Nach der erneuten Repressionwelle in der Türkei steht besonders die Türkei-Politik der deutschen Bundesregierung infrage. Sie hat den Türkei-Deal zu den Flüchtenden entscheidend verhandelt und hält daher dem Erdogan-Regime die Stange. Aus diesem Grund haben wir mit dem MdB Stefan Liebich gesprochen, er ist der Obmann der Fraktion der Linken im Auswärtigen Ausschuss im Bundestag. Liebich kritisiert die Verhaftungen durch die türkisch Regierung scharf und plädiert unter anderem dafür, diesen Deal aufzukündigen. Das Gespräch führte Sebastian Reinfeldt.
In der Nacht zu Freitag sind elf HDP-VertreterInnen, darunter die Führungsspitze Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, in der Türkei verhaftet worden. Damit wird die Opposition de facto ausgeschaltet. Wie schätzt du diese Entwicklung ein?
Nach der Verhaftung der Parteispitze und von Abgeordneten der drittgrößten Partei des Landes kann niemand mehr übersehen, dass die Türkei sich vom System einer parlamentarischen Demokratie verabschiedet.
Gibt es derzeit überhaupt irgendwelche Chancen, dass zumindest demokratische Minimalrechte in der Türkei wieder in Kraft treten könnten?
Das hängt von den weiteren Entwicklungen in der Türkei und den internationalen Reaktionen ab. Es ist nie zu spät, auf einem Irrweg umzukehren.
Wie würdest du das politische System in der Türkei demnach bezeichnen?
In der Türkei regiert ein autokratisches Regime, das versucht eine demokratische Fassade aufrecht zu halten.
Sollte die Europäische Union den Türkei-Flüchtlingsdeal wegen der erneuten Verhaftungswelle von HDP-PolitikerInnen aufkündigen?
Schon der Abschluss dieses Abkommens war ein Fehler. Mit jedem Tag, den es weiter in Kraft ist, bestätigt die deutsche Regierung de facto die Entwicklungen in der Türkei.
Welche realen Möglichkeiten würde es denn überhaupt geben, Druck auf die türkische Regierung auszuüben?
Es ist die Verpflichtung von OSZE und NATO ihrem Mitgliedsland klar zu sagen, dass dieser Weg falsch ist. Die Regierungen von Deutschland, den USA und anderen müssen die militärische Zusammenarbeit mit dem Erdogan-Regime sofort stoppen. Eine EU-Mitgliedschaft dieser Türkei ist unvorstellbar.
Stefan Liebich ist Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss des deutschen Bundestags.
Foto: Von Martin Rulsch, Wikimedia Commons – Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35369106