Eine Revolutionsikone … Aber für welche Art von Revolution?

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By Sebastian Reinfeldt

Die Selbstmordattentate sind nur eines vieler Kampfmittel, genau wie es die Steine einst waren. Die Besatzung, die Demütigungen und die Ungerechtigkeit verringern den Unterschied zwischen Leben und Tod. Hier findet der Mensch in einem Tod, der dem Feind Verluste zufügt, ein Leben für die anderen.“ Ein Leben für die anderen opfern. Dem Feind Verluste zufügen. Das ist die Logik der so genannten „Revolutionsikone“ Leila Khaled, einer palästinensischen Flugzeugentführerin, die kommende Woche (am 15.4.) in Wien erwartet wird. Aber Khaled rechtfertigt nicht nur Selbstmordattentate. Sie hat 1969 und 1970 selber Flugzeuge entführt. Und sie ist eine Linke. Eine Recherche von Sebastian Reinfeldt.


leila-graffiti

Das Buch Revolutionäre Frauen, in der edition assemblage erschienen, enthält kurze Biografien kämpferischer Frauen wie Rosa Luxemburg oder Angela Davis. Neben einem Text über die „Antiimperialistin“ Brigitte Mohnhaupt (sie war RAF-Terroristin) gibt es auch ein Kapitelchen zu Leila Khaled. Darin wird berichtet, dass sie sich – nachdem sie durch ein berühmtes Pressefoto zum „Poster-Girl“ des bewaffneten Kampfes wurde – mehreren kosmetischen Operationen unterzogen hat, um mit verändertem Gesicht weiter kämpfen zu können. So schaffte sie es dann, bei ihrer zweiten Entführung im Jahr 1970 unerkannt in Tel Aviv eine Boing 707 der EL AL besteigen. Zusammen mit einem Genossen aus Nicaragua versuchte sie dann diese in ihre Gewalt zu bringen, wurde dabei aber von einem israelischen Sicherheitsoffizier und von Passagieren überwältigt. Sie führe einen humanistischen Kampf für den „Rückzug Israels aus allen seit 1967 besetzten Gebieten“ als liebende Frau, Mutter und Revolutionärin. So schaut das Bild aus, das in dem Band von ihr gezeichnet wird.

Eine Zeitreise in die 1960er und 1970er Jahre

Wer sich mit der Person Leila Khaled und dem von ihr vertretenen Kampf genauer auseinandersetzt, begibt sich auf eine Zeitreise in die 1960er und 1970er Jahre. Nationale Befreiungsbewegungen kämpften damals in der Dritten Welt um Unabhängigkeit; sie waren sozialistisch und revolutionär orientiert, was ihnen die militärische und logistische Unterstützung der Sowjetunion einbrachte, auch und weil die Gegenseite zumeist von den USA geförderte wurde. Die USA unterstützte weltweit alle möglichen Regime, die antikommunistisch waren oder die zumindest so taten. Rechte Diktatoren, blutige Stammesfürsten – ganz egal. Hauptsache, sie befanden sich in der großen Systemauseinandersetzung auf der richtigen Seite. Die Welt war geteilt in zwei ideologische Hälften, man musste zwischen der einen oder der anderen Seite wählen – oder sich um einen Ausgleich oder einen dritten Weg bemühen. Österreich konnte zu dieser Zeit als sogenanntes „blockfreies Land“ eine weltpolitisch interessante Rolle spielen.

Hier liegen die ideologischen Wurzeln der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die – 1968 aus der Bewegung arabischer Nationalisten (!) entstanden – für einen palästinensischen Staat kämpfte und kämpft, der das heutige Israel mit umfasst. Der PFLP geht es darum, dieses Land der angeblichen „Feinde“ auszulöschen und einen sozialistischen palästinensischen Staat zu errichten, in dem dann auch Juden geduldet würden. So zu argumentieren ist allerdings nur durch den Rückgriff auf eine Blut-und-Boden Argumentationen möglich, nach der es hier um den Befreiungskampf eines unterdrückten Volkes gehe, das Erstrechte auf den Boden besitze. Leila Khaled war und ist in einer Organisation, die derart argumentiert und agiert, in entscheidender Position.

Israel wurde in der dazugehörigen Theorie dieses links-revolutionären palästinensischen „Befreiungskampfes“ als imperialistischer Brückenkopf der USA und des kapitalistischen Imperialismus generell aufgefasst, den es im Rahmen dieser Dritte-Welt Ideologie zu bekämpfen gelte. Die Feindschaft den Juden gegenüber verbirgt sich somit hinter einer Befreiungsideologie. Neben weiterer Flugzeugentführungen ist die PFLP zum Beispiel verantwortlich für den Überfall auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen in München 1972, bei der 11 Israelis und ein deutscher Polizist ums Leben kamen und für noch weitere terroristische Attentate. Auf die gemeinsame deutsch-palästinensische Flugzeugentführung 1976 wird im folgenden noch eingegangen.

Von der Bewunderung für Hitler zum Antizionismus

Heutzutage ist Khaleds Organisation allerdings eher eine Splittergruppe. Bei den Wahlen in den palästinensischen Gebieten kommen sie auf knapp 5 Prozent der Stimmen. Der revolutionären Sache der Palästinenser hat sich mittlerweile die Hamas angenommen, eine palästinensische Abspaltung der Moslembrüderschaft, die den Befreiungskampf mit ihrer Version des Islam in Verbindung bringt. Von daher bekommt dann auch die nicht-religiöse Rechtfertigung der Selbstmordattentate und der Messerattacken durch Khaled im Eingangszitat dieses Textes eine besondere Bedeutung – Attentate, die das Ziel haben, keinen normalen Alltag in Israel aufkommen zu lassen. Ich lese die Worte Khaleds so, dass sie sich damit an die Praxis der Hamas annähern möchte. Noch deutlicher formuliert sie ihr Verhältnis zur Hamas in einem weitern Interview aus dem Jahr 2014 mit dem Magazin +972:

But now the discussion is not about ideology, it’s about liberation. Anyone who fights Israel is on the same trench as we are. [Jetzt diskutieren wir allerdings nicht über Ideologie, sondern über Befreiung. Jeder Mensch, der gegen Israel kämpft, ist im selben (Schützen-)Graben wie wir es sind.]

In ihrer Autobiografie Mein Volk soll leben. Autobiografie einer Revolutionärin vom Anfang der 1970er Jahre schreibt sie recht offen über ihre Haltung zu den Juden und zu Israel. Sie berichtet davon, eine Entwicklung durchlaufen zu haben:

In den ersten drei Jahre der höheren Schule hatte ich mich mit wichtigen Personen beschäftigt: Lincoln, Napoleon, Hitler, Lenin. Ich hatte sie am Anfang alle bewundert (…) Zuerst hegte ich Sympathie für Hitler, weil ich dachte, er sei ein Feind der Juden. Später fand ich heraus, dass er die Araber als Untermenschen klassifizierte, nur wenig über den Zigeunern und den Juden.

Hier könnte man herauslesen, dass sie dem Hitler die Ermordung der Juden schon verziehen hätte, hätte er nur besser über die Araber gedacht. Diese Einschätzung wird in dem Text aber als Teil eines Lernprozesses vorgestellt. Denn dem unterdrückten Volk der Palästinenser stünden in der letzten Version ihres Weltbildes nur diejenigen Juden gegenüber, die sie als Zionisten klassifiziert. Richtete sich ihr Hass ursprünglich gegen alle Juden, so meint sie später, dass sie „die Juden“ in „gute“ und „schlechte“ Juden trennen könne, in Zionisten (die schlechten JüdInnen), und Anti-Zionisten (die Guten). In ihren Erinnerungen berichtet sie über den Kontakt zu einer Frau in der Zeit ihrer Ausbildung und Schulung:

Sie [die andere Frau] war überrascht, als ich meinen tiefen Haß gegen die Juden zum Ausdruck brachte und sie sagte, ich solle keine solchen Pauschalurteile von mir geben. Sie machte mich darauf aufmerksam, dass nicht alle Juden Zionisten seien; einige seien tatsächlich antizionistisch. Ich machte mir Gedanken über diese Unterscheidungen und versuchte, sie in mein Weltbild zu integrieren

Staatenbildungsprozesse

Israel als eine Zuflucht, wo Jüdinnen und Juden in Sicherheit vor Antisemitismus leben können, kommt jedenfalls in ihrem Weltbild nicht vor. Denn das ist der Kern des Zionismus, den sie für so bekämpfenswert hält und der (aus meiner Sicht) weder inhaltlich noch strukturell noch historisch etwas mit Imperialismus zu tun hat, sondern ebenso wie die PFLP eine sozialistische Befreiungsbewegung war. Khaled hingegen meint, den Feind als „Israel“ bestimmen zu können, ohne „die Juden“ sagen zu müssen:

Let me tell you. We have the following written down in a document: our enemies are Israel, the Zionist movement, imperialists. Because from the beginning we have to say who are our enemies very clearly, so that people don’t think today they are our enemy and tomorrow they are our friends. […] No, I don’t say that Jordan is an enemy, no.

Aus meiner Perspektive – ich bin zwar Politikwissenschaftler, aber zugegebenermaßen kein Experte in dieser Frage – stellt es sich historisch so dar, dass in der Region zwei Staatenbildungsprozesse abgelaufen sind, der Palästinas und der Israels. Dass bislang nur der eine Prozess erfolgreich war, denn es gibt Israel und es ist ein demokratischer (wenn auch kein sozialistischer) Staat, hat damit zu tun, dass es nach dem Holocaust weltweite Unterstützung dafür gab, die wenig mit Imperialismus zu tun hat. Dass der palästinensische Staatenbildungsprozess nicht abgeschlossen ist (den ich für ebenso notwendig und berechtigt halte), hat viel mit dem Verhalten der „arabischen Brüder und Schwestern“ zu tun, die die bei ihnen eher ungeliebten PalästinenserInnen bestenfalls dulden.

Im Zuge meiner Recherche bin ich zum Beispiel auf den sogenannten schwarzen September 1970 im jordanischen Bürgerkrieg gestoßen. Während dieses Kriegs, an dem die PFLP aktiv teilnahm,  sind bei der Verfolgung von PalästinenserInnen im September 1970 etwa 40.000 PalästinenserInnen getötet worden – von ihren arabischen Brüdern. Die zweite gescheiterte Flugzeugentführung Khaleds fand in diesem Zeitraum statt, und zwar am 6. September 1970. Es sollten gleichzeitig 5 Flugzeuge entführt werden, um den Aufstand der Palästinenser in Jordanien zu unterstützen.

Die Zeit berichtete im Jahr 1969, dass Leila Khaled bei ihrer ersten Flugzeugentführung als strenge Kommandantin eine Gruppe von Terroristen anführte, die eine TWA-Maschine von Rom nach Tel Aviv in ihre Gewalt brachten und nach Damaskus entführten.

Wir haben dieses amerikanische Flugzeug entführt, weil Israel eine Kolonie Amerikas ist und weil Amerika den Israelis Phantomjäger lieferte!

rief Khaled zu Beginn des Kidnappings. Sie dachten nämlich, im Flugzeug befände sich der damalige Botschafter Israels in den USA und spätere Ministerpräsident Israels, Jitzchak Rabin, ein früherer General der israelischen Armee und ein Sozialdemokrat. Dabei ließen die Entführer alle nicht-jüdischen Passagiere frei, erpressten aber mit den verbliebenen Jüdinnen und Juden (21 Passagiere mit israelischem Pass und 11 Besatzungsmitgliedern), die in Gefangenschaft kamen, dass 13 gefangene Syrer freigelassen wurden.

Diese Aktionen, die teilweise unter der Führung von Khaled stattfanden, dienten dann als eine Art Blaupause für weitere Entführungen der PLPF, deren spektakulärste 1976 ablief. Damals entführten zwei Mitglieder der Volksfront sowie zwei deutsche radikale Linke der Revolutionären Zellen eine Air France Maschine, die von Tel Aviv über Athen nach Paris fliegen sollte. Sie wurde ins ugandische Entebbe entführt; der damalige Diktator Idi Amin war Palästina freundlich eingestellt, so dass sich am Flughafen weitere Kämpferinnen und Kämpfer hinzu gesellten.

Am Flughafen wurden die jüdischen von den nichtjüdischen Insassen getrennt. Während die nichtjüdischen Passagiere innerhalb weniger Tage freigelassen wurden, blieben die jüdischen Fluggäste bis zur Erstürmung der Maschine durch ein israelisches Militärkommando  in der Gewalt der Entführer; vier Insassen starben bei der Befreiungsaktion oder zuvor, darunter eine Holocaust-Überlebende. Diese Entführung war jedenfalls keine humanistische Tat, sie war im Gegenteil eine faschistische Tat, die die palästinensische Befreiungsfront von Leila Khaled zu verantworten hatte. Ich finde nicht, dass dies eine Revolution ist, die für Linke ein Vorbild sein kann.


* Persönliche Anmerkung zum Thema linker Terrorismus der 1970er Jahre: In den späten 1980er Jahren arbeitete ich neben meinem Studium als Lokaljournalist bei einer Mainzer Tageszeitung und war Redakteur der Zeitschrift links des Sozialistischen Büros Offenbach. Damals gab es einen Hungerstreik inhaftierter RAF-TerroristInnen, die sich bereits vom militärischen Kampf losgesagt hatten. Ich war der Meinung, dass es richtig ist, wenn sie aus der Haft entlassen werden und habe das auch geschrieben. Außerdem habe ich damals eine öffentliche Veranstaltung mit dem ehemaligen RAF.Mitglied Klaus Jünschke organisiert und moderiert, in der er über die Machtstrukturen der RAF berichtete, seinen Weg heraus darlegte und auch, wie er mit den Angehörigen der Opfer Kontakt aufgenommen hat.

In dieser Zeit wurde ich öffentlich als RAF-Sympathisant bezeichnet und überwacht. Ich kenne das verräterische Klicken in den alten Telefonen zu Beginn eines Telefonats, und weiß auch, was es bedeutet, wenn die eigene Stimme im Telefon plötzlich so einen seltsamen Hall bekommt. Die Bedingung für mein damaliges Engagement war, dass sich die Personen vom Terrorismus lossagen und die wahnsinnige Ideologie, die damit verbunden war, kritisieren und ihre politische Haltung verändern.  Im Falle Khaleds kann ich nichts davon erkennen. Ihr Hass ist ungebrochen, und ihre Ideologie auch. Die Palästinenser*innen müssten sich sowohl von der PFLP als auch der Hamas befreien, um in einem Staat leben zu können, der zumindest die bürgerlichen Freiheiten garantiert und in dem dann kein Terrorregime herrscht.

* Buchtipp (in dem ich auch für diesen Beitrag viel Material gefunden habe): Wolfgang Kraushaar, „Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“: München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus. Rowohlt Verlag 2013

Foto: Die von ihr entführten Maschinen am Boden in Jordanien während der Pressekonferenz der PFLP. Aufgrund dieser Flugzeugentführung wurde Leila Khaled entlassen und nach Kairo ausgeflogen. Sie wurde niemals für ihre Taten verurteilt.

3 Gedanken zu „Eine Revolutionsikone … Aber für welche Art von Revolution?“

  1. sebastian – vielen dank für diesen beitrag zur debatte !!!
    ich hoffe, dass es eineige reaktionen darauf geben wird, und dass bei diesen reaktionen der gute wille um verständnis und meschengerechte journalistische kunst ebenso zum tragen kommt wie bei deinem text.

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  2. Durchaus interessante Positionen. Allerdings blenden zwei vermeintlich parallele Staatenbildungsprozesse vor 1947 historische Fakten aus. 1895 lebten in Palästina (so bezeichnet von der Osmanischen Verwaltung ebenso wie von der Kolonialmacht Großbritannien nach Zusammenbruch des Osmanischen Reichs) 95% Araber und Araberinnen (unterschiedlichster Konfessionen), 3% Juden und Jüdinnen. Allein das Zahlenverhältnis widerspricht einer Darstellung von zwei Völkern, die (gleichsam zufällig) parallel Unabhängigkeit gesucht haben.

    Dass Palästina nicht wie die Türkei und andere Staaten – als arabischer Staat – nach dem 1. WK unabhängig wurde, lag einzig am britischen „Protektorat“/Kolonialismus.

    Im Nachhinein so zu tun, als hätte sich bloß zufällig kein gleichberechtigter Staat Palästina entwickelt, ist Geschichtsverfälschung.

    Der Schwarze Freitag ist auch ein wenig komplexer als die negative Darstellung eines simplen „Bruderkampfes“. Palästinensische Enklaven hatten begonnen, sich quasi-staatliche Handlungen in jordanischem Hoheitsgebiet anzumaßen, u.a. Wegezölle einzuheben und Identitätskontrollen durchzuführen. Machtpolitik – ein relativ gutes Verhältnis des jordanischen Königshauses zu Israel – mag eine Rolle gespielt haben im harten Durchgreifen gegen diese Kompetenzüberschreitungen der zunächst geduldeten Exilpalästinensergruppen.

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