Podemos auf Polnisch

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By Sebastian Reinfeldt

Razem – Gemeinsam, so heißt die neue linke politische Hoffnung in Polen. Seit 1989 und dem Runden Tisch aus Kommunistischer Partei, Kirche und der Gewerkschaft NSZZ-Solidarność beherrschen im Prinzip zwei ehemalige Solidarność-Flügel die politische Landschaft des Landes: Die neoliberale Platforma Obywatelska (PO) und die rechtspopulistische PiS (Prawo i Sprawiedliwość) sind beide aus der Wahlaktion Solidarność (AWS) hervorgegangen, der früheren Partei der früher starken Gewerkschaftsbewegung. Die post-kommunistische Traditionslinke war – bis auf ein kurzes Intermezzo – im Prinzip aus dem politischen Spiel. Und das war vielleicht auch besser so. Bei den Wahlen im Herbst 2015 tauchte Partia Razem quasi aus dem politischen Nichts auf und erreichte 3,6 Prozent der Stimmen. Die sogenannte Demokratische Linke (postkommunistisch, sozialdemokratisch) erreichte ebenso keine Parlamentssitze und zerbröselt derzeit. Ein symbolischer Sieg für Razem also,meinten auch die Kommentare in Polen. Wie erklärt sich dieser Erfolg? Wie sieht die Zukunft von Razem aus? Wie positioniert sich die junge Partei zu den Protesten gegen die autoritäre Rechtsregierung des Landes?

Ich sprach mit den Aktivisten Jakub (Kuba) Danecki, der in der Bundesleitung von Razem mitarbeitet, und Maciej Grodzicki, einem jungen Krakauer Ökonom, der sich erst in der Wahlkampagne 2015 politisiert hat. Das Interview ist im Februar 2016 in einer gekürzten Form im AK (Analyse und Kritik 613) erschienen. Die Langfassung veröffentliche ich hier. Im ersten Teil des Gesprächs geht es um die Entwicklung von Razem, im zweiten Teil wird die Entwicklung in Polen hin zu einer autoritären und rechtspopulistischen Regierung kommentiert.

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Jakub Danecki (links) und Maciej Grodzicki (rechts)

IMG_20160111_120453Interview mit Jakub Danecki und Maciej Grodzicki von Razem.

Zuerst sollten wir über die Bewegung Razem selber sprechen. Könntet ihr kurz die Geschichte erzählen: Wann und wie hat Razem begonnen? Wie hat es sich entwickelt?

Kuba Danecki: Ich denke, dass der erste Moment 2014 war, als es einen großen Ansturm auf eine linke Präsidentschaftskandidatur gab. Es wurden offene Briefe geschrieben, aber nichts hat wirklich funktioniert, weil die sozialdemokratische Partei, die Demokratische Linke Allianz, eine schreckliche Kandidatin ausgewählt hat, Magdalena Ogórek. Sie war eine Libertäre, und ihre Kampagne war eine Parodie auf die Linke. Viele von uns fühlten sich betrogen, aber dann waren wir im Gegenzug nicht dazu in der Lage, eine eigene linke Gegenkandidatur hinzukriegen. Es gab durchaus zwei KandidatInnen, die Linke waren, Anna Grodzka and Wanda Nowicka, aber keine von ihnen war in der Lage, die notwendigen Unterschriften zusammen zu bekommen, um bei den Wahlen antreten zu können.
Das alles war für uns ein Weckruf. Wir wussten, dass etwas getan werden musste. Als die Einzelkandidaturen gescheitert waren, haben sich die Leute, die gegen Ogórek waren, getroffen und haben weitere Leute versammelt, Leute aus lokalen und kommunalen Initiativen, die an Kommunalwahlen teilgenommen haben, und AktivistInnen. Alls das passierte Anfang 2015.

Waren da linke Parteien involviert?

Kuba: Es gab Leute aus kleineren, randständigen linken Parteien.

Also nicht offiziell?

Kuba: Ja, anfangs nicht offiziell. Und als angekündigt wurde, dass wir eine neue Partei gründen werden, gab es einen Riss. Denn es gab einige Leute aus der grünen Partei oder von der Polnischen Sozialistischen Partei und Leute aus anderen Organisationen, die mitgemacht haben. Zuerst haben wir nur miteinander geredet. Und danach, als wir entschieden haben, dass es eine Partei werden wird, und dass eine breite Koalition unmöglich sein wird, haben sie ihre ursprünglichen Parteien verlassen, um Razem zu gründen. Wir hatten ursprünglich den Plan, 200-300 Leute zusammen zu bringen bis zu den Parlamentswahlen. Aber sobald wir im Mai begonnen haben, hatten wir bereits einige hundert Leute, die Mitglieder von Razem geworden sind; die meisten von ihnen haben vorher nichts mit Politik zu tun gehabt. 90 % der Leute bei Razmen waren nicht in der Politik, ich glaube sogar, dass die meisten noch nicht mal gewählt haben, weil es niemanden gab, für den oder für die man stimmen könnte. Wir waren wirklich erstaunt. Als wir zum Gründungskongress eingeladen haben, hatten wir bereits 500 Mitglieder.

Wann war der Kongress?

Kuba: Mitte Mai 2015, am 16. Mai ganz genau. Wir hatten also im Mai schon mehr Leute beisammen als wir für die Parlamentswahlen erwartet hatten. Nachdem Duda die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte [der PiS-Kandidat Andrzej Duda erhielt im zweiten Wahlgang am 24.5.2015 51,55% der Stimmen], kam es zu einem neuerlichen Zustrom von Mitgliedern zu Razem, in 2 Tagen rund 1000 neue Leute, weil sie dachten, dass nunmehr alles in eine vollkommen falsche Richtung geht, und dass wir die Partei sein könnten, die Veränderung möglich macht.

Maciej: Ich war genau so eine Person. Ich hatte keinerlei politische Erfahrung zuvor. Als der konservative Kandidat die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat und die Rechtsextremisten große Unterstützung in den Umfragen erreichten, haben sich einige Dinge geändert, Wie viele andere entschied ich mich zu handeln. Für mich war wichtig, dass die Razem-Treffen sehr demokratisch und bottom-up vor sich gingen – und dennoch sehr professionell.

Woher kam diese Professionalität?

Maciej: Viele von uns sind einfach gut ausgebildet und verfügen über ein großes Wissen über die moderne Medienwelt, über Mechanismen von Politik, über die Ökonomie und andere Dinge ebenso. Alle waren motiviert etwas zu verändern.

Kuba_kleinKuba: Es waren Leute aus anderen NGOs bei uns und aus anderen Parteien. Sie meinten, dass sie förmlich schockiert waren, dass die Dinge organisiert worden sind, und dass alles einfach erledigt wurde. Sie kannten dieses typisch linke Herumreden und die endlosen Treffen – dass es auch anders geht, war für uns etwas Neues. Eine der Gründe dafür mag sein, dass wir eigentlich keine Führungspersonen hatten, keine bekannten Gesichter. Wenn wir etwas erreichen wollten, dann mussten wir uns einfach organisieren und es selbst tun, niemand würde uns etwas auftragen. Wenn sich 7 Leute irgendwo in einer kleinen Stadt in Polen treffen, und sie haben keinen Vertreter oder keine Vertreterin oder jemandem im Parlament, der oder die ansagt, was zu tun ist, dann können sich etwas tun, oder einfach heimgehen. Und nun haben sie begonnen etwas zu tun.

Die nächste Fragen zielen auf eure Wahlkampagne. Ihr habt bei Null begonnen und seid bei 3,6 Prozent angekommen. Wie habt ihr das gemacht?

Kuba: Das polnische Wahlsystem ist sehr restriktiv. Man muss 100.000 Unterschriften sammeln, um in den Wahlen antreten zu können. Und wären es nur 100.000 in Großstädten, dann würde es nichts machen. Aber es mussten 5000 Unterschriften in mehr als 22 Wahlkreisen sein. Und das hat bedeutet, dass wir mitunter mehrere Stunden fahren mussten, da wir über die Infrastruktur noch nicht verfügen konnten. Dass wir dann überhaupt antreten konnten, war bereits ein großer Erfolg. Und ich finde, dass diese erste Kampagne zum Sammeln der Unterschriften ein großer Moment für uns war, sowohl intern als auch den Leuten gegenüber, die uns kannten.
Die großen politischen Parteien in Polen haben tausende Mitglieder, sie verfügen über lokale Büros, Bürgermeister, Gemeinderäte und -rätinnen – also ist es für sie recht einfach, die Unterschriften zusammen zu bekommen. Für uns hingegen war das harte Arbeit, wir haben viel, viel Zeit investieren müssen. Es gab ein persönliches Investment dabei. Das war der erste Schritt der Kampagne.
Über die Kampagne: Wir haben etwa 80.000 Euro dafür ausgegeben. Das geben die großen Parteien für Werbeflächen in einer einzigen Stadt aus. Aber wir waren sehr stark im Internet, auf unseren Social-Media-Accounts haben sich wirklich viele Leute versammelt. Die größte Investition war der Kauf von von 20 Zelten, was unser Budget erschöpft hat. Und diese Zelte fuhren übers Land. Und dort gab es immer jemanden mit einem Mikrophon, wir haben einfach zu und mit den Leuten geredet, und ihnen die Flyer gegeben. Und das Besondere daran war, dass die Leute auf unseren Listen zugleich diejenigen waren, die die politische Arbeit gemacht haben. Es waren nicht irgendwelche Freiwillige, die die Flyer verteilt haben. Bei uns hat die Person auf dem Flyer ihn auch verteilt.
Im September 2015 hatten wir ganze 8 Sekunden im nationalen Fernsehen. Das war alles, während die anderen Parteien Duzende von Stunden hatten. Daraus haben wir eine große Sache gemacht. Dadurch haben die Leute uns als diejenigen wahrgenommen, die von Hundertausenden unterstützt werden, und die dennoch von den Medien nicht gezeigt werden.Warum? Genau das hat uns in die politische Debatte in den Mainstream-Medien gebracht, weil wir sie kritisiert haben, dass sie uns nicht bringen. Das hat sehr, sehr gut funktioniert.

Ok. Maciej, was hast du während der Wahlkampagne getan?

Maciej: Ich war kein Kandidat. Deshalb habe ich nur meine FreundInnen auf den Straßen unterstützt. Wir sind durch einige kleinere Orte gefahren, haben mit den leuten geredet und Flyer verteilt. Das war wirklich eine gute Erfahrung. Viele von uns haben erstmals die Probleme von Nicht-Großstädten kennen gelernt, und auch nicht die Probleme der Intelligenzia, sondern die normaler ArbeiterInnen und der Arbeitslosen.

Über die politischen Forderungen von Razem

Wir wollen eine politische Kraft sein, die als erste an der Seite der Leute kämpft, wenn es Probleme mit und in der Gewerkschaft gibt, wenn jemand illegal gekündigt wird oder wenn Schulen geschlossen werden. Das tuen wir bereits. Wir kämpfen an der Seite von Leuten, die dafür gefeuert wurden, dass sie an gewerkschaftlichen Aktivitäten teilgenommen haben. Das wollen wir weiter tun. Damit die Menschen wissen: Wenn ich Hilfe brauche, weil meine Rechte verletzt werden, dann sind wir diejenigen, die man anruft. Ob es um die Unterstützung eines Protests geht, oder nur darum, einen Brief zu schreiben oder um Hilfe beim Organisieren. Wie bringt man eine Gewerkschaft auf den Weg? Wie für die Rechte kämpfen? Wir müssen ein Netzwerk knüpfen, ganz besonders außerhalb der großen Städte, in denen Leute wirklich politische Hilfe brauchen. Wo die Leute verstehen können, wie politischer Kampf funktioniert. Wir werden ihnen helfen sich zu organisieren und sich Razem in der politischen Auseinandersetzung anzuschließen.

Wir bekommen Anrufe von Leuten die in ihren Firmen oder Arbeitsplätzen bedroht sind, und die sagen dann oft folgendes: „Wir stimmen mit eurem Parteiprogramm nicht überein, und wir haben für eine andere Partei gestimmt.“ Aber sie wissen, dass wir diejenigen sind, die einfach da sind, wenn politische Hilfe nötig ist. Deshalb fragen sie uns um Unterstützung. Ich habe vor kurzem genau so einen Anruf bekommen, und wir bekommen immer mehr solche. Wenn wir mehr davon bekommen, dann ist das meiner Meinung nach die Richtung, in die wir gehen müssen.

In welchen Teilen Polens war Razem besonders stark? Und wo seid ihr eher schwach?

Kuba: Unsere Stimmen verteilen sich eigentlich ziemlich gut. Natürlich bekommen wir höhere Werte in den großen Städten. Aber zum Beispiel in dem Wahökreis, in dem ich kandidiert habe, hatten wir eines unser besten Ergebnisse, fast 6 %. Das ist eine alte Bergbaustadt. Und wir hatten dort nicht wirklich kampagnisiert, wir waren nur manchmal dort. Obwohl das eine große Region war, wo man herumfahren musste, haben dennoch Leute für uns gestimmt.
Es ist schwer zu sagen. In dieser Wahl haben wir unsere Ergebnisse hauptsächlich in den Großstädten bekommen, nächste Mal bekommen wir sie auch von Außerhalb. In Städten, in denen die Leute den letzten Zuganschluss zum Arbeitsplatz verloren haben, wo es vor 5 Jahren noch ein Krankenhaus gab. Die nächsten Wahlen werden wohl in solchen Orten gewonnen.

Wird Razem bei den nächsten Wahlen im Parlament sein?

Kuba: Ja, das glauben wir. Wir waren diesmal fast drinnen. Dann werdne wir besser organisiert sein, Und im Moment besteht der Eindruck, dass wir eine politische Kraft sind, die wirklich das tut, was sie in der Wahlkampagne gesagt hat. Die medien kommen bei gewerkschaftlichen Protesten nicht, aber wir sind da, auch wenn die nicht kommen.
Niemand sonst ist da, auch wenn sie sagen, dass sie die Leute unterstützen werden. Wir werden diese Anerkennung erfahren als diejenigen Leute, die zu ihren Ansichten stehen, Wir wir gesagt haben ist egnau das, was wir tun, auch wenn es uns keinen unmittelbaren Nutzen bringt. Ich bin sicher, dass wir das nächste Mal ins Parlament kommen.

Maciej: Zur Fernsehdebatte. Unser Erfolg lässt sich vielleicht damit erklären, dass wir es am Ende in die Medien geschafft haben. Unser Sprecher, Adrian Zandberg, hat an der Fernsehdebatte teilgenommen und war dort der Beste.

Warum war Zandberg in der Debatte der Beste?

Maciej: Sicher, weil er frisch war und nicht wie ein typischer Politiker gesprochen hat. Er ist eine sehr kluge Person, vielleicht auch, weil er unser Programm sehr gut rüber gebracht hat.

Der Tweet geht viral

Kuba: Direkt nach der Fernsehdebatte ist eine lustige Sache passiert. Adrian wurde vor Ort von einer Gruppe von Leuten unterstützt. Danach sind sie zusammen einfach zur Metro-Station gelaufen, um nach Hause zu fahren, so wie sie es immer tun. Die anderen sind zu ihren Kampagnen-Bussen oder privaten Autos gegangen, und Adrian ist einfach zu Fuß unterwegs gewesen. Ein Journalist hat ein Foto gemacht, es auf Twitter gepostet und es wurde viral. Das war etwas Frisches, ein Politiker fährt normal mit der U-Bahn, einige Leute sind dann in diese U-Bahn Station gekommen und haben weitere Fotos von der Gruppe geschossen, wie sie wie normale Menschen auf die U-Bahn gewartet haben. Das Bild war: Normale Menschen, die in die Politik gehen. Das mögen die Leute, denke ich.


Die Situation in Polen
Nach dem Wahlsieg der rechtspopulistischen PiS gab es – und gibt es bis jetzt – Proteste auf den Straßen und Plätzen vieler polnischer Städte. Könntet ihr diese bitte kommentieren?

Kuba: Die PiS ist gegen das Verfassungsgericht wirklich brutal vorgegangen und mit extremer Härte gegen die Institution, die dafür sorgt, dass die Verfassung nicht gebrochen wird, auch nicht von der polnischen Regierung. Das war eine große Sache, weil tatsächlich zuvor Richter nicht legal bestellt worden sind, und PiS hat dann noch mehr auf illegale Weise benannt, wie wir inzwischen wissen. Dann gibt es diese Komitee zur Verteidigung der Demokratie KOD [Komitet Obrony Demokracji], dass zuerst als eine Facebook-Gruppe entstanden ist. Und sie sollen den Protest entfalten.Aus unserer Perspektive hatten wir unseren eigenen Protest gegen die Zerstörung der Verfassung. Die haben wir in Warschau und in anderen Städten abgehalten, aber wir haben das nicht zusammen mit KOD gemacht. Um es kurz zu machen: Diese Proteste sind nur eine weitere Schlacht in dem großen und endlosen Krieg zwischen den beiden dominierenden gesellschaftlichen Kräften: Den neoliberalen „Reformkräften“ und Modernisierer Polens und den Leuten, die PiS unterstützen und die zu den Verlierern des Transformationsprozesse gehören. Nun werden diese Verlierer in den Slogans der Protestierenden als Leute aus dem „finsteren Mittelalter“ bezeichnet. Und es gab auch den beleidigenden Slogan „Wir wollen unsere Demokratie nicht für 500 Zloty aufgeben!“ [„Polacy są gotowi przehandlować demokrację za 500 zloty“]. 500 Zloty entsprechen in etwa 120 Euro. Dazu muss man wissen, dass 500 Zloty für jedes Kind eines der Hauptforderungen von PiS in der Wahlkampagne war. Alle Protestierenden zur Rettung der Demokratie haben jedenfalls solche Sachen gesagt.
Wir aber haben verstanden, dass die PiS-WählerInnen wegen der ökonomischen Situation so frustriert waren und dass sie dafür das zuvor vorherrschende neoliberale Lager verantwortlich gemacht haben. Als wir dann diese Slogans gesehen haben, war klar, dass es hier nur um eine weitere Schlacht in diesem Krieg ging, über den ich bereits gesprochen habe.
An dem wollen wir nicht teilnehmen, weil wir verstanden haben, dass die gegenwärtige Krise daher kommt, dass sich niemand um soziale Gerechtigkeit gekümmert hat. Die Leute wurden einfach sich selbst überlassen. Warum sollten sie sich um Demokratie und den Staat scheren? Aus ihrer Sicht hat Demokratie nicht ihre Rechte verteidigt, ihre Gewerkschaften und ihren medizinischen Schutz.
Wenn wir gegen die PiS protestieren, dann deshalb, weil sie mit besonderer Härte vorgehen und die Demokratie zerstören. Wir tun das aber nicht Hand in Hand mit denjenigen, die diese Probleme in erster Linie verursacht haben.

Maciej: Unser Statement zu den Protesten war das Ergebnis einer sehr langen und harschen internen Debatte. Unser Problem ist, dass auf der einen Seite PiS das Land in Richtung eines autoritären Regimes führt. Aber auf der anderen Seite ist es nur eine neue Version dieser andauernden Debatte in Polen. Unser Statement entstand in einem langen Prozess und es ist eine Herausforderung derzeit: Wie protestieren gegen anti.demokratische Maßnahmen von PiS und trotzdem unsere eigenen Ideen vertreten, unsere Sicht der Gesellschaft und unser Programm. Die öffentliche Debatte ist ziemlich dominiert von dem Konflikt, den PiS losgetreten hat. Deshlab suchen wir nach Instrumenten, wie wir die Leute in unser Narrativ einbinden können. Wir arbeiten viel in den Regionen und versuchen, lokale Initiativen zu unterstützen und mit Gewerkschaften und NGOs zu kooperieren.
Kuba: Es gibt ein kurzes Statement 2 Wochen nachdem die Proteste begonnen hatten, und dann haben wir ein Manifest gemacht „Wir sind die dritte Alternative zu dem, was gerade passiert“

Maciej: Wir argumentieren, dass die Verfassung Polen täglich gebrochen wird, wenn es um Arbeits- oder Gewerkschaftsrechte geht, aber auch um um den Kranken- und Pflegebereich, um das Wohnen und so weiter.

Kuba: Das ist eins sehr guter Punkt. Einige derjenigen, die gerade gegen die PiS-Regierung protestieren sind Mitglieder und Abgeordnete der PO [Platforma Obywatelska – sie haben die Regierung vor den Wahlen 2015 gestellt]. Das ist eine Partei, die die Verfassung ebenso andauernd gebrochen hat, allerdings auf eine andere Weise. Sie haben die Arbeitsrechte stettin_vermieten_kleingebrochen, das Recht auf Wohnen, aber eben nicht die formalen demokratischen Regeln. Sie sind innerhalb des Rahmens geblieben, aber es gab keinen Geist. Zum Beispiel: Während der Proteste hat eine Firma MitarbeiterInnen gefeuert, die versucht haben eine Gewerkschaft zu bilden. So etwas zu tun ist ein durch die Verfassung garantiertes Recht. Also haben wir einen Protest inszeniert, um das recht auf Gewerkschaftsbildung zu verteidigen. Aber außer uns hat sich niemand bei den Protesten gezeigt. Die Leute, die die Verfassung verteidigen, waren nicht dort. Das war eines unserer Hauptargumente dafür, den dritten Weg zu gehen und uns nicht offiziell an den Protesten zu beteiligen. Wir gehen privat dahin, aber nicht als Partei.

Könntet ihr bitte die Performance der PiS-Regierung kommentieren?

Maciej: Ich bin nicht wirklich überrascht. Das habe ich durch die Wahlen und den Wahlkampf so erwartet. Aber viele WählerInnen sind nun total überrascht: Was tun die da gerade? Wenn jemand dem Kaczynski oder anderen VertrterInnen der Partei zugehört hat, dann war doch klar: Sie hatten angekündigt autoritäre Maßnahmen zu ergreifen.

Zum Beispiel?

Maciej: Es gab dieses Gefühl der Rache gegenüber der PO. Sie waren für 8 Jahre raus aus der Regierung, und sie waren total frustriert nach dieser Zeit. Nebenbei gibt es diese sehr persönliche Sache von Kaczynski, der wirklich glaubt, dass sein bruder bei dem Flugzeugabsturz wegen Tusk und der russischen Regierung gestorben ist. Deshalb konnte man durchaus erwarten, dass sie Rache nehmen würden. Ähnliches ging übrigens 8 Jahre zuvor vor sich, als die PiS regiert hatte.

Kuba: Besonders, wenn man sich anschaut, wie sie mit neuen Gesetzen umgehen. Das polnische Parlament arbeitet in der Nacht. Die Sitzungen beginnen um 16:00 oder 18:00 Uhr am Nachmittag und dann tagen sie nachts. Dann haben sie zum Beispiel Regeln versucht einzuführen, nach denen die Opposition im Parlament eigentlich ar nicht mehr reden kann. Sie sollten öffentliche Konsultationen mit sozialen Interessensgruppen abhalten, die gerade mal 15 Minuten dauern. Und dann gibt es dieses berühmte Photo von jemandem von der Helsinki-Human-Rights Foundation, glaube ich, der 8 Stunden lang mit erhobener Hand gestanden hat, nur um irgendetwas sagen zu dürfen.

Danke für das Gespräch und für die vielen Beispiele und Erläuterungen. Ich hoffe, dass es zu einem besseren Verständnis der Situation in Polen beitragen wird. 

Übersetzung aus dem Englischen: Sebastian Reinfeldt

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