„Was ist das für ein Leben, das man nur zu Hause auf der Couch verbringen kann?“

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By Sebastian Reinfeldt

Kürzungen der Mindestsicherung sind in den Bundesländern gerade politisches Programm. Dabei machen alle Parteien mit. Trotz der Einschnitte sei die „Hilfe für ein menschenwürdiges Leben“ gewährleistet, meinte die jetzige Grünen-Chefin Ingrid Felipe Anfang Jänner 2017. In den Berichten zu den Konsequenzen des Tiroler Modells klinkte der ORF einen Infokasten ein, der informierte:

Bisher: Zwei allein stehende Personen in einer Wohngemeinschaft erhielten als Lebensunterhalt bisher insgesamt 1.266 Euro (2 x 633 Euro).
Neu: Künftig erhalten sie 946 Euro (2 x 473 Euro).

Was bedeuten solche Zahlen eigentlich im wirklichen Leben? Nach Abzug aller Kosten bedeutet das 7 Euro fünfzig zum Leben pro Tag für einen Singlehaushalt – in der angeblichen „sozialen Hängematte“ Wien. Der Journalist Michael Wögerer macht gerade einen Selbstversuch, in dem er von diesem Geld lebt. Über seine Erfahrungen und über sichtbare und unsichtbare Armut in Österreich sprach er mit Sebastian Reinfeldt. „Für mich ist das ein Monat lang eine spannende Lebenserfahrung, für viele Menschen jahrelanger bitterer Ernst, der oft zu Vereinsamung führt.“


Hallo Michael, du bist gerade in der Mitte deines Selbstversuchs: Leben von Mindestsicherung. Wie geht es dir?

Wie sagt man so schön: Den Umständen entsprechend geht es mir ganz gut. Natürlich ist es nicht einfach mit 7,50 Euro am Tag auszukommen, aber mit Disziplin und Erfindungsgeist schafft man das zumindest für ein Monat halbwegs. Was mich freut, sind die vielen positiven Reaktionen, die ich im Laufe der Aktion erhalten habe. Das macht Mut und gibt Kraft.

Immer wieder taucht in deinen Berichten dein Freundes- und Bekanntenkreis auf, der dich einlädt und begleitet. Solidarische Menschen. Das ist natürlich wichtig. Wie glaubst du aber, dass das bei Menschen abläuft, die nicht so gut vernetzt sind?

Wer in Österreich mit Mindestsicherung durchkommen muss, ist auf solidarische Menschen und Netzwerke angewiesen. Der Staat gewährt dir nur das Mindeste zum Überleben. Mir ist bewusst, dass ich in einer privilegierten Situation bin, denn meine „Annäherung“ an das Leben von MindestsicherungsbezieherInnen ist nach 31 Tagen wieder vorbei. Ich bin sehr froh, viele tolle Menschen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis zu haben, die mich unterstützen wollen, obwohl ich bewusst nicht jede Hilfe annehme.

Denn jene Menschen, die tatsächlich arm sind, haben diese Entscheidung gar nicht. Sie sind gezwungen jedwede Hilfe anzunehmen und oft fällt es ihnen schwer Freunde und Bekannte immer wieder um Unterstützung zu bitten, wenn am Ende des Monats einfach kein Geld mehr für lebensnotwendige Dinge da ist. Armut macht deshalb auch oft sehr einsam und es braucht soziale Einrichtungen und Initiativen, die Räume öffnen und Netzwerke etablieren. Viele MindestsicherungsbezieherInnen, die ich kennengelernt habe, wollen sich vernetzen. Sie sind wahre Organisationstalente, denen leider viel zu oft der Spielraum genommen wird, sich selbst aus ihrer Lage zu befreien.

Zeit mit anderen Menschen zu verbringen – das kostet. Dies scheint eine wichtige Erkenntnis aus deinen Berichten zu sein. Weniger Geld bedeutet also automatisch weniger Zeit mit Menschen. Wie wirkt sich das auf dich persönlich aus? Was machst du derzeit mehr als vor einem Monat? Was lässt du sein?

Es ist völlig richtig. Mit dem Geld, das man durch die Mindestsicherung bekommt, verhungert man zwar nicht, aber was ist das für ein Leben, das man nur zu Hause auf der Couch verbringen kann? Der Besuch im Kaffeehaus, im Beisl oder im Kino ist einfach nicht leistbar und es gibt zu wenige kostenlose Freizeitangebote, die in unserer durchkommerzialisierten Gesellschaft zur Verfügung stehen. Auch ich spüre das sehr stark. Der „After-Work-Drink“ mit den Kollegen oder das Konzert am Wochenende fällt in diesem Monat einfach flach. Ich gehe stattdessen mehr in den Park oder lerne Initiativen kennen, die konsumfreie Räume betreiben. Für mich ist das ein Monat lang eine spannende Lebenserfahrung, für viele Menschen jahrelanger bitterer Ernst, der oft zu Vereinsamung führt.

Mich berühren deine Tagesberichte – auch ganz persönlich. Seit einiger Zeit bin ich in Privatinsolvenz und habe de facto gar kein Geld. Dieser Punkt scheint mir auch aus eigener Erfahrung zentral: Am sozialen und kulturellen Leben teilzuhaben und trotzdem mit einem vollen Magen mit halbwegs gesunder Ernährung. Das ist bei dem Geld, das du freiwillig – und ich gezwungenermaßen – zur Verfügung hast, unmöglich. Welche Konsequenzen ergeben sich für dich daraus?

Drei Punkte: Erstens müssen wir bestehende soziale und kulturelle Initiativen, die Menschen mit wenig Geld die Möglichkeit geben am Leben in unserer Gesellschaft teilzunehmen, bekannter machen und stärker vernetzen.
Zweitens gilt es die weitere Kommerzialisierung der Freizeitgestaltung zu verhindern und – wenn möglich – weitere Räume schaffen, wo kein Konsumzwang herrscht; und drittens müssen wir die Armut tatsächlich bekämpfen und nicht einfach arme Menschen aus unserem Blickfeld verbannen. Für mich ist klar, dass ich mich auch nach meinem Selbstversuch diesen Themen widmen werde.

Dein Projekt hat eine private und eine politische Dimension. Kannst du schon etwas über die politische Dimension sagen? Was würdest du sofort umzusetzen versuchen, wenn du jetzt Sozialminister wärst?

Du hast vorhin deine Privatinsolvenz erwähnt. Hier gibt es – denke ich – einige Dinge, die verändert werden müssen. Während insolvente Banken vom Staat gerettet werden und ihre Schulden im Budget verschwinden, wäre es doch höchst angebracht, dass verschuldete Menschen ebenso einen Neustart machen können. Für viele zahlt es sich ja auch gar nicht aus, überhaupt arbeiten zu gehen, weil ihr Lohn sofort bis aufs Existenzminimum gepfändet wird.

Ich weiß allerdings nicht, ob es aktuell so erstrebenswert wäre, Sozialminister zu sein, wenn man sich dabei in einer Regierung befindet, die auf der anderen Seite alle sozialen Maßnahmen konterkariert und auf allen Ebenen Sozialabbau betreibt. Das wäre nichts anderes als Sisyphusarbeit. Für konkrete Verbesserungen brauchen wir eine gesamtstaatliche Politik, die Armut und nicht die Armen bekämpft. Eine soziale Regierung. Derzeit und in naher Zukunft werden wir aber vom Staat keine Verbesserungen erwarten können, also müssen wir uns von Unten organisieren.

Michael Wögerers Tagesberichte sind auf dem Blog Neue Debatte nachzulesen.


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Michael Wögerer (links, nach einem Friseurbesuch im fast kostenlosen Gewerkschafts-Friseurstudio) kommt aus Winklarn (Bezirk Amstetten)  im niederösterreichischen Mostviertel. Er studierte in Wien Politikwissenschaft (Abschluss 2012) und ist seit 7 Jahren im Medienbereich tätig, unter anderem für die Junge Welt. Im Juli 2014 startete er das Projekt Unsere Zeitung – Die demokratische Zeitung

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