Das Wohnhaus Bauernmarkt 1. ist ein denkmalgeschützter Barockbau direkt hinter der Peterskirche, nur einen Steinwurf vom Stephansplatz entfernt. Eine der besten Adressen Wiens. Dennoch hatte das Haus – das einmal ein Gemeindebau der Stadt Wien war – in den letzten Jahren immer weniger Bewohner. Demnächst zieht, nachdem er 40 Jahre am Bauernmarkt gewohnt hat, nun der letzte Mieter aus. Der Grund für die Gentrifizierung des Hauses liegt in Immobilienspekulation im großen Ausmaß, zahnlosem Denkmalschutz und dem dilettantischen Verkauf öffentlichen Eigentums. Christoph Ulbrich zeichnet die Geschichte des Hauses nach.
Der „atypische“ Gemeindebau
Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht vermuten würde. Das Haus Bauernmarkt 1. war einmal ein Gemeindebau. Und zwar seit 1941, als das Haus der Stadt gestiftet wurde. Die 21 Wohnungen im Haus wurden – wie bei jedem anderen Gemeindebau auch – von Wiener Wohnen vermietet.
Fast 60 Jahre lang. Bis die Stadt Ende der 1990er Jahre beschloss, 36 sogenannte „atypische Gemeindebauten“ zu verkaufen. Unsere Geschichte beginnt also vor über 15 Jahren.
Im einem im Jahr 2000 veröffentlichen Bericht empfahl der Rechnungshof der Stadt Wien auf Seite 37 „im Bereich des Althäuserbestandes insgesamt kostendeckende Mieten anzustreben.“ Das bedeutet insbesondere diese Wohnungen nicht – wie 1996 vom Gemeinderat beschlossen – zum niedrigen Kategoriemietzins zu vermieten, sondern „die Wiedervermietungszinse an den Richtwertmieten zu orientieren“.
Stadt will verkaufen und interpretiert Rechnungshofbericht um
Die Stadt Wien nahm diese Kritik aber nicht zum Anlass, die Mieten bei Neuvermietung an den Richtwert anzupassen. Stattdessen entschied der damalige Wohnbaustadtrat Werner Faymann die 36 Zinshäuser – viele davon in sehr guten Lagen – zu verkaufen. In einem Kontrollamtsbericht von 2002 heißt es dazu:
Nicht zuletzt auf Grund einer Prüfung des Rechnungshofes begann die Unternehmung „Stadt Wien – Wiener Wohnen“ ab dem Jahre 1999, sich von insgesamt 36 atypischen Objekten, die nicht als Gemeindebauten im herkömmlichen Sinn anzusehen waren, durch Verkauf an private Personen oder an Unternehmen zu trennen.
Allerdings empfahl der Rechnungshof „nur“ die Mieten – wenn möglich – auf den gesetzlich vorgesehen Richtwert anzuheben. Eine Empfehlung zum Verkauf der Häuser lässt sich aus dem Bericht nicht herauslesen. Die Stadt entschied trotzdem, genau das zu tun und die 36 atypischen Objekte zu verkaufen. Eines davon war das Haus Bauernmarkt 1. Verkauft wurde das Haus das neun Lokale, drei Magazine, zwei Werkstätten, zwei Büros und 21 Wohnungen umfasst so wie drei weitere Häuser an die Lenikus & Co GmbH. Und das – wie das Kontrollamt später kritisierte – ohne Ausschreibung. Für die insgesamt 3.116,81 m² Nutzfläche bezahlte Lenikus 3.778.987,38 Euro. Das entspricht einem Kaufpreis von 1212,45€/m². Das war schon 2001 ein äußerst günstiger Preis. Allerdings bescheinigte auch ein Gutachten der Stadt Wien dem Haus einen ähnlichen Wert. Angesichts der geringen Mieteinnahmen und der Beschränkungen durch den Denkmalschutz war das (fast) vollständig unbefristet vermietete Haus für Investoren auf den ersten Blick unattraktiv.
Der Käufer aus der „Problem- und Spekulationshausliste“
Die Lenikus-Gruppe ist laut Hompage „auf das Entwickeln von höchstklassigen, maßgeschneiderten Immobilienprojekten in Bestlagen Wiens spezialisiert“. Und sie ist auch für die Stadt keine unbekannt. Im Gegenteil: Der Name Lenikus findest sich mehrfach auf der sogenannten „Problem- und Spekulationshausliste“ der Gebietsbetreuung. Auf dieser Liste stehen Investoren, die Häuser verfallen lassen, Erhaltungsarbeiten nicht durchführen und mit zweifelhaften Methoden die Absiedlung der Mieter betreiben. Der Grüne Gemeinderat Martin Ellensohn kritisiert 2002 – damals noch als Oppositionspolitiker – in einer Rede im Wiener Gemeinderat den Verkauf als dilettantisch. Ellensohn berichtet von abgedeckten Dachstühlen und davon, dass Lenikus im ebenfalls von der Stadt an ihn verkauften Haus Praterstraße 10, von den Mietern Mietnachzahlungen von mehreren 100.000 Euro einklagt. Ellensohn kommt in seiner Rede zum Schluss:
„Die Sozialdemokratie macht sich ihre Spekulationsopfer im Wohnungsbereich selbst! (…) Der Herr Faymann und „Wiener Wohnen“ verkaufen in dilettantischer Manier, in finanzpolitisch dilettantischer Manier und in sozialpolitisch dilettantischer Manier, Eigentum der WienerInnen, und das ist eine Zumutung.“
Der (Ex-)Grüne Spekulant
Martin Lenikus ist – wie die Tageszeitung die Presse schreibt – eine kontroversielle Persönlichkeit. Einst als skrupelloser Spekulant berüchtigt, enagierte er sich ab 2006 bei der Grünen Wirtschaft, für die er auch zur Wirtschaftskammerwahl 2009 kandidierte. Eine Tatsache die schon damals für Grün-internen Unmut sorgte.
Das die Kontakte zu den Grünen nie ganz abgerissen sein dürften, zeigt eine Presseaussendung von Lenikus aus dem Sommer 2014. Vertreten wird Lenikus nämlich von Pius Strobl bzw. dessen PR-Firma. Strobl war einst Gründungsmitglied der Grünen, langjähriger Mandatar und bis 2010 grüner ORF-Stiftungsrat. Bis heute ist Strobl, dem viele in der Partei als Opportunisten bezeichnen, Parteimitglied der Grünen.
Wiener Wohnen hilft bei „Bestandsfreimachung“
Für die Bewohner der verkauften Häuser soll sich – versicherte Wiener Wohnen nach dem Verkauf per Aushang – mit dem Eigentümerwechsel nichts ändern. Alle Mietverträge bleiben unverändert aufrecht. Dennoch bietet Wiener Wohnen seinen Mieterinnen an gleich – oder zu jedem späteren Zeitpunkt – in einen anderen Gemeindebau umzuziehen. Wiener Wohnen unterstützte also nach dem Verkauf der Häuser die neuen Eigentümer dabei, die Objekte – wie es im Immobilien-Jargon heißt – „bestandsfrei“ zu machen um so den Wert zu steigern. Das eine Absiedlung der Mieter bares Geld wert ist, weiß man auch bei Wiener Wohnen. In den Kaufverträgen ist, falls ein Mieter auszieht, eine Nachzahlung von ca. 200€/m² Nutzfläche durch den Käufer vereinbart. Die Vereinbarung hat allerdings einen Schönheitsfehler: Diese Nachzahlungsverpflichtung ist auf 12 Monate befristet. Für Mieter die ab dem 13. Monat in einen anderen Gemeindebau umziehen, fällt die Wertsteigerung einzig und alleine dem neuen Eigentümer zu.
Eine Mischung aus finanziellen Anreizen und Druck
Das Angebot sofort umzuziehen nahm nur eine Minderheit der oft betagten Mieter war. Schließlich sollte sich laut Wiener Wohnen durch die neuen Hauseigentümer für die Hausparteien ja nichts ändern. Doch es kam anders.
Die Mieter die nicht sofort auszogen, wurden in den Jahren danach mit – wie es der letzte Mieter im Haus gegenüber der Bezirkszeitung beschreibt – einer „Mischung aus finanziellen Anreizen und Druck“ aus dem Haus gebracht. So war der Lift jahrelang außer Betrieb. Für ältere Hausbewohner waren damit ihre Wohnungen in den oberen Stockwerken kaum mehr benutzbar. Viele, wie der berühmte, schon damals schwer kranke, Kulturkritiker Karl Löbl zogen aus. Erhaltungsarbeiten wurden nicht durchgeführt, Mietverträge mehrmals (am Ende erfolglos) gekündigt. Wer keine Lust auf ständige Gerichtsverfahren hat, zieht früher oder später aus. 2015 brannte schließlich auch noch der historische Dachstuhl, nach unsachgemäßen durchgeführten Flämmarbeiten.
Der Denkmalschutz wird verwässert
Aus Investorensicht sind am Bauernmarkt 1. aber nicht nur die Mieter wertmindernd, sondern auch der Denkmalschutz. Auch an dieser Front wurde Lenikus aktiv. Unmittelbar nach dem Erwerb des Hauses beantragt der Hauseigentümer – wie der ORF berichtete – noch im Jahr 2001 die „Entlassung aus dem Denkmalschutz“ für das 300 Jahre alte Haus in Sichtweite des Stephansdoms. Das wurde abgewiesen. Allerdings bewilligte das Bundesdenkmalamt einen lukrativen Ausbau des Dachgeschosses. Der Dachboden sei, so die Ansicht des Bundesdenkmalamts, nicht erhaltungswürdig. Umso bemerkenswerter: Heute weist ein Plakat an der Baustelle darauf hin, wie wichtig dem Bauträger der Denkmalschutz angeblich sei.
Das Kulturministerium ignoriert die UNESCO
Lenikus jedoch baute den Dachboden vorerst nicht aus, sondern beantragte 10 Jahre später gar eine Aufstockung. Das ging dann sogar dem Bundesdenkmalamt zu weit. Es lehnte die Aufstockung des historischen Gebäudes ab. Und auch die für das Weltkulturerbe zuständige UNESCO befand den Dachstuhl für unbedingt schützenswert. Lenikus beeinspruchte allerdings die Entscheidung des Bundesdenkmalamts, sodass nun das damalige Kulturministerium entscheiden musste. Und diesmal hatte Lenikus Glück. Das Kulturministerium des Kabinetts Faymann I – damals unter Leitung von Ministerin Claudia Schmied – überstimmte das Bundesdenkmalamt und genehmigte die Aufstockung. Genau diese Pläne werden derzeit umgesetzt. Der Bauernmarkt 1 ist derzeit eine Baustelle.
Das immer gleiche Muster der Gentrifizierung
Der letzte Akt des für Lenikus äußerst lukrativen Geschäfts ist gerade in Gang. Wie die Zukunft des Hauses nach Absiedlung des letzten Mieters, Generalsanierung und Dachausbau aussieht zeigt ein Blick auf zwei andere von Lenikus „entwickelte“ Projekte. Das Haus Praterstraße 10 im 2. Bezirk das Lenikus (so wie zwei weitere Häuser) zusammen mit dem Haus Bauernmarkt 1 erworben hat wurde nach dem gleichen Muster„bestandsfrei“ gemacht, aufwendig saniert und dann als parifizierte Eigentumswohnungen verkauft. Auch eine kurzzeitige Hausbesetzung im Jahr 2010 änderte daran nichts. Ein weiteres Beispiel ist das Haus Sigmundsgasse 5 am Spittelberg. Auch dieses Haus ließ Lenikus jahrelang verwahrlosen, um eine sogenannte „technische Abrruchreife“ zu erreichen. Auch hier – mitten im historischen Ensemble des Spittelbergs – scheiterte er am Denkmalschutz. Schließlich wurde das ehemalige Mietshaus aufwendig saniert, der Dachboden ausgebaut und dann 13 parifizierte Eigentumswohnungen hochpreisig verkauft.
Enorme Gewinne bei Parifizierung und Verkauf
Zurück zum Bauernmarkt 1. Ein Blick auf eine Immobilienplattform zeigt, dass die Kaufpreise für sanierte Wohnungen im 1. Bezirk derzeit bei 10-15.000 Euro/m² liegen – für Dachgeschoßwohnungen können es aber auch über 20.000 Euro/m² sein.
Das Haus Bauernmarkt 1 hat somit bei 3100m² Nutzfläche + Dachboden in saniertem Zustand einen Wert von gut und gerne 35 Millionen Euro. Sanierungskosten betragen laut der Website wohnnet.at derzeit zwischen 500 und 1500€/m². Ein Dachausbau kostet zwischen 2000 und 2700€/m². Selbst wenn man – angesichts des Denkmalschutztes – hier von den Maximalbeträgen ausgeht ergeben sich so Gesamtkosten für Sanierung und Dachausbau von unter 10 Milionen Euro. Demnach hat das Haus, das die Stadt Wien einst um weniger als 4 Millionen Euro verkauft hat, jetzt einen Verkaufswert von gut und gerne über 35 Millionen Euro.
Und aus den 21 günstig Gemeindewohnungen der Stadt Wien sind 15 Jahre später Luxus-Eigentum-Apartments zu Kaufpreisen ab 10.000€/m² geworden. Oder hochpreisige Luxus-Büros, die ihren Teil zur „Entvölkerung“ der Innenstadt beitragen.
Die Stadt hatte wirklich seinerzeit an Lenikus DIREKT verkauft?
Das ist mehr als befremdlich, weil gerade er damals für seine – sagen wir Nettigkeit – in aller Munde war.
Aber seit seinen Geschäften auf der Donauinsel musste eigentlich ohnedies vielen ein Licht aufgegangen sein.
Ja die Stadt hat damals direkt an Lenikus verkauft. Insgesamt 4 Häuser: Bauernmarkt 1, Bauernmarkt 9, Praterstraße 10 und Lilienbrunngasse 13.
Der Kontrollamtsbericht aus 2002 ist oben verlinkt. Hier nochmals (Seite 23): https://www.semiosis.at/wp-content/uploads/2016/10/Kontrollamtsbericht_Bauernmarkt.pdf
Lilienbrunngasse 13 wurde nach der „Bestandsfreimachung“ abgerissen und ein Neubau mit Eigentumswohnungen errichtet. Praterstraße 10 wurde generalsaniert und der Dachboden ausgebaut.
es waren mehr. bauernmarkt 21 war auch noch dabei. ausserdem noch rotgasse 2 sowie das haus schräg visavis am lichtensteg. jetzt 2 hotels. ich habe jahrelang versucht von faymann eine antwort zu erhalten, warum er im wahlkampf zum bu-ka für billiges wohnen eintritt, wenn er jahre davor in seiner funktion gemeindebauten an einen stadtbekannten spekulanten verkauft. antwort habe ich keine erhalten.
ein/e ehem. MA der fir.gru. len.
Leider konnte ich für die von Ihnen genannten Häuser keine Belege zum Verkauf finden. Was aber sicher stimmt ist, dass damals Ende der 90er Anfang 2000 zahlreiche „atypische Gemeindebauten“ verkauft (man ist geneigt zu sagen verscherbelt) wurden. Und Viele dieser Häuser wurden Früher oder später „bestandsfrei“ gemacht und verwertet. Jüngstes Beispiel ist das Haus in der Hetzgasse 8
Nur mehr Kopfschüttel!
Danke für die Recherche.
Das Haus Bauernmarkt 1 stammt aus der Barockzeit. Der Barocke Dachstuhl wurd 2016 zerstört. Gerne würde ich Ihnen ein Foto schicken, da in ihrem interesanten Artikel keine Aufnahmen des schönen Barockhauses von innen enthalten sind.
Danke sehr. Wir würden uns freuen: sebastian.reinfeldt@gmail.com; ich leite es dann auch an Christoph weiter.
Ich möchte in Österreich im Immobilienmarkt ankommen. Besonders geht es mir um die Sanierung, aber ich habe erfahren, dass wohl auch hier noch eine Parifizierung notwendig ist. Gut zu sehen, dass hier oft die Sanierung zum Tragen kommt, da der Denkmalschutz einen Abriss verhindert.
Ich habe hier meine Kindheit verbracht, habe 40 Jahre hier gelebt und wurde von dem sehr netten Herrn Lenikus oder seinen Lakaien vertrieben. Damals habe ich Kleinkinder gehabt, die eine behütete Kindheit verbracht. Wir hatten nette Nachbarn und haben mit diesen auch noch Kaffee getrunken. In den neuen Häusern hat man keinen Kontakt. Die Praktiken des Herrn sind mehr als fraglich, auch wir wurden zu einer Nachzahlung aufgefordert, die es in sich hatte. Es war eine sehr schöne Zeit. Sollte ich Bilder finden, kann ich diese gerne weiterleiten.