„Die Antisozial- und die Antiasylgesetze sind immer noch von CDU/CSU und SPD durchgesetzt worden“

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By Sebastian Reinfeldt

Am vergangenen Wochenende tagte die Partei LINKE in Magdeburg. Nach dem Tortenwurf auf Sarah Wagenknecht liefen die politischen Debatten auf dem Parteitag eher unter der Hand ab. Dabei steht die Linke in direkter Auseinandersetzung mit der rechtspopulistischen AfD. Und muss sich nach den Wahlniederlagen neue Strategien überlegen.

Grund genug bei einem Mitglied des neugewählten Parteivorstands nachzufragen. Dominic Heilig ist auch einer der Sprecher*innen des Forums demokratischer Sozialismus (fds), das als Reformer*innenströmung bezeichnet wird. Derzeit sind dort 1300 Linke organisiert.


Wie bewertest Du mit etwas Abstand den Verlauf des Bundesparteitags der Linken in Magdeburg?

Zunächst möchte ich allen, die im Hintergrund daran mitgewirkt haben, dass der Parteitag so gut organisatorisch gelaufen ist, danken. Es ist immer eine Menge zu bedenken. Dort den Überblick zu behalten, ist nicht immer einfach.
Den Überblick konnte man in Magdeburg hingegen inhaltlich schnell verlieren. Die Botschaft des Parteitages ist nicht klar rübergekommen. Dies mag auch daran liegen, dass wesentliche inhaltlich-strategische Fragen nicht aufgerufen oder geklärt wurden. Die Überweisung von zahlreichen Anträgen an den Parteivorstand, nicht nur aus Zeitgründen – kein ganz neues Phänomen in den letzten Jahren – ist kein Zustand, der hilft Antworten auf politische Fragen der Zeit zu finden.

Was hast du am derzeitigen Zustand der Partei Die Linke in erster Linie auszusetzen?

Ich habe in meiner Rede in der Generaldebatte darauf hingewiesen, dass wir in der aktuellen Situation – die für uns wichtigen kommenden Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sowie nach den schmerzhaften Wahlniederlagen in drei Bundesländern im März – wieder frecher werden müssen. Wir müssen wieder mehr zuspitzen. Ich habe aber auch davor gewarnt, dass wir dabei nicht „platt“ daherkommen sollten, nicht die „Phrase“ zum Ersatz für politische Inhalte machen dürfen. Wir müssen vielmehr deutlich machen, warum es eine Partei DIE LINKE braucht.

„Phrasen dürfen politische Inhalte nicht ersetzen“

Ein Teil der Antwort darauf ist natürlich aktuell unsere Haltung in der Zuwanderungs- und Flüchtlingsfrage, ist unser ständiger Kampf für eine weltoffene und solidarische Gesellschaft. Ein anderer Teil der Antwort ist aber auch zu definieren, worin unser Gebrauchswert liegt. WIE will DIE LINKE ihre Inhalte zur Veränderung der Gesellschaft und damit auch der Politik Europas durchsetzen? Das geht über den Habitus einer Protestpartei weit hinaus. Diese Fragen wurden leider in Magdeburg nicht geklärt und nur von wenigen überhaupt aufgeworfen. Auch der Vorstand der Partei drückt sich um diese Frage seit geraumer Zeit herum.

Strategien gegen Rechtspopulismus waren ein subkutanes Thema des Parteitags, offen diskutiert wurde ja kaum. Frank Puskarev meinte in seiner Rede zugespitzt, eine linke AfD sei überflüssig. Was ist damit gemeint?

Es braucht mehr als nur Protest, mehr als nur „Dagegensein“. Wir sagen zwar auch, wofür wir sind, aber eben nicht wie wir dies umsetzen wollen. Wenn wir uns dieser Frage endlich stärker zuwenden, dann enden auch ganz schnell Debatten darüber, ob oder wie Wähler*innen, die zuletzt ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben, zurückzugewinnen sind. Denn wichtiger ist mir zu hinterfragen, wen man durch eine solche Strategie auch als Wähler*in wieder verlieren kann. Es gibt Tausende in Deutschland, die, vorher kaum politisch aktiv nun in der Flüchtlingshilfe aktiv sind, und die unsere Stimme und Unterstützung benötigen.

Warum eine linke AfD überflüssig ist

Die Tortenattacke auf Sahra Wagenknecht, die wir vom Forum Demokratischer Sozialismus ebenfalls scharf verurteilt haben, hat eine Debatte über so manche Position in unserer Partei in Magdeburg unmöglich gemacht. Gleichzeitig will ich deutlich sagen, dass es niemanden gibt in unserer Partei, der AfD-Positionen teilt. Ganz im Gegenteil. Unsere Landtags- und Bundestagsfraktionen haben bspw. stets klar und einstimmig gegen jede Asylrechtsverschärfung gestimmt. Dennoch gibt es Unterschiede zwischen jenen, die als Antwort auf die AfD eine reine Protestpartei bauen wollen und anderen, die eine Angebotspartei für konkrete Politik entwickeln möchten. Frank Puskarev und ich stehen für letzteres.

Meinst du, eine gute, pragmatische Politik „vor Ort“ im Sinne der „Kümmerer-Partei“ reicht gegen Rechts?

Ich glaube, dass sich der Begriff „Kümmerer-Partei“, den ja die PDS und André Brie kreiert haben, überlebt hat. Dafür sind wir auch in der Fläche längst nicht mehr so präsent. Gleichwohl ist es ein Fundament erfolgreicher linker Politik, stark in der Kommune verankert zu sein und Politik gemeinsam mit den Menschen und für alle zu entwickeln und durchzusetzen. Und es macht eben einen Unterschied, ob ein Landrat oder eine Bürgermeisterin von uns und nicht von der CDU gestellt wird.

Die linke „Kümmererpartei“ ist out – der Kampf gegen Rechts braucht aber auch Institutionen

Gegen Rechts hilft nicht nur die Appellation auf der Bundesebene, es braucht eben auch die konkrete Auseinandersetzung vor Ort. Deshalb streiten wir LINKE für eine stärkere Unterstützung und Ausfinanzierung der Kommunen, um diese überhaupt wieder in die Lage zu versetzen, Politik gestalten zu können. Und da kommt beispielsweise die Landesebene ins Spiel. Im Kampf gegen Rechts macht es einen Unterschied, ob eine CDU in Sachsen regiert und Initiativen gegen Rechts ihre Verfassungstreue nachweisen müssen, bevor sie gefördert werden oder ob Beratungsstellen gegen Rechts jedes Jahr aufs Neue Projektmittel beantragen müssen.

Die Auswirkungen der Krise sind in Ostdeutschland besonders sichtbar. Sollten hier nur die Auswirkungen durch eine engagierte Sozial- und Infrastrukturpolitik abgemildert werden – oder muss eine Linke nicht auch die Ursachen der Krise thematisieren?

Nicht nur in Ostdeutschland sind die Folgen der auch in Deutschland seit anderthalb Jahrzehnten stattfindenden Austeritätspolitik sichtbar. Es gibt auch in den alten Bundesländern Orte, Kommunen, Stadtteile, die ähnliche Sozial- und Infrastrukturprobleme haben, wie der Osten. Heute wurden durch unsere Bundestagsfraktion Zahlen veröffentlicht, die zeigen, dass in Bremen und Berlin jedes dritte Kind von Hartz IV lebt. Noch nie lebten so viele Kinder in Armut in diesem reichen Land wie heute.
Der Internationale Währungsfonds (IWF), nicht gerade als linke Vorfeldorganisation berühmt, forderte jüngst von der Bundesregierung auf, endlich die Steuermehreinnahmen für Investitionen in Sozial- und Infrastrukturprogramme zu nutzen. Finanzminister Schäuble (CDU) weigert sich beharrlich. Das ist ein großes Problem.

„Europa wird nur dann eine andere Politik gestalten können, wenn im Kernland der EU, Deutschland, eine andere Politik gemacht wird.“

Es ist vollkommen richtig, dass der Krisenzustand in Europa nur beendet werden kann, wenn die Ursachen dafür beseitigt werden. Es geht mir natürlich um einen Systemwechsel. Europa wird nur dann eine andere Politik gestalten können, wenn im Kernland der EU, Deutschland, eine andere Politik gemacht wird. Diese ist von Merkel und Schäuble nicht zu erwarten. Also dürfen wir bei allen notwendigen Auseinandersetzungen mit der AfD, die aktuell auch unsere Debatten dominieren, den Kampf gegen die Große Koalition und für andere politische und gesellschaftliche Mehrheiten nicht in den Hintergrund treten lassen. Die Antisozial- und die Antiasylgesetze sind immer noch von CDU/CSU und SPD durchgesetzt worden.

Die Strömung Forum demokratischer Sozialismus (fds) wollte sich ja schon einmal auflösen. Ist das Wahlergebnis von einigen fds-Repräsentant*innen bei diesem Parteitag nicht ein Signal, mehr strömungsübergreifend zu arbeiten?

Ich bin sehr traurig über die Nichtwahl einiger unserer Mitglieder in den Parteivorstand. Darüber hilft auch nicht die Wahl der beiden fds-Bundessprecher*innen, Luise Neuhaus-Wartenberg und mir, hinweg. In Bezug auf das Thema „Kommunales“, welches die ersten Fragen dieses Interviews betraf, kann ich nicht verstehen, wie man versierte, aktive und kluge Kommunalpolitiker wie Steffen Harzer, ehemaliger Oberbürgermeister der thüringischen Stadt Hildburghausen, nicht wieder in den Vorstand wählen kann. Er hat dort hervorragende und in der Partei, über Strömungsgrenzen hinweg, breit akzeptierte Arbeit geleistet. Ebenso unverständlich ist mir, wie man mit Steffen Bockhahn den amtierenden Sozialsenator der Stadt Rostock nicht wieder aufstellen kann und der wahlkämpfende Landesverband Mecklenburg-Vorpommern so nun nicht mehr im Bundesvorstand vertreten ist. Gleiches gilt für Stefan Hartmann aus Sachsen, die wie kaum ein anderer die strategischen Debatten unserer Partei in den letzten Jahren geprägt hat. Oder eben Frank Puskarev, einer der Europapolitiker unserer Partei, der nach guter alter linker Manier „Sagt, was ist!“.
Ich weiß auch noch nicht, wo hier der oder unser Fehler lag. Ich sehe aber gleichzeitig, dass Strömungen in dieser Partei nach wie vor eine wichtige und zentrale Rolle spielen. Während in der Bundespartei immer weniger offene Debatten ermöglicht werden, finden diese in den Strömungen zunehmend statt. Dem fds sind allein auf und nach dem Bundesparteitag genau mit diesem Argument 30 neue Genoss*innen beigetreten. Es gibt eine große Sehnsucht nach Debatte und Verständigung.
In den letzten zwei Jahren haben wir den Strömungsratschlag ins Leben gerufen, diskutieren seither offen mit den anderen Zusammenschlüssen, laden sie zu unseren Akademien im Winter ein. Ein Ergebnis dessen war denn auch, dass auf diesem Parteitag eben keine erbitterte Strömungsauseinandersetzung wie in den Jahren zuvor stattgefunden hat.