Kuren in Zeiten des Neoliberalismus

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By Sebastian Reinfeldt

Morgens, mittags und abends einfach nur ruhen – in einem bequemen Liegestuhl, im Winter in Decken gehüllt, im Sommer unter einem Sonnenschirm. Das war der gepflegte Müßiggang einer Liegekur in der Mikrowelt eines privaten Sanatoriums, die Thomas Mann ironisch im Zauberberg beschreibt. Das Ruhen und Rasten des gehobenen Bürgertums von damals stellt das Gegenmodell zur Kur heutzutage dar. „Werden sie aktiv, bewegen sie sich, verbessern Sie ihren Lebensstil! “ So lauten die aktuellen Imperative der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt. Geblieben ist die Mikrowelt eines Sanatoriums, in dem die Menschen, die so wie ich im Turnus 35GA in Bad Sauerbrunn im Nordburgenland gelandet sind, für 3 Wochen leben. So ganz nebenbei lernen wir dabei ein Public Private Partnership der österreichischen Art kennen. – Von Sebastian Reinfeldt, derzeit Bad Sauerbrunn.


„Das will die Pensionsversicherungsanstalt so“

„Die Eingangstür ihres Gästehauses wird um 22:30 Uhr geschlossen. Das will die Pensionsversicherungsanstalt so.“ Am Ankunftstag im Kurort gehören die Worte des Direktors des „Gesundheitszentrums Bad Sauerbrunn“ zum Pflichtprogramm. Wir sitzen im Seminarraum und erfahren die Vorschriften. Unmissverständlich macht er uns Kurgästen klar, dass wer zahlt, auch anschafft. Weshalb diese Dinge auch nicht verhandelbar seien.
Ohne dass ich gefragt worden wäre, bin ich in meiner Kur, die ich wegen chronischer Rückenschmerzen und berufsbedingter Nacken-Verspannungen angetreten habe, gleich Teil des Pilotprojektes „Gesundheitsvorsorge aktiv“ geworden. Auch dies hat die Pensionsversicherungsanstalt so entschieden: „Das Modell unterstützt die Patientinnen und Patienten bei einer langfristig positiven Beeinflussung ihres Lebensstils und verbessert damit nachhaltig ihre Lebensqualität,“ so lautet die Zielsetzung der „Kur neu“. Durch Modeworte wie „Aktivierung“ und „Eigenverantwortung“ wird verbrämt, dass die „Kur neu“ eigentlich eine „Kur light“ ist. Und das im Doppelsinne.

Die Kur neu ist eigentlich eine Kur light

Es müsse gespart werden, in diesen Zeiten. Das ist die eine Seite, und auch das will die Pensionsversicherung so. Täglich drei Einheiten stehen auf meinem Therapieplan, ansonsten erwartet die Direktion (und die Pensionsversicherungsanstalt) die aktive Mitarbeit der Kurgäste am Kurerfolg. Nordic Walking, Schwimmen, Laufen oder einfach Spazieren gehen – alle dies kann und soll „in Eigenverantwortung“ in der Freizeit erfolgen. Aber diese Eigenleistungen kosten extra, und das ist die andere Seite: Für den Zutritt zum Schwimmbad mit Thermalwasser sind 125 Euro zu zahlen, zusätzlich zu dem für alle Kurgäste obligatorischen Selbstbehalt von rund 400 Euro für Normalverdienende. Auch dies wünsche die Pensionsversicherungsanstalt so, die pro Kurgast einen Betrag von rund 90 Euro täglich zur Verfügung stelle, erläuterte der Direktor. Und da sei ein Mehr halt nicht drin. Nur, dass die Extrabeträge fürs Schwimmen, für den Kaffee am Nachmittag (2,80 Euro) für einen Saft (3 Euro gespritzt, denn es gibt tagsüber nur Wasser zum Trinken) oder für das Frühstücksei (90 Cent, außer sonntags, da ist es gratis) in einer anderen, privaten Kasse landen: In der des Gesundheitszentrums Bad Sauerbrunn, das wiederum zur VAMED-Gruppe gehört, die früher einmal Voest Alpine Medizintechnik hieß.

Wer verdient an meiner Kur?

Nach dem AKH-Skandal erhielt die VAMED den Auftrag zur Fertigstellung des Wiener Großklinikums; sie wurde eigens dafür gegründet. Mit der Zeit entstand daraus ein Konzern in der roten Reichshälfte Österreichs. Heute gehört die VAMED zu 77 Prozent dem deutschen Gesundheitskonzern Fresenius. Weitere 10 Prozent besitzt die B&C Industrieholding, hinter der wiederum die Bank Austria steckt. Die VAMED ist ein Riese der österreichischen Gesundheitsindustrie, praktisch alle österreichischen Kurzentren gehören zu dieser Gruppe Und sie ist ein privater Träger, der sich rühmt, ein Pionier im so genannten Public Private Partnership zu sein.

Konkret bedeutet das im Falle des Gesundheitszentrums Bad Sauerbrunn, dass die Pensionsversicherungsanstalt Patientinnen und Patienten zu Kureinrichtungen der VAMED-Gruppe schickt, die dann die Behandlungen im Auftrag durchführt. Hinter dem Bad Sauerbrunner Gesundheitszentrum, das im Jahr 2015 rund 16 Millionen Euro Umsatz gemacht hat und 218 Personen beschäftigte, steckt über die Infrastruktur Bad Sauerbrunn GmbH die RBI-Leasing – eine Raiffeisen-Tochter. Somit ist die rot-schwarze Koalition in meiner Kur auch ökonomisch gut abgebildet. Und das Ganze scheint kein Verlustgeschäft zu sein.

Fresenius wird nun größter Betreiber von Kureinrichtungen und Krankenhäusern in Europa

Der 77-prozentige Miteigentümer an der VAMED hat dieser Tage übrigens einen Megadeal abgeschlossen. Denn Fresenius übernimmt den größten privaten Klinikbetreiber Spaniens und baut seine Position als größter Betreiber von Privatkliniken in Europa aus, berichtet der Standard. Fresenius‘ Firmensitz ist im hessischen Bad Homburg, übrigens ein Kurort. Für 5,76 Mrd. Euro kaufte das Unternehmen in der Gesundheitsbranche den spanischen Konzern Quirónsalud mit 43 Kliniken und 35.000 Mitarbeitern. Quirónsalud wiederum ist die größte private Klinikkette in Europa außerhalb Deutschlands. Obwohl also die Pensionsversicherungsanstalt sparen muss, scheint das Ganze ein einträgliches Geschäft zu sein – finanziert mit öffentlichen Geldern und den Zusatzbeiträgen, die wir leisten.

Public Private Partnership im Gesundheitswesen: Eine fragwürdige Sache

Meinen persönlichen Zauberberg finde ich im Speisesaal im Haus Hartig im Burgenland. Dort treffen ich zu den festgelegten Zeiten im Turnus 35A mit Menschen zusammen, deren Körper und Seelen zumeist durch ihre anstrengende Arbeit schmerzen: Bus- , Taxi- und LKW-Fahrer, Menschen, die wie ich in sozialen Berufen arbeiten (etwa in der Pflege oder im Krankenhaus), Bauarbeiter sowie Menschen im Burn-out und mit Depressionen – aber auch solche, die nach Operationen etwa an der Hüfte Erholung benötigen. Klassischerweise ist eine solche Kur eine Art Ausgleich für diese Schmerzen – auch, um sie zu lindern. Kuren reparieren. In Zeiten des Neoliberalismus wird mit unseren Schmerzen und mit unserer Eigenaktivität, zu der wir aufgefordert sind, Gewinn gemacht. Wenn man es genau durchdenkt, dann ist dieses Geschäftsmodell fragwürdig. Nicht nur moralisch übrigens, wegen eines Profits, der aus Schmerzen entsteht. Sondern auch volkswirtschaftlich. Denn den angeblichen Spareffekt, den es ja geben soll, wenn öffentliche Gelder unkontrolliert in private Kassen fließen, kann ich nicht erkennen.

Im Kurhaus

Die Kur tut mir übrigens gut. In meinen freien Stunden lese ich im Thomas Mannschen Zauberberg die Reminiszenzen einer untergegangenen Epoche:

Dann kam eine Rotunde mit gedeckter Galerie, in der eine Kapelle konzertierte. Hier war das Kurhaus. Auf mehreren Tennisplätzen waren Partien im Gange. Langbeinige, rasierte Jünglinge in scharf gebügelten Flanellhosen, auf Gummisohlen und mit entblößten Unterarmen spielten gebräunten und weiß gekleideten Mädchen gegenüber, die anlaufend sich in der Sonne steil emporreckten, um den kreideweißen Ball hoch aus der Luft zu schlagen. Wie Mehlstaub lag es über den gepflegten Sportfeldern. Die Vettern setzten sich auf eine freie Bank, um dem Spiele zuzusehen und es zu kritisieren.

„Du spielst hier wohl nicht?“, fragte Hans Castorp.

„Ich darf ja nicht“, antwortete Joachim. „Wir müssen liegen, immer liegen . . . Settembrini sagt immer, wir lebten horizontal, wir seien Horizontale, sagt er, das ist so ein fauler Witz von ihm.

 

 

 

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