläne, die irgendwo im Rektorat ausgebrütet werden, abgesehen davon, dass er mittels Erpressungen und Drohungen das Kräfteverhältnis innerhalb der Fakultät zu ändern versucht. Unterdessen kann unsere Einrichtung diese ganze Zeit über nicht mehr normal funktionieren.
Sind die Absetzungen in der Verwaltung etwa politische Säuberungen, oder ist so ein Urteil schlicht Unsinn? Wie dem auch sei, wohin soll das alles führen?
Das Ganze ist überhaupt erst möglich geworden, weil der Rektor Boras und seine Mitarbeiter die in Kroatien beträchtliche Autonomie der Universität missbrauchen, um eine autonome Entscheidungsfindung im größten Segment der Universität, auf der Philosophischen Fakultät, auszuschalten. Rektorat und Senat treffen über Nacht gesetzeswidrige Entscheidung und handeln dann entsprechend. Das hat zur Folge, dass wir in Bezug auf solche Entscheidung vor Gericht ziehen und uns auf Verhandlungen einlassen müssen, die Monate lang dauern. Mehr noch: Oft reagieren die zuständigen Behörden nicht einmal auf unsere Anfragen und Beschwerden. Rechtliche Prozeduren werden dahingehend ausgenützt und das öffentliche Interesse geschädigt. Ein Zusammenwirken partikulärer Interessen mit denen der katholischen Kirche wird begünstigt. Obendrein genießt die ganze Angelegenheit eindeutig die Unterstützung des Wissenschaftsministers, der seinerseits zu ein und derselben klientelistischen Riege gehört. Einstweilen bedeuten der administrative Sesseltausch, der ausgeübte Druck und das Blockieren des Funktionierens der Fakultät nicht, dass auch Entlassungen im Raum stehen, aber derlei kann man in naher Zukunft nicht ausschließen – angesichts der Tatsache, dass an der Fakultät mehr und mehr der Widerstand gegen die von oben durchgeführte Willkür und Gewalt wächst.
Wie gestaltet sich in Kroatien die Rückkehr der katholischen Kirche in die tägliche Politik? Wie groß ist ihr heutiger Einfluss tatsächlich, und wer aus ihren Reihen sticht da politisch hervor?
Der Einfluss der katholischen Kirche in Kroatien ist hoch. Seit geraumer Zeit leben wir nicht mehr nicht in einem völlig säkularen Staat. Davon zeugt die klar und deutlich der Religionsunterricht auf allen Ebenen des Bildungssystems bis hin in die öffentlichen Schulen, weiters auch die Formen staatlicher Finanzierung unterschiedlicher kirchlicher Institutionen und Initiativen, sowie die Existenz von Konfessionsschulen im staatlich-universitären Rahmen, und vieles Andere mehr. Darum stellt der Kampf an der Philosophischen Fakultät zugleich einen Kampf um die Fundamente der Republik und um zivilisatorische Mindeststandards dar. Zwar sind Priester keine direkten Akteure des politischen Lebens, aber sie beeinflussen es auf sehr erfolgreiche Art und Weise. Die Obersten des katholischen Klerus preschen unentwegt in der Öffentlichkeit mit scharfzüngigen, hauptsächlich konservativen Ansichten vor und versuchen dabei, weltanschaulich und öffentlichkeitswirksam eine Reihe rückschrittlicher Ideen durchzuboxen, die zu einem guten Teil die kroatische Gesellschaft bereits barbarischer gemacht haben. Für solche verbalen Übergriffe sind für gewöhnlich die Titelseiten der Zeitungen und die Fernsehsendungen in der Hauptsendezeit reserviert. Der Zagreb Erzbischof Josip Bozanić beispielsweise gab erst kürzlich wieder von sich, dass der Widerstand der Professoren und Studentenschaft an der Philosophischen Fakultät gegen das Zusammenschließen ihrer Institution mit der Katholisch-Theologischen Fakultät „im Geist der kommunistischen Diktatur“ geführt werden würde. Zu meinem Bedauern ist eine peinlich große Anzahl meiner universitären Kollegen dazu bereit, irrationale Weltbilder wie diese in Prinzipien der eigenen Forschungs- und Lehrtätigkeit zu verwandeln und sich dem Aberglauben biblischer Mythen hinzugeben.
Wie würden Sie den Rechtsruck persönlich deuten, bzw. dass rechte Ideen zunehmend in die gesellschaftliche Mitte rücken und in den Mainstream übergehen?
Der Aufstieg der Rechten, über den Sie hier sprechen, ist leider ein Zeichen unserer Zeit, auch in einem größeren europäischen Zusammenhang. Ich würde sagen, dass er sowohl Ursache als auch Folgewirkung des Zusammenbruchs zivilisatorischer Kriterien ist. Im öffentlichen und politischen Leben werden Phänomene plötzlich selbstverständlich, die in einer demokratischen, toleranten Gesellschaft schier inakzeptabel wären. Die Stärkung des rechten Flügels in Kroatien nimmt besonders hässliche Formen und Folgen an, weil sie in der Regel geschichtsrevisionistische Tendenzen aufweist, allem voran in Bezug auf den Quisling- und Nazi-Staat, der im Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet des heutigen Kroatien existiert hat. Ein solcher Revisionismus ist schon seit einigen Jahren nicht mehr an den Rand der Gesellschaft verbannt, sondern auf dem Weg zur Spitze politischen Lebens und staatlicher Institutionen. Das Misstrauen der Bürger gegenüber der parlamentarischen Demokratie, gegenüber der politischen Partizipation und gegenüber den Eliten aus der Politik hat genügend Raum für populistische Manipulation eröffnet, Raum, der von rechts bestens genutzt wird.
Inwieweit ist das Thema der Aufhebung säkularer Werte der Aufklärung an den Universitäten bislang in die Öffentlichkeit vorgedrungen? Wie reagiert der überwiegende Teil der kroatischen Bevölkerung darauf?
Das Thema hat sich nur mehr oder minder herumgesprochen, und nur aufgrund des Widerstands, den die Philosophische Fakultät derzeit gegen die besagte Klerikalisierung aufbietet. Von einem nicht zu unterschätzenden Teil der Öffentlichkeit erahren wir Unterstützung. Da aber die kroatische Gesellschaft als Ganzes eine neue Aufklärung brauchen würde, ist das Bild alles Andere als rosig. Es scheint, dass ein Großteil der Bevölkerung nicht viel dagegen hätte, in irgendeiner Form von Theokratie zu leben, in der die katholische Geistlichkeit über politische Fragen entscheiden würde und die Kriterien konfessioneller Rechtgläubigkeit unumgänglich für die Verwaltung der Gemeinschaft wären. Die naturwissenschaftliche Weltsicht geht in unserem Land spürbar zurück. Oberflächlich Gebildete werden zur tonangebenden Mehrheit, und so tickt, was das Schlimmste ist, auch die politische Elite. All das, was zurzeit an der Philosophischen Fakultät und an der Universität geschieht, ist nur ein Nebenschauplatz allgemeinerer Prozesse, die die gesamte Gesellschaft erfasst haben. Wenn wir nicht vollständig in einer neuen Art von Barbarei versinken wollen, müssen wir uns dem entgegenstellen.
Wie sieht angesichts dieser Situation die Haltung der Leitmedien, des Fernsehens und der Presse aus?
Im Grunde genommen – reserviert. Am meisten sind an Inhalten interessiert, die sich sensationalistisch ausschlachten lassen. Nichtsdestotrotz, je länger die Krise dauert, desto mehr dringt die Frage des rechtlichen Status an der Universität allmählich an die Öffentlichkeit. Darüber hinaus stehen die Mainstream-Medien mehrheitlich unter dem Einfluss der politischen Rechten. Kurz, sie sind uns nicht unbedingt gewogen. Überhaupt gibt es in Kroatien heutzutage kaum noch ernsthaften Journalismus, höchstens in unabhängigen Medien und auf kleineren Internetportalen. Der Rest bleibt von trivialen Inhalten überflutet. Der ehemalige Kulturminister, Zlatko Hasanbegović, ein Revisionist und Faschismusnostalgiker, hat sich darum gekümmert, dass unabhängige und gemeinnützige Medien jetzt ohne Finanzierung dastehen. In Kroatien existiert in Wirklichkeit keine seriöse Tageszeitung. Die auflagenstärksten Zeitungen sehen aus wie Revolverblätter. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist nach der letzten Wahl von unliebsamem Personal gereinigt worden und unter den Einfluss der katholischen Kirche und der Rechten gefallen.
Zu den Unterzeichnern der Unterstützungserklärung für ProfessorInnen und StudentInnen gehören Leute unterschiedlicher Berufe aus aller Welt. Internationalisiert sich der akademische Kampf schlussendlich? Sind Sie gut vernetzt?
Diese Unterstützungserklärung und Solidaritätsbekundung in Form eines offenen Briefs ist der Anfang einer Internationalisierung unserer Probleme. In den ersten drei Tagen der Online-Unterzeichnung haben sich uns mehr als tausend prominente UniversitätsprofessorInnen und Intellektuelle aus allen Ecken und Enden der Welt angeschlossen, unter anderem Maria Todorova, David Harvey, Etienne Balibar, Yanis Varoufakis und viele andere mehr. Wir hoffen auf weitere Unterstützung von außen, in erster Linie, weil es in Kroatien schwer ist, Hilfe zu bekommen, nicht zuletzt seitens der Institutionen. Hier ist eine rechte Revolution im Gange, die nicht die Absicht hat, die Taschen des Widerstands und das Zentrum unabhängigen, kritischen Denkens zu verschonen, und eben dies ist die Philosophische Fakultät.
Herr Bogdan, vielen Dank für dieses Interview.
Mladen Savić, 19.12.2016
Beitragsfoto: Vatikanischer Legat Ramiro Marcone, Dritter von rechts. Alojzije Stepinac, Erster von rechts und Ante Pavelic ganz links – 1944 beim Begräbnis von Marko Dosen, dem Präsidenten des Ustasha Parlaments.