Das „Marokkaner-Problem“. Ein weiterer FPÖ-Diskurs in der Mitte der Gesellschaft

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By Sebastian Reinfeldt

Kriminelle nordafrikanische Flüchtlinge. So heißt es derzeit in beinahe allen Medien.  Sogar die liberale Nzz.at titelt kritisch, dass es nunmehr ein „Marokkaner-Problem“ in der öffentlichen Diskussion gebe. Und sie meint damit die neurechts-populistische Haltung des Wiener Bürgermeisters Häupl, der erklärt hat: „Wir“ … „werden mit Sicherheit in nächster Zeit keine Marokkaner aufnehmen“.
Aber auch die Medien haben offenbar ein Rassismusproblem. Eine Analyse dazu.  Achtung: Longread!


Vorbemerkung: Es geht natürlich nicht darum, dass Medien kriminelle Taten verschweigen sollten. Es geht eigentlich gar nicht nur um die Frage „Wie darüber sprechen, was real ist?“ Sondern es geht darum, dass und wie sich bestimmte Redeweisen mit bestimmten rassistischen Praktiken verknüpfen. Und somit immer wieder bestimmte Personengruppen einer Sonderbehandlung unterzogen werden. Die Herkunft der Gruppen ändert sich nach medialer Konjunktur. Die Muster und Praktiken bleiben gleich. Aktuell ist gerade das Beispiel der Marokkaner, auch in Österreich. Denen hatte die Tiroler FPÖ im Jahr 2012 eine eigene Kampagne gewidmet. Ihr Titel: Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe. Erkennbar wurde eine Personengruppe stigmatisiert und an den Pranger gestellt. Damals war die Aufregung groß. Und heute? 

1. Alltägliche Geschichten und Gespräche: Gleitmittel des Rassismus

Beginnen möchte ich mit einem eigenen Erlebnis, das ich vor einigen Jahren in Wien hatte. Damals arbeitet ich bei IKEA in Vösendorf, und nach der Weihnachtsfeier für die mehr als 200 MitarbeiterInnen hat die Firma für die Rüchfahrt der Mitarbeiter einen Taxiservice organisiert. Ich fuhr also zusammen mit drei KollegInnen heim, und weil diese am Stadtrand und im zehnten Bezirk wohnten, war ich am Ende der letzte Fahrgast. Ich wollte in den 16 Bezirk, und dort in das Brunnenmarktviertel, wo viele Nicht-ÖsterreicherInnen leben, mehrheitlich aus der Türkei und vom Balkan – eine Tatsache, die in Wien bekannt ist.
Der Taxifahrer wollte sich mit mir unterhalten, ich offen gestanden nicht, weil ich schon müde war. Dennoch gab ich zögerlich Antwort, als er wissen wollte, woher aus Deutschland ich denn stamme, und auch, ob ich mich in Wien wohl fühlte. Ja, sehr wohl, berichtete ich wahrheitsgemäß, und insbesondere in diesem 16. Bezirk,
Je näher wir nun diesem Bezirk kamen, umso nervöser wurde der Fahrer, und plötzlich begann er, ohne dass ich von mir aus dieses Thema angeschnitten hätte, wie wild los zu schimpfen. Die Türken wollten, davon war er überzeugt, die Herrschaft in Österreich übernehmen, und nachdem sie es auf militärischem Wege zwei Mal nicht erreicht hatten, nunmehr auf perfide Weise: durch Migration.
Es gebe also eine Art biologische Kriegsführung, derzufolge sie einfach durch ihre kommende, zahlenmäßige Übermacht das kleine, wehrlose Österreich übernehmen wollten.
Er sei zwar kein Rassist – mit diesem Halbsatz beginnt in der Regel jeder Rassist, jede Rassistin – aber Österreich müsse sich dagegen zur Wehr setzen. Zu mir als Deutschem gebe es eh nicht so viele Unterschiede, aber die da passten einfach nicht hier her.
Er redete sich so in Rage, weil ich – unwillig nachts um drei politische Diskussionen zu führen – nur kurz und klar zu verstehen gegeben hatte, dass ich damit gar nicht einverstanden sei und dass er bitte aufhören solle, mich weiterhin mit seinen wüsten Fantasien zu belästigen. Das stachelte ihn aber noch mehr an, denn er hatte sich von mir Zustimmung erwartet. So wurde er lauter und hektischer, und als er vom Gürtel in die Neulerchenfelder Straße einbog, hielt er seinen Wagen unvermittelt an, und bat mich auszusteigen. Er könne diesen Bezirk einfach nicht betreten…

Migration als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln

Warum ich diese Geschichte erzähle? Erstens, weil sie mich lange beschäftigt hat, denn ich hatte den Mann in ja keiner Weise provoziert. Nur die Tatsache, dass er sich dem in seinen eigenen Augen dubiosen Bezirk näherte, setzte in ihm diesen fanatischen, scheinbar wirren rassistischen Diskurs frei. Zugleich erkannte ich in seiner Rede Versatzstücke des von Michel Foucault analysierten Diskurses des Rassenkrieges wieder, der im 17. Jahrhundert auftauchte, und in der Politik als die Fotsetzung des Krieges mit anderen Mitteln vorgestellt wird.
Denn hier, im rassistischen Diskurs des Taxifahrers, wird Migration als die Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln wahrgenommen, jedenfalls wird die Gesellschaft, in der wir leben, als eine beschrieben, die von elementaren bio.politischen Kämpfen durchzogen wird, womit sich wiederum verschiedene Reaktionen, Praktiken, ja sogar Straftaten rechtfertigen lassen, da es ja darum gehe, „etwas“ zu verteidigen.
Quasi in einer Nussschale habe ich damals eine Rede gehört, die etwa Anders Breivig hätte halten können, der in Oslo Kinder und Jugendliche erschossen hat, die gerade an einem politischen Freizeitcamp teilgenommen hatten. Breivig hätte natürlich diese Gedanken noch weiter aufgeladen und mit Hassreden gegen Linke und Liberale erweitert, aber im Kern würde er nichts anderes sagen als: dass die Länder Europas sich in einem Verteidigungskampf von historischem Ausmaß befinden würden.

Wiederholung als Element der Wirksamkeit von Rassismus

Zweitens beschäftigt mich daran die Tatsache, dass diese Gegebenheit eine ganz alltägliche Situation war, es passiert tagtäglich, dass Menschen in ihren Gesprächen am Arbeitsplatz, beim Einkaufen, im Taxi, im Kaffeehaus oder in einer Familienrunde über Politik reden. Aber wenn dabei das Thema Migration angesprochen wird, Ausländer, und warum und wie sie in Österreich leben – wie sind dann die Aussagen, die diskursiven Muster, die Sprachbilder? Und woher stammen solche Rede- und Denkweisen? – Die Vorstellung, dass sich ähnliche Dialoge wie der eingangs beschriebene mehrfach täglich wiederholt, ist ehrlich gesagt Angst einflößend. Und die von mir unterstellte Tatsache, dass einige derjenigen Muster, die ich in Kürze zum Thema Kriminalisierung von MigrantInnen vorstellen werde, so oder so ähnlich sich tagtäglich wiederholen, erklärt jedenfalls, dass Rassismus in Europa trotz aller Grausamkeiten, trotz des Holocaust und europäischer Genozide wie das in Srebrenica, nicht verschwindet, ja im Gegenteil, sich verstärkt. Denn aus der Rassismusforschung ist bekannt, dass die Wiederholung, und die Wiederholbarkeit, rassistischer Zuschreibungen und Meinungen ein wichtiger Faktor ist, der ihre Persistenz wieder besseres Wissen erklärt. Also obwohl man „eigentlich“ weiß, dass das Gesagte so nicht stimmt, ja sogar absurd zu sein scheint, also obwohl das alles so ist, sagt man es trotzdem, und nicht nur das, man wiederholt es auch, weil man diesen Mustern immer wieder begegnet, sie mit eigenen Augen liest, mit den eigenen Ohren hört, weil es eine Art perverses Begehren nach diesen schmutzigen Erklärungsmustern des Lebens gibt – aber auch, weil man erlebt, wie Behörden danach handeln.

Ich weiß, hier ist nicht der geeignete Ort, um über das Verhältnis diskursiver zu nicht-diskursiven Praktiken tiefer nachzudenken. Sicherlich muss immer wieder der Abstand bedacht werden, dass gesagt und gedacht nicht gleich getan ist. Sich wünschen, eine Gruppe von Menschen wäre tot, bedeutet noch nicht, sie zu töten. Bis dahin führt noch ein langer Weg. Dennoch ist es, wenn wir kritische Diskursanalyse betreiben, nicht so, dass wir nur unkorrekte Redeweisen anprangern würden, die man leicht korrigieren könnte. Kritische Diskursanalysen machen nur dann Sinn, wenn man sie auf die soziale und politische Situation bezieht, auf die tiefgreifende Krise des entwickelten Kapitalismus und die Verwerfungen und Faltungen seines Umbruchs. In diesen Zeiten, die wir gerade erleben, kommt es geradezu zu einem Exzess rassistischer Zuschreibungen, Bilder, Diskurse – und ebensolcher Praktiken, die ganz offenbar mit der Spaltung der Welt in arm und reich zu tun haben, die die neo-liberale Politik der vergangenen 20 Jahren intensiviert hat. Dabei denke ich offen gestanden weniger an Typen wie Anders Breivig, ich denke etwa an die systematischen Säuberungen gegen Sinti und Roma in Ungarn, unter Aufsicht und mit Ermunterungen einer rechts-populistischen Regierung, und bei nur vorsichtigen Protesten seitens der EU.
Anti-Ziganismus ist ein spezielles Thema, in dem der Zusammenhang von Kriminalität, Migration, Rassismus mit staatlichem, polizeilichem Handeln sehr offenbar wird. Nach diesen Hinweisen und Vorbemerkungen möchte ich jetzt mit dem ersten österreichischen Beispiel beginnen, mit dem Plakat, das wohl mit den Anstoß für diese Tagung gegeben hat.

2. Innsbruck 2012: Marokkaner-Diebe – Interpretation eines Wahlkampfplakates

Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe, mit diesem Slogan zog die Innsbrucker FPÖ 2012 in den Kommunalwahlkampf in Innsbruck. Der zu erwartende Skandal kam (die Zeitungen waren voll davon, dem österreichischen Botschafter in Marokko wurde ein Protestschreiben der marokkanischen Regierung überreicht), doch nutzte der Skandal der Partei politisch recht wenig. Sie erhielt zwar einige mehr Stimmen als bei den Wahlen zuvor, schnitt aber mit 7,7 Prozent eher enttäuschend ab. Wahltaktisch war dieses Plakat also nicht erfolgreich, es hat nicht funktioniert, und ich vermute, dass sich „so etwas“ für die tief katholisch geprägten Bevölkerungsteile in Tirol einfach nicht gehört, so viel Rassismus ist unanständig, schmutzig – für derartige Propaganda ist man nicht empfänglich. Unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet ist das Plakat – offen gesagt – auch eher merkwürdig, es wirkt wie das Plakat einer Schülervertretung, so offensichtlich sind die Bildelemente zusammen montiert worden. Aber diskurspolitisch zeitigt es doch Nachwirkungen, wie zu zeigen sein wird.

Anstatt statt?

Beginnen wir unsere Analyse mit der unklaren grammatikalischen Konstruktion des Slogans. Das Wort „statt“ findet sich im Repertoire der deutschen Sprache als Präposition und als Konjunktion; als Präposition nimmt es die Bedeutung von „anstelle“ an, als Konjunktion die Bedeutung „und nicht“. Wie haben wir also das Plakat zu lesen? Heimatliebe anstelle von Marokkanerdieben (was die grammatikalisch nahegelegte Leseweise ist), oder Heimatliebe und keine Marrokaner-Diebe (was vermutlich die vom Sender der Botschaft intendierte Botschaft ist)?
heimatliebe
Neben meiner persönlichen Genugtuung, als Deutscher den bekennenden Deutschnationalen die Regeln der deutschen Sprache näher zu bringen, verweist die unklare grammatikalische Situation und ihre beiden Leseweisen auf einen unklaren semantischen Raum, der durch vage Entgegensetzungen konstruiert wird. Jedenfalls haben wir es mit einer starken Entgegensetzung zu tun, und das Wörtchen statt funktioniert auch im grafischen Aufbau des Plakates weniger als Konnektor, sondern als Separator: Es trennt die beiden Hauptworte Heimatliebe und Marokkaner-Dieben, so dass die klare Bedeutung entsteht: Heimatliebe versus Marokkaner-Diebe.
Eine Entgegensetzung dieser Art muss zumindest eine Gemeinsamkeit aufweisen, sonst würde sie von den Lesenden als unverständlich klassifiziert. Was ist nun dasjenige Element, das die beiden Begriffe, Heimatliebe und Marokkaner-Diebe, zugleich trennt und verbindet, also dasjenige Merkmal, das es dem „statt“ erlaubt, gegen die Grammatik die Bedeutung „und nicht“ anzunehmen? Im Rahmen des Settings dieses Plakates müssen wir uns also die Frage stellen, was es denn ist, das die Marokkaner stehlen (wenn man ihnen schon die Heimatliebe entgegen setzt)? Denn sie scheinen sich ja von gewöhnlichen, einheimischen Dieben zu unterscheiden, denen man mit Anständigkeit oder Ehrlichkeit oder simpel mit Gesetzestreue begegnen könnte, jedenfalls wohl kaum mit Heimatliebe. Der Slogan „Gesetzestreue statt Österreicher-Diebe“ wäre in diesem Fall eine sinnvolle rhetorische Entgegensetzung.
Marokkaner unterscheiden sich durch ihre Herkunft von diesen gewöhnlichen Dieben, und sie stehlen daher – im Unterschied zu jenen – neben den Sachen, die sie entwenden, offenbar noch etwas anderes. Vergleichen wir kurz das Wahlplakat der FPÖ mit einem anderen Sujet derselben Partei, in dem es um Griechenland geht.

Unser Geld, unsere Leut. Unsere Heimat

In diesem Beispiel, das ebenfalls von der FPÖ stammt und das seltsamerweise weniger skandalisiert worden ist, ist das rassistische Stereotyp eines südländischen Mannes zu erkennen, mit Schnurrbart, lachend in der Hängematte liegend, der das Leben sowie das Geld zu genießen scheint. Wer wäre nicht gerne in so einer angenehmen Lage? Jedenfalls erkennen wir hier, obwohl es offenbar auch um etwas Materielles – ums Geld – zu gehen scheint, eine zweite Bedeutungsebene, in der es um eine andere, die sogenannte „südländische“ Lebensart geht, durch die „wir“, das bedeutet diejenigen Menschen, die sich von dem Plakat ansprechen lassen, uns bedroht sehen. Während er sich erlaubt, in der Hängematte zu liegen, müssen wir hackeln, so höre ich schon die Kommentare in den alltäglichen Small-Talks. Das Plakat löst eine solche Reaktion förmlich aus.
FPÖ_UnserGeld2_01Und, so meine ich, die Entgegensetzung von „Marokkaner-Diebe“ zu Heimatliebe ruft eine ähnliche zweite Bedeutungsebene auf, der zufolge diese Personen – ich betone deutlich: angeblich – etwas stehlen würden, und zwar nicht nur Geldbörsen und Handys oder was auch immer Materielles, sondern etwas der Tiroler Heimat, die es im Rahmen des hier aktivierten Diskurses zu verteidigen gilt. Sie würden eigentlich der Heimat etwas entwenden, welche es aufgrund der Liebe zu Tirol zu verteidigen gelte. So wie der stereotypische Grieche scheinbar „unser“ Geld verjuxt, um das Leben zu genießen, und uns damit „unseren“ Genuss stiehlt, so lassen die Marokkaner, im Unterschied zu den einheimischen Dieben, noch etwas Anderes mitgehen, das aber mit der Heimat zu tun hat
Was ist das eigentlich, die Heimat? In dem Marrokanerdiebe-Plakat wird sie in Form der Innsbrucker Anna-Säule symbolisiert, denn sie kann physisch wohl kaum gestohlen werden. Für was steht dann diese Säule, warum ist sie ins Bild eingeklinkt worden? Sie erinnert bekanntlich an den Rauswurf bayrischer Truppen nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekriegs, und ich schlage als Interpretation für diesen „Zusatz“ jenseits des Deliktes „Diebstahl“, um den es hier geht, vor, dass es die Tatsache des Marokkaner-Seins ist, die – in der Plakatversion der FPÖ – den Innsbruckern ihr Heimatgefühl rauben würde. Es ist die bloße Fremdheit, gegen die man sich zur Wehr setzt, und daher rauben die sogenannten „Marokkaner-Diebe“ durch ihre schiere Präsenz den Innsbruckern ihre Heimat. Der Zusatz „Marrokaner“ zu Dieben ist also weit mehr als die Angabe einer Nationalität, es ist das Zeichen einer absoluten, unüberwindbaren Andersheit, es fungiert als ein Stigma der Fremdheit.So wird auch erklärlich, warum diesem Plakat kein Sicherheitsdiskurs eingeschrieben ist, der ja beim Thema Kriminalität nahe zu liegen scheint, und es in seiner reinen Verteidigungshaltung verharrt.In den Polizeiberichten der Zeitungen, denen ich mich im folgenden widme, wird dieser Aspekt dem Thema „Migration und Kriminalität“ allerdings hinzu gefügt werden.

3. Zeitungsberichte 12.6.2012: Marokkaner-Banden und Almdealer

Gegenstand der nächsten Auswertung empirischen Materials sind Ausgaben der beiden Gratiszeitungen „heute“ und „Österreich“, die morgens in Wien an jeder U-Bahn Station und in vielen Geschäften erhältlich ist. Meine Stichprobe ist vom 12. Juni 2012. In „heute“ finden sich 12 Artikel, die kriminelle Handlungen zum Gegenstand haben, von den Verfehlungen des dritten Nationalratspräsidenten Österreichs bis hin zu einem österreichischen Almbesitzer, der seinen Gästen, ausgerechnet Mitglieder einer österreichischen Trachtenmusikkapelle, Haschkuchen serviert hat. In fast der Hälfte der Texte (in fünf Artikeln) wird die Herkunft der mutmaßlichen Attentäter ausdrücklich genannt: aus Peru stammt ein Bankomat-Betrüger, ein Tscheche mit Perücke überfiel eine Trafik, ein Brite und ein Nigerianer haben Kokain geschmuggelt und sind am Flughafen erwischt worden, und eben der, so wörtlich im Text „Einheimische“, der vier Trachtenmusiker high gemacht hat.
Nur kurz will ich hier auf den aus Tschechien stammenden Trafikräuber eingehen, weil er im Text bildlich in Verkleidung dargestellt wird. Es stellt sich die Frage, warum dieses Foto von der Polizei erstellt und publiziert wurde, zieht es die Person doch ins Lächerliche. Wer hätte diese Person tatsächlich für eine Frau gehalten?, so frage ich mich. Ian S. fungiert als das verkleidete Böse, vor dem man sich zugleich fürchten muss, und über das man doch schmunzeln kann.

Kriminelle Ausländer: Über Banden und Drogendealer

In der Zeitung „Österreich“ finden sich 11 Texte über Kriminalität, teilweise sehr prominent im Zeitungsinneren platziert, darin werden vier Ausländergruppen ausdrücklich genannt: Für den starken Anstieg der Kriminalität in Oberösterreich seinen „Tschetschenen-Banden“ und „Banden aus Ex-Jugoslawien und Rumänien“ verantwortlich. Diese Aussagen finden sich mehrfach in einem redaktionell erstellten Thema des Tages, in dem von mehr als 1000 Raubüberfällen in Österreich seit Jahresbeginn berichtete wird, davon 130 in Oberösterreich. Insgesamt vermittelt das Lesen dieser Ausgabe den Eindruck, Österreich sei ein Land, das von Kriminalität durchzogen sei. Neben diesen Banden betätigte sich in weiteren Texten in der Zeitung eine Polin als Arsen-Mörderin älterer Menschen, die sie zuvor gepflegt hatte, und auch die Marokkaner-Banden aus Innsbruck finden sich im Text wieder, sie hätten einen Fotografen umstellt und bedroht, der einen Polizeieinsatz gegen sie fotografiert habe. Die Marokkaner würden den Drogenhandel in Innsbruck kontrollieren, so informiert uns die Zeitung.
Außer dem Umstand, dass die im Plakat-Sujet bereits genannten Marokkaner wiederum als Kriminelle auftauchen – wenn auch diesmal nicht als Diebe, sondern als Drogendealer – sind zwei Figurationen erkennbar, in denen Migranten in Österreich kriminalisiert werden: in Form von Banden, die Banken und Privatpersonen ausrauben, und in Form von Kriminellen, die mit Drogen zu tun haben.
Im redaktionellen Teil der Zeitung Österreich wird mithilfe statistischer Informationen, die nicht weiter aufgeschlüsselt werden, ein immenses Bedrohungsszenario entwickelt. Migrantinnen würden die materielle und körperliche Sicherheit der Einheimischen bedrohen. Da, wie in dem Artikel erwähnt wird, es praktisch ein internationales Phänomen sei, arbeiten die oberösterreichischen Behörden mit Interpol zusammen. Der Verteidigungsdiskurs wird nun deutlich lesbar von einem Sicherheitsdiskurs überlagert.
Schauen wir uns beispielsweise ein Delikt und seine Darstellung in der Zeitung an, das oft und stereotypischerweise mit MigrantInnen in Verbindung gebracht wird: die Drogenkriminalität. In diesem Fall können wir eine kontrastive Analyse anstellen, weil es zufälligerweise so ist, dass das eine Mal ein Einheimischer der Kriminelle ist, und das andere Mal eine Gruppe von Nicht-Österreichern.

Haschkuchen auf der Alm versus ausländische Drogendealer

„Wir setzen voll auf Prävention“ – so reagierte der Vizebürgermeister des Örtchens Kals am Großglockner in Tirol und kündigte entsprechende Konsequenzen aus dem, ironisch als „Almrausch“ titulierten Vorfall an, bei dem 4 Trachtenmusiker – wohl erstmalig in ihrem Leben – Haschkuchen gegessen hatten und danach umgekippt waren. Nicht die Polizei kommentiert den Vorfall, sondern der schockierte Kapellmeister ist im Foto eingeklinkt.
Dies ist ein weiterer Text aus der Stichprobe, in dem Kriminalität als etwas Lächerliches dargestellt wird. Vor dem Einheimischen, der manchmal auf seiner Alm Haschkuchern verabreicht, müssen wir uns nicht wirklich fürchten, es scheint vollauf zu genügen, wenn man vorbeugt.
Ganz anders sieht das im Fall der, wiederum, Marokkaner aus.
„Eine Marokkaner-Bande umzingelte den Pressemann – weil er seine Arbeit machte.“ – Bereits der erste Satz dieses Artikels sortiert eindeutig Gut und Böse. Auf der einen Seite handelt es sich um eine Bande, also um eine kriminelle Vereinigung, auf der anderen Seite um einen Pressefotografen. Was ist in Innsbruck eigentlich passiert? Samstag abends, so berichtet der Text, hat der Mann Fotos von einem Polizeieinsatz gemacht, der infolge einer Messerstecherei vor Ort notwendig war. Und der Text bietet hier sofort extra Informationen an: „Die Attacke hatte sich im Suchtgiftmilieu, das in Innsbruck in der Hand von Marokkanern ist, zugetragen.“ Und so wird der Vorfall einzig aus der Sicht des Journalisten wieder gegeben, der nach getaner Arbeit in sein Auto stieg. „Ich bin langsam abgefahren, dann sprang einer auf meine Motorhaube, rollte sich ab und blieb liegen.“
Aus journalistischer Perspektive passen Überschrift und Text nicht wirklich zusammen, denn offenbar ist unklar, ob jemand auf die Motorhaube sprang oder angefahren wurde, immerhin musste die Rettung kommen. Nur durch die Verteilung der Attribute – hier die ausländische kriminelle Vereinigung, dort der seine Arbeit erledigende Fotograf – nimmt der Text Partei. Die Attribuierung als Marokkaner aus dem Suchtgift-Milieu funktioniert im Text herabsetzend und Schuld zuweisend.  Der brave, ausländische Bürger wird von einer Gruppe scheinbar ausländischer Männer bedroht – alleine diese Botschaft vermittelt der Text, er informiert weder über die Hintergründe, noch für den Ablauf.
Kurzum, dieser „Bericht“ über den Vorfall in Innsbruck macht Stimmung gegen die Bevölkerungsgruppe der Marokkaner.

4. Ethnic profiling – Rassische Zuschreibungen und Praktiken

Aber woher hat der im Bericht zitierte Mann eigentlich gewusst, dass er es mit Marokkanern zu tun hat? Wie konnte er das erkennen?
Als Antwort auf diese Frage mag man sich auf den sogenannten Alltagsverstand berufen, der einfach zu wissen meint, dass es sich um Marokkaner handeln muss, weil „die Leute“ sich nun mal „an diesen Orten“ aufhalten.
Doch ist dieser Alltagsverstand nicht einfach vorhanden, er wird gebildet, geformt, und in eine bestimmte Richtung gelenkt. – In diesem Fall handelt es sich um einen vorgefertigten rassistischen Blick, der sofort und zweifelsfrei zu erkennen meint, dass diese Menschen Marokkaner sind – ja, dass das einfach Marokkaner sein müssen. Und der Alltagsverstand weiß dann auch sofort – in einem diskursiven Zug sozusagen – dass es sich um potentielle Kriminelle handelt, seien es „Diebe“ oder „Angehörige des Suchtgiftmilieus“. In der Sprache der kritischen Diskursanalyse verschränken sich in dem „einen diskursiven Zug“ die Diskurse und Bilder (die ikonographischen Darstellungen), im vorliegenden Fall der Sicherheitsdiskurs, der nur aufgrund des „Erkennens“ der Marokkaner aktiviert wird, und ein rassischer Diskurs, der das Erkennen hervorbringt. Es geht dabei nicht um ein individuelles (Ver-)Sehen, im Zentrum meiner Analyse stehen die sozialen und politischen Verfahren, die eine gesellschaftliche Realität erzeugen.
Hervorgebracht und geformt wird dieser Blick durch eine weit verbreitete Praktik, die ich als „ethnic profiling“ bezeichnen möchte, und die nicht nur im Alltag – wie von dem genannten Fotografen – von jedermann und jederfrau angewendet werden kann, sondern die auch institutionell in Anschlag gebracht wird – ethnic profiling. Im polizeilichen Kontext bedeutet es, dass Menschen, die nicht konkret verdächtig sind, aufgrund ihrer Herkunft oder Religionszugehörigkeit überprüft werden. Dieses „Überprüfen“ kann eine computergestützte Auswertung sein, in der aus einem Datensatz Personen mit bestimmten Merkmalen wie Herkunft, Einreisedaten, Alter herausgefiltert werden, die dann physisch aufgesucht und befragt werden. Also man sucht etwa – wie in Wien bekannt geworden – in Wien lebende Georgier in einem bestimmten Alter heraus, stellt sie unter Verdacht (Stichwort: „Georgier-Banden“) und befragt sie.
Oder aber Zivilstreifen warten an stark frequentierten Punkten der Stadt – in Wien beispielsweise an dem Kreuzungspunkt von U6 und U6 am Westbahnhof -, observieren die Menschenströme, und filtern Menschen aufgrund bestimmter offensichtlicher Merkmale heraus, die dann angehalten und „überprüft“ werden. Das bedeutet, sie werden von drei Polizeibeamten umringt, wobei einer mit einem Laptop die Daten aufnimmt und checkt, während die beiden anderen mit dem Betroffenen reden und ihn im Auge behalten. Gesucht werden dabei „Illegale“, also Menschen ohne Papiere, denn die Beamten kontrollieren immer auch den Aufenthaltsstatus.
Man fragt sich, wie die Beamten aus der Masse der Menschen eigentlich die „richtigen“ Personen filtern. Im Unterschied zum statistischen Verfahren kann man den Pass einer Person ja nicht erkennen. Das Filtern erfolgt aufgrund rassischer Merkmale, eine Praktik, deren Genealogie in die Rassenkunde der 1920er und 1930er Jahre zurück verweist.

Der taxonomische Blick

Es ist ein taxonomischer Blick, den diese Unterdisziplin der Anthropologie entwickelt hatte. Sie war damit beschäftigt, die Menschen Europas nach rassischer Zugehörigkeit zu vermessen und zu klassifizieren. Dabei spielten die Gesichtszonen eine entscheidende Rolle – und dahinter die Knochenschädel, wie hier dargestellt. Das Bild ist einer Schrift von Ilse Schwidetzky entnommen, einer Nachkriegs-Professorin für Anthropologie an der Universität Mainz, die in der Vorkriegszeit und später im Nationalsozialismus ihre wissenschaftliche Karriere gemacht hat.
Diese Vermessungen des Gesichts ergaben beispielsweise Schädellängen, Schädelbreiten und zusammen einen Längenbreitenindex, ferner wurde der Nasenindex errechnet (ein Wert aus gemessener Nasenbreite, ihrer Länge und ihrer Krümmung) und so weiter. Deren Verbreitung wurde dann mittels früher mathematischer und statistischer Methoden hoch gerechnet und somit rassische Landkarten Europas erstellt. Die Merkmale der Vermessungen wurden allerdings – auch aufgrund sogenannter Rassenmischungen – mit der Zeit immer differenzierter, so dass die Klassifizierungen komplexer und letztlich aussageloser wurden. Im Rahmen der NS-Wissenschaft wurde die rassische Anthropologie durch die frühe Genetik ersetzt, die in Deutschland entstand, weil es logisch war, gleich das Blut zu scannen, dass die rassische Phänomenologie erst hervorbringt. Der rassistische Blick jedoch ist geblieben.
schwidetzky-gesichtsreliefmasseSoweit also das moderne Menschenvermessen, das auch in den Konzentrationslagern durchgeführt worden ist, immerhin hatten die deutschen Wissenschaftler dort ein einzigartiges Sample vor Augen. Das Nach-Moderne „ethnic profiling“ interessiert sich allerdings nicht mehr für nutzlose anthropologische Klassifizierungen, es hat die offensichtlichen äußeren Merkmale in Form biometrischer Verfahren wieder trivialisiert, durch konstruierte kulturelle Eigenschaften ergänzt, und in einen Sicherheitsdiskurs integriert. Personen, die bestimmte Merkmale aufweisen, aufgrund deren sie fremdländisch aussehen, werden unter Generalverdacht gestellt.
Neben dem beispielsweise am Wiener Westbahnhof praktizierten rassischen Blick werden technisch simple Gesichtserkennungsverfahren verwendet für eine zweidimensionale geometrische Vermessung besonderer Merkmale (z.B. Augen, Nase, Mund).

Hierbei wird deren Position, Abstand und Lage zueinander bestimmt. Heutige Verfahren setzen jedoch meist auf komplexe Berechnungen wie die Waveletanalyse (z.B. mittels Gabor-Transformation) oder Hauptkomponentenanalyse. Das National Institute of Standards and Technology (NIST) hat wiederholt vergleichende Untersuchungen verschiedener kommerzieller und universitärer Verfahren durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen eine deutliche Steigerung der Erkennungsleistung innerhalb von ca. 10 Jahren. Lag die Falschrückweisungsrate bei einer gesetzten Falschakzeptanzrate von 0,1 % im Jahr 1993 noch bei praxisuntauglichen 79 % (d.h. beinahe vier von fünf Personen wurden damals nicht erkannt), so wird diese Fehlerrate heute (Stand Mitte 2006) von den leistungsfähigsten Verfahren auf nur 1 % reduziert (d.h. etwa eine von hundert Personen wird nicht erkannt). Diese Rate liegt in der gleichen Größenordnung wie die aktueller Fingerabdruck- oder Iriserkennungsverfahren[1] und übertrifft die Fähigkeiten der menschlichen Gesichtserkennung [2]. [aus Wikipedia, Biometrie]

Dadurch, dass das Scannen von Menschen täglich praktiziert wird, sowohl im Alltag als auch von Seiten der Behörden, werden Stereotype und Vorurteile nicht nur zu „sozialen Tatsachen“ gemacht, sondern im ethnic profiling verschränken sich rassistischer Blick, Sicherheitsdiskurs und die permanente Überwachung und Kontrolle der Gesellschaft.
– Ende –