Linker Antisemitismus: Aus sozialen Fragen werden (wieder) Judenfragen

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By Sebastian Reinfeldt

Das darf doch nicht wahr sein! Mit Karikaturen, die im reinsten Stürmer-Stil gehalten sind, mobilisierte ein Teil der spanischen Linken gegen den Besuch von Obama in Spanien. Unter dem Hashtag #Obamagohome haben Teile von Izquierda Unida (sie gehört zu Unidos Podemos) mit einem Plakat und in Tweets zu Protesten aufgerufen, in denen offener Antisemitismus und Antiimperialismus miteinander verschränkt werden, und das zudem offen rassistisch ist. Es zeigt einen Juden mit Davidstern und Dollarzeichen, der einer dicklippigen Obama-Figur Geld zusteckt (oder es von diesem erhält). Die Welt steht in Flammen. Das Titelfoto dieses Beitrags zeigt dieses Sujet. Es offenbart auf einen Blick, was der virtuelle alt-linke Stammtisch offenbar denkt: Schuld am Zustand der Welt sind die USA, die wiederum von den reichen Ostküsten-Juden und Banken beherrscht würden. Und Obama sei ihr Präsident. Sebastian Reinfeldt beleuchtet die Hintergründe solcher Ideologien und analysiert weitere Beispiele (auch aus der österreichischen Linken).


Goldman Sachs, die Puppenspieler der EU

„Zweitens werden wir durch unsere Intrigen auf alle Fäden einwirken, die wir in den Kabinetten aller Staaten gesponnen haben, durch die Politik, durch wirtschaftliche Verträge oder Schuldverschreibungen.“ Dies ist ein Zitat aus den angeblichen Protokollen der Weisen von Zion, eine von AntisemitInnen vor dem ersten Weltkrieg gefakte Sammlung fiktionaler Texte, die von der NSDAP als ein echtes Dokument verbreitet und zu Propagandazwecken eingesetzt wurde,

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Fliegende Blätter 5/1942

um das fantasierte Streben von Juden nach Weltherrschaft zu begründen. Die bildliche und rhetorische Figur des mächtigen Juden, der im Hintergrund die Fäden zieht, war ein geläufiges Motiv der Nazipropaganda. So enthält die Ausgabe 5 der NSDAP-Zeitung Fliegende Blätter aus dem Jahr 1942 eine entsprechende Abbildung.

Heutzutage bezieht sich ein Spektrum von Neonazis bis hin zur links-nationalistischen Hamas weiterhin auf diesen gefälschten Text und die darin enthaltene Behauptung einer jüdischen Weltverschwörung. Er fungiert als eine Blaupause für Verschwörungstheorien aller Couleur. Hinter den Kulissen würden geheime Kräfte die Fäden ziehen, die in der Weltgeschichte handelnden Personen hängen wie Puppen oder Marionetten daran. Irgendjemand lässt immer die Puppen tanzen, seien es die Juden, die Freimaurer, die Kommunisten. Auf Seiten der Rechten wird dabei gerne eine Kombination aus allen Dreien angenommen. Beliebt für die Zuschreibung, in der Position des Puppenspielers zu sein, ist auf Seiten der Linken (und der kapitalismuskritischen Rechten übrigens ebenso) die amerikanische Bank Goldman Sachs; das Ganze wird auch die Goldman Sachs Verschwörung genannt.

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Goldman Sachs regiert die Welt

Von linken AktivistInnen in Österreich wird gerade folgendes Internet-Meme verbreitet: Goldman Sachs regiert die EU und die Welt- Die EU eine Banken Union. Es kam zur selben Zeit wie die linke Anti-Obama Karikatur – zustimmend kommentiert – online und lief auch über Twitter. Im erläuternden Text wird auf Facebook ausgeführt:

Am Mainstream ging das vielleicht beabsichtigt vorüber. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso arbeitet künftig für die US-Investmentbank Goldman Sachs in London. (…)

Nach der Finanzkrise 2008 hätte das kaum jemand für möglich gehalten. Da war Lloyd Blankfein, CEO von Goldman Sachs der Hexenmeister und seine Bank das Symbol für all das Böse, das die Finanzindustrie ausgebrütet hatte, schrieb die Wirtschaftswoche im Jänner 2015. (…)

Dass Goldman Sachs wie ein Puppenspieler die Fäden zieht, ist an der Personalpolitik der Investmentbank zu sehen. So zeigt die Liste der ehemaligen Goldman-Sachs-Mitarbeiter, den Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi und den ehemaligne italienischen Ministerpräsident Mario Monti. Vorsitzender von Goldman Sachs Deutschland ist Alexander Dibelius.

Lloyd Blankfein als Hexenmeister (ein Zitat aus der Wirtschaftswoche – wie sollten wir mit Hexenmeistern umgehen?) und Goldman Sachs als Puppenspieler. Beides sind Zuschreibungen aus dem rhetorischen Repertoir antisemitischer Propaganda, um die Macht der Banken über die Politik zu kritisieren.

Ehemalige Politiker stellen ihre Beziehungen und ihr Wissen für viel Geld zu Verfügung: Der ehemalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder, ein Sozialdemokrat, wird von der Putin nahen Nordstream AG unter anderem dafür bezahlt, für die strategisch wichtige Ostsee-Gas-Pipeline zu werben und für gutes Wetter für Putin zu sorgen. Weitere Politiker stehen auf russischen Gehaltslisten. Zumeist auf einer von Gazprom: Die Berliner Zeitung listete 2012 alleine für Deutschland auf: Hamburger Ex-Bürgermeister Henning Voscherau (SPD), Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU, Lobbyist der Boston Consulting Group), Helmut Kohls einstiger Kanzleramtschef Horst Teltschik (CDU) und weitere. In Österreich sind ehemaligen österreichischen Bundeskanzler für Volkswagen (Viktor Klima) tätig oder sie sind beratend für Netzwerke wie das InterAction Council unterwegs (Franz Vranitzky). Der ehemalige SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer steht auf der Payroll gleich mehrerer Investmentfirmen und Beratungsgesellschaften und der frühere ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel ist unter anderem Aufsichtsrat im mächtigen deutschen Energiekonzern RWE.

Um diese Netzwerke der Macht zu analysieren und sich politisch gegen sie zu wehren, ist ein Rückgriff auf antisemitische Muster nicht nötig. Zudem laufen die Netzwerke der Macht in Europa keineswegs an der amerikanischen Ostküste zusammen. Aber ausgerechnet bei der von einem Juden gegründeten (und geführten) Bank Goldman Sachs wird im vorliegenden Beispiel das antisemitische Stereotyp der Puppenspieler und Hexenmeister verwendet, wenn die systematische Verknüpfung von Politik und Wirtschaft kritisiert wird. Ein Zufall?

Blinde Flecken der Globalisierungskritik = Leerstellen linker Populismen

Gegen antisemitische Tendenzen bei der Kritik an der Macht der Banken hatte sich ATTAC Österreich bereits 2005 gewandt. Damals gab es ebenso viele Anlässe dazu wie heute. Als ein Beispiel, das in einem ATTAC-Reader genannt wird, dient ein Plakat zu einer

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Antisemitisches Plakat zur Anti-Bush-Demo in Berlin

Anti-Bush-Demo von ATTAC Deutschland von 2002, das – ebenso offen wie das hier vorgebrachten Beispiel aus Spanien – das antisemitische Stereotyp der Weltherrschaft eingesetzt hat, um Kritik zu üben. Während einer Tagung des Internationalen Währungsfonds IWF in Davos im Januar 2003 tanzten Protestierende im Rahmen einer Performance um ein symbolisiertes goldenes Kalb. Sie trugen Masken amerikanischer und israelischer Politiker. Diese – und noch weitere Beispiele für linken Antisemitismus bei einer verkürzten Kapitalismuskritik – sind in dem nach wie vor aktuellen Reader von ATTAC-Österreich: Blinde Flecken der Globalisierungskritik – Gegen antisemitische Tendenzen und rechtsextreme Vereinnahmung dokumentiert. In ihm erläutert Andreas Exner, der mittlerweile nicht mehr bei ATTAC Österreich aktiv ist, in einem Beitrag die Hintergründe der damaligen antisemitischen Welle in der globalisierungskritischen Linken.

Der Antisemitismus [lastet] die zentralen Prinzipien und Eigenschaften der kapitalistischen Gesellschaft – Anhäufung abstrakten Reichtums, Konkurrenz, „Intransparenz“ der gesellschaftlichen Prozesse und die Verheerungen, die
das alles anrichtet – einer (wohlgemerkt: rassistisch) bestimmten Menschengruppe an.
Er tut dies, indem er diese Menschengruppe in einen Bereich außerhalb der Gesellschaft verschiebt (sie regieren über der Welt), indem diese Gruppe immer als distinkt von den anderen dargestellt wird, als ob sie nicht in ein und derselben Gesellschaft leben würden. Diese Form der genuin rechten Kapitalismuskritik wurde von A. Hitler in vielen Reden geprägt, der folgende Auszug ist vom 4.9. 1942 zur Eröffnung des Winterhilfswerks:
Es sind eben Plutokratien, in denen ein ganz kleiner Klüngel von Kapitalisten diese Massen beherrscht, und natürlich in engster Verbindung mit dem internationalen Judentum, mit den Freimaurern. … Sie hassen uns wegen dieser unserer sozialen Einstellung, und alles, was wir aus ihr heraus planen und durchführen, erscheint ihnen gefährlich.
Was für ATTAC damals die Globalisierungskritik war, die sich antisemitischer Versatzstücke bediente, ist heute die Suche nach Formen eines linken Populismus, um auf die politische und soziale Dominanz des Rechtspopulismus zu reagieren. In den genannten aktuellen Beispielen will man wohl das Ressentiment der Menschen ansprechen, und sie dann durch soziale (oder sozialrevolutionäre) Forderungen von rechts nach links ziehen. Vielleicht wird das genuin antisemitische Ressentiment aber auch geteilt und es stellt eine gemeinsame politische Basis dar. In diesem Fall würde offensiv eine Querfront-Strategie angestrebt. Dann sind erklärende Texte wie dieser hier allerdings sinnlos, denn ein Ressentiment lässt sich nicht aufklären.
Jedenfalls scheint die linke Suche nach drastischen Bildern für eine links-populistische Erzählung derzeit eher auf Altbekanntes zu stoßen, als dass eine neue Bildersprache und Ausdrucksweise gefunden würde. Antiimperialistische Theorien in dieser kruden Form sind sachlich falsch und ideologisch schädlich, denn sich bieten Anschlußstellen für rechts-revolutionäre Identitätspolitiken. Sie haben im Repertoir linker Kommunikationsmittel nichts zu suchen.
Antisemitische Stereotype zu verwenden nutzt nur den Antisemitinnen. Und es sollte keineswegs als progressiv und systemkritisch gelten. Vielleicht ist es generell auch einfach notwendig, die andauernde negative Kommunikation (weg mit xy, gegen xy ) seitens der Linken durch politische Forderungen zu ersetzen, die etwas wollen, und in denen sich die sozialen und politischen Zusammenhänge verdichten. Dadurch würde Antisemitismus wohl am ehesten vermieden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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