Der neue Hoffnungsträger der SPÖ, Bundeskanzler Christian Kern, hat nun das Ruder der Partei und der österreichischen Politik übernommen. Was uns erwartet? Wirtschaftspolitisch laufen die „Kernonomics“ auf einen behübschten neoliberalen Sparkurs heraus, und parteipolitisch auf Seilschaften einer neuen Art. Und wer nicht ins Konzept passt, wird weggelobt. Eine bemerkenswerte Karriere vom Fahrdienstleiter bei den ÖBB zum Vorstandsvorsitzenden einer Wohnbaugesellschaft könnte die Folge sein. – Eine Recherche aus Mai 2016 von Christoph Ulbrich
Kern ist ein Symptom der Sozialdemokratie
Österreich hat einen neuen Bundeskanzler und die SPÖ einen (designierten) neuen Vorsitzenden: Christian Kern. Dazu ein paar neue MinisterInnen.
Bemerkenswert sind daran zwei Aspekte. Erstens wie Kern zum Bundeskanzler und Parteivorsitzenden wurde. Und zweitens, dass mit Kern nun ein Manager Kanzler ist, der nie für ein politisches Amt kandidiert hat und kein politisches Profil hat. Beides sagt etwas über Österreich, aber noch viel mehr über den Zustand der Sozialdemokratie aus.
House of Kern
Gerhard Zeiler schilderte in einem ZIB2-Auftritt erstaunlich offen, wie sich Kern und er vor über einem Jahr ausgemacht haben, die Partei – und die Kanzlerschaft – zu übernehmen.
Kern knüpfte Kontakte, Zeiler gab dem Kurier ein Interview mit strategisch platzierten Aussagen zur geplanten Machtübernahme. Das alles ist ein Komplott zweier mächtiger Manager. Alles läuft auf informeller Ebene. In den Gremien der Partei sind weder Kern noch Zeiler aufgetreten. Auch an SPÖ (Basis)Initiativen wie Kompass oder Sektion 8, die sich um die Demokratisierung der Partei und um die Rückbesinnung auf sozialdemokratische Werte bemühen, haben sich die „einfachen Parteimitglieder“ Zeiler und Kern nicht beteiligt.
Der große Umsturzplan ohne Häupl
Bemerkenswert ist, dass der Wiener Bürgermeister am – wie Zeiler es nennt – „großen Plan“ nicht beteiligt war. Er hätte dies – wie er im Mittagsjournal bestätigt – auch nicht geduldet. Ganz offensichtlich haben die übrigen Bundesländer Häupl überrumpelt. Der wollte – als interimistischer Parteivorsitzender – am Freitag nach Werner Faymanns Rücktritt noch Hearings mit möglichen Kanzlerkandidaten führen. Dazu kam es nicht mehr, weil sich Zeiler und Kern die Sache längst ausgemacht hatten. Einem Hearing hätte sich keiner der beiden gestellt. Weil, wie Zeiler in der Zib2 sagte: „Wir sind ja keine Schulbuben.“ Häupl konnte, so wie der Rest der Partei, nur noch gute Miene zum Bösen spiel machen.
Demokratie in der Partei? Fehlanzeige
Mit (innerparteilicher) Demokratie hat das alles nichts zu tun. Was die Partei vom Manager ohne politische Eigenschaften hält, wird gar nicht erst gefragt. Selbst Minister wie Hans Peter Doskozil, geben zu Kern gar nicht zu kennen. Der Neustart der SPÖ beginnt mit einem (innerparteilichen) Putsch durch einen ganz kleinen Machtzirkel in dem nicht einmal der Verteidigungsminister oder der Wiener Bürgermeister vertreten sind.
Management-Qualitäten – aber wenig sozialdemokratische Inhalte
Kern hat sich in den letzten Jahren einen Ruf als Manager und Macher erworben. Über politische – also sozialdemokratische – Positionen ist nichts bekannt. Wie steht Kern zu TTIP, zu Studiengebühren, zu Asyl-Obergrenzen, zu einer Koalition mit der FPÖ?
Bekannt ist lediglich, dass Kern sowohl beim Verbund als auch bei den ÖBB eine typisch neoliberale Agenda verfolgt hat. (Strom-)Markt liberalisieren, Kosten reduzieren, Arbeitsplätze abbauen, Personal an Verleihfirmen auslagern um Arbeitsrecht zu umgehen – bei gleichzeitig üppigen Gehaltserhöhungen für das Management. Ein markantes Beispiel dafür ist der Caterer „Henry am Zug“. 2012 wurde das Catering in den Zügen der ÖBB an die eigens gegründete DO&CO-Tochter „Henry am Zug“ ausgelagert. Gespart wurde damit auf Kosten der MitarbeiterInnen. Proteste des Betriebsrats gegen diese Strategie gab es – zumindest öffentlich – nicht.
„Henry am Zug“: Schandfleck des Jahres
Der streitbare Zentralbetriebratsvorsitzenden (und Parteifreund) Wilhelm Haberzettel wurde kurz nach Amtsantritt von Christian Kern aus dem Unternehmen weggelobt. Der gelernte Fahrdienstleiter Haberzettel ist seit Anfang 2012 Vorstandsvorsitzender der Wohnbaugesellschaft BWS und verwaltet nun über 30.000 Wohnungen.
Lange Zeit hat „Henry am Zug“ seine MitarbeiterInnen in Ungarn angestellt und dann in Österreich eingesetzt. Die MitarbeiterInnen verdienten, damit obwohl sie zum größten Teil auf österreichischem Boden für ein Österreichisches Unternehmen arbeiteten gerade einmal 500 Euro pro Monat. Das Modell, dass ÖBB und DO&CO den Negativpreis „Schandfleck des Jahres“ einbrachte, wurde mittlerweile von österreichischen Gerichten gekippt.
Beschäftigt unter dem Mindestlohn
Heute sind alle MitarbeiterInnen in Österreich angestellt. Das Mindestgehalt der outgesourceten MitarbeiterInnen beträgt mittlerweile 1420,- Euro/brutto. Immer noch weniger als das im ÖBB-Kollektivvertrag vorgesehene Mindestgehalt von 1500,- und weit entfernt von den 1700,- Euro, die der ÖGB als Mindestlohn fordert.
In ganz anderen Dimensionen ist gleichzeitig das Gehalt von Christian Kern selber gestiegen. 2010 soll Kerns Jahresgehalt 300.000 Euro fix, mit allen Boni knapp unter 500.000 Euro betragen haben. Fünf Jahre Später waren es dann 700.000 Euro. Eine Gehaltserhöhung von 40%. Gewährt hat dieses Gehalt, dass das höchste in der Geschichte der ÖBB war, der Aufsichtsrat. Seine Vorsitzende: SPÖ-Urgestein Brigitte Ederer
Ist also Sozialdumping bei gleichzeitig üppigen Gehältern für die Vorstände die „sozialdemokratische Handschrift“, die nun Einzug in die Regierung finden wird?
Wofür steht die SPÖ unter Kern?
Kern wird nicht nur Bundeskanzler, sondern – und dass ist eigentlich noch bemerkenswerter – auch SPÖ-Vorsitzender. Noch ist schwer zu sagen wohin sich in der SPÖ unter Kern entwickeln wird. Man kann nur mutmaßen: Das strikte Nein zu einer Zusammenarbeit mit der FPÖ wurde bereits in den letzten Tagen aufgeweicht. Mit Sonja Hammerschmied machte Kern eine Befürworterin von Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen zur Bildungsministerin. (Zur Erinnerung: Noch vor wenigen Wochen hat Rudolf Hundstorfer damit geworben der einzige Kandidat zu sein, der klar gegen Studiengebühren ist.) Der neue Infrastrukturminister, der gemeinhin dem linken Flügel der SPÖ zugerechnet wird, hat im Europaparlament für TTIP gestimmt, wofür er vom linken SPÖ-Feigenblatt Sektion 8 auch kritisiert wurde. Die ersten Anzeichen deuten jedenfalls auf einen eher lockeren Umgang mit sozialdemokratischen Positionen hin.
Putschartig an die Spitze
Der Neustart der Regierungskoalition könnte dem Manager und Macher Kern durchaus gelingen. Was den Neustart der SPÖ anbelangt, muss man wesentlich pessimistischer sein. Kerns Vorsitz beginnt mit einem Putsch, die Parteibasis die durch die Parteistatuten schon lange ausgeschaltet ist, wurde nicht einmal ignoriert. Ohne je ein Parteiamt inne gehabt zu haben, ohne ein sozialdemokratisches Profil zu haben, wird Kern nun SPÖ-Chef.
Kern ist damit der logische Vorsitzende einer Partei, die schon lange nicht mehr weiß wofür sie eigentlich steht. Oder das wofür sie – laut Parteiprogramm – steht, selber nicht mehr so ernst nimmt. Die Partei ohne Eigenschaften hat einen Vorsitzenden ohne Eigenschaften bekommen.
Dass Kern der SPÖ wieder ein sozialdemokratische Profil verpasst, darf bezweifelt werden.
Der Mann ohne Eigenschaften
Übrigens: SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky nannte auf die Frage nach seinem Lieblingsbuch stets Robert Musils Roman-Fragment „Der Mann ohne Eigenschften“. Vielleicht in weiser Voraussicht ist das eine Anspielung auf den Zustand seiner Partei unter seinen Nachfolgern Vranitzky, Klima, Faymann – und vielleicht auch Kern. So umfangreich und wirkungsmächtig der Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ auch ist – er blieb Fragment.
Das Catering wurde nicht 2012 ausgelagert, sondern bereits viele Jahre vor Kern.
Wirtschaftsblatt, 22.10.2012: Gastronomie. Sieben Monate nach dem fliegenden Wechsel von E-Express zu Do&Co startet Dogudan als ÖBB-Caterer voll durch. Die Zugrestaurants will er rasch zu Rennern machen.
Wien. Regelmäßige Railjet-Reisende bemerken es sofort: Seit dem Wochenende begrüßen einen nicht nur ÖBB-Schaffner, sondern auch Kellnerinnen und Kellner in weißen Hemden sowie schwarzen Hosen und roten Röcken. Hellblaue Halstücher bzw. Krawatten machen die Adjustierung perfekt.
Die so Gewandeten arbeiten für Do&Co. Eine Aufgabe ist, jedem Fahrgast eine Menükarte auszuhändigen. Unter dem Markennamen „Henry am Zug“ verspricht der Bahn-Caterer täglich marktfrisch zubereitete Produkte.
http://wirtschaftsblatt.at/home/nachrichten/oesterreich/1304252/In-OBBBistros-ist-nun-Henry-am-Zug
Stimmt, das ist im Text unglücklich formuliert. Das Zugscatering wurde nicht erst 2012, sondern schon 10 Jahre vorher ausgelagert. 2012 wurde der Vertrag mit dem vorherigen Vertragspartner nicht verlängert und der Auftrag an – das extra gegründete Unternehmen – „Henry am Zug“ vergeben. Schon der vorherige Auftragnehmer hatte nicht den allerbesten Ruf, wurde aber meines Wissens nach nie von einem Gericht verurteilt. Mit Henry am Zug hat das Lohndumping allerdings eine neue Dimension erreicht.
Kern begrüßte den Umstieg damals übrigens mit den Worten, dass nun alles „besser und billiger“ werden soll. Wie das, wenn nicht auf Kosten der MitarbeiterInnen, gehen soll blieb wie so oft offen.