Die am Ende Vielleicht_Doch-Nicht-Schließung von 33 Kindergärten des Betreibers Alt-Wien ist ein Lehrbuchbeispiel dafür, welche Folgen die Auslagerung gesellschaftlicher Aufgaben an Private hat. Ein Kommentar von Christoph Ulbrich – auch zum zirkulären Geschäftsmodell der Alt-Wien Kindergärten.
Der schlanke Staat, die schlanke SPÖ-Stadt
Kindergärten sind in den letzten Jahrzehnten zurecht zur ersten wichtigen Bildungseinrichtung aufgewertet worden. Die Stadt Wien garantiert jedem Kind einen kostenlosen Kindergartenplatz. Sie nimmt dafür sehr viel (Steuer-)Geld in die Hand. 340 Mil. Euro fließen jährlich alleine an private Kindergartenbetreiber. Die Stadt verschlankt sich und lagert wichtige kommunale Aufgaben aus. Sie gibt damit aber auch die pädagogische und wirtschaftliche Kontrolle zumindest teilweise auf, womit – das zeigen die Skandale der letzten Monate – Missbrauch Tür und Tor geöffnet ist. Die Frage, warum die Stadt mit 340 Millionen Euro nicht selber eigenen Kindergärten betreibt, stellt sich offensichtlich niemand mehr.
Alt-Wien – Too Big to Fail
2300 Kinder, die an 28 Standorten über ganz Wien verteilt Montag früh buchstäblich auf der Straße vor den verschlossenen Türen der Kindergärten stehen würden: Das wäre ein politischer Super-Gau. Und das weiß die zuständige Stadträtin Sandra Frauenberger und vermutlich auch der Betreiber. Dementsprechend stark ist seine Verhandlungsposition. Allen Beteiligten muss von Anfang an klar gewesen sein, dass Alt-Wien – trotz Skandal – weiter bestehen wird müssen. Die Frage ist: Wer hat beim Poker um ein Vergleichsangebot die besseren Karten. Es ist der Betreiber! Anscheinend macht ihm die Stadt das Angebot, von den 6,6 mutmaßlich veruntreuten Millionen vorläufig nur 4,5 zurück zu zahlen. Der Rest wird ihm gestundet. Weil jetzt noch eine Bankgarantie fehlt, werden Kinder, Eltern und MitarbeiterInnen allerdings ein weiteres Monat auf die Folter gespannt.
Der Betreiber hat es in der Hand
Das Interview, das Stadträtin Frauenberger am Mittwoch dem Ö1-Mittagsjournal gab, lässt an der Selbstaufgabe der Politik keine Zweifel. Mehrmals wiederholt Frauenberger: „Der Betreiber hat es in der Hand!“ Nicht die Politik entscheidet mehr, ob und zu welchen Bedingungen Kinder in Wien einen Kindergarten besuchen können. Nein, ein einzelner 74-jährige Vereinsvorstand – der wohl auch bereit ist, im Fall des Falles den Verein in die Insolvenz zu schicken – hat es in der Hand. Eine einzelne Kindergruppe oder ein Islam-Kindergarten sind schnell geschlossen. Aber 2300 Kinder aus allen Gesellschaftsschichten, das ist eine Verhandlungsmasse, mit der sich Druck erzeugen lässt.
Mutmaßliche Betrüger als Partner der Politik
Gänzlich absurd wird die Situation, als Frauenberger im Interview einerseits ankündigt den Betreiber Richard Wenzel wegen Fördergeldmissbrauchs bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft anzuzeigen. Ihn andererseits aber geradezu anfleht, weiter mit der Stadt zusammen zu arbeiten. Wie schwach muss die eigene Position sein, wenn man mit jemandem zusammenarbeiten will, den man für einen Betrüger hält? Die Frage, warum Kindergärten nicht von der Stadt selbst betrieben werden, stellt sich offensichtlich auch für Sandra Frauenberger nicht.
Das Geschäft mit den Kindern – Schlechte Gehälter für die MitarbeiterInnen
Soll Kinderbetreuung überhaupt ein Geschäft sein? Auch diese Frage wird von der Politik gar nicht mehr gestellt. Wenzel hatte sich in den Medien damit gerechtfertigt, dass er in den letzten Jahren gut gewirtschaftet hätte und somit Geld übrig geblieben sei, dass er in die Sanierung von eigenen Immobilen gesteckt habe. Aber: Was heißt „gut gewirtschaftet“ in diesem Zusammenhang? Es heißt, dass die Stadt über Jahre für die Betreuung der Kinder mehr bezahlt hat, als notwendig war. Es heißt, dass auf Kosten der – in dieser personalintensiven Branche – notorisch schlechte bezahlten MitarbeiterInnen gespart wurde. Wo sonst sollte ein Kindergarten Kosten sparen? Effizient wirtschaften – und auch das ist ja ein Mantra der Politik (das auch die SPÖ gerne wiederholt) – heißt schlechte Gehälter. Eine Vertreterin der GPA bestätigt dann auch im Wirtschaftsblatt, dass Alt-Wien bekannt dafür ist, seine MitarbeiterInnen besonders schlecht zu bezahlen.
Das Geschäftsmodell von Alt-Wien: Wenzel verhandelt mit Wenzel!
Das Geschäftsmodell von Alt-Wien ist aber wohl überhaupt noch ein wenig ausgeklügelter. Rechtlich ist der Betreiber des Kindergartens ein gemeinnütziger Verein, der keine Gewinne machen darf. Richard Wenzel ist nicht nur im Vorstand des Kindergarten-Vereins, sondern auch Geschäftsführer einer Immobilienfirma. Verein und Immobilienfirma haben Ihren Sitz an der selben Adresse, in der Strozzigasse 3. Der Vereinsvorstand von Alt-Wien besteht aus dem Ehepaar Wenzel, und einer Tochter. Eigentümer der Immo-Firma sind Wenzels Kinder, Geschäftsführer er selber. Die Firma ist Eigentümerin zahlreicher Immobilien in Wien. Es sind genau jene Zinshäuser, in denen sich auch die Kindergärten von Alt-Wien befinden, die natürlich Miete an die Firma der Wenzels zahlen. Das Geschäft machen die Wenzels damit nicht über die Kindergärten und den gemeinnützigen Verein, sondern über die Mieteinnahmen ihrer GmbH. Das heißt natürlich nicht, dass die Miete wucherisch hoch ist, aber die Konstellation birgt zumindest die Gefahr, dass es zu Unvereinbarkeiten kommt, wenn der Vereinsvorstand Wenzel mit dem Geschäftsführer Wenzel Mietverträge aushandelt. Oder wenn der Vereinsvorstand Wenzel Adaptierungsarbeiten in einer Immobilie des Geschäftsführers Wenzel beauftragt.
Prekäres Leben ab dem 1. Lebensjahr
Abschließend ein Blick auf die Perspektive der betroffenen Kinder: Immer mehr Menschen leben in immer prekäreren Verhältnissen. Immer mehr Eltern wissen nicht, ob sie nächste Woche noch einen Job, ein Einkommen oder eine Wohnung haben.
Diese Prekarisierung ist nun also auch bei den 1-jährigen angekommen. Auch sie müssen die Erfahrung machen, dass heute nicht gewiss ist, ob sie in einer Woche noch Platz in ihrem Kindergarten und gewohnten sozialen Umfeld haben. Die schlanke Stadt macht es möglich! Aber wollen wir das?
(Foto: orf.at)
Angemerkt sei noch, dass die Kindergärten von Alt-Wien ihr Geld auch noch auf andere Weise einnehmen.
Ich habe für einen Gymnastikkurs (versprochene 15 Einheiten) € 80,- pro Semester bezahlt. Im Laufe des Semesters wurden immer wieder Einheiten verschoben oder fanden nicht statt (Betreuerin krank oder keine Zeit). Auf meine Anfrage wurde mir versichert, dass diese fehlenden Einheiten nachgeholt werden. Dazu wurde auf der Garderobentür auch ein Plan, wann die Einheiten stattfinden, ausgehängt.
1 Monat vor Ablauf des Semesters wurde dieser Plan plötzlich komplett geändert und es waren nur mehr 12 Einheiten darauf zu sehen. Auf meine Nachfrage ob ich denn nun einen Teil meines Geldes zurück bekomme, wurde dieses verneint!
€ 80,- / 15 Einheiten ergibt € 5,33 pro Einheit bei nur 12 Einheiten müsste ich also nur € 64,- bezahlen. Da das nicht nur mich betroffen hat ergibt das schon eine schöne Summe!
Weiters muss man den vollen monatlichen Essensbeitrag bezahlen wenn das Kind mehr als 3x im Monat Essen bekommt. Wir bezahlten also während der Weihnachts- oder Osterferien das Essen obwohl der Kindergarten geschlossen war! Das Gleiche passiert auch wenn man auf Urlaub fährt! Da kommt nochmals richtig viel Geld zusammen. Auf meine telefonische Anfrage in der Zentrale sagte mir ein stets unfreundlicher älterer Mann (vielleicht war das auch Herr Wenzel persönlich) „wenn es mir so nicht passt kann ich ja mein Kind aus dem Kindergarten nehmen!
Ich war prinzipiell mit der Betreuung meines Kindes zufrieden weil die Kindergärtnerinnen wirklich bemüht sind. Trotzdem überlege ich mir jetzt einen Wechsel, da ich fürchte, dass die Gelder die jetzt retourniert werden müssen in irgendeiner Form auf die Eltern abgewälzt werden!
Bei meiner Anfrage bei der MA 10 warum nicht der gesamte Kindergarten (Räumlichkeiten, Betreuerinnen und Kinder wären ja schon da) von der Gemeinde übernommen werden kann bekam ich nur die Antwort „Das ist nicht so einfach“!
Schade dass nicht mehr im Interesse der Kinder gehandelt wird!
Hallo Anton,
Danke für deine Antwort. Gut wirtschaften heißt in dem Kontext halt einfach, das irgendwo an der Qualität gespart wird.
Das Wirtschaftsblatt berichtet heute zB auch darüber das Alt-Wien in der Branche bekannt dafür seine Mitarbeiterinnen (es sind ja fast immer Frauen!) besonders schlecht zu zahlen.
Der Aspekt (Arbeitsbedingungen), kommt aber leider in der derzeitigen Diskussion auch deutlich zu kurz!
Auch der Aspekt der Kinderzahlen. Soweit ich weiss, schwindeln sich einige Standorte was die erlaubte Anzahl der Kinder(für den Raum) so durch.
Die Sache mit der Pädagogik. 2/3 der Mitarbeiterinnen sind ungelernt und dürften doch eigentlich nur Hilfsdienste übernehmen
Da sie oft Wohnungen adaptieren, sind Parks nicht anbei. die Kinder sind viel in den Räumlichkeiten, und dürfen dort *ja nicht zu laut sein*
Besonders für die bewegunsaktiven Buben eine Qual, die Erziehungsnethode des heissen Stuhls * Kind muss stillsitzen, und den Kindern beim Spielen zusehen* ist auch nur scheinbar gewaltlos.
Das sind meine Eindrücke.
Es krankt zumindest an manchen Standorten an mehr, als nur den Fördergeldern. und es sollte daher auch mehr geändert werden. Den Kindern zuliebe
wenn englisch,
dann bitte richtig verwenden.
http://dict.leo.org/ende/index_en.html#/search=too%20big%20to%20fail&searchLoc=0&resultOrder=basic&multiwordShowSingle=on&pos=0
Danke für den Hinweis. Ist korrigiert.